David Baddiel wurde 1964 in New York geboren und wuchs in London auf. Bekannt wurde er vor allen Dingen durch Film und Fernsehen – er war TV-Comedian und trat als erster britischer Komiker im Wembley-Stadion auf. Baddiel hat bereits als Talkshow-Moderator gearbeitet, eine Fußballhymne komponiert und ein Drehbuch geschrieben. “Halb so wild” ist sein vierter Roman, ins Deutsche übertragen wurde er von Friedrich Mader.
“[…] die Welt dreht sch wie ein blöder Köter, der seinem eigenen Schwanz nachjagt.”
Eli Gold ist der größte Schriftsteller der Welt, den Pulitzer Preis hat er gewonnen, genauso wie den National Book Award. Den Nobelpreis für Literatur hat er abgelehnt. Geschrieben hat er über die Frauen, über die Ehe und die Unmöglichkeit der Liebe. Eli Gold war nicht nur Literat, sondern eine wichtige öffentliche Stimme – in Talkshows war er ein gern gesehener Gast. Doch von dem ehemaligen Ruhm ist nicht mehr viel übrig: Eli Gold ist mittlerweile nicht nur alt geworden, sondern auch noch schwer krank. In einem Zimmer im Mount Sinai Hospital liegt er im Sterben. Eigens für ihn bewacht ein Sicherheitsmann die Krankenhausflure, denn Bill Clinton und Philip Roth haben sich zwecks Besuchen bereits angekündigt. Während die Weltpresse vor den Krankenhaustüren darauf wartet, Elis Tod verkünden zu können, sucht Elis nahe Verwandschaft noch einmal das Sterbebett des berühmten Autors auf. Immer an Elis Seite sind seine fünfte und jüngste Frau Freda und die gemeinsame Tochter Colette, die acht Jahre alt ist.
“Schließlich bin ich Colette Gold und sage keine doofen Kindersachen, über die die Erwachsenen lachen, weil sie so süß sind.”
Colette ist nicht das einzige Kind von Eli, doch nur Harvey, ihr vierzig Jahre älterer Halbbruder, ist bereit, den gemeinsamen Vater zu besuchen. Aus dem Altersheim Redcliffe House heraus verfolgt Violet, die erste Ehefrau von Eli, den Medienrummel um den Mann, der sie vor vielen Jahren verlassen hat.
“Eli, den sie seit über fünfzig Jahren nicht mehr gesehen und gehört hat; ihr erster und einziger Ehemann; der einzige Mann, der ihren zarten Körper berührt hat.”
Eli Gold ist nicht nur ein weltberühmter Autor, sondern auch ein Mann mit einer bewegten Vergangenheit, die von einigen dunklen Flecken gezeichnet ist. Er hat in seinem Leben immer mal wieder verbrannte Erde hinterlassen und diese Tatsache holt ihn am Sterbebett ein. Die Liebe hat für ihn ein Verfallsdatum: sobald die Frauen anfangen alt zu werden, werden sie gegen eine jüngere Variante von ihnen ausgetauscht. Rücksichtslos und gefühlskalt hat er vier Ehefrauen zurückgelassen, eine von ihnen hat die Trennung nicht überlebt. Pauline und Eli hatten sich zum gemeinsamen Selbstmord entschlossen, doch der Autor überlebte. Nun sinnt Paulines Bruder, ein gläubiger Mormone, auf Rache an seinem ehemaligen Schwager.
