Ein unmögliches Leben – Andrew Sean Greer

Andrew Sean Greer wurde 1970 geboren. Er studierte Creative Writing und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Nebenjobs. Den Durchbruch als Schriftsteller feierte er mit dem Roman “Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli”, später folgte der internationale Bestseller “Geschichte einer Ehe”. Der Autor lebt heutzutage mit seinem Ehemann in San Francisco. “Ein unmögliches Leben” ist sein neuester Roman – er wurde von Uda Strätling ins Deutsche übertragen.

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“Das Unmögliche passiert uns allen ein Mal.”

Greenwich Village, 1985: Greta Wells beklagt zwei schmerzhafte Verluste, sie verliert nicht nur ihren Zwillingsbruder Felix, der an AIDS stirbt, sondern auch ihren Liebhaber Nathan, von dem sie verlassen wird. Der Schmerz sitzt so tief, dass sie kaum Worte für ihn findet. Der Schmerz sitzt so tief, dass sie aus ihrem Leben gerissen wird, aus ihrem Alltag – gestrandet in einem Gefühl der überwältigenden Trauer, das ihr jede Möglichkeit raubt, befreit leben und atmen zu können. Greta hat durch den Verlust ihres Bruders all ihre Lebensfähigkeit verloren. Das plötzliche Verschwinden von Nathan, raubt ihr den letzten Funken Kraft. 1985 lebt sie ein Leben unter dem Fluch von Trauer und Tod – wie gerne nur hätte sie zu jeder anderen Zeit gelebt.

“Es ist fast unmöglich, wahre Trauer zu fassen; sie ist ein Tiefseegeschöpf, das nicht ans Licht geholt werden kann. Ich sage, ich erinnere mich, traurig gewesen zu sein, aber tatsächlich erinnere ich mich bloß an Morgen, an denen die Frau im Bett – die Frau, in der ich eingeschlossen war – nicht aufwachen, nicht zur Arbeit gehen konnte, nichts von dem tun konnte, von dem sie wusste, dass es die Rettung wäre, sondern sich an das hielt, was sie zerstören musste: Alkohol, verbotene Zigaretten und endlose verlorene schwarze Stunden der Einsamkeit.”

Greta entscheidet sich schließlich dazu, eine Elektrokonvulsionstherapie zu machen, doch als sie am nächsten Morgen nach dem ersten Behandlungstag aufwacht, fühlt sie sich ganz und gar nicht besser. Der Doktor hatte eine leichte Desorientierung prophezeit, doch das, was Greta erlebt, ist anders als alles, was sie sich je hätte vorstellen können. Sie wacht in einem Leben auf, das ihr fremd ist, sie wacht als eine Greta auf, die ihr unbekannt ist. Sie ist immer noch Greta, doch sie wacht im Jahr 1918 auf. Das, was sie sich in einem Moment der Verzweiflung gewünscht hat – zu einer anderen Zeit zu leben – wird plötzlich Wirklichkeit.

1918 befindet sich die Welt im Krieg, aber immerhin lebt Felix noch, auch Nathan lebt – doch er musste in den Krieg ziehen. Während seiner Abwesenheit hat Greta eine heimliche Affäre mit ihrem Herzensfreund Leo. Die Zeiten damals sind noch anders, während Felix 1985 einen Lebenspartner hat, hat er 1918 eine Freundin, die er heiraten möchte und ein belastendes Geheimnis. Nach der nächsten Anwendung EKT, katapultiert es Greta in das Jahr 1941 – der nächste Krieg zeichnet sich bereits drohend am Horizont ab. Felix ist mittlerweile verheiratet und hat ein Kind, genauso wie Greta, die mit Nathan den Sohn Fee großzieht. Ein schwerer Autounfall hat das Leben dieser Greta durcheinander gebracht – ihre beste Freundin Ruth ist dabei verstorben.

“Du wünscht dir was, und es entsteht eine andere Welt, in der dieser Wunsch wahr wird, egal, ob du sie jemals zu sehen bekommst. In diesen anderen Welten sind alle deine geliebten orte da, deine geliebten Menschen. Und vielleicht wird in einer von diesen Welten alles Unrecht wiedergutgemacht und das Leben so, wie du es dir wünschst. Was also, wenn du die Tür fändest? Was, wenn du den Schlüssel hättest? Denn eins wissen wir: Dass das Unmögliche uns allen ein Mal passiert.”

Gemeinsam ist allen drei Gretas die Traurigkeit, gemeinsam in allen drei Leben ist das Personal – nur die Konstellationen unterscheiden sich. 1918 lebt Felix noch, doch Greta befürchtet, dass er sich durch die Hochzeit in ein unglückliches Leben drängen lässt. Sie fürchtet um ihren Bruder, der Deutscher ist und Repressalien der Amerikaner ausgesetzt ist. Sie vermisst Nathan, mit dem sie noch zusammen ist, der sich jedoch im Krieg befindet. Auch 1941 leidet Greta seit dem schweren Autounfall an einer depressiven Verstimmung.

Andrew Sean Greer erzählt in “Ein unmögliches Leben” über drei unterschiedliche Leben, die er in einer einzigen Figur vereint. Die Abschnitte – 1918, 1941 und 1985 – markieren wichtige historische Ereignisse, seien es die beiden Weltkriege, Pearl Harbor, die Spanische Grippe oder der Ausbruch der AIDS-Epidemie. Losgelöst von der großen Historie geht es darüber hinaus um Homosexualität und das Leben von schwulen Männern, 1918 und 1941 war es für Felix noch viel schwieriger, sich zu seiner Sexualität zu bekennen, die er nur unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Identität ausüben kann. Es geht aber auch um Verlust und Trauer, um die Angst davor, Menschen, die einem wichtig sind, zu verlieren, Menschen loszulassen, die einem viel bedeuten. Es geht darum, wie man Beziehungen Bestand geben kann und wie zerbrechlich diese sind – ungeachtet wie gut man den Partner zu kennen glaubt.

“Ist es besser, von einem Tod zu hören oder dabei zu sein? Ich hatte beides erlebt, aber ich kann es euch auch nicht sagen. Einen Menschen in den eigenen Armen verschwinden zu sehen ist fast zu viel für das Leben, trifft ins Mark, aber davon zu hören ist wie erblinden: ins Leere greifen, taumeln, hoffen, die Wahrheit zu berühren. Unmöglich, unerträglich, was das Leben für jeden von uns bereithält.”

Zeitreiseromane sind kein neues Genre, Audrey Niffenger und zuletzt Kate Atinkson haben diesem Genre ihren Stempel aufgedrückt. Auch Andrew Sean Greer lässt seine Hauptfigur durch die Zeit reisen und ein unmögliches Leben führen: Greta Wells lebt ein dreigeteiltes Leben, dadurch erfahren wir von drei unterschiedlichen Leben, keines dieser drei konnte mir jedoch besonders nahe kommen. Sprachlich befindet sich der Roman auf einem hohen Niveau, sicherlich auch dank der wunderbaren Übersetzung von Uda Strätling. Vor allem die Beschreibungen New Yorks in unterschiedlichen Jahrzehnten konnte mich begeistern und verzaubern. Darüber hinaus muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass Andrew Sean Greer bei vielen Themen leider lediglich an der Oberfläche kratzt: die historischen Ereignisse, um die der Roman kreist, sind gewaltig, doch irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie dem Autor lediglich als eine Folie dienen, die nicht wirklich mit viel Inhalt gefüllt wird. Vieles bleibt unausgesprochen, vieles wird nur gestreift – die deutsche Herkunft des Zwillingspärchens, die AIDS-Epidemie, der Krieg.

“Ein unmögliches Leben” von Andrew Sean Greer ist ein Roman, der mich zwiegespalten zurücklässt: die Geschichte und die Sprache haben mich begeistern und bezaubern können, doch dahinter – hinter dieser schönen Oberfläche – bleibt es leider seltsam hohl und leer. Gelesen habe ich einen magischen Roman, der auf charmante Art und Weise der Frage, was wäre wenn, nachgeht, der mich leider dennoch nicht ganz überzeugen konnte. Eine weitere lesenswerte Besprechung findet sich übrigens bei Literatur und Feuilleton.

2 Comments

  • Reply
    dasgrauesofa
    April 24, 2014 at 11:13 am

    Liebe Mara,
    die Konstellation des Romans, drei Leben, zwei ausgelöst durch eine Depressionstherapie (?), in drei unterschiedlichen Zeiten, hört sich schon gewaltig an. Das kann ganz spannend werden – ober eben auch scheitern. Wendet sich denn die Trauer der 1985er Greta zum Ende noch?
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 24, 2014 at 11:19 am

      Liebe Claudia,

      die Konstellation ist in der Tat gewaltig, manchmal erschien sie mir sogar absonderlich. Alle drei Gretas machen sogar eine Depressionstherapie und nach jeder Anwendung wechseln sie in eine neue Zeit. Um ehrlich zu sein, erfordert es einiges an Konzentration, um sich in diesem Szenario zu orientieren.
      Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass sich die Trauer von Greta wendet, das Buch aber endet mit einer positiven Konnotation – es ist kein klassisches Happy-End, aber vielleicht in gewisser Hinsicht das Fazit, dass wir in unserem Leben durch schwere Zeiten hindurch müssen und danach immer auch wieder bessere kommen (etwas vereinfacht zusammengefasst ;-)).
      Mit einer Bewertung des Romans habe ich mich sehr schwer getan, denn die Grundidee konnte mich in der Tat begeistern, doch dem Autor gelingt es meinem Geschmack nach nicht, diese Idee auch mit einem wirklichen Inhalt zu füllen.

      So, entschuldige die lange Antwort! 🙂
      Sonnige Grüße
      Mara

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