Die Farbe der Nacht – Madison Smartt Bell

Cover-Die-Farbe-der-NachtMadison Smartt Bell wurde 1957 geboren. Seit einem Studium der Literaturwissenschaft in Princeton lebt er als freier Autor. Gleichzeitig lehrt er an verschiedenen Universitäten in ganz Amerika Kreatives Schreiben und ist darüber hinaus Professor für Englische Literatur. Insgesamt 13 Romane hat der Autor, der heutzutage in Baltimore lebt, seit 1983 veröffentlicht. “Die Farbe der Nacht” wurde von den Übersetzern Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ins Deutsche übertragen.

“Wie mein Herz frohlockte, als die Türme einstürzten. Was für ein Schub reiner Kraft, ein Bocken, Bröckeln, Aufwallen zu einem großartigen Gestirn der Zerstörung, bevor es all seine Materie auf den Boden ergoss.”

Der Liebeskind Verlag ist bekannt dafür, ungewöhnliche Bücher zu verlegen – bereits meine letzte Lektüre aus diesem Verlag, das Reisetagebuch von Christopher Isherwood, hat mich intensiv gefangen genommen und nachhaltig beschäftigt. “Die Farbe der Nacht”, der neue Roman von Madison Smartt Bell, schlägt jedoch eine ganz andere Richtung ein, erinnert fühlte ich mich bei der Lektüre an die Romane von Daniel Woodrell – auch erschienen im Liebeskind Verlag. An “Die Farbe der Nacht” haftet förmlich das Prädikat “ungewöhnliche Literatur”. Bereits der Aufbau des Romans ist ungewöhnlich: mit gerade einmal 230 Seiten ist er recht schmal gehalten und dennoch wurde er vom Autor in insgesamt 84 kurze, knappe und mitunter fragmentarische Kapitel unterteilt, die häufig nicht mehr umfassen, als wenige Seiten – manchmal auch nur wenige Worte.

“Warum ich die Wüste nicht liebe. Warum ich nicht. Warum ich nicht liebe. Wo ich aufwuchs, war es nass und fruchtbar und saftig grün.”

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Mae, der Hauptfigur von Madison Smartt Bell. “Die Farbe der Nacht” ist ein 230 Seiten umfassender Monolog, ein Erinnerungsbuch, das Vergangenheit und Gegenwart in einem stetigen Gedankenfluss miteinander verschränkt. Mae arbeitet als Croupière in einem Casino in Nevada, nachts streift sie alleine durch die Wüste. Der Anschlag auf das World Trade Center, der die Welt erschüttern sollte und schon in so unterschiedlichen Formen literarisch verarbeitet wurde, erschüttert: auch das Leben von Mae. Auf den Bildern, den man sich nicht entziehen kann, die überall und ständig auf allen Kanälen gesendet werden, entdeckt sie eine Frau wieder, mit der sie eine gemeinsame Vergangenheit hat.

“Ich konnte es mir anschauen, so oft ich wollte, weil das Fernsehen es wieder und wieder zeigte, wie eine Partie Tetris, die niemand gewinnt. Ich konnte die Bilder unbegrenzt konsumieren, verschlingen. Wieder und wieder, dieses rasche Anschwellen, das Reifwerden bis zum Aufplatzen, dann der Sturz.”

Die letzte Begegnung von Mae und Laurel ist mittlerweile über dreißig Jahre her, kennengelernt haben sie sich in einer Hippie-Kommune, die sich auf einem Feldzug von bestialischen Morden befand. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Beschreibungen dieser Kommune Erinnerungen an die sogenannte “Manson Family” weckt, die am Ende der sechziger Jahre für eine Reihe brutaler Morde verantwortlich gewesen ist. Mae und Laurel gelang als einzigen Mitgliedern die Flucht, als die Polizei ihre Kommune verhaftet hat. Beide tauchen ab, führen unter einem falschen Namen ein neues Leben im Untergrund, doch irgendwann trennen sich ihre Wege …

“So sah ich Laurel zum ersten Mal wieder, sie kniete auf dem Bürgersteig, den Kopf in den Nacken geworfen, die Hände mit gekrümmten Fingern ausgestreckt, wie Waffen oder wie Lobpreisung. Blut lief ihr aus den Mundwinkeln, wie damals, doch nicht aus denselben Gründen.”

Der Titel des Roman ist bereits als Andeutung darauf zu lesen, was den Leser bei dieser Lektüre erwartet, denn die Farbe der Nacht ist gemeinhin düster, dunkel, schwarz und so ist auch dieser Roman.  Mae wächst in einer Welt auf, die von Gewalt und Schmerz geprägt ist – sie lebt in einem “Feuerbecken aus Schmerz”. Von ihrem Bruder wird das junge Mädchen missbraucht, in der Hippie-Kommune wird sie mit bestialischen Morden und unfassbar grausamer Gewalt konfrontiert. Die junge Frau ist jedoch nicht nur Opfer, sondern macht sich selbst zur Täterin. In einem Leben, das von Gewalt und Schmerz geprägt ist, fällt es Mae schwer, so etwas wie Liebe zu finden. Liebe assoziiert sie mit Schmerzen, für Mae ist unvorstellbar, dass es überhaupt so etwas geben kann, wie Liebe ohne Gewalt, Missbrauch und Macht. Zwischen den Zeilen wird jedoch immer wieder deutlich, dass tief in ihr drin – trotz aller Rauheit und Gewalt – der Wunsch wohnt, zu lieben und geliebt zu werden.

