Felicitas von Aretin hat ein wichtiges und großartig recherchiertes Buch geschrieben! Mit Wagemut und Wissensdurst erzählt von den Lebensentwürfen der ersten deutschsprachigen Frauen, die als Akademikerinnen arbeiteten – und für ihre Rechte eintraten und kämpften.
“Ich wünsche, für andere die Bahn zu brechen.” (die erste Schweizer Ärztin Marie Heim-Vögtlin)
Die jungen Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die Hörsäle und männerdominierten Berufe drängten, brauchten eine große Portion Wagemut. Ob als Ärztin, Juristin, Biologin, Kunsthistorikerin, Mathematikerin, Physikerin, Architektin oder Archäologin – plötzlich begannen Frauen damit, sich Berufsfelder zu erkämpfen, die ihnen bis dahin verschlossen gewesen sind.
In fünf Kapiteln erzählt Felicitas von Aretin von Pionierinnen der Naturwissenschaften, von Frauen in Kultur und Medien oder auch von Selbstständigen und Unternehmerinnen. Nur einige wenige der vorgestellten Frauen kannte ich bereits – beispielsweise Magdalene Schoch, die die erste habilitierte deutsche Juristin war und den ersten deutschen Zonta-Club gründete oder auch Lise Meitner, eine österreichische Physikerin. Doch viele der Lebensbiographien waren mir völlig unbekannt: ich lerne Maria von Linden kennen, die erste Tübinger Studentin und Zoologin – besonders im Gedächtnis geblieben ist mir auch Magdalena Neff, die derste deutsche approbierte Apothekerin.
“Um wenigstens etwas in meinem Leben zu erreichen, bereite ich mich auf den Kampf um die Gleichheit der Rechte vor.”, schreibt die Russin Nadeschda Suslowa, die 1867 als erste Frau in Zürich das Medizinstudium mit dem Doktorat abschließt.”
Das Spannende an dem Buch von Felicitas von Aretin ist für mich, dass die Biographien der vorgestellten Frauen auch heute noch eine große Dringlichkeit besitzen. Es ist gerade einmal ein paar Monate her, dass Carla Neisse-Hommelsheim, aus dem Vorstand des Deutschen Frauenrats, forderte: Wir brauchen weibliche Vorbilder in der Politik. Anlass für diesen Aufruf ist die Tatsache, dass aktuell sechs Prozent weniger Frauen im Parlament sitzen, als in der vergangenen Legislaturperiode. Auch wenn Frauen deutlich mehr Türen offenstehen, sind bestimmte Bereiche immer noch nur schwer zugänglich – ein Hinweis darauf ist auch die Tatsache, dass es zahlreiche Gremien gibt, in denen keine Frau vertreten ist. Was man dabei auch häufig vergisst, ist, dass diese Türen Frauen noch gar nicht so lange offenstehen: erst 1971 erhielten Schweizerinnen das Wahlrecht, erst seit 1977 dürfen Frauen in Deutschland ohne Einwilligung ihres Mannes arbeiten, erst 1982 wurde der Mutterschutz auch auf selbstständig erwerbstätige Österreicherinnen ausgedehnt.
“Ich muss wissenschaftlich arbeiten, auch neben meiner Hochschultätigkeit. Es ist mir eine Notwendigkeit; seit meiner Studienzeit habe ich nie damit aufgehört, es ist eines der wichtigsten Bedürfnisse in meinem Leben”, schreibt die Wiener Mathematikerin Hilda Geiringer.
Die Frauen, die Felicitas von Aretin vorstellt, brauchten nicht nur Wagemut, um Vorurteile und gesellschaftliche Normvorstellungen zu durchbrechen, sondern sie mussten ihr Recht auf Bildung und Wissenschaft ständig verteidigen. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurden viele berufstätige Frauen aufgerufen, auf ihre Arbeit zu verzichten und sich stattdessen um Haushalt und Kinder zu kümmern. Frauen, die sich weigerten, sich als Mutter verklären zu lassen, wurden diskriminiert, verfolgt oder schlimmstenfalls ermordet. Viele der porträtierten Frauen, waren während des Krieges zur Emigration gezwungen und mussten sich ihre Karriere und ihr Leben wieder ganz neu aufbauen – in vielen Fällen ist es gelungen.
Ich finde, dass der heutige Weltfrauentag ein schöner und passender Anlass ist, an diese Frauen zu erinnern – viele von ihnen haben vielleicht keine bekannten Namen, aber sie sollten uns allen auch heute noch Vorbild sein, da sie unbeirrbar und mit viel Mut, um ihre Rechte als Frauen gekämpft haben.
Wer übrigens Lust darauf hat, noch weitere Bücher dieser Art zu entdecken, dem kann ich folgende empfehlen:
Felicitas von Aretin: Mit Wagemut und Wissensdurst. Die ersten Frauen in Universitäten und Berufen. Elisabeth Sandmann, 2018. €24,95, 2018 Seiten.
2 Comments
Livia
March 8, 2018 at 8:20 pmLieber Linus
Herzlichen Dank für diesen tollen Tipp und ich gratuliere dir zur sehr gut recherchierten Rezension. Und super auch, dass du noch so viele weitere Buchtipps angefügt hast, ich gehe gleich einmal stöbern.
Alles Liebe dir
Livia
Raoul
March 15, 2018 at 4:09 pmWunderbare Buchtipps, vielen Dank. Ich habe “Good Night Stories for Rebel Girls” für meine Kinder gekauft, und es wird innig geliebt und gelesen. Gibt es Bücher, welche Du empfehlen kannst, in denen männliche Vorbilder (Wissenschaftler, Künstler, Menschenrechtler, etc.) auf ähnlich kindgerechte Weise porträtiert werden?