“Halb so wild” wird abwechselnd aus der Perspektive von Elis Ex-Schwager, Elis Sohn Harvey, der ersten Frau Violet und der achtjährigen Colette erzählt. Alle vier haben ihre eigene Stimme, ihre eigene Sichtweise und ihre eigene Gefühls- und Gedankenwelt, in die sich der Autor wunderbar einfühlen kann. Am meisten mochte ich Colette, ein naseweises Kind, das wissbegierig und altklug ist und das, was um sie herum geschieht mit ganz viel Charme und kindlicher Naivität beschreibt. Colette hat eine Katze, die auf den Namen Aristoteles hört und glaubt, schon lange erwachsen zu sein, auch wenn sie nicht immer so ganz versteht, worüber die Erwachsenen sprechen. Violet ist eine liebenswerte alte Frau, die von ihrem ersten und einzigen Mann im Stich gelassen wurde. Harvey leidet unter dem Erbe seines Vaters oder unter dem, was er dafür hält: getrieben wird er von der zwanghaften Angst vor dem Älterwerden, nicht unbedingt vor dem eigenen Alter, sondern davor, dass seine geliebte Frau altert und gegen etwas Jüngeres ausgetauscht werden muss. Dieser Zwang hat Harvey, der herrlich naiv und leicht tollpatschig gezeichnet wird, bereits mitten hinein in eine tiefe Depression geführt. Wieviel von diesen Gefühlen gehört zu Harvey und wieviel davon wurde von seinem Vater in ihm hinterlassen?
“In diesem Moment vollzog sich zum ersten Mal etwas, was sich in den kommenden Jahren endlos wiederholen sollte: ein fieberhaftes Überprüfen, ein äußert wachsames, heimliches Stöbern nach weiteren Falten und allen anderen möglichen Anzeichen wellender Jugend: raue und/oder hängende Haut, offene Poren, Halsschlaffheit, graue Haare, Besenreiser, deren spinnnenartiges Aussehen ihm besondere Angst einjagte.”
Keiner der vier Figuren hat viel Zeit mit Eli Gold verbringen können, doch alle vier wurden von ihm für ihr gesamtes Leben geprägt: Harvey hat nur wenige Jahre an der Seite seines Vaters gelebt und doch fühlt es sich für ihn so an, als hätte dieser etwas in ihm hinterlassen, was er nicht mehr loswird. Auch Elis Ex-Schwanger hat den berühmten Autor nur wenige Male getroffen und doch wird er von dem Gedanken de Rache verfolgt. Auch Violet waren lediglich zehn Jahre mit Eli Gold vergönnt, zehn Jahre, in denen sie unglücklich war, in denen sie nicht mit sich selbst im Reinen gewesen ist und nicht wusste, was sie in dieser Ehe zu suchen hatte: “Doch es sind die zehn Jahre, die … die den Schlüsselmoment meines Lebens ausmachen.” Bezeichnenderweise kreist der ganze Roman um einen Mann, der sich bereits auf der Schwelle des Todes befindet und im Wachkoma liegt.
David Baddiel legt mit “Halb so wild” einen herrlich bitterbösen Roman vor, unter dessen humorvoller und hochkomischer Oberfläche sich Tiefsinnigkeit und ein großartiger Familienroman verbergen. “Halb so wild” ist ein Roman über die Ehe und die Frauen – natürlich! Es ist aber auch ein Roman über das Älterwerden und das schwere Erbe, das einem Eltern manchmal hinterlassen können. Ich habe einen vielschichtigen Roman gelesen, der großartig und mitreißend erzählt wird und dem ich nur ganz viele Leser wünschen kann.
David Baddiel: Halb so wild. Roman. Karl Blessing Verlag, München 2013. 544 Seiten, € 19,99.
14 Comments
saetzeundschaetze1
February 5, 2014 at 2:55 pmNa, das liest sich, als sei Eli Gold kein Goldstück gewesen – aber gerade deshalb scheint das Buch einen Blick wert zu sein – spannend! Bitterböse: Das mag ich zwischendurch. Schöner Tipp!
buzzaldrinsblog
February 5, 2014 at 2:59 pmEin Goldstück war Eli Gold in der Tat nicht und seine Sicht auf die Frauen ist auch nicht gerade goldig, um so unterhaltsamer, dass David Baddiel ausgerechnet Bill Clinton (der ja auch Begegnungen mit jüngeren Frauen hatte) an sein Krankenbett befördert.
