Véronique Olmi, die 1962 geboren wurde und heutzutage in Paris lebt, ist eine der bekanntesten französischen Schriftstellerinnen. Mittlerweile hat sie sich auch in Deutschland einen literarischen Namen gemacht.
Im Zentrum von “In diesem Sommer” steht ein Sommerwochenende. Drei Paare treffen sich in einem Ferienhaus in der Normandie, um gemeinsam den französischen Nationalfeiertag am 14. Juli zu feiern, wie jedes Jahr.
“Sie kamen in den Ferien her, als Kinder, dann als Erwachsene, als Eltern, Großeltern, saßen auf Klappstühlen unter einem Sonnenschirm, einen großen Sonnenhut auf dem Kopf. Man sah die Kinder im Sand spielen und dem Wasser gefährlich nah kommen, man hörte die Mahnungen der Eltern, die bald alt werden und sich ihrerseits unter den Sonnenschirm zurückziehen würden.”
Doch dieses Jahr ist irgendwie alles anders: die Kinder werden langsam erwachsen und grenzen sich ab und die Liebe zwischen den Erwachsenen scheint sich immer stärker aufzulösen, einfach zu verschwinden.
Die Gastgeber Denis und Delphine haben sich auseinandergelebt, auf der Fahrt in die Normandie hat man sich kaum noch etwas zu sagen. Sie leben “schlecht zusammen, uneins und bitter”. Zusammen bleibt man eigentlich nur noch wegen der gemeinsamen Kinder. Sich selbst tun die beiden damit keinen Gefallen.
“Delphine fragte sich, ob sie nicht zögerte, anstatt zu leben. Ein schwaches Gefühl von Vergeblichkeit, immerzu.”
Nicolas und die Schauspielerin Marie scheinen sich im Gegensatz zu Denis und Delphine näher zu sein. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch offenbar, dass diese Nähe eine Täuschung ist: Nicolas trägt ein Geheimnis mit sich herum und leidet immer noch an den Auswirkungen einer schweren Depression. Marie muss mit dem Gedanken zurechtkommen, dass ihre Karriere als Schauspielerin vorbei ist. Die einzige Rolle, die ihr noch angeboten wird, ist die der Großmutter.
“‘Ich ertrage die Nacht nicht mehr’, sagte Marie. ‘Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Ängste alle in meinen Füßen stecken; tagsüber geht es, ich laufe damit herum und zertrete sie, aber nachts, sobald ich liege, steigen sie herauf, weißt du, sie bearbeiten meinen Bauch, das Herz, den Kopf, ich kann nicht mehr atmen, ich ersticke.'”
Und dann gibt es da noch Lola, die jedes Jahr einen anderen Liebhaber in die Normandie mitbringt. Diesmal hat sie den jungen Samuel dabei, der schwer verliebt ist und von Lola mehr erwartet, als sie ihm geben kann. Denn auch Lola versucht eine geheimnisvolle Vergangenheit zu verbergen.
Und dann taucht auch noch der geheimnisvolle junge Mann Dimitri am Strand auf, der Interesse an Jeanne, der Tochter der Gastgeber, hat und bringt alles durcheinander …
Der Sommer, der von Véronique Olmi geschildert wird, zeichnet sich durch eine bedrückende Vergeblichkeit aus. Der Klappentext spricht von “vibrierenden Emotionen”. Den Emotionen stimme ich zu, doch für mich haben sie nicht wirklich vibriert. Im Gegenteil: ich habe sie als vergeblich, bedrückend und stagnierend empfunden. Emotionen, die abgestorben sind. Sinnbildlich dafür steht die Kiefer im Garten des Ferienhauses, die unter der Kieferkrankheit leidet und langsam vor sich hin stirbt. Eigentlich müsste sie gefällt werden. Genauso, wie die Ehe zwischen Denis und Delphine langsam vor sich hin stirbt, ohne, dass einer der beiden etwas daran ändern könnte. Beide spielen eine Rolle, angeblich den Kindern zuliebe. Delphine wünscht sich, die Kiefer retten zu können, damit sie im Garten stehen bleibt, damit sich nichts verändern muss. Eine Veränderung, die nicht mehr zu übersehen wäre.
“Sie wollte, dass sie da blieb, dass sie die drei schützte, als Zeugin der Kraft, die auch sie einst gehabt hatten, die nette Familie, die sie gewesen waren, reich und schön, reich und verliebt. Und dann schwindet die Lust am anderen, langsam, ohne Vorwarnung. Dann sind die Kinder so groß, dass sie nicht mehr in die Arme passen, und wie kann man sie einfach so an sich drücken? Worte hatten die Gesten ersetzt, aber für Worte war sie nicht begabt.“
Delphine und Denis sind genauso wie Nicolas und Marie allein, obwohl sie zusammen sind. Sie lassen sich gegenseitig alleine, verheimlichen sich große Teile ihres Lebens voreinander. Auch Lola findet keine Stabilität, es müssen immer wieder neue Liebhaber dafür herhalten, sie glücklich zu machen.
