Ein explodierender Wal, ein abgestürztes Flugzeug, ein Manager aus dem ein Bademeister wird – klingt vielleicht skurril, ist aber die Lebensgeschichte von Sixten Braun. Heinrich Steinfest erzählt in seinem Roman Der Allesforscher von der wundersamen Wandlung eines Topmanagers und von so einigen abstrusen Begebenheiten. Das ist auf jeden Fall unterhaltsam, doch reicht das auch aus, um auf der kurzen Liste der sechs besten Romane des Jahres zu stehen?
Der Beginn eines jeden Buchs leidet unter einem großen Manko: Es fehlt die Musik.
Sixten Braun ist sechsundzwanzig Jahre alt und Hürdenläufer, beinahe wäre er mal Deutscher Meister geworden. Außerdem arbeitet er als Manager, überwiegend im chinesischen Raum. Als er sich 2004 in Taiwan aufhält, wird er Opfer eines explodierenden Wals. Es ist nicht ganz klar, ob es sich um den Teil eines Gedärms handelt oder um ein Walorgan, das ihn am Kopf trifft – doch wie auch immer: Sixten Braun geht zu Boden. Nach zweitägigem Koma erwacht er, als er einer wunderschönen Ärztin in die Augen blickt. Mit dieser Ärztin stürzt er sich Hals über Kopf in eine Affäre, denn er spürt, dass diese Frau die Liebe seines Lebens sein muss. Doch schnell gerät Sixten in die nächste Katastrophe: sein Flugzeug stürzt ins ostchinesische Meer und er ist einer der wenigen Überlebenden. Natürlich nur, weil er seinem Sitznachbarn die Schwimmweste geklaut hat. Klingt skurril, ist es auch – und all dies geschieht gerade einmal auf den ersten fünfzig Seiten.
Ich würde es in Zukunft soweit wie möglich vermeiden, von dieser Geschichte zu berichten, sosehr sie mein Leben entscheidend verändern sollte. Wobei ich noch nicht ahnen konnte, wie entscheidend.
Doch auch auf den nächsten 300 Seiten geht es ebenso skurril weiter: aus dem Topmanager wird ein Bademeister. Sixten lässt sein altes Leben hinter sich, er besteigt kein Flugzeug mehr und zieht stattdessen von Köln nach Stuttgart, um dort im Bad Berg ältere Damen vor dem Ertrinken zu retten. Doch plötzlich tritt auch noch ein Kind in sein Leben und bringt damit all das, was acht Jahre zuvor in Taiwan geschehen ist, wieder zurück an die Oberfläche. Die Verwandlung zum liebevollen Vater ist in kurzer Zeit perfekt, wäre da nicht die knifflige Sprachhürde, denn das Kind Simon spricht lediglich eine Phantasiesprache.
Doch das Zeichen, das mich dann erreichte, war ein ganz anderes als erwartet und erhofft. Das Zeichen war kein Insekt, sondern ein Kind, auch wenn dies für manche Kinderhasser oder genervte Eltern das gleiche sein mag.
Heinrich Steinfest erzählt all dies mit viel Humor, aber auch mit einem leisen Hauch Bedauern. Unter der dicken Schicht der Skurrilität verbirgt sich eine traurige Geschichte, es ist der frühe Unfalltod von Sixtens Schwester Astri, die Anfang zwanzig beim Klettern in den Bergen stirbt. Erst mit der Wandlung seines ganzen Lebens, gelingt es Sixten, sich diesem Verlust zu stellen und den Unfall aufzuarbeiten. Im Nachwort erfährt der Leser, dass dieser Teil der Geschichte einen persönlichen Hintergrund hat, denn auch der Bruder von Heinrich Steinfest verstarb beim Klettern.
Der Allesforscher ist große Unterhaltung und ein Buch, das bis oben hin gefüllt ist mit Ideen und Skurrilität. An dieser Stelle muss ich jedoch auch leise Kritik üben. Während ich den Roman auf den ersten Seiten noch als runde Lektüre erlebt habe, verliert der Autor für mein Empfinden mit zunehmender Dauer den Erzählfaden. Die Ereignisse werden immer skurriler und die Zufälle immer unglaublicher, am Ende müssen die losen Erzählfänden in den Träumen der Protagonisten zusammengeführt werden. Heinrich Steinfest sprudelt über vor Ideen, doch stellenweise wäre es der Geschichte zuträglich gewesen, sich zu beschränken. Ich habe die Figuren beim Lesen irgendwann verloren, weil die Geschichte immer unglaubwürdiger wurde.
Der Herbst – gleich, wie golden er ist – ruft einem unweigerlich ins Gedächtnis, daß der Sinn des Lebens darin besteht, zu Ende zu gehen.
