Wie rasiert man eine Leiche? Warum werden übergewichtige Leichen eigentlich morgens eingeäschert und die dünneren erst am Nachmittag? Und wie bekommt man überhaupt die Knochen in die Urne? All das sind Fragen, mit denen man sich eigentlich lieber nicht beschäftigen möchte – Caitlin Doughty will trotzdem eine Antwort darauf geben.
Doch das Verdrängen des Todes ist kein Segen, weil wir unsere Ängste lediglich unter die Oberfläche verbannen.
Fragen Sie Ihren Bestatter lässt sich als Mischung aus Sachbuch und Autobiographie lesen. Caitlin Doughty ist dreiundzwanzig Jahre alt, als sie einen Job als Krematoriumsfachkraft bei Westwind & Burial antritt. Der Tod hat die junge Frau schon immer fasziniert – eine Faszination die wahlweise zwischen nacktem Grauen und morbider Neugier schwankt. Sie selbst bezeichnet sich als funktional morbid – dass sie schließlich bei Westwind & Burial landet, ist also kein Zufall sondern folgerichtig. Endlich möchte sie nicht nur über den Tod nachdenken, sondern ihm ganz nahe kommen – sie möchte richtige Leichen, den richtigen Tod.
Wir bemühen uns nach Kräften, den Tod an den Rand unseres Daseins zu verdrängen, indem wir die Toten hinter rostfreien Stahltüren wegschließen, die Kranken und Sterbenden in Krankenhauszimmer auslagern. Wir verbergen den Tod so perfekt, dass man fast glauben könnte, wir seien die erste Generation von Unsterblichen.
Auf der Buchrückseite wird Fragen Sie Ihren Bestatter als teuflisch witzig und urkomisch beschrieben – das Buch ist mitunter tatsächlich unterhaltsam, wenn auch manchmal unfreiwillig. Die Autorin widmet sich zahlreichen praktischen Fragen: Wie rasiert man eine Leiche? Warum werden übergewichtige Leichen eigentlich morgens eingeäschert und die dünneren erst am Nachmittag? Und wie bekommt man überhaupt die Knochen in die Urne? Bei manchen Anekdoten aus dem Krematorium musste ich zwangsläufig lachen – auch wenn ich mich dabei ein klein wenig morbide gefühlt habe. Dieser unterhaltsamen Ausflüge in die Praktiken von Krematorien bilden für mich jedoch nur einen kleinen Teil von dem, was dieses Buch für mich ausgemacht hat. Eigentlich ist Fragen Sie Ihren Bestatter nämlich ein wahnsinnig trauriges Buch, das einen nachdenklich zurücklässt – so habe ich es zumindest gelesen.
Drüben in Marin, gleich hinter der unweit von Westwind gelegenen Brücke, gibt es einen Friedhof, auf dem man sich natürlich begraben lassen kann. Dort saß ich manchmal auf den sanften Hügeln, ließ den Blick über die Gräber schweifen und meditierte über mein Rendezvous mit dem Zerfall. In der Konfrontation mit dem Unausweichlichen erfuhren die Mönche Befreiung, und in gewisser Weise tat ich es ihnen gleich. Indem ich ins dunkle Herz meiner Ängste blickte, vor denen ich als Kind stets die Augen verschlossen hatte, gelang es mir Schritt für Schritt, sie zu überwinden.
Caitlin Doughty erzählt nämlich nicht nur komische Anekdoten, sondern schreibt auch über Todesrituale aus anderen Kulturen und darüber, wie wir früher mit dem Sterben umgegangen sind. Es geht um die Frage, ob man sterbende Menschen zu Hause pflegen möchte oder sie ins Krankenhaus gibt. Es geht um tragische Geschichten: eine Mutter, deren Sohn an einer Überdosis stirbt. Eine Tochter, die sich weigert für die Einäscherung ihrer Mutter zu zahlen. Um Menschen, die auch noch bei der Beerdigung versuchen, den günstigsten Preis und den besten Rabatt zu ergattern.
