Der Job ist weg, die Freundin ist abgehauen, das Geld ist alle: Kai Weyands Protagonist Nies hat es in Applaus für Bronikowski wirklich nicht leicht. Doch dann findet er durch Zufall einen neuen Job in einem Bestattungshaus, der sein Leben auf den Kopf stellen soll. Applaus für Bronikowski ist amüsant, unterhaltsam und überaus lehrreich.
Der achtzehnte März brachte die erste warme Frühlingsluft des Jahres. NC wurde an diesem Tag einunddreißig, und außer der Gewissheit, dass sein Bruder anrufen würde, um ihm zu gratulieren, hatte er keine Vorstellung, was er sich von diesem Ereignis versprach.
Seit er dreizehn Jahre alt ist, möchte Nies nur noch NC genannt werden. NC steht für No Canadian – als seine Eltern im Lotto gewannen, beschlossen sie, nach Kanada auszuwandern und die Kinder auf sich allein gestellt zurück zu lassen. Sie wollten sich endlich ihren Lebenstraum erfüllen – einen Traum, in dem ihre Kinder keinen Platz hatten. Nies blieb mit seinem achtzehn Jahre alten Bruder Roland zurück und nannte sich seitdem nur noch NC. Die Brüder sind so unterschiedlich, dass sie sich kaum verstehen. Während Roland später ein erfolgreicher Banker wird, entwickelt sich NC zu einem Sonderling. Eine Lehre als Landschaftsgärtner hat er abgebrochen, auch in der Systemgastronomie kann er nicht Fuß fassen. Die Anstellung als Hausmeister verliert er kurz vor seinem einunddreißigsten Geburtstag – genauso wie seine Freundin Kornelia.
Es ist eine Entscheidung, die man Kornelia kaum übel nehmen kann: NC ist ein Tagträumer, der sein Leben denkt, statt es zu leben. Worte zerlegt er in ihre einzelnen Bestandteile, macht sich Gedanken über Silben und den Sinn der Sprache. Verliert sich in Philosophiererein über die Frage, wie es einem dreibeinigen Hund gelingen kann zu pinkeln – nur um dann festzustellen, dass der Hund es einfach tut. Ohne lange nachzudenken, ohne das Für und Wider abzuwägen. Eine Fähigkeit, die NC eindeutig nicht besitzt.
NC hatte schon immer viel gelesen, aber nun fing er an, Bücher zu verschlingen. Nicht nur Romane, sondern auch Gedichte. Er wollte hinter das Geheimnis der Wörter kommen, wollte verstehen, was sie in ihrem Kern bedeuteten, warum manche so tief in einen eindrangen, als wären sie Messer, und manche an einem abprallten, als wären sie Gummibälle, warum ihr Klang nicht unbedingt ihre Bedeutung widerspiegelte und warum man ihnen hilflos ausgeliefert war.
Es ist ein Zufall, der NC aus seiner Lethargie befreit: an seinem Geburtstag lässt er sich beim Besuch einer Bäckerei von der Verkäuferin eine Straße empfehlen, in die er spazieren könnte. Sein Weg führt ihn in die Holpenstraße, dort stößt er auf ein Bestattungsinstitut und – es ist ein ziemlich großer Zufall – findet dort schlussendlich einen Job. Doch nicht nur das: NC lernt als Bestatter plötzlich ganz erstaunliche Dinge über Leben und Tod. Vor allen Dingen lernt er, wie wohltuend es sein kann, das eigene Leben in die Hand zu nehmen …
Er war einunddreißig, hatte keinen Job, keine Freundin und nicht genügend Geld, um die Miete für den nächsten Monat bezahlen zu können. Börsennotiert wäre der Kurs seiner Lebensaktie wohl wirklich auf Ramschniveau gesunken. Aber: Er glaubte nicht an Aktien, und er wollte nicht heute damit anfangen.
