Alice Bhattis Himmelfahrt – Mohammed Hanif

Der Schriftsteller Mohammed Hanif feierte gleich mit seinem ersten Roman “Eine Kiste explodierender Mangos” große Erfolge. Bereits kurz nach Erscheinen des Romans wurde er für den Man Booker Preis nominiert. Auch in Deutschland wurde der Roman 2009 mit dem Corine-Buchpreis ausgezeichnet. “Alice Bhattis Himmelfahrt” ist sein zweiter Roman und der erste, den ich von ihm lese. “Eine Kiste explodierender Mangos” befindet sich zwar schon seit Jahren auf meiner Wunschliste und ich hatte es im Buchladen auch schon häufiger in der Hand, habe mich dann aber doch immer für ein anderes Buch entschieden.

Bei “Eine Kiste explodierender Mangos” handelt es sich um eine Satire und auch “Alice Bhattis Himmelfahrt” kann als Satire gelesen werden: Hanifs Sprache ist grimmig, ein bisschen schnodderig und zeichnet sich immer wieder durch einen starken Sarkasmus aus. Auch wenn die Stadt, in der der Roman spielt, nicht namentlich genannt wird, handelt es sich wohl um die pakistanische Stadt Karatschi. Im Zentrum steht die junge Hilfskrankenschwester Alice Bhatti, die im “Herz Jesu Krankenhaus” arbeitet. Ihre Arbeit dort ist ihre erste Stelle nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester, die bereits mehr als ein Jahr zurückliegt. In der Zwischenzeit saß Alice Bhatti vierzehn Monate lang in einer Besserungsanstalt für Frauen und Kinder. Der Roman beginnt mit ihrem Vorstellungsgespräch im “Herz Jesu Krankenhaus” und schnell wird klar, dass Alice es nicht leicht hat. Alice ist nicht nur eine Frau, sondern auch noch Christin und dazu kommt, dass sie Angehörige der untersten Kaste ist. In Pakistan sind 96% der Bevölkerung Muslime und Alice hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Es wird aber auch deutlich, dass Alice sich nicht so leicht zu einem passiven Opfer machen lassen möchte.

“Sollte sie die Stelle tatsächlich bekommen, wird sie am Ende vielleicht irgendjemanden kastrieren. Oder zumindest die Augen ausstechen. Oder die Zunge abschneiden. Oder dieses Zahnfleisch mit einer Zange über die schamlos nackten Zähne ziehen.”

In der Besserungsanstalt ist Alice gelandet, weil sie beinahe einen berühmten Chirurgen umgebracht hat. Obwohl sie einen schweren Stand hat, weiß Alice sich zu wehren – notfalls auch handgreiflich und manchmal sogar mit einer erschreckenden Gewalt. Unterbuttern lässt sie sich zumindest nicht.

Im “Herz Jesu Krankenhaus” lernt Alice Teddy Butt kennen, einen jungen Mann, der für das sogenannte Gentlemen-Korps arbeitet – man könnte auch sagen, dass er die Drecksarbeit für die Polizei erledigt. Er ist Muslim und Bodybuilder, scheut keine Gewalt, egal wie sinnlos sie ist. Er ist jung, unsicher und sexuell unerfahren. Trotz aller Unterschiede und den wenigen Gemeinsamkeiten verlieben sich Alice und Teddy, fast unmerklich aber gleichsam stürmisch. Beobachtet wird diese Liebe mit Erstaunen und Unverständnis von dem Jungen Noor, der auch in einer Besserungsanstalt war und nun alle möglichen Hilfstätigkeiten im Krankenhaus erledigt.

“Er weiß, dass Alice in ihren Pausen gern Karamellbonbons isst. Er weiß außerdem, dass Teddy ein Accu-Check in der Brusttasche trägt, um seinen Blutzucker zu messen, und dass er sich in voller Fahrt auf dem Motorrad Insulin spritzen kann. Sie wiederum bemüht sich, Ordnung in eine Welt aus lauter kranken Menschen zu bringen, setzt Infusionen um zwei Uhr nachts, hält die Hand alter Frauen […]. Er überlässt sich dem Chaos der Möglichkeiten. Wenn er ein Schild mit der Aufschrift ‘Wer hier pisst, ist ein Hund’ entdeckt, pinkelt er direkt darunter. […] Sie schaut ein halbes Dutzend Mal nach links und rechts, bevor sie die Straße überquert, geht manchmal einen Kilometer weit um eine Fußgängerbrücke oder Zebrastreifen zu finden. Er rast mit Vollgas die Gegenfahrbahn entlang und rechnet damit, dass der Verkehr ihm ausweicht […].”