“Als ich erwachte, wollte ich weinen, konnte aber nicht. Jeder Tropfen Wasser war aus meinen Zellen gequetscht worden und ich fühlte mich ausgedörrt, als wäre ich wirklich tagelang zu Fuß in der Wüste unterwegs gewesen, ohne zu trinken.”

“Die Farbe der Nacht” ist kein gewöhnlicher Roman, der Gedanken- und Erinnerungsstrom von Mae ist fragmentarisch und weit davon entfernt, eine chronologische Geschichte zu erzählen. Der Leser ist dazu gezwungen, sich auf diesen Strom einzulassen, es ist kein sanfter Strom, sondern ein reißender und tosender Strom. Geprägt ist die Geschichte durch Gewalt, durch Schmerz, durch das Böse auf dieser Welt. Die lose thematische Klammer der Erzählung bilden zwei Ereignisse, die in das kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft eingegangen sind: “Helter Skelter” und 9/11. Doch keines dieser beiden Ereignisse steht wirklich im Mittelpunkt, vieles bleibt – vor allem in Bezug auf die Manson Family – bei Andeutungen, der Leser ist selbst gezwungen Schlüsse und Verbindungen zu ziehen.

Madison Smartt Bell legt mit “Die Farbe der Nacht” einen fürchterlich deprimierenden Roman vor, der erstaunlicherweise jedoch gleichzeitig auch höchst lesenswerte und großartige Literatur ist. Die Lektüre ist erschreckend und bestürzend. Die von Gewalt geprägte Welt, in der Mae aufwächst, ist eine düstere, raue und unheimlich harte Welt. Beim Lesen habe ich mich immer wieder an dieser Welt gestoßen, so unbekannt und fremd war sie mir. Madison Smartt Bell führt den Leser hinein in diese Welt der Dunkelheit und ich kann nur empfehlen sie mit einem guten Schutzpanzer zu betreten, um die Lektüre aushalten zu können.

16 Comments

  • Reply
    Tanja
    October 28, 2013 at 1:58 pm

    Du schreibst das Buch ist wie die Nacht, was genau zu mir passt, aber was mich abschreckt – die totale Unlust dieses Buch zu lesen schürt – ist der Preis. Schade! Das jedoch hindert mich nicht daran dir mein Kompliment für deine Rezension auszusprechen. Ich mag es, wenn du ein wenig zitierst. Ich mag wie du schreibst und beschreibst.
    “Warum ich die Wüste nicht liebe. Warum ich nicht. Warum ich nicht liebe. Wo ich aufwuchs, war es nass und fruchtbar und saftig grün.”

    Liebe Grüße,
    Tanja

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 28, 2013 at 7:41 pm

      Liebe Tanja,

      ich freue mich, dass ich dich durch die Zitate und meine Besprechung neugierig machen konnte. Buchpreise sind natürlich immer etwas, über das man diskutieren kann – hier handelt es sich um ein schmales Hardcover, da finde ich knappe 19€ in Ordnung. Ein solches Buch gibt es heutzutage selten irgendwo deutlich günstiger. Aber wer weiß, vielleicht erscheint ja auch schon bald ein Taschenbuch. 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    wildganss
    October 28, 2013 at 3:22 pm

    Eine als so fürchterliche Welt per Lektüre zu betreten, das reizt….
    Also, ich will!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 28, 2013 at 7:38 pm

      Wow, freut mich – diese Welt zu betreten erfordert Mut, um so gespannter bin ich auf deine Erlebnisse und Eindrück! 😀

  • Reply
    Conor
    October 28, 2013 at 3:38 pm

    Und wie das reizt…. soeben ertauscht:)
    Danke für deine Rezension, liebe Mara
    Liebe Grüße
    conor

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 28, 2013 at 7:35 pm

      Liebe Conor,

      ui, freut mich! 😀 Auf deine Meinung bin ich bereits sehr gespannt, gerade auch weil, das Buch wohl polarisiert. Entweder man mag diese düstere Welt oder man ist abgeschreckt.

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        Conor
        December 4, 2013 at 8:24 am

        Liebe Mara,
        nun habe ich es gelesen – und nur kurz: ein sehr verstörender Roman und recht heftig; aber beeindruckend. Ich kann mich (mal wieder) deiner Meinung anschließen.
        Liebe Grüße

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          December 4, 2013 at 2:08 pm

          Liebe Conor,

          über deine Rückmeldung freue ich mich, da ich sehr gespannt darauf war, wie dir der Roman gefallen würde. Heftig und verstörend sind auch Begriffe, die mir zu der Lektüre einfallen – ich kann solche Bücher nicht immer lesen, aber ich mag diese raue Literatur sehr gerne.