Kai Weyand legt mit Applaus für Bronikowski ein erstaunliches Buch vor, das auf herrlich amüsante Weise einen Blick auf das Leben und den Tod wirft und dabei gleichzeitig mit den Vorurteilen und Klischees gegenüber dem Bestatterberuf aufräumt. Komik und Tragik gehen dabei Hand in Hand, wobei das Komische eindeutig überwiegt. Kai Weyand ist es ganz wunderbar gelungen, eine etwas unschlüssige und verzagte Hauptfigur zu zeichnen und sie immer wieder in grotesk-skurrile Situationen zu schicken. Obwohl NC schon einunddreißig Jahre alt ist, liest sich Applaus für Bronikowski fast wie ein Coming-of-Age-Roman: erst als Bestatter und im Anblick des Todes, gelingt es dem friedvollen Taugenichts, sein Leben endlich zu meistern und in die eigene Hand zu nehmen. Als ich das Buch zuklappte, fühlte ich mich erheitert, gut unterhalten und seltsam berührt – es ist uncool, ein Träumer und kein Macher zu sein, aber NC hat sich dann irgendwie doch in mein Herz geschlichen. Und ganz nebenbei habe ich auch noch alle Feinheiten des Bestatterwesens kennengelernt.
Für mich ist Applaus für Bronikowski ein feiner kleiner Roman, der mich gut unterhalten und dennoch nachdenklich gemacht hat. Eine schöne Unterhaltung und ein Roman, der in diesem Jahr zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreis stand.
Kai Weyand: Applaus für Bronikowski. Wallstein, Göttingen 2015. 188 Seiten, €19,90. Weitere Besprechungen bei: Fantasie und Träumerei, Fräulein Julia, Zeilensprünge und Poesierausch.
10 Comments
marinabuettner
November 13, 2015 at 8:02 amDanke Mara für die Erinnerung an NC. Für mich ist er nicht uncool, er ist angenehm anders.
Mara
November 22, 2015 at 11:58 amLiebe Marina,
sehr gerne! Ich freue mich, dass dir das Buch ebenfalls gut gefallen hat! 🙂
jancak
November 13, 2015 at 4:57 pmJa das ist ein tolles Buch, ich habe es ziemlich am Anfang meines Longlistenlesens, mit dem ich jetzt fertig bin, gelesen und hätte es auf meine Shortlist gesetzt.
Mara
November 22, 2015 at 11:58 amGlückwunsch zum Abschluss des Longlistlesens – da freue ich mich für dich! 🙂
jancak
November 23, 2015 at 8:20 amWar eine interessante Erfahrung, die ich in moderierterer Form sicher wiederholen werde
Stefan
November 15, 2015 at 9:22 amLiebe Mara,
ich habe nie davon gehört und bin umso froher für Deine Vorstellung.
Coole Helden kann jeder schreiben, wahre Anteilnahme steigt jedoch proportional mit dem Un-Coolness-Faktor 😉
Stefan
Mara
November 22, 2015 at 11:56 amHallo Stefan,
wie schön, dass ich dich auf ein dir bisher noch unbekanntes Buch aufmerksam machen konnte! 🙂 Du hast natürlich Recht: es ist deutlich einfacher über coole Helden zu schreiben, mit den uncoolen fühlt man dann aber doch ein wenig mehr mit. Nur manchmal hätte ich NC gerne geplackt und ein ganz klein wenig geschüttelt. 😉
Liebe Grüße
Mara
Nanni
November 15, 2015 at 11:33 amLiebe Mara,
eine sehr schöne Rezi. Ich mochte das Buch und auch NC sehr gerne.
Beim rezensieren habe ich mich mit der Zusammenfassung des Inhalts so ein bisschen schwer getan, aber deine Worte treffen es mal wieder sehr gut.
Ich glaube, dass es für Nies tatsächlich Coming-of-Age ist, denn eigentlich hat er vorher ja nur so vor sich hin gedümpelt, ohne Ziel, ohne Verantwortung zu übernehmen und ohne rechtes Interesse an irgendwas oder irgendwem.
Liebe Grüße
Nanni
Mara
November 22, 2015 at 11:55 amLiebe Nanni,
ich freue mich, dass dir das Buch ebenfalls gut gefallen hat – übrigens ging es mir ganz ähnlich wie dir: ich habe das Buch sehr gerne und recht flott gelesen, die Rezension ist mir dann aber doch sehr schwer gefallen.
Liebe Grüße
Mara
Das Buchpreislesen: #dbp15 | Kaffeehaussitzer
November 15, 2015 at 12:44 pm[…] Kay Weyand, Applaus für Bronikowski (Wallstein) Buchbesprechung auf masuko13 Buchbesprechung auf Sätze & Schätze Buchbesprechung auf Klappentexterin Buchbesprechung auf buchrevier Buchbesprechung auf Buzzaldrins Bücher […]