Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel – Helmuth James und Freya von Moltke

“Wir Menschen sind keine Eintagsfliegen, sondern kommen woher und gehen wohin. Und da, wo wir hingehen, habe ich das Gefühl, ist mein Mann noch wichtig. Und es ist nicht nur mein Mann, den ich in die Zukunft bringen will, sondern auch mich. Das ganze Leben, wie es war. Darum ist Geschichte so wichtig.”

Dieses Zitat stammt von Freya von Moltke aus dem Jahr 1992. Sie hatte damals schon länger geplant, den Briefwechsel zwischen ihr und ihrem Mann zu veröffentlichen. Im Jahr 2010 war es so weit; Freya von Moltke war es wichtig, dass die Briefe erst erscheinen werden, wenn auch sie nicht mehr lebt.

In “Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel” sind die Briefe versammelt, die sich Helmuth James und seine Frau Freya zwischen September 1944 und Januar 1945 geschrieben haben. Der 37 Jahre alte Jurist und Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke wurde im Januar 1944 verhaftet und im Herbst in das Gefängnis Tegel überstellt. Vorgeworfen wurde ihm Defätismus und Hochverrat. Er hatte seinen Bekannten Otto Carl Kiep vor Gestapospitzeln gewarnt. Außerdem hatte er sich in der schlesischen Stadt Kreisau mit anderen Widerstandskämpfern zusammengeschlossen und über eine grundlegende Neuordnung debattiert.

Der Gefängnispfarrer Harald Poelchau ermöglicht es dem Ehepaar  mithilfe von Briefen miteinander zu kommunizieren. Er schmuggelt Briefe von Freya hinein und nimmt die von Helmuth wieder mit raus. Ein fast tagtäglicher schriftlicher Dialog entwickelt sich auf diese Art und Weise.

“Es ist wie ein Passionsweg mit seinen Stationen. Ich darf nun diesen Stationen nachwandern.”

Helmuth und Freya von Moltke haben zwei junge Kinder, Konrad und Caspar, die in Kreisau auf dem Hof der Familie leben. Durch die Bewegungen an der Front steht Kreisau und der Hof in dieser Zeit immer stärker unter Bedrohung. Helmuth James von Moltke befindet sich in Berlin im Gefängnis Tegel und Freya ist gezwungen immer wieder zwischen Kreisau und Berlin zu pendeln um sowohl ihrem Mann als auch ihren jungen Kindern in irgendeiner Form gerecht werden zu können. Zwar kann sie auch in Berlin nicht bei ihrem Mann sein, doch zumindest in seiner Nähe …

Im Mittelpunkt ihres schriftlichen Dialogs steht vor allem die Liebe, die beide füreinander empfinden:

“Ich werde leben müssen und das wird schwer sein, aber es wird gehen, denn ich werde dich weiter lieben dürfen. […] Ich werde alt und anders werden, aber in mir wirst Du immer drin bleiben, bis ich sterben und Dich so oder so wiederfinden kann.”

Es gibt viel zu viele wunderschöne Stellen, um alle hier auflisten zu können, doch die Art und Weise, wie Freya und Helmuth zueinander halten ist immer wieder beeindruckend und sehr berührend. Neben der gegenseitigen Liebe ist jedoch auch der Tod in allen Briefen allgegenwärtig:

“Ich habe keine Furcht vor dem Tod und glaube, Euch in irgendeiner Form zu behalten, und ich habe animalische Angst vor dem Sterben, und es schmerzt mich, dass ich Dich und die Söhnchen mit diesen meinen Augen nicht wiedersehen werde.”

Doch beide versuchen sich gegenseitig keine Illusion über den Tod zu machen. Am 23. November schreibt Helmuth über die Gewissheit, dass jeder Brief der letzte sein könnte:

“Ich sehe gerade, dass ich so tue, als stürbe ich. Das tue ich bei jedem Brief, denn er kann der letzte sein.”

