Die Violine von Auschwitz – Maria Àngels Anglada

Download Violine“Die Violine von Auschwitz” setzt sich aus zwei Erzählsträngen zusammen, die im letzten Abschnitt des Romans zusammengeführt werden.

Begonnen wird der Roman 1993 in Krakau mit der Beschreibung eines Konzerts. Der Musiker Climent lernt dort die Geigerin Regina kennen, die ihn vor allem mit ihrem virtuosen Spiel tief beeindruckt. Climent beginnt ein großes Interesse an der Geige und ihrer Geschichte zu entwickeln, da er schnell merkt, dass Regina eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Musikinstrument hat. Auf seine Nachfrage hin, stellt Regina ihm  einige Unterlagen über die Vergangenheit, die Geschichte der Geige und die Geschichte ihrer eigenen Familie, zum Lesen zur Verfügung und Climent kommt langsam einer faszinierenden Familiengeschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus auf die Spur. Und er beginnt zu verstehen, wer Regina wirklich ist …

“‘Du würdest dich wohl kaum von der Geige trennen wollen, oder?’

‘Um nichts in der Welt!’ antwortete sie. ‘Und wenn ich vor Hunger sterben müsste. Sie ist das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Diese Geige hat mein Onkel Daniel gebaut – nach den Maßen einer Stradivari. Niemals würde ich sie gegen eine andere tauschen.”

An diesem Punkt springt die Handlung des Romans in die Vergangenheit und es wird die Geschichte des jüdischen Geigenbauers Daniel erzählt. Daniel kommt aus der Gefangenschaft im Warschauer Ghetto in ein Nebenlager von Auschwitz, was im Roman als Dreiflüsselager bezeichnet wird. Auf die Frage, was er von Beruf ist, antwortet Daniel, dass er Tischler ist, in der Hoffnung, dass diese kleine Notlüge und die Tatsache, dass er und seine Arbeitskraft möglicherweise in der Tischlerei gebraucht  werden, ihm den Transport nach Auschwitz und den damit sicheren Tod ersparen können. Nach einigen kleinen Arbeiten bekommt Daniel den Auftrag, eine Geige nach den Maßen einer Stradivari zu bauen. Die Geige von Bronsilaw, der der Haus-Musiker vom Lagerkommandanten Sauckel (der an vielen Stellen nur das Monster genannt wird) ist, war während eines Konzertes kaputt gegangen und hatte einen schiefen Ton produziert.

“Obwohl er sich mittlerweile an all diese permanenten Widersprüchlichkeiten gewöhnt hatte, überraschte es ihn, als er eines Tages den Befehl erhielt, eine Geige zu bauen – so vollkommen wie eine Stradivari, hatte der Untersturmführer betont.” 

Daniel kann zu Beginn nicht ahnen, dass sein Leben von dieser Geige abhängen wird. Er ist Teil einer Wette: Lagerkommandant Sauckel hat um einen Kiste Burgunder gewettet, dass Daniel die Geige innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist fertigstellen kann. Falls er dies nicht schafft, wird er an Dr. Rascher übergeben, der für seine unmenschlichen und sadistischen Versuche am Menschen bekannt ist.

Daniel muss mit all den Entbehrungen und Mühen, unter denen er im Lager leidet, diese Geige erschaffen, um eine Chance darauf zu haben, überleben zu können.

Im letzten Abschnitt des Romans werden beide Erzählstränge wieder zusammengeführt. In Stockholm 1993 treffen Climent und die Geigerin erneut aufeinander und alle offenen Fragen und Zusammenhänge klären sich auf.

In einer nüchternen, aber nichtsdestotrotz sehr berührenden, Sprache gelingt es Maria Àngels Anglada das Schicksal von Daniel, einer fiktiven Person, zu beschreiben und den Leser an den Grausamkeiten, Schrecklichkeiten und vor allem auch der Ungerechtigkeit im Lager teilhaben zu lassen. Eingebettet zwischen die beiden Konzerte im Jahr 1993 wird Daniels Vergangenheit und sein verzweifelter Versuch beschrieben, diese Geige noch rechtzeitig fertigstellen zu können. Trotz all der Strafen, Schlägen, dem Hunger und den Widerständen, gegen die er kämpfen muss, gibt sich Daniel an keiner Stelle geschlagen und kämpft darum in all dem Leid und Schrecklichen etwas Wunderschönes herzustellen, eine Geige.

Ein kleines, schmales Büchlein, dass mich jedoch ganz tief bewegt und gepackt hat und auch heute immer noch nachwirkt. Ich beneide alle Leser, die diesen wunderbaren, unheimlich starken und hoffnungsfrohen Roman noch vor sich haben.

3 Comments

  • Reply
    caterina
    December 18, 2011 at 5:55 pm

    Schöne Rezension. Aus irgendeinem Grund erinnert mich die Geschichte an den wunderbaren Film Das Konzert von Radu Mihaileanu, auch hier verknüpft das Violinspiel auf poetische Weise Vergangenheit (eine jüdische Violinistin, die mir ihrem Mann in ein sibirisches Lager deportiert wird) und Gegenwart (ihre Tochter, ebenfalls Violinistin, die von ihrer wahren Herkunft nichts weiß). Eine tragische Geschichte und doch sehr leichtfüßig erzählt, was sie der doch eher komischen Haupthandlung des Films verdankt.

  • Reply
    maragiese
    December 20, 2011 at 8:58 pm

    Danke für den sehr interessanten Filmtipp, Caterina!
    Ich hatte davon zuvor noch nichts gehört, es klingt aber nach einem Film, der genau in mein Beuteschema fällt … ich bin schon sehr gespannt darauf! 🙂

  • Reply
    Walter Kraus
    September 5, 2014 at 9:48 am

    Nur als Anmerkung: Maria Angels Anglada (Vic 1930 – Figueres 1999) war eine katalanische Schriftstellerin und schrieb und veroeffentlichte auf Katalanisch. Sie als spanische Autorin zu bezeichnen wird ihr nicht gerecht. Herzliche Gruesse aus dem aufstaendischen Katalonien. Walter

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