          Liebe Grüße
          Mara

  • Reply
    caterina
    October 28, 2013 at 9:21 pm

    Dieser Roman schreit förmlich nach mir. Ungewöhnliche Literatur, düster und rau – und dann auch noch der Vergleich mit Daniel Woodrell. Momentan ist das genau die Literatur, die ich lesen will. Nach Woodrell, Donald Ray Pollock und zuletzt James Sallis scheint Madison Smartt Bell genau der richtige Autor für mich zu sein – der Liebeskind Verlag, bei dem alle vier erschienen sind, ist da mittlerweile zu einer Art Gütesiegel für mich geworden. Danke also für den tollen Tipp, das Buch wäre ohne dich an mir vorübergegangen!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 30, 2013 at 12:06 pm

      Liebe Caterina,

      beim Lesen des Romans und auch beim Schreiben meiner Besprechung, musste ich auch an dich denken – ich glaube, dies könnte in der Tat ein Roman für dich sein. 🙂 Man muss ein hartgesottener Leser sein, um in diese menschlichen Abgründe zu blicken – ich habe aber die Darstellung von Gewalt und wie diese ganze Biographien durchziehen kann, als sehr spannend und lesenswert empfunden.
      Der Liebeskind Verlag, den ich ganz lange gar nicht auf dem Schirm hatte, zeichnet sich wirklich durch die Veröffentlichung spannender und ungewöhnlicher Titel aus, ich bin schon jetzt sehr gespannt, was wir in den kommenden Monaten noch erwarten dürfen.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    dasgrauesofa
    October 29, 2013 at 10:15 am

    Liebe Mara,
    ich dachte schon beim Blick auf das Cover des Romans, das ja schon ein paar Tage auf Deinem Blog zu sehen war, das es nur gelungen sein kann, wenn der Roman irgendwie etwas mit dem 11. September zu tun hat. Und so ist es dann auch. Sehr passend! Und was Du erzählst vom Inhalt, so hört sich das auch sehr interessant an. Mal schauen, ob der Roman auf meinem Sofa landet, ich muss im Moment erst einmal tief Luft holen und nach sehr düsterer Lektüre (DIe Hundenovelle) etwas Freundlicheres lesen.
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 30, 2013 at 12:04 pm

      Liebe Claudia,

      ich habe schon einige literarische Verarbeitungen zu diesem Thema gelesen, irgendwie übt der 11. September eine eigenartige Faszination aus. Wobei in diesem Fall auch angefügt werden muss, dass der 11. September zwar eine Rolle spielt, jedoch nicht im Mittelpunkt der Handlung steht. Empfehlen kann ich dir den Roman aber dennoch, nur solltest du in der Tat erst einmal etwas Fröhlicheres lesen, bevor du dich an die Erkundung dieser menschlichen Abgründe wagst.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    literaturen
    October 29, 2013 at 3:08 pm

    Wie ich schon an anderer Stelle sagte – mich hat das Buch ja gar nicht überzeugen können. Es war mir viel zu überfrachtet, mir fehlte ein roter Faden, man stolperte von einem Drogenrausch in den nächsten, von einem sinnlosen Gewaltexzess zur nächsten blutigen Vereinigung welcher Art auch immer ..und ich glaube,mich hat auch diese sehr deutliche Verbindung zur Manson-Family gestört. Für mich war das irgendwie eine einzige prosaische Gewaltexplosion, die mich aber nirgendwo hinführte, die mir nichts sagte, ..von daher, spannend, dass dich der Roman offenbar auf einem völlig anderen Fuß erwischt hat als mich.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 30, 2013 at 12:01 pm

      Liebe Sophie,

      ja, ich erinnere mich noch recht gut an deine Besprechung, die mich auch erst einmal eine Weile von der Lektüre abgehalten hat. 😉 Zum Glück habe ich den Roman dann doch noch in die Hand genommen, denn mir hat er sehr gefallen – der Roman wird in der Tat sehr experimentell erzählt und es ist nicht einfach, einen roten Faden zu finden. Spannend empfand ich die Darstellung der Gewalt, einer Gewalt, die da ist, die sich durch ganze Biographien und Familien zieht – so lange, bis sie irgendwann ausbricht. Diese menschlichen Abgründe zu erforschen hat bei mir den Großteil des Lesevergnügens ausgemacht, da konnte ich auch auf einen roten Faden verzichten.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    jetztkochtsie
    October 31, 2013 at 8:47 pm

    Das war mein Indiebookday-Buch und ich fand es wirklich sehr speziell aber auch sehr gelungen… allerdings sollte man tatsächlich nicht gerade in einer Depression stecken, könnte einen runter ziehen! 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      November 1, 2013 at 1:59 pm

      Eine sehr schöne Wahl für den Indiebookday. 🙂 Wenn man gerade in einer Depression steckt, sollte man den Roman sicherlich nicht lesen – das wäre wohl nicht förderlich. Auch zartbesaitet darf man nicht sein. Ansonsten beschreibst du die Lektüre mit den Worten “sehr speziell aber auch sehr gelungen” eigentlich deckungsgleich zu meinen Eindrücken. Schön, dass dir der Roman auch gefallen hat.

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