“In diesem Sommer” vermittelt den Anschein einer leichten Sommerlektüre, doch wie nebenbei gelingt es Véronique Olmi in einem leichten Tonfall elementare Fragen zu stellen und Schlaglichter auf wichtige Themen zu werfen. Nicht nur die Kiefer krankt, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die von Olmi beschrieben werden. Menschen, die schon lange zusammen sind, müssen feststellen, wie die Liebe langsam schwindet und irgendwann nichts mehr zwischen ihnen ist als endloses Schweigen.
Véronique Olmi ist ein schöner Roman gelungen, der im Gewand einer leichten französischen Sommerlektüre daher kommt und der gleichzeitig wahr und damit auch unendlich traurig und bedrückend ist.
9 Comments
irrewirre
July 3, 2012 at 8:21 pmKlingt so, als müsste ich es auch mal lesen. Es hat mich ein bisschen an “Wellen” von Eduard von Keyserling erinnert. Kennst du das?
buzzaldrinsblog
July 4, 2012 at 8:14 amLiebe irrewirre,
ich kann es dir nur empfehlen, es hat mir wirklich gut gefallen. Eduard von Keyserling kenne ich noch nicht, ich habe mich aber gerade über “Wellen” informiert und es klingt interessant, auch wenn es für mich nicht wirklich Ähnlichkeiten mit dem Buch von Véronique Olmi hat.
Liebe Grüße
Mara
lesesilly
July 5, 2012 at 5:38 amDieses Buch stand auch schon auf meinem Wunschzettel, jetzt habe ich es mir gleich bestellt. Von Veronique Olmi habe ich schon “Die erste Liebe” gelesen, welches mir sehr gut gefallen hat. Ich bin eh ein großer Fan von französischen Autoren. Mein absoluter Liebling ist Anna Gavalda.
buzzaldrinsblog
July 5, 2012 at 6:02 pmLiebe lesesilly,
ui, das freut und ehrt mich ja sehr, dass du dir das Buch gleich bestellt hast. Und es setzt mich natürlich unter Druck, ich kann jetzt nur noch hoffen, dass es dir gefallen wird. “Die erste Liebe” steht bereits auf meiner Wunschliste und nach deinen positiven Worten werde ich es mir sicherlich holen.
Französische Autoren lese ich auch gerne, vor einiger Zeit habe ich den Roman von Judith Perrignon vorgestellt, den ich sehr gerne gelesen habe. Von Anna Gavalda kenne ich erst ein einziges Buch.
haushundhirschblog
July 8, 2012 at 11:05 amDeine Besprechung und die ausgewählten Zitate machen wieder einmal Lust, das Buch zu lesen. Zumal ich schon häufiger in der Normandie meine Sommerurlaube verbracht habe. Eine Geschichte, die in dieser geschichtsträchtigen und rauhen Landschaft spielt, kann ich mir sehr wohl als bedrückend, hinterfragend und wenig leicht vorstellen.
Vielen Dank dafür!
buzzaldrinsblog
July 9, 2012 at 2:24 pmLieber haushundhirschblog,
obwohl wir früher auch Urlaub in Frankreich gemacht haben, waren wir doch nie in der Normandie. Das Buch von Vèronique Olmi hat mich sehr neugierig gemacht auf eine Landschaft, die mir wohl gefallen würde.
“Bedrückend, hinterfragend und wenig leicht” fasst den Ton in dem Véronique Olmi schreibt eigentlich sehr schön zusammen. Ich war von der Lektüre sehr positiv überrascht, da ich doch irgendwie etwas “leichteres” erwartetet hatte – ich mag hinterfragende, bedrückende Bücher.
Liebe Grüße und herzlichen Dank für deine lieben Worte!
lesesilly
July 18, 2012 at 4:04 pmDieses Buch von Veronique Olmi hat mir sogar noch besser gefallen als “Die erste Liebe”. Ich habe mich in einer Stimmung wiedergefunden, die mich genau in dieses Buch hineinversetzt hat. Es war so, als wäre ich mit den Personen zusammen am Strand, im Haus, im Dorf gewesen. Tolle Sprache, einfühlsame Themen. Dies war bestimmt nicht mein letztes Buch von Olmi.
LG
lesesilly
buzzaldrinsblog
July 18, 2012 at 7:17 pmLiebe lesesilly,
ach, ich freue mich sehr zu lesen, dass dir der Roman auch so ähnlich gut gefallen hat, wie mir. Mir erging es bei der Lektüre so ähnlich wie dir. Die Erlebnisse der Paare werden sehr plastisch geschildert, bei jedem hatte ich das Gefühl, als Beobachter “hautnah” dabei zu sein. So wie du es auch schreibst: am Strand, im Haus, im Dorf. Das einzige, mit dem ich mich nicht ganz anfreunden konnte, war dann die Gewitternacht. Aber auch für mich war dies sicherlich nicht das letzte Buch von Véronique Olmi!
Liebe Grüße
Mara
Frankreich - zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse! | Buzzaldrins Bücher
October 7, 2017 at 11:35 am[…] schon hier und da vertreten gewesen: wenn ich mich durch mein Archiv klicke, dann stoße ich auf In diesem Sommer von Véronique Olimi, Autoportrait von Édouard Levé, Souvenirs von David Foenkinos, […]