“Halb so wild” ist wirklich bitterböse, selten zuvor habe ich so viel gelacht – doch zwischen all dem Witz steckt auch viel Wahrheit und ganz viel Trauriges. Diese Mischung hat einfach perfekt funktioniert für mich. 🙂
saetzeundschaetze1
February 5, 2014 at 3:02 pmGekauft! Das Buch hole ich mir 🙂
buzzaldrinsblog
February 7, 2014 at 12:20 pmToll, ich freue mich sehr liebe Birgit! 🙂
seitengezwitscher
February 5, 2014 at 5:10 pm“[…] die Welt dreht sch wie ein blöder Köter, der seinem eigenen Schwanz nachjagt.” Herrlich! Macht sofort Lust auf mehr.
buzzaldrinsblog
February 7, 2014 at 12:20 pmFind ich auch! Für mich war das Buch wirklich ein Highlight meines bisherigen Lesejahres! 🙂
literallywriting
February 5, 2014 at 5:40 pmDavid Baddiel kenne ich auch aus dem Fernsehen, aber ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung hatte, dass er auch Schriftsteller ist! Der Roman klingt toll und kommt gleich auf meine Leseliste!
buzzaldrinsblog
February 7, 2014 at 12:19 pmUnd ich muss zugeben, dass ich überhaupt keine Ahnung von seinen Tätigkeiten im Fernsehen hatte! 😉 Schön aber, dass ich dich neugierig machen konnte – wenn du das Buch lesen solltest, wäre ich sehr gespannt auf deine Eindrücke.
Literatella
February 5, 2014 at 7:22 pmKlingt interessant und vielversprechend; ich setze das Buch auf meine Merkliste – danke für den Tipp!
LG
buzzaldrinsblog
February 7, 2014 at 12:18 pmGerne! 😀 Ich freue mich sehr darüber, dass ich dich neugierig machen konnte!
dasgrauesofa
February 7, 2014 at 9:41 amLiebe Mara,
ein renomierter Autor, der schon alle Preise gewonnen hat, aber den Literaturnobelpreis ablehnt?! Das fängt ja schon rasant an. Dann hat er auch noch einen goldigen Namen, so dass schon der Eindruck entsteht, es hier mit dem absolut tollen, integeren, wunderbaren Menschen zu tun zu haben – und schon schreibst Du über die tiefen menschlichen Abgründe. Hört sich nach besten Zutaten für eine schwarzhumorige Geschichte an.
Viele Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
February 7, 2014 at 12:02 pmLiebe Claudia,
schwarzhumorig mit Tiefgang, so habe ich die Lektüre empfunden und sie wirklich sehr genossen, dabei bin ich ansonsten eigentlich kein humoriger Typ- 😉 Ich habe auf Blogs bisher noch nicht viele Stimmen zu diesem Roman gelesen und würde mich über andere Meinungen sehr freuen. Also trau dich doch ruhig mal ran! 🙂
Liebe Grüße
Mara
lesenslust
February 15, 2014 at 11:26 amDie Komik des Buches lässt sich schon in deinem ersten Zitat erkennen: “[…] die Welt dreht sch wie ein blöder Köter, der seinem eigenen Schwanz nachjagt.” Jetzt ist die Frage, ob ich diese Art von Humor, der scheinbar vor sehr viel Sarkasmus und Selbstironie strotzt teilen kann?! Nun, ich denke, ich wage es mal es herauszufinden. 😉
buzzaldrinsblog
February 16, 2014 at 1:26 pmHumor ist natürlich immer eine Geschmackssache. Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass ich eigentlich kein Fan von britischem Humor bin, der sich für mich durch Sarkasmus und Ironie auszeichnet und dieses Buch dennoch unheimlich gerne gelesen habe. 🙂