Noor ist erst siebzehn, aber er hat sich aus den Fängen seiner Herkunft befreit – aus der Besserungsanstalt hinaus hat er einen Weg in ein besseres Leben eingeschlagen. Er versteht nicht, warum Alice und Teddy sich verlieben, obwohl dort kaum Liebe zwischen ihnen ist, er kann nicht verstehen, warum beide heiraten, trotz all der Unterschiede. Noor hat seine ganz eigenen Vorstellungen von der Liebe:

“Man beobachtet wie die geliebte Person Wasser trinkt, wie sie die Augen aufschlägt, man versucht zu erraten, ob sie schläft oder wach ist, und wenn sie schläft, was sie träumt. Es bedeutet, sie im Schlaf zu küssen, ihre frühmorgendliche Übelkeit zu teilen, sich zu ängstigen, wenn sie sich ängstigt, heiße Ohren zu bekommen, wenn sie sich schämt.”

Und doch, trotz all der Unterschied: Alice und Teddy heiraten, auf einem U-Boot, gesponsert wird die wilde Hochzeitsfeier vom Gentleman-Korps. Nach der gemeinsamen Hochzeitsnacht zieht Alice aus der Wohnung ihres Vaters aus und bei Teddy ein. Doch das Glück der beiden ist nicht von langer Dauer, es entstehen sehr schnell erste Spannungen und das anfängliche Glück schlägt am Schluss in eine unvorstellbare Grausamkeit um.

Mohammed Hanif ist mit “Alice Bhattis Himmelfahrt” ein unterhaltsamer Roman gelungen, der gleichzeitig beklemmend ist und in dem zwischen den Zeilen sehr viel mitschwingt. Der Roman hat eine Vielzahl an Schichten, er ist als eine einfache Liebesgeschichte lesbar, die tragisch endet. Er ist aber auch als ein religiöses oder auch politisches Statement zu lesen, da sich hinter Hanifs Sarkasmus eine heftige Kritik an dem System der pakistanischen Gesellschaft verbirgt. Gleichzeitig nimmt er auch die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft unter die Lupe. Alice Bhatti, die Heldin des Romans, zeigt mit ihrem Schicksal, wie gefährlich es sein kann in der heutigen pakistanischen Gesellschaft als Frau zu leben, die auch noch Christin ist. Die Tatsache, dass Hanif Alice zu einer Christin macht, kann schon als eine Art des Tabubruchs bezeichnet werden. Zusätzlich gibt er ihr den Namen Bhatti, ein Hinweis auf den pakistanischen Politiker Shahbaz Bhatti, der 2011 ermordet wurde. Auch er war Christ.

Während ihrer Arbeit im “Herz Jesu Krankenhaus” sieht Alice fast täglich Frauen, die getötet, verstümmelt, missbraucht wurden und dann im Krankenhaus landen. Sie möchte verhindern, dass ihr einmal ein ähnliches Schicksal ereilt. Und doch entscheidet sie sich für die Hochzeit mit Teddy, die man kaum als eine Liebesheirat bezeichnen kann.

Mohammed Hanif ist ein vielschichtiger, wütender Roman gelungen, der vor allem aufgrund seiner jungen und mutigen Heldin Alice Bhatti funktioniert.

3 Comments

  • Reply
    atalante
    May 23, 2012 at 11:56 am

    Eine interessante Besprechung, Mara. Jetzt warte ich nur noch darauf, daß Du auch die Mangos liest. Um dieses Buch bin ich nämlich auch schon gekreist auf meiner Suche nach guten Satiren.
    Freundliche Grüße,
    Atalante

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 26, 2012 at 1:10 pm

      Liebe atalante,
      die Mangos umkreise ich wie erwähnt auch schon lange. Ich war auf das Buch schon vor seinem Erscheinen in Deutschland aufmerksam geworden und doch konnte ich mich dann irgendwie nie zum Kauf entschließen. Ich mag eigentlich keine Satiren, keinen schwarzen Humor. Auch lustige Bücher lese ich nicht gerne. Bei “Alice Bhattis Himmelfahrt” habe ich aber einige Male geschmunzelt, es hat mir gefallen. Vor allem auch das Grimmige. Die Mangos kaufe ich mir jetzt auf jeden Fall und freue mich schon drauf.

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