Daisy Jones & The Six – Taylor Jenkins Reid

So etwas wie Daisy Jones & The Six habe ich bisher noch nicht gelesen: dieses Buch ist ziemlich ungewöhnlich, ziemlich gut erzählt und – das kommt noch dazu – ziemlich feministisch. Ein großes Lesevergnügen und eine große Leseempfehlung!

Ich hatte absolut kein Interesse daran, jemandes Muse zu sein. Ich bin nicht die Muse. Ich bin der Jemand. Punkt.

Die Geschichte, die Taylor Jenkins Reid erzählt, spielt in den späten sechzigern und siebziger Jahren und ich habe am Anfang einen Moment lang gebraucht, um zu verstehen, dass es sich tatsächlich nur um eine Geschichte handelt. Die Band ist fiktiv, in Wirklichkeit hat es weder Daisy Jones noch The Six gegeben, aber das Buch liest sich so, als wäre das alles wirklich passiert. Ich habe am Anfang auch einen Moment gebraucht, um mich an den Erzählton zu gewöhnen. Das Buch wird quasi in Form einer oral history erzählt: es gibt keine Erzählstimme, stattdessen kommen abwechselnd die Menschen zu Wort, die für diese Geschichte eine Rolle spielen.

Da ist natürlich Daisy Jones, die in einem Zuhause aufwächst, in dem sie nicht geliebt wird. Als sie sich der Musik zuwendet, wendet sie sich auch den Drogen und dem Alkohol zu. Was schnell deutlich wird: diese Frau ist unglaublich talentiert, sie kann nicht nur gut singen, sondern sie besteht auch darauf, ihre Songs selbst zu schreiben. Doch es ist für sie trotzdem nicht immer einfach in der harten Realität des Musikgeschäfts Fuß zu fassen und Erfolg zu haben. Das ändert sich, als sie sich mit der Band The Six zusammenschließt.

Dieses Buch erzählt die Geschichte der Rockband Daisy Jones & The Six, die in den Siebzigerjahren Berühmtheit erlangte – und sich am 12. Juli 1979 in Chicago, mitten während einer Tournee, plötzlich und aus bislang ungeklärten Gründen auflöste. Im Verlauf der vergangenen acht Jahre habe ich Interviews mit aktuellen und ehemaligen Bandmitgliedern geführt, ebenso wie mit Verwandten, Freunden und führenden Vertretern der Musikbranche aus dem damaligen Umfeld der Band.

Zu The Six gehören die Dunne-Brüder Billy und Warren – Billy ist der Bassist, Warren der Schlagzeuger. Zur Band gehören auch Pete, Graham und Eddie, genauso wie die Keyboarderin Karen. Karen ist eine meiner liebsten Figuren gewesen, sie ist mutig, laut und kämpferisch und sagt Sätze wie Männer denken oft, sie verdienen einen Orden, weil sie Frauen wie Menschen behandeln. Eine wichtige Rolle spielt auch Camila, die Frau von Billy. Beide verlieben sich ineinander, aber Billy stellt die Beziehung auf eine harte Probe, als er es mit den Groupies und den Drogen übertreibt. Camila stellt ihn vor die Wahl: entweder ein Entzug und danach ein gemeinsames Leben als Familie – oder die Trennung. Billy entscheidet sich für Camila.

Überhaupt spielt das Thema Sucht und Abhängigkeit eine wichtige Rolle: Billy entscheidet sich zwar für das Leben mit Camila, hat aber in den Jahren danach immer wieder damit zu kämpfen nicht wieder rückfällig zu werden. Gerade im Kontext Musik und Rock’n’roll ist es fast schon eine Herkulesaufgabe abstinent zu bleiben. Daisy dagegen ist noch längst nicht an dem Punkt angelangt, ihr Leben ändern zu wollen – zumindest noch nicht so wirklich. Sie stolpert von einer durchzechten Nacht zur nächsten.