Trotz dieser Gewissheit, wird immer wieder die Angst von Helmuth zu sterben und Freyas Angst davor, alleine weiterleben zu müssen, deutlich.

Auch die Religion und der Glaube spielen eine große Rolle, vor allem in Helmuths Briefen. Er liest mehrmals täglich die Bibel, betreibt ein intensives Bibelstudium und sucht für Freya eine Vielzahl an Bibelstellen heraus. Helmuths Glaube an Gott wächst während seines Gefängnisaufenthalts und vor allem auch der Glaube daran, dass Gott sich etwas bei dem denken muss, was Helmuth geschieht, lässt ihn sein Schicksal und seine Zeit im Gefängnis sehr demütig und gelassen ertragen. Doch über allem steht während dieser fünf Monate immer wieder die Hoffnung. Hoffnung auf Gnade, auf einen Aufschub, auf ein Wunder. Helmuth betraut Freya mit vielen praktischen Aufgaben, Boten- und Bittgängen. Sie wendet sich an Heinrich Himmler und den Justizminister; sie lässt nichts unversucht. Die Hoffnung der beiden schwankt während dieser Zeit, doch immer im Bemühen, sie realistisch einzuschätzen.

Am 11. Januar wird Helmuth schließlich verurteilt, doch auch dies bringt keine sofortige Erlösung: erst am 23. Januar wird er schließlich nach Plötzensee gebracht. In den zwölf Tagen dazwischen liegt erneut sehr viel Hoffnung. Unerfüllte Hoffnung. Hoffnung, die leider vergebens bleibt.

In seinem Brief vom  2. Januar fragt Helmuth sich, ob und was dieser Briefwechsel zwischen ihm und Freya vielleicht für sie und ihre Kinder in einigen Jahren oder Jahrzehnten bedeuten könnte:

“Manchmal denke ich über das Schicksal unserer langen schriftlichen Unterhaltungen nach. Ob die für Dich und die Söhnchen auch nach 10, 20 oder mehr Jahren ein lesenswerter Stoff sind.”

Ich glaube, dass es die richtige Entscheidung war, diesen Briefwechsel zu veröffentlichen und das dieser auch Jahrzehnte später für Außenstehende sehr interessant sein kann. Mich haben die Briefe zwischen Freya und Helmuth sehr intensiv berührt und ich hatte immer wieder das Gefühl, fast schon dabei zu sitzen, wenn sich beide ihre Briefe geschrieben haben.

Nach einer kurzen Einleitung reiht sich auf beinahe über 500 Seiten Brief an Brief, nur ergänzt durch erklärende Fußnoten. Durch diesen Aufbau bin ich irgendwann fast schon versunken in die Welt von Helmuth und Freya. Schwierigkeiten hatte ich immer wieder mit den vielen religiösen Passagen, da ich selbst nicht religiös bin. Ich kann jedoch nachvollziehen, wie einem in dieser Ausnahmesituation Religion Trost und Hoffnung spenden kann. Wie sonst frage ich mich, mag man diese Ungewissheit und den drohenden Tod ertragen.

Ein faszinierendes und berührendes Zeitzeugnis, das wert ist, gelesen zu werden. In jedem Brief, bei jeder kleinen Formulieren, merkt man, wie viel  Zeit, Mühe und Liebe Freya und Helmuth investiert haben. Für mich war es ein Genuss, diese Zeugnisse zu lesen. Trotz des allgegenwärtigen Todes und den bevorstehenden Abschied sind diese Briefe geprägt von einer unfassbaren Liebe …

1 Comment

  • Reply
    Wer wir sind – Sabine Friedrich | buzzaldrins Bücher
    February 27, 2013 at 1:52 pm

    […] von Helmut und Freya von Moltke ein, über die ich bereits im vergangenen Jahr ein eindrückliches Buch gelesen habe. Doch auch neben den bekannteren Namen, werden am Rande immer wieder Namen fallen […]

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