Einen solchen Himmel im Kopf – Stephanie Gleißner

“Ich werde zurückkehren. Natürlich nur zu Besuch, ein paar Tage, aber auch das erst nach einigen Jahren, in denen ich mich so verändert haben werde, dass sie mich nicht sofort wiedererkennen.”

Stephanie Gleißner erzählt die Geschichte von Johanna und Annemut. Beide wachsen in einem kleinen Dorf auf, im Hinterland. Johanna wird als “hochmütig” beschrieben, Bekundungen von Individualität widern sie an, Gruppen verachtet sie. Die beiden Mädchen freunden sich an und teilen einige Jahre alles miteinander. Annemut zieht zu Johanna in ein kleines Häuschen im Garten ihrer Eltern. Als beide erwachsen werden, beginnt die Freundschaft zwischen ihnen langsam zu bröckeln. Annemut zieht wieder zurück zu ihren Eltern, die enge Verbindung franst aus, löst sich auf. In einer Nacht, die die beiden Freundinnen gemeinsam verbringen, eskaliert die Situation zwischen ihnen plötzlich.

Johanna bricht die Schule ab und beginnt mit einer Ausbildung. Annemut gelingt es dagegen sich aus der starren Dorfgemeinschaft zu lösen, sie zieht weg, um zu studieren. Statt weiter im Hinterland zu leben, zieht es sie raus in die große Welt. Sie entscheidet sich dazu, für einige Monate nach Timbuktu zu gehen.

Die Geschichte von Stephanie Gleißner beginnt mit dem Entschluss von Annemut, ihre Eltern im Hinterland zu besuchen. Ihr vordergründiges Interesse ist, rauszufinden, was aus ihrer besten Freundin Johanna geworden ist. Johanna, die jetzt bei der Krankenkasse arbeitet und Annemut nur noch mit professioneller Höflichkeit mit “Frau Murr” anspricht.

“Ihr schlechtsitzender Anzug hatte geglänzt, Synthetik, ihr Gesicht, als hätte lange ein Stein draufgelegen, war ausgebleicht und aufgeschwemmt, ihr Haar, das ich für unzerstörbar gehalten hatte, klebte an diesem Gesichtskrater wie ein Büschel welker Wiesenblumen. Das Schildchen auf ihrer Brust behauptete: ‘Freundlichkeit hat einen Namen: Johanna Luger.'”

Nach dem Besuch bei Johanna fühlt Annemut sich wie nach einem Unfall. Für die ehemals so starke Freundschaft, für die lange Zeit intensive Verbindung, gibt es keine Worte mehr. Es herrscht Schweigen. Verständnislosigkeit.

“Wir haben Schaden genommen. Ich frage mich, wann es angefangen hat.”

Stephanie Gleißner gelingt es in ihrem Roman, einen ganz besonderen Ton zu treffen. Erzählt wird aus der Perspektive von Annemut, ihre Stimme ist nüchtern, doch gleichzeitig intensiv, an vielen Stellen sprudelnd. Annemut ist eine ambivalente Erzählerin, die mich als Leserin des Romans sowohl begeistert, als auch befremdet hat.

Besonders fasziniert hat mich die Schilderung der Heimkehr von Annemut, die nach ihrer Rückkehr ins Hinterland feststellen muss, wie weit sie sich von ihren Eltern und der Dorfgemeinschaft entfernt hat. Ihre Eltern verstehen nicht mehr, was sie macht – Begriffe wie digitalisieren sagen ihnen nichts mehr. Da ist jetzt eine Kluft. Zwischen den Leben von Annemut und ihren Eltern liegen Welten.

Genauso begeistert haben mich die Schilderungen und Beschreibungen des Dorflebens, das in Riten und Strukturen erstarrt ist. Im Hinterland soll alles so sein, wie es schon immer war. Diese Hinwendung von jungen Schriftstellern zu dörflichen Beschreibungen ist nichts Neues in der zeitgenössischen Literatur: ich denke mit Freude an den großartigen Roman “Gegen die Welt” von Jan Brandt, in dem ein ostfriesisches Dorf im Zentrum steht.

Der wichtigste Ort des Hinterlandes ist die Pension Malinowski, das letzte Haus im Hinterland. Die Pension stellt eine Gegenwelt, einen Gegenentwurf, zum dörflichen Leben dar. Bei den Beschreibungen der Geschehnisse in derPension hatte ich manchmal Schwierigkeiten zu entscheiden, was Realität ist und Fiktion ist. Sie ist der Ort, an dem die Dorfbewohner das ausleben, was sie in ihrem starren Dorfalltag unterdrücken (müssen). Ein Ort der Sünde, der für mich utopische Züge hatte.

Es gibt eine Stelle im Roman, die für mich eine zentrale Stelle ist bei der Beschreibung des Hinterlands und den unterschiedlichen Lebenswegen von Annemut und Johanna:

“Johanna, das sahen die engagierten Deutsch-, Kunst und Musiklehrer auf den ersten Blick, war begabt und gefährdet. Auch sich selbst hatten sie einmal für begabt und gefährdet gehalten. Jetzt waren sie nicht mehr begabt und auch nicht mehr gefährdet, jetzt waren sie verbeamtet und verstrahlten die begabt-gefährdete Jugend mit wehmütigem Lächeln, das präventiv sämtliche Ikarusflügel einschmolz.”

Annemut hat sich raus in die Welt getraut, sie hat gewagt, sich von alten Strukturen zu lösen und einen Schritt in eine Welt zu gehen, in die sie ihre Eltern nicht mitnehmen konnte. Sie musste sie zurücklassen. Johanna hat sich für etwas Gegensätzliches entschieden und Annemut hofft darauf, herausfinden zu können, warum.

Stephanie Gleißner ist ein außergewöhnliches, ein interessantes Debüt gelungen. Sie trifft einen ganz eigenen, individuellen Ton, der mich von der ersten Seite an in den Bann gezogen hat. Am Ende des Romans nimmt die Handlung eine rasante Geschwindigkeit auf, der ich nicht immer ganz folgen konnte. Ich musste immer wieder nachlesen, Passagen erneut lesen, um alles verstehen zu können. Ich hätte mir gewünscht, dass es am Ende mehr Seiten gegeben hätte, um die Geschichte zu Ende zu führen.

Trotz dieser Kritik ist “Einen solchen Himmel im Kopf” ein sehr lesenswerter Roman. Darüberhinaus freue ich mich, dass Stephanie Gleißner bereit war, meinen Fragebogen zu beantworten.

2 Comments

  • Reply
    Konstantin Seefeldt (@koysino)
    August 4, 2012 at 11:25 pm

    Du bist gemein, gemein, gemein. Du bist es, die meinen Wunschzettel wuchern und wachsen lässt. Nun gesellt sich auch »Einen solchen Himmel im Kopf« dazu, denn deine Rezension berührte etwas in mir und ich kann nur hoffen, das es das Buch auch tun wird… und damit das Versprechen eingelöst…

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      August 5, 2012 at 4:03 pm

      Ach, was freue ich mich zu lesen, dass meine Rezensionen etwas bewirken, dass sie Lust darauf machen, ein Buch zu lesen, das man vorher vielleicht noch nicht unbedingt auf dem Zettel hatte. Das ist ein sehr schönes Kompliment für meine “Arbeit”, die ich mir mit meinem Blog mache. Ich bin schon sehr gespannt, wie dir der Roman gefallen wird und würde mich sehr über einen Bericht freuen!

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