Peter Henisch wurde 1943 in Wien geboren, er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie. Seit 1971 arbeitet er als freier Schriftsteller und lebt in Wien. Neben zahlreichen Veröffentlichungen hat Peter Henisch auch eine Vielzahl an Preisen vorzuweisen: mit seinen Roman “Die schwangere Madonna” und “Eine sehr kleine Frau” stand er auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Seine neueste Veröffentlichung “Mortimer & Miss Molly” erschien im vergangenen Literaturherbst.
“Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt. Ein Fallschirmspringer, der im Zentrum des Renaissancegartens landet.”
Peter Henisch erzählt in seinem Roman nicht nur eine Geschichte, sondern gleich zwei Geschichten. Es sind zwei Geschichten, die sich überlappen, ineinander überlaufen. Es sind zwei Liebesgeschichten, getrennt durch mehrere Jahrzehnte und sich doch so ähnlich. Beide Geschichten werden von Peter Henisch auf poetische Art und Weise miteinander verknüpft.
Die erste Geschichte beginnt an einem Frühlingstag 1944, als die alliierten Truppen vom Süden heraufkommen. Der amerikanische Soldat Mortimer wird von der deutschen Flak getroffen und ist dazu gezwungen, sein Leben mithilfe eines Fallschirmsprungs zu retten. Irgendwo jenseits der Stadtmauer explodiert die Maschine, während Mortimer im Zentrum eines malerischen Renaissancegartens landet – “unter den Augen oder zu Füßen von Miss Molly.” Miss Molly, die englische Gouvernante einer Adelsfamilie, die bereits in jungen Jahren in die italienische Stadt San Vito gekommen ist, nimmt Mortimer bei sich im Zimmer auf, versteckt ihn dort und rettet ihm so das Leben.
“Vorausgesetzt, dass die Geschichte sich wirklich so zugetragen hatte. Die wahre Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Aber ist die wahre Geschichte immer die wirkliche Geschichte? Oder andersherum gefragt: Ist die wirkliche Geschichte immer die wahre Geschichte?”
Marco und Julia prägen die zweite Geschichte, die in den achtziger Jahren spielt. Marco ist Italiener, Julia stammt aus Wien. Kennengelernt haben sie sich in Siena, beide haben dort ein Seminar besucht. Ihre zart blühende Liebe führt das frisch verliebte Paar quer durch Italien, bis sie schließlich in San Vito Station machen. Sie übernachten in der Albergo Fantini – einem Hotel, dem man sein Alter mittlerweile ansehen kann. In den ersten Tagen in San Vito stürzen sich beide aufeinander, rettungslos vor Liebe – eine Liebe, die noch keine Risse hat und auch vom Alltag noch nicht überschattet ist. Nichts und niemand kann sie in ihrer Zweisamkeit stören. Doch dann entdecken sie durch Zufall, dass das Hotel nicht so menschenleer ist, wie sie geglaubt haben: sie haben einen Nachbarn. Bei einem gemeinsamen Abendessen beginnt der Nachbar, der sich ihnen als Mortimer vorstellt, seine Lebensgeschichte zu erzählen, angefangen bei der Fallschirmlandung im Renaissancegarten.
“Die Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Sie beginnt im Mai 1944, als Mortimer mit dem Fallschirm dort oben im Garten landet. Aber da ist auch die Geschichte von Marco und Julia. Die beginnt fast vierzig Jahre später, als die beiden zum ersten Mal im Albergo Fantini wohnen.”
Mortimers Geschichte begeistert Julia und Marco nicht nur, sondern beflügelt auch ihre gemeinsame Phantasie. Marco träumt schon lange davon, einen Film zu drehen und glaubt, in der Liebesgeschichte von Mortimer und Miss Molly den idealen Filmstoff gefunden zu haben. Doch auf eine Fortsetzung der Geschichte müssen beide vergebens warten, denn genauso plötzlich wie Mortimer aufgetaucht ist, taucht er auch wieder ab; bevor er seine Geschichte zu Ende erzählen kann, ist er verschwunden. Zurück bleiben Marco und Julia, ein Paar, das so viel Gemeinsamkeiten empfindet, wenn es sich in die Lebensgeschichte von Mortimer und Miss Molly versetzt. Sie bleiben zurück mit ihrer Phantasie, mit ihren Tagträumen, mit ihrer eigenen Vorstellungswelt. Gemeinsam versetzen sie sich zurück in die Zeit des Krieges und spinnen die Geschichte weiter …
“Die Erinnerung, sagte Marco, ist eine immer wieder aufgenommene Montage. Wie ein Film, den man immer aufs Neue schneidet. Manche Szenen nimmt man vielleicht heraus, andere dreht man nach und fügt sie hinzu.”