Wenn ich den Allesforscher neben Kruso lege, neben April oder neben die Pfaueninsel, dann fehlt es mir in diesem Roman vor allen Dingen an Ernsthaftigkeit und Tiefe. Ja, stellenweise habe ich mich gut unterhalten gefühlt und die Figur des Sixten Brauns ist genauso wie viele der anderen Figuren mit viel Wärme und Liebe geschildert, doch reicht Absurdität und Unterhaltung aus, um aus einem guten Buch ein Buchpreisbuch zu machen? Ich habe den Allesforscher trotz allem gerne gelesen und ich glaube, dass sich unter all der absurden Skurrilität auch viel Weisheit und Wahrheit verbirgt und vieles, das man für sich und sein eigenes Leben mitnehmen kann.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog Literaturen.
13 Comments
dj7o9
October 5, 2014 at 11:56 amJuhu – noch einen den ich nicht lesen muss, obwohl die Rezension mich durchaus neugierig macht 🙂
Aber ich kann ja nicht alle und so.
Allein der Name – wer heißt denn heute noch ernsthaft Heinrich Steinfest – mit so einem Namen muss man ja skurile Geschichten schreiben …
Mara
October 6, 2014 at 11:18 amNee, alle Bücher die man lesen möchte, kann man echt nicht lesen – dann müsste man wohl immer fünf Bücher gleichzeitig durchblättern. 😉 Ich muss über das Ende deines Kommentars sehr schmunzeln, der Name Heinrich Steinfest passt in der Tat wunderbar zu seinen skurrilen Geschichten! Zum “Allesforscher” gibt es übrigens ganz unterschiedliche Meinungen, lass dich von mir also nicht zu schnell abschrecken!
dasgrauesofa
October 5, 2014 at 5:42 pmLiebe Mara,
mich wunderte schon, dass “Der Allesforscher” es auf die Longlist geschafft hat. Umso verwunderter war ich über die Nominierung auf der Shortlist. Selbst wenn es Sixten nach dem Wal-Unfall in eine andere, eine Parallelwelt, verschlagen haben sollte: die Erzählfäden, die Absurditäten – vor allem die Traumgeschichten zum Ende – haben mich doch einigermaßen ratlos zurückgelassen. Dabei kann Steinfest toll erzählen und seine unwahrscheinlichen Wendungen haben mich sehr zum Staunen gebracht. Vielleicht sind es zu viele Wendungen gewesen, vielleicht die Geschichte zum Schluss zu aufgedreht – jedenfalls stimme ich Dir zu: da gibt es andere Romena für die Shortlist. Nun warten wir mal gespannt das endgültige Votum der Jury morgen ab.
Viele Grüße, Claudia
Mara
October 6, 2014 at 9:59 amLiebe Claudia,
die ersten 150 Seiten habe ich noch gerne gelesen und mich gefragt, was du so kritisch an diesem Buch gefunden hast. 😉 Dann wurde es mir aber Seite für Seite zu bunt: zu viele Wendungen, zu viele Zufälle und bei den Träumen hatte mich Heinrich Steinfest dann gänzlich verloren. Toll erzählen kann der Autor, auch sprachlich hat mit das Buch gut gefallen, aber … ach, es fällt mir schwer, genau in Worte zu fassen, was mich gestört hat. Es waren wohl die unglaubwürdigen Zufälle: das Talent zum Zeichnen, die Träume, die Liebe in der Kletterhalle, das Auftauchen von Auden Chen. Alles ein bisschen too much für mein Empfinden.
Liebe Grüße
Mara
Bri
October 5, 2014 at 6:26 pmMuss es immer Ernsthaftigkeit und Tiefe sein, wenn doch das Leben manchmal schon so ernst und tiefgehend ist? Ich finde, nein. Warum nicht auch ein sprachlich auf hohem Niveau geschriebenes Buch, das einfach unterhält, skurril den Alltag wegbläst? 😉 Manchmal muss es eben auch “so etwas” sein und ich finde es gut, dass “solche” bücher es auf welche Listen auch immer bringen 😉 LG, Bri
Mara
October 6, 2014 at 9:57 amLiebe Bri,
ich vermute, dass das im Endeffekt auch ganz stark eine Sache des persönlichen Lesegeschmacks ist. Natürlich darf und muss es auch solche Bücher geben und ich vermute, dass es auch genug Leser und Leserinnen gibt, die sich gut unterhalten gefühlt haben – meine persönlichen Geschmack hat das Buch aber nicht durchweg treffen können, dafür gab es einfach ein paar Wendungen zu viel. Ich bin vielleicht schlicht weg kein humorvoller Mensch, befürchte ich. 😉 Ich mag es lieber düster, schwermütig und ein ganz bisschen traurig!