Neben dem Buch hat Caitlin Doughty auch lange einen Blog betrieben: auf The order of the good death widmet sie sich alternativen Bestattungsmethoden. Dieses Anliegen findet auch in Fragen Sie Ihren Bestatter ihren Platz – vielleicht könnte man sogar von einer Mission sprechen: Caitlin Doughty möchte nicht nur den Tod wieder zurück in unser Gedächtnis holen, sondern wirbt auch dafür, sich viel intensiver darüber Gedanken machen, was nach dem eigenen Tod mit einem geschehen soll.
Der Tod ist der Motor, der uns am Laufen hält, der uns zum Lernen und Lieben motiviert, uns Ehrgeiz und Erfindungskraft verleiht. Ob mich der Tod nun mit achtundzwanzig oder dreiundneunzig ereilte – ich nahm mir vor, im Frieden mit mir selbst aus der Welt zu scheiden, eins mit dem Nichts, zu ebenjenem Nebel zu werden, der in den Bäumen hing. Die Grabesstille um mich herum war keine Strafe. Sie war der Lohn für ein erfülltes Leben.
Caitlin Doughty legt mit Fragen Sie Ihren Bestatter ein kluges, komisches und vor allen Dingen lehrreiches Buch vor: ich habe häufig gelacht und vor lauter Rührung geweint. Zugeklappt habe ich es mit dem Gefühl, dass ich mich ein klein wenig darauf vorbereitet fühle, auf das zu schauen, was allen von uns am Ende unseres Lebens bevorsteht: es war kein angsterfüllter Blick, sondern ein Blick, der darauf gerichtet ist, mich möglichst gut um mein eigenes Ableben kümmern zu können. Schwere Themen, ich weiß – aber ist es nicht umso wichtiger, sich diesen auch ab und an zu widmen?
Caitlin Doughty: Fragen Sie Ihren Bestatter. Lektionen aus dem Krematorium. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sky Nonhoff. C.H. Beck Verlag, München 2016. 270 Seiten, €19,95.
12 Comments
dj7o9
April 29, 2016 at 7:18 amDas Buch habe ich auch auf dem Wunschzettel, nach Deiner Besprechung bin ich noch gespannter darauf 🙂
Mara
May 5, 2016 at 9:56 pmDann bin ich schon gespannt, wann du es lesen und wie es dir gefallen wird. 🙂
Sophie (VERStand)
April 29, 2016 at 8:26 amHallo Mara, das Büchlein habe ich bei dir ja gar nicht erwartet! Umso erfreuter bin ich, es bei dir vorgestellt zu sehen. Die Autorin kenne ich durch ihren Youtube-Kanal “AskAMortician” und lausche ihr sehr gerne. Sie bringt in ihren Videos ebenfalls eine großartige Mischung aus Ernst und Humor zusammen. Man lernt immer etwas skurriles über den Tod… gerade das Video zu “Coffin Births” fand ich richtig gruselig, aber auch faszinierend! [Musste etwas an Sleepy Hollow denken dabei…].
Deine Rezension hat mich auf jeden Fall dazu bewogen, das Buch auf meine Wunschliste zu transferieren. 🙂
Mara
May 5, 2016 at 9:58 pmLiebe Sophie,
ich freue mich sehr darüber, dass das Buch es auf deine Wunschliste geschafft hat – ich bin schon gespannt, ob du es auch irgendwann lesen wirst und wir es dir gefallen wird. Vielen Dank auch für den Hinweis auf ihren YouTube-Kanal, da werde ich auf jeden Fall mal einen Blick riskieren!
Liebe Grüße
Mara
Dorte
April 29, 2016 at 8:27 amDanke dafür, dass Du auch unbequeme Bücher vorstellst.