Als ich nicht geantwortet habe, hat er mich in die Ecke gedrängt an die Wand. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich wusste nicht, was er machen würde. Wenn man sich in einer solchen Situation befindet, wenn sich ein Mann vor einem aufbaut, kommt es einem vor, als würde sich jede einzelne Entscheidung, die zu diesem Augenblick geführt hat – alleine mit einem Mann, dem du nicht vertraust -, noch mal vor deinem geistigen Auge abspulen.

Es ist fast ein Zufall, der Daisy Jones und The Six zusammenführt: sie stellen irgendwann fest, dass Daisy und Billy zusammen auf der Bühne am erfolgreichsten sind, aber nicht unbedingt am glücklichsten. Es gibt oft Streit, Neid, Eifersucht: wer schreibt die Texte? Wer trifft die Entscheidungen? Wer fühlt sich ausgeschlossen? Ich hatte beim Lesen fast schon das Gefühl, mit auf Tournee genommen zu werden – eine Tournee, die voller glitzernder und glamouröser Höhepunkt ist, aber auch voll von schmerzhaften Tiefpunkten und Zerwürfnissen.

Ich kann es nicht anders sagen: ich habe Daisy Jones & The Six geliebt, vor allem auch, weil ich wirklich selten zuvor ein Buch gelesen habe, dass so viele kämpferische, feministische, authentische Frauenfiguren hat. Daisy, Karen und Camila sind ganz besondere Figuren und ganz besondere Frauen. Ich finde es auch spannend, dass Taylor Jenkins Reid klassische Erwartungen an Geschlechterrollen umkehrt – während Billy in den Entzug geht, um sein Familienglück nicht zu gefährden, haut Daisy weiter auf die Pauke.

Ich bekam zu allen Tages- und Nachtzeiten Anrufe von Daisy. Ich sagte: “Ich komme und hole dich.” Aber sie wollte nicht, ich überlegte, ob ich sie in den Entzug zwingen sollte, aber das kann man nicht. Man kann niemanden kontrollieren. Ganz egal, wie sehr man diejenigen liebt. Man kann jemanden nicht gesundlieben und niemanden gesundhassen, egal, wie recht man mit etwas hat, das bedeutete noch lange nicht, dass der andere es sich anders überlegen würde.

Was soll ich sagen? Dieses Buch ist so gut, dass ich die ganze Zeit auf YouTube nach den erwähnten Songs gesucht habe, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass es die Band nicht wirklich geben könnte. Bitte lest diese Geschichte, bitte lernt Daisy Jones und The Six kennen und bitte habt dabei genauso viel Spaß, wie ich!

Taylor Jenkins Reid: Daisy Jones & The Six. Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Ullstein Verlag, Berlin 2020. 364 Seiten, €19.

3 Comments

  • Reply
    Nadine
    July 2, 2020 at 7:47 pm

    Hallöchen 👋🏻

    Ich kann dir uneingeschränkt zustimmen. Es war ein ganz besonderes Buch. Ich hätte so gern die Musik dazu gehört 🙂

    Liebe Grüße
    Nadine

    • Reply
      Linus
      July 4, 2020 at 6:18 pm

      Ach, es freut mich, dass es dir ebenso gut gefallen hat – und ja: wenn es einen Soundtrack dazu geben würde, würde ich ihn mir sofort kaufen!

  • Reply
    Booknapping
    July 27, 2020 at 6:07 pm

    Vielen Dank, Linus, für diese Buchbesprechung. Ich hatte mit dem Roman geliebäugelt, werde aber erst einmal Abstand nehmen. Und das nicht, weil ich denke, dass es ein schlechtes Buch wäre – im Gegenteil, vermutlich würde der Text mich zu sehr mitreißen, denn die Themen Sucht und Abhängigkeit versuche ich größtenteils zu vermeiden. Zumindest wenn sie so nahe gehen.
    Ich werde allerdings reinlesen und vielleicht, ja vielleicht, traue ich mich dann ja doch an diesen schönen Tipp von dir.

    Liebe Grüße
    Sandra

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