Liebe Grüße
Mara
Bri
October 6, 2014 at 10:28 amLiebe Mara,
das ist doch aber gerade das, was eine solche Liste ausmacht, die Vielfalt 😉 Finde ich zumindest. Die Auswahl ist ja immer subjektiv und das ist nicht das schlechteste … denn anders geht es nicht. Die Jurymitglieder sind ja nun auch alles eigenständige Leser mit ihren Vorlieben und Neigungen. Wenn man das Interview mit Peter Handke liest http://www.zeit.de/2014/39/peter-handke-dichter-lebenszorn, dann ist das ja alles keine Literatur, was da auf den Listen landet 😉
Obwohl ich sagen muss, dass ich Handke in seiner Argumentation nicht ganz folgen konnte ;)) Ich finde es einfach schön, Vielfalt für die unterschiedlichen Lesestimmungen und die unterschiedlich geneigten LeserInnen zu finden.
Liebe Grüße,
Bri
Mara
October 6, 2014 at 10:32 amNun, ich wollte dem Buch auch keinesfalls den Platz auf der Liste absprechen – diese Entscheidung liegt ja auch gar nicht in meiner Macht. 😉 Meinen persönlichen Geschmack hat es jedoch nicht ganz treffen können, deshalb wäre auf meiner Shortlist wohl ein anderer Titel gestanden, zum Beispiel Nawrats Unternehmer.
In das Interview mit Handke schaue ich mal rein, danke für den Link. ich habe mal vor Jahren ein Buch von Handke gelesen, es war eine traumatische Lektüre, weil ich einfach nichts verstanden habe. 😉
Eine vielfältige Liste ist natürlich immer wünschenswert, gestehen muss ich auch, dass ich dem Buch vielleicht Unrecht tue, weil ich die Shortlisttitel ja alle hintereinanderweg gelesen habe und den Allesforscher zuletzt.
Liebe Grüße
Mara
Bri
October 8, 2014 at 1:29 pmLiebe Mara,
da bin ich mal froh, dass es mir mit Handke nicht alleine so geht 😉
Aber wie Du sagst, es ist immer subjektiv … und wir haben es ja eh nicht zu entscheiden 😉
Liebe Grüße – wahrscheinlich derzeit nach FFM – aus Berlin,
Bri
Mina
October 5, 2014 at 7:36 pmLiebe Mara,
heute liest/las Steinfest hier in Darmstadt in der Stadtkirche. Eigentlich wäre ich gerne hingegangen. Nur hatte ich etwas die Befürchtung, dass ich meinen Job plus Buchmesse plus “Vor dem Fest” am Dienstag Abend nicht schaffen werde, wenn ich jetzt schon mit dem Marathon beginne. Schade, denn es hört sich echt toll an, was Du schreibst.
Waldnebelgrüße,
Mina
Mara
October 6, 2014 at 9:54 amLiebe Mina,
das Buch ist auch unheimlich skurril und ein unterhaltsames Leseerlebnis, ich stelle mir vor, dass die Lesung ähnlich unterhaltsam geworden wäre. Aber man kann eben nicht alles machen, “Vor dem Fest” wird bestimmt auch grandios – Sasa Stanisic ist ein ganz ganz toller Vorleser. 🙂
Liebe Grüße
Mara
Zeilenkino
October 6, 2014 at 2:29 pmIch bin eine große Anhängerin von Heinrich Steinfest, sein Roman “Ein dickes Fell” ist eines meiner Lieblingsbücher, obwohl ich es auch gerne düster und schwermütig mag. Aber genau das schätze ich an Heinrich Steinfest: In dieser Skurrilität und den Wendungen steckt ein melancholischer Kern.
Überrascht hat es mich auch, dass er auf der Shortlist gelandet ist. Vor allem aber deshalb, weil er so gar nicht zu den sonstigen Autoren passt, die dort sonst stehen.
Mara
October 17, 2014 at 4:36 pmIch danke dir für deinen spannenden Kommentar! 🙂 Für mich war dies die erste Lektüre von Heinrich Steinfest und auch wenn sie mich nicht vollends überzeugen konnte, wird es sicherlich nicht die letzte gewesen sein. “Ein dickes Fell” habe ich mir notiert.
Die Nominierung für den Buchpreis überrascht mich auch, ohne damit das Buch kritisieren zu wollen. Es passt nur irgendwie überhaupt nicht zu all den anderen Büchern, um so schöner finde ich es, wenn auch mal etwas andere Bücher auf der Longlist stehen und damit vielleicht auch Leser und Leserinnen anlocken, die sich ansonsten nicht so für den Buchpreis interessieren.