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Das dritte Licht – Claire Keegan

Claire Keegan wurde 1968 geboren und wuchs auf einer Farm in Irland auf. Für ihr Studium zog es sie nach New Orleans, Cardiff und Dublin. Die Autorin, von der bisher “Wo das Wasser am tiefsten ist” und “Durch die blauen Felder” erschienen,  wurde bereits vielfach ausgezeichnet. Claire Keegan wohnt heutzutage immer noch in Irland. Übersetzt wurde ihr Roman, der im Steidl Verlag erschien, von Hans-Christian Oeser.

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“An einem Sonntagmorgen, nach der Frühmesse in Clonegal, fährt mein Vater, statt mich nach Hause zu bringen, ins tiefste Wexford, zur Küste, wo die Leute meiner Mutter herkommen.”

Claire Keegan erzählt in ihrem Roman “Das dritte Licht” eine Geschichte, die gerade einmal 100 Seiten umfasst. Es ist die Geschichte eines namenlosen Mädchens, das von ihren Eltern zu Beginn der Sommerferien zu Verwandten gebracht wird. Die Mutter ist erneut schwanger und die Eltern sind sich einig, dass es für sie eine Entlastung wäre, wenn ihre älteste Tochter bis zum Beginn der Schule nicht mehr zu Hause leben müsste. Das Mädchen muss dieses Gespräch mitanhören, ohne es wirklich begreifen zu können. Ihre Eltern arbeiten in der Landwirtschaft, doch das Geld, was sie verdienen, verliert der Vater beim Spielen und Trinken. Es gibt kaum genügend Essen für all die Münder, die gestopft werden müssen. Der Vater lässt das Mädchen zurück, ohne sich zu verabschieden und ohne das Versprechen, zurückzukehren.

“Die Wagentür wird geöffnet, und ich werde herausgehoben und abgeküsst. Mein Gesicht wird ganz heiß von ihren Küssen.”

Untergebracht wird das Mädchen bei den Kinsellas und bereits kurz nach ihrer Ankunft begreift sie, dass es auch andere Formen des familiären Zusammenlebens gibt, als sie dies von ihrem Zuhause kennt. Die Unsicherheit bei den kinderlosen Kinsellas ist spürbar und auch das Mädchen weiß im ersten Moment nicht, wie sie sich verhalten soll. Doch trotz aller Unsicherheit begegnen die Kinsellas ihr mit sehr viel Freundlichkeit, mit Wärme, mit Offenherzigkeit. Es ist herzzerreißend, wie fremd dem Mädchen diese Form der Fürsorge und Herzlichkeit ist. Als sie nach ihrer ersten Nacht bei den Kinsellas auf einem nassen Bettbezug aufwacht, erfolgt keine Bestrafung, sondern liebevolles Verständnis.

“Durch die Diele gehen wir in die Wärme der Küche, wo ich aufgefordert werde, mich zu setzen und mich wie zu Hause zu fühlen. Es reicht nach Gebackenem, aber auch nach Desinfektionsmitteln, nach irgendeinem Bleichmittel.”

Das Mädchen, das von ihrem eigenen Zuhause gewohnt ist, mitarbeiten zu müssen, blüht während ihres Sommers bei den Kinsellas förmlich auf. Endlich gibt es Essen und zwar reichlich, auch neue Kleider werden ihr gekauft. Bereits einfachste Dinge beglücken sie, sie erfreut sich daran, dass es in ihrem neuen Zuhause “Raum und Zeit zum Denken” gibt und an der Tatsache, noch nie in so tiefem Badewasser gebadet zu haben, das nicht einmal schmutzig ist. Ihr neues Zuhause ist ein Ort, ohne Geheimnisse, ein Ort, an dem man auf Scham verzichten kann.

“Und so vergehen die Tage. Dauernd warte ich darauf, dass etwas passiert, dass die Leichtigkeit, die ich verspüre, endet – dass ich in einem nassen Bett aufwache, etwas falsch mache, mir einen richtig groben Schnitzer leiste, etwas zerbreche -, aber jeder Tag ist fast so wie der vorhergehende.”

Es hat mir beim Lesen beinahe das Herz zerrissen, dass die Tage des Mädchens an diesem wunderbaren neuen Ort zeitlich begrenzt sind. Tagtäglich fürchten die Kinsellas sich davor, den Brief zu erhalten, in dem die Eltern die Rückkehr des Mädchens fordern. Als es soweit ist, ist es für sie eine Rückkehr in ein Leben, dass sich fremd anfühlt und in eine Welt, der sie entwachsen ist. Die Fürsorge, Liebe und Wärme, die sie den Sommer über genossen hat, hat aus ihr ein Mädchen gemacht, das zum ersten Mal ganz neue Seiten des Lebens kennengelernt hat. Wie soll man mit all diesem Wissen und der neuen Identität, die man endlich entfalten konnte, wieder zurück in das Leben kehren, was man vorher geführt hat? Claire Keegan setzt einen berührenden Schlusspunkt unter ihren Roman, berührend und bewegend, aber nie kitschig. Sprachlich ist der Roman in all seiner Nüchternheit poetisch und zart, er liest sich wie aus einem Guss.

Ich habe das schmale Büchlein in die Hand genommen und erst wieder zur Seite gelegt, als ich die letzte Seite umgeblättert und das Buch zugeklappt habe. Claire Keegan hat nicht nur einen berührenden Roman geschrieben, sondern ein kleines Kunstwerk geschaffen. Ein feinfühliges und poetisches Kunstwerk, in dem sich jedes Wort an der richtigen Stelle befindet und keines zu viel ist. Das einzige, was ich bei diesem Roman bedauere ist, dass er nur 100 Seiten hat – ich hätte liebend gerne weiter den Erlebnissen und Gedanken diesen starken und bewundernswerten Mädchen gelauscht.

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