Eine gute Schule – Richard Yates

Den Schriftsteller Richard Yates habe ich bereits vor einigen Wochen in einer kleinen Hommage auf meinem Blog vorgestellt. Der 1926 geborene Autor ist sicherlich einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und doch fanden seine Werke bis zu seinem Tod 1992 kaum Beachtung. Seit einigen Jahren publiziert die DVA das Gesamtwerk von Yates, zuletzt erschien der Roman “Ruhestörung”.

Dem Roman “Eine gute Schule” ist ein sehr eindrückliches Zitat von F. Scott Fitzgerald, der Richard Yates ein großes Vorbild war, vorangestellt: “Rück den Stuhl heran / Bis an den Rand des Abgrunds / Dann erzähle ich dir eine Geschichte.” Richard Yates erzählt in “Eine gute Schule” die Geschichte von William Grove, der als Stipendiat an die Dorset Academy kommt, der einzigen “Schule im Osten, an der man Jungs versteht”. “Eine interessante Schule”, eine kleine Schule, mit “nur etwa hundertfünfundzwanzig Schüler[n]”.

“Die Dorset Academy lag im nördlichen Connecticut, meilenweit entfernt von jeder Stadt. Sie war in den Zwanzigerjahren von einer exzentrischen Millionären namens Abigail Church Hooper gegründet und erbaut worden, die häufig dahingehend zitiert wurde, es sei ihre Lebensaufgabe, eine Schule „für die Söhne der besseren Leute“ zu etablieren, und dafür hatte sie keine Kosten gescheut.”

Richard Yates erzählt in “Eine gute Schule” eine typische Internatsgeschichte und ich habe mich beim Lesen immer wieder an Tobias Wolffs  Roman “Old School” erinnert gefühlt. Es geht um heranwachsende Jungen, