Während ihre ersten beiden Romane noch zwischen Deutschland und Polen spielten, schickt Sabrina Janesch die Protagonisten ihres neuesten Romans – “Tango für einen Hund” – einmal quer durch die niedersächsische Provinz. Was zunächst wie ein Remake von Tschick klingt, ist am Ende dann doch bedeutend mehr: Sabrina Janesch legt einen wunderbaren Coming-of-Age-Roman vor, voller Witz und Esprit und mit einer gehörigen Portion Lebensweisheiten.
“Am Anfang war Musik, klar? Der Typ, der meinte, am Anfang sei das Wort, der hatte definitiv keine Ahnung. Jedenfalls, wenn man mich fragt. Klarer Fall von schlechtem Drehbuch.”
Ernesto wächst im wildesten Teil des Westens auf: “[…] also, wenn wild heißen soll, dass es hier keine richtigen Städte gibt, bloß ein paar Eisenbahnlinien, die das Land durchkreuzen.” Er wächst dort auf, wo das Land platt ist und nur noch ein paar wenige andere Desperados und Greenhorns leben. Eigentlich sind Sommerferien, doch diesen Sommer hat er keine Ruhe, denn er muss unter der Aufsicht von Texas Joe 200 Sozialstunden ableisten. Wer jetzt glaubt, Ernesto würde irgendwo in den heißen Südstaaten leben, der irrt gewaltig, denn mit bürgerlichem Namen heißt der unscheinbare junge Mann Ernesto Schmitt und lebt in Semmenbüttel, mitten in der Lüneburger Heide – dort, wo der ältere Teil der Bevölkerung sich noch auf Plattdeutsch unterhält. Texas Joe heißt eigentlich Joachim Niendorf und arbeitet als Gärtner. Der siebzehn Jahre alte Ernesto trägt zwar den Namen von Che Guevara, doch ansonsten hat er wenig heldenhaftes an sich.
“Das hier, haltet euch fest, ist die Lüneburger Heide. Und was hier alles los ist, zeigt gleich die allererste Einstellung: (Mundharmonika quietscht, leise klimpernde Musik im Hintergrund, ein heiserer Wind kommt dazu.) Nichts. Also so richtig: Nichts.”
Der größte Traum von Ernesto ist, an der Filmhochschule zu studieren. Die erste Runde hat er schon überstanden, das Thema für den Bewerbungsfilm lautet nun “Über Land” und Ernesto weiß sofort, über welches Land er einen Film drehen möchte: über Argentinien, dem Land, aus dem – auf verschlungenen und kaum zu erklärenden Wegen – ein Teil seiner Verwandtschaft stammt. Doch statt mit der Filmkamera im Gepäck in das Land seiner Vorfahren zu reisen, wird er zu 200 Sozialstunden verdonnert. Frida, seine große Liebe, hat bei einer Rangelei in der Mühle, einen Joint auf den Boden geworfen – die Mühle steht in Flammen und heroisch – fast wie ein richtiger Held – nimmt Ernesto alle Schuld auf sich, um Frida zu schützen. Doch die dankt ihm das nicht einmal.
“Ich hasse es, wenn ich Dinge erklären muss. Oder wenn wer anders Dinge erklärt. Die Sache, die man erklärt, verliert sofort an Bedeutung. Als würde man mit einer Stecknadel in einen Luftballon hineinstechen. Alles Wesentliche macht sich dünn, und zurück bleibt nur ein schrumpeliges Häutchen.”
Das, was zunächst als tragische Liebesgeschichte beginnt – verschüchterter Junge, der sogar vor Pudeln Angst hat, verliebt sich in ein bildschönes und unerreichbares Mädchen – entwickelt sich schließlich zu einer rasanten Road Novel. Plötzlich steht Onkel Alfonso aus Argentinien vor der Tür, im Gepäck hat er Astor, einen uruguayischen Hirtenhund, der bei der Hundeaustellung in Bad Diepenhövel zur Schönheitskönigin gekürt werden soll. In einem uralten Fiat Panda, der auch liebevoll als Möhre bezeichnet wird, machen sich die drei auf den Weg: einmal quer durch Niedersachsen, einmal über Land.
“Hier gibt es nichts zu sehen, klar, hier passiert nichts, hier wohnt niemand Interessantes, hier laufen keine spannenden Tiere herum, hier spielen aus verdammt guten Gründen weder Filme noch Bücher. Wer hier freiwillig mit dem Rucksack durch die Gegend läuft, der ist mit ziemlicher Sicherheit aus Prinsenloh ausgebrochen oder sollte sich wenigstens dort mal vorstellen, nur zum Check, vorsichtshalber.”
Nachdem sich Sabrina Janesch in ihren ersten beiden Romanen schwereren Themen gewidmet hat, folgt mit “Tango für einen Hund” nun ein überraschend leichter und unbeschwerter Roman, der auf den ersten Blick eine Mischung aus Provinzroman und Road Novel darstellt. Doch wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, dass Sabrina Janesch eigentlich einen großartigen Entwicklungsroman erzählt, eine furiose Coming-of-Age-Geschichte. Der rettungslos verliebte Teenager, der sich nachts im Bett immer noch vor Moorleichen fürchtet und in Semmembüttel ein Außenseiter ist, entwickelt sich zu einem jungen Erwachsenen, voller Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Roadtrip an der Seite von Alfonso und Astor, lässt ihn erwachsener werden und irgendwann zu der Erkenntnis kommen: “Meinen Weg kann ich mir vielleicht nicht selber aussuchen. Aber wie ich ihn gehe, auf alle Fälle.”
“Im Leben wie beim Tango braucht man eine Menge Rückgrat. Ausdauer. Den Blick nach vorn. Fokussiert.”
Sabrina Jenesch legt mit “Tango für einen Hund” einen lesenswerten Roman vor: unterhaltsam, hochkomisch und gewürzt mit einer ordentlichen Portion kluger Lebensweisheiten. Der Autorin gelingt es dabei hervorragend, den richtigen Ton für ihren Helden und für die Provinz zu treffen. Beim Lesen bekommt man fast schon Lust, den nächsten Urlaub in die Lüneburger Heide zu verlegen.
9 Comments
Tanja
July 31, 2014 at 4:54 pmIst der neue Roman von Sabrina Janesch schon im Verkauf? Ich dachte erst im September??? Hm, bin gespannt!
Liebe Grüße,
Tanja
Mara
July 31, 2014 at 5:00 pmLiebe Tanja,
du hast mir aber gerade einen Schrecken eingejagt! 😉 Also der neue Roman ist ganz offiziell seit letzter Woche im Handel, genauer gesagt seit dem 18. Juli – ich hatte gerade schon Angst, dass ich irgendetwas durcheinander gebracht habe. 😉
Liebe Grüße
Mara
Tanja
August 6, 2014 at 9:55 pmWie Caterina habe auch ich Katzenberge geliebt – tätsächlich ist der Wandel mit Ambra sehr ungewohnt gewesen. Und jetzt…. wieder ein völlig anderes Buch – total verrückt, aber ich mag, wenn Autoren experimentieren. So wird es nie langweilig. Hmm 😀 ich wollte dir keinen Schrecken einjagen, aber wenn ich nächste Woche frei hab, dann werde ich eventuell…., ich bin mir noch nicht sicher, aber vielleicht…
Es sei denn, mir fällt wieder ein anderer guter Schmöker ins Auge. Jawoll!
Also bis denni 😉
Mara
August 8, 2014 at 5:35 pmIch muss gestehen, dass ich Katzenberge noch nicht gelesen habe – eingestiegen bin ich mit Ambra, das mir damals gut gefallen hat. Die Katzenberge liegen hier aber noch und ich möchte sie unbedingt lesen.
Ich bin gespannt, ob du dich für den Tango tanzenden Hund oder für einen anderen Schmöker entscheiden wirst! Auf jeden Fall wünsche ich dir eine wunderbare freie Woche! 🙂
Liebe Grüße
Mara
caterina
July 31, 2014 at 6:26 pmWas für ein überraschender Roman, was für eine Wandlung! Alle Achtung, Frau Janesch! Katzenberge habe ich ja geliebt, Ambra konnte nie meine Neugier wecken. Dieser Roman hingegen schon, und wie! Schön, dass du ihn bereits für uns gelesen hast und so Lust drauf machst.
kai60
August 1, 2014 at 8:56 amLiebe Mara,
es sieht so aus, als müsste ich dieses Buch ganz klar als nächstes lesen. Das klingt nach einem schönen Buch, dass mich ein bisschen von der Trauer um unsere kleine wunderbare India ablenken könnte. Sie ist vorgestern gestorben und wir sind sehr sehr traurig. Es ist alles so leer ohne die kleine Maus und vielleicht kommt da dieses Buch gerade recht.
Liebe Grüße auch an den guten Banditen,
Kai
Mara
August 1, 2014 at 5:51 pmLieber Kai,
mein Beileid, es kommt von Herzen! Ich habe glücklicherweise noch nie ein Tier verloren und wir scherzen immer, dass Bandit bestimmt sechundzwanzig werden wird, aber ich kann mir ausmalen, wie schmerzhaft ein solcher Verlust sein muss. Ich sende dir viel Kraft und viele gute Gedanken – da ist dieses Buch vielleicht in der Tat genau das Richtige.
Dir liebe Grüße
Mara
Klappentexterin
August 3, 2014 at 12:07 pmLiebe Mara,
merci für deine schöne Besprechung! Jetzt freue ich mich noch mehr auf das neue Buch von Sabrina Janesch!
Herzlichst,
Klappentexterin
Mara
August 4, 2014 at 2:03 pmLiebe Simone,
ach, da bin ich ja schon sehr gespannt, wie es dir gefallen wird – es ist ja so ganz anders, als die Vorgänger. Ich habe es aber sehr gerne gelesen!
Liebe Grüße
Mara