Ein schönes Wochenende
Dorte
Mara
May 5, 2016 at 9:59 pmLiebe Dorte,
vielen Dank für deinen Kommentar, der mich darin bestätigt, auch in Zukunft mal meine Lesekomfortzone zu verlassen und “andere” Bücher zu lesen & vorzustellen.
Liebe Grüße
Mara
flattersatz
April 29, 2016 at 6:03 pmah… liebe mara, danke, daß du mich dran erinnerst. das buch hätte ich fast vergessen. du, frag doch einfach mal einen bestatter in deiner nähe, ob du dort ein praktikum machen kannst, das ist nicht nur interessant, sondern lehrt auch demut. und das rasieren von leichen lernst du auch! 😉
liebe grüße
gerd
Mara
May 5, 2016 at 10:01 pmLieber Gerd,
vielen Dank für den Tipp – bei einem solchen Praktikum würden sicherlich einige meiner Fragen beantwortet werden. 😉 ich freue mich auf jeden Fall, dass das Buch den Weg auf deine Wunschliste gefunden hat, du hast ja schon häufiger Bücher rund um den Tod und das Sterben vorgestellt und ich glaube, dass auch dieses hier dir gut gefallen könnte.
Liebe Grüße
Mara
thomasmalzen
April 30, 2016 at 11:36 amLiebe Mara,
du hast immer so tolle Tipps, die man nicht auf jeder Seite findet. Danke dafür! Das Buch hört sich sehr interessant an, wandert auf meine Wunschliste. Auch “City on fire” ist bisher völlig an mir vorüber gegangen, da bin ich auf deine Meinung gespannt, könnte auch genau meinen Geschmack treffen.
Hoffe, du hast ein erholsames (Lese-)Wochenende.
Liebe Grüße
Thomas
Mara
May 5, 2016 at 10:03 pmLieber Thomas,
ich freue mich natürlich darüber, dass das Buch nun auf deiner Wunschliste steht – ich war zufällig darüber gestolpert und da mich dieses Thema momentan sehr beschäftigt, hat es mich sofort angesprochen.
In “City on Fire” stecke ich gerade noch mittendrin, die ersten 250 Seiten sind aber wirklich vielversprechend und toll zu lesen – ich hoffe, ich werde bald über das Buch berichten können!
Liebe Grüße
Mara
Claudia
May 1, 2016 at 7:21 pmLiebe Mara,
die Zitate, die Du aus Caitlin Doughtys Buch ausgewählt hast, zeigen – wahrscheinlich – schon den Bogen, den die Autorin ziwschen Leben und Tod spannt: sehr bewegend, aber auch auf eine ganz besondere Art beruhigend. “Im Frieden mit mir selbst aus der Welt scheiden” – das hört sich nach einem sehr guten, aber auch sehr schweren Ziel an. Aber solch ein Buch, das sich so intensiv und so klug mit dem Thema Tod beschäftigt, ist sicherlich ein ganz besonders guter Ansatz, sich mit dem gerne verdrängten Thema auseinanderzusetzen. Und sicherlich kommt dann so mancher Leser zu so einem versöhnlichen Blick wie Du ihn im letzten Absatz schilderst.
Danke fürs Vorstellen des Buches, Claudia
Mara
May 5, 2016 at 10:06 pmLiebe Claudia,
vielen Dank für deinen Kommentar – seit Bandits Tod, der so plötzlich und überraschend eingetreten ist, beschäftigt mich das Thema sehr. Erfahren zu müssen, dass alles von einem Moment auf den anderen vorbei sein kann, hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Dieses Buch hat auf jeden Fall dabei geholfen, meine Gedanken zu ordnen und einen etwas versöhnlicheren Blick auf den Tod zu werfen.
Es ist sicherlich nicht leicht, dieses Buch zu bewerben und anzupreisen, da es sich mit einem unbequemen Thema beschäftigt, aber ich hoffe einfach darauf, dass es viele Leser finden wird.
Liebe Grüße
Mara