Blattgeflüster: Die wunderbare Welt der Pflanzen – Hope Jahren

Hope Jahren ist eine namhafte Geo-Biologin, die sich mit Bäumen, Blumen und Samen beschäftigt. Blattgeflüster ist ihre Autobiographie und erzählt davon, wie schwer es für Frauen im Wissenschaftsbetrieb ist und wie lange Hope Jahren darum kämpfen musste, bevor sie irgendwann ihr eigenes Labor hatte. Was für eine inspirierende und beeindruckende Lektüre!

Menschen sind wie Pflanzen: Sie wachsen zum Licht hin. Ich wählte die Naturwissenschaft, weil sie mir gab, was ich brauchte – ein Zuhause im buchstäblichen Sinne: einen sicheren Ort.

Blattgeflüster erzählt uns einerseits etwas über Bäume und Blätter und darüber, wo Moos am besten und schnellsten wachsen kann. Andererseits erzählt Hope Jahren aber auch eine sehr persönliche Geschichte, angefangen im Labor ihres Vaters, in dem sie mit allen Spielzeugen spielen durfte, solange sie wollte. Dort wurde ihre Liebe zur Wissenschaft geweckt, aber es war ein langer und steiniger Weg, bis sie irgendwann ihr eigenes Labor haben sollte.

Es ist ganz interessant, wie sie beschreibt, dass es ihr vor allem auch als junges Mädchen an Vorbildern fehlte – eine Frau zu sein und in der Wissenschaft zu arbeiten, war etwas Unvorstellbares für sie. Es gab keine Frauen, an denen sie sich orientieren konnte oder an denen sie sich ein Beispiel nahm: Ich habe nie eine einzige Geschichte über eine Frau in den Naturwissenschaften gehört, nie eine kennengelernt oder wenigstens im Fernsehen gesehen. Hope Jahren erarbeitet sich einen Platz im Wissenschaftsbetrieb, ohne zu wissen, ob das für sie eigentlich vorgesehen ist.

Ich wusste, dass man mir noch vor dem Mittag mitteilen würde, dass meine Entdeckung nichts Besonderes war. Ein ältererer und weiserer Wissenschaftler würde mir sagen, dass das, was ich gesehen hatte, tatsächlich etwas war, wovon er selbst ausgegangen wäre. Während er mir erklärte, dass meine Beobachtung keine echte Offenbarung war, sondern nur eine Bestätigung für eine naheliegende Vermutung, würde ich höflich zuhören. Es wäre egal, was er sagte. Nichts konnte etwas an der überwältigenden Süße des Gefühls ändern, kurz ein kleines Geheimnis besessen zu haben, das vom Universum nur für mich gedacht war.

Der Untertitel des Buches lautet Aus dem Leben einer leidenschaftlichen Forscherin – und das ist auch für mich das Schöne an diesem Buch: Blattgeflüster ist nicht nur ein Naturbuch, es ist auch kein wissenschaftliches Sachbuch. Es ist viel mehr die Lebensgeschichte einer Forscherin, mit allen Höhen und Tiefen: Hope Jahren trifft reihenweise falsche Entscheidungen, hat mindestens zwei folgenreiche Verkehrsunfälle, verliert einen Haufen gewonnener Proben, weil sie vergisst vorher eine Transportgenehmigung einzuholen. Sie stellt Anträge, mit denen sie scheitert und ihr engster Mitarbeiter Bill schläft lange Zeit auf dem Campus, weil er sich keine eigene Wohnung leisten kann von seinem Gehalt.

Hope Jahren verschweigt auch nicht ihre psychische Erkrankung, manchmal liegt sie 36 Stunden lang im Bett und weint, bevor sie sich wieder aufraffen kann, um ins Labor zu gehen. Als sie schwanger wird, muss sie ihre lebensrettenden Medikamente absetzen und versinkt für ein paar Wochen in einer tiefen Dunkelheit.

Mein Labor ist ein Ort, an dem ich schreibe. Ich bin inzwischen sehr geübt darin, eine seltene Art von Prosa zu produzieren, die in der Lage ist, die zehnjährigen Arbeit von fünf Personen auf sechs Druckseiten zusammenzufassen, in einer Sprache, die sehr wenige Menschen lesen können und die niemand jemals spricht. Diese Prosa vermittelt die Details meiner Arbeit mit der Präzision eines Laserskalpells, aber ihre stromlinienförmige Schönheit ist eine Art Trick, ein Modell in Größe Null, das dazu bestimmt ist, die Pracht eines Kleides zu präsentieren, das an einem normalen Menschen sehr viel weniger perfekt aussehen würde. Meine Aufsätze zeigen nicht die Fußnoten, die dazugehören, nicht die Zahlentabellen, die in akribischer monatelanger Arbeit erneuert werden mussten, nachdem eine Studentin im Aufbaustudium aufgegeben und das Labor mit den höhnischen Worten verlassen hatte, ein Leben wie meines wolle sie nicht. Sie verschweigen, dass ich an einem Absatz fünf Stunden lang schrieb, während ich gelähmt vor Trauer im Flugzeug saß, auf dem Weg zu einer Beerdigung, die ich nicht wahrhaben wollte. Und sie verheimlichen den frühen Entwurf, den mein Kleinkind mit Wachsmalstift und Apfelmus bedeckte, kaum hatte ich ihn noch warm aus dem Drucker gezogen.

Hope Jahren hat mit Blattgeflüster ein wirklich schönes und faszinierendes Buch geschrieben, das zum einen einen spannenden Blick auf die Natur bietet – zum anderen aber auch einen spannenden Blick auf das Leben. Das Buch funktioniert, obwohl es viele Leerstellen gibt: wie ist Hope Jahren aufgewachsen? Was ist mit ihren Eltern? Ihrem Liebesleben? All das bleibt ein wenig im Dunkeln – oder zumindest unbeleuchtet. Aber das, was uns gezeigt wird, ist höchst liebens- und lesenswert.

Blattgeflüster ist eine große Empfehlung für all diejenigen, die sich für spannende und unkonventionelle Lebensläufe interessieren und nebenbei auch noch das eine oder andere über unsere Natur lernen wollen.

Hope Jahren: Blattgeflüster. Aus dem Amerikanischen von Merle Taeger. Ludwig Verlag, 2016. 413 Seiten, 22,99€. Besprochen auch auf dem Blog Elementares Lesen.

2 Comments

  • Reply
    Petra Wiemann
    September 17, 2019 at 3:41 pm

    Super, dass es dir auch gefallen hat, lieber Linus! Ein sehr beeindruckendes Buch!

    • Reply
      Linus
      September 17, 2019 at 5:23 pm

      Uh, du hast es auch schon gelesen und besprochen? Dann schau ich gleich auch nochmal bei dir vorbei und verlinke deine Besprechung! Mir hat es wirklich ganz ausgezeichnet gefallen!

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