Peter Henisch hat mit “Mortimer & Miss Molly” einen Roman über die Liebe und über Erinnerungen geschrieben. Darüberhinaus erzählt der Autor aber auch davon, wie wichtig Geschichten sind, wie wichtig es ist, zu erzählen und die Kraft der eigenen Phantasie zu benutzen. Julia und Marco wollen sich nicht damit zufriedengeben, dass ihnen die Fortsetzung vorenthalten wurde. Sie erfinden einfach ihre eigene Fortsetzung. Diese Vorstellung hat etwa Amüsantes, aber auch etwas Poetisches, etwas, das mich berührt und bewegt hat. Doch während Marco und Julia die fremde Liebesgeschichte weiterspinnen, verblasst die eigene immer mehr und ist nur noch in Umrissen zu erkennen. Das Gefühl der Vertrautheit und Nähe können beide nur noch erwecken, wenn sie gemeinsam San Vito besuchen, an allen anderen Orten fühlt sich ihre Liebe seltsam schal an; als würde dieses kleine italienische Dörfchen ein magischer Liebeszauber umwehen. Überhaupt wirkt die literarische Beschreibung der Toskana sehr authentisch und lebensecht, man fühlt sich beim Lesen so, als würde man tatsächlich die Sonne Italiens genießen können.
“Dabei ging ihr zum ersten Mal auf, dass Liebe vielleicht etwas mit Widerstand zu tun hatte. Mit Widerstand gegen alle widrigen Umstände. Und letzten Endes mit Widerstand gegen die Zeit.”
Peter Henisch legt mit “Mortimer & Miss Molly” einen wunderbar komponierten und höchst poetischen Roman vor, einen Roman über die Liebe, über die Phantasie und darüber, wie wichtig es ist, Geschichten zu erzählen. “Mortimer & Miss Molly” ist frei von Kitsch und Sentimentalitäten. Eine schöne Liebesgeschichte, die herzerwärmend ist – gerade in diesen kalten Tagen, kann das ja nicht schaden.
Peter Henisch: Mortimer & Miss Molly. Roman. Deuticke Verlag, München 2013. 320 Seiten, € 19,90.
7 Comments
dasgrauesofa
January 29, 2014 at 12:55 pmLiebe Mara,
Deine Romanvorstellung liest sich ja schon alleine wegen des italienischen Flairs, das Du immer wieder beschreibst, sehr lesenswert. Und es scheint ja nicht ganz so dramatisch weiterzugehen wie im “Englischen Patienten”, an den mich die anfängliche Abschussszene erinnert.
Viele Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
January 29, 2014 at 6:11 pmLiebe Claudia,
den “Englischen Patienten” habe ich zwar gelesen, die Erinnerungen daran scheinen aber vollständig ausgelöscht zu sein. Das schreit nach einem Re-Read, mal schauen, wann ich dafür Zeit finde. Ich mochte diesen italienischen Flair des Romans sehr gerne, da hat nicht nur die Liebesgeschichte das Herz gewärmt, sondern auch die italienischen Sonnenstrahlen reicht bis in diesen kalten Winter hinüber.
Liebe Grüße
Mara
Eva Jancak
January 29, 2014 at 1:35 pmIst sicher ein tolles Buch und ich bin, wenn es so was gibt, ein Peter Henisch Fan und da gab es im Herbst in Wien in der Alten Schmiede ein tolles Symposium zu seinen siebzigsten Geburtstag, wo auch aus dem Buch gelesen wurde
buzzaldrinsblog
January 29, 2014 at 6:06 pmLiebe Eva,
ein Fan bin ich noch nicht, denn dieses hier war mein erstes Buch von ihm – es hat mich jedoch sehr neugierig darauf gemacht, weitere Bücher von ihm zu entdecken.
Ganz liebe Grüße 🙂
Mara
skyaboveoldblueplace
January 29, 2014 at 4:06 pmLiebe Mara,
das liest sich sehr spannend – allein, ich habe mich vor ein paar Wochen an Henischs Roman ‘Schwarzer Peter’ versucht und das Brikett (über 600 Seiten) nach 30 oder 40 Seiten erst mal wieder weglegen müssen. Ich konnte nicht in seine Sprache rein finden und fand die Lektüre auf eine unangenehme Art mühsam.
Aber vielleicht lag es einfach nur an den vielen Seiten. So etwas und die kleine Schrift im dtv-Buch hindert mich derzeit öfters am Lesegenuss, Jedenfalls, der ‘Schwarze Peter’ bekommt sicher nochmal eine Chance – und wenn das mal klappt, dann vielleicht auch Mortimer und Miss Molly.
Liebe Grüße, Kai
buzzaldrinsblog
January 29, 2014 at 6:09 pmLieber Kai,
dieses Buch ist zumindest deutlich schmaler, als 600 Seiten – so viel sei gesagt. Als ganz rund habe ich die Sprache am Anfang übrigens auch nicht empfunden, ohne genauer definieren zu können, was mich störte. Ich habe diesen besonderen Satzbau und diese Sprache, irgendwann als Henisch-typisch hingenommen, habe mich mit der Zeit eingelesen und dann auch gefallen gefunden. Ich möchte nun auf jeden Fall auch weiteres von ihm lesen, mal gucken, zu was ich als nächstes greifen werde. 🙂
Liebe Grüße
Mara
SuB-Fütterung | Frau Hauptsachebunt
February 13, 2014 at 6:20 am[…] dieses Buch bin ich bei Mara gestossen. Als ich die Rezension gelesen habe, war es einfach um mich geschehen, Liebe auf den ersten Blick könnte man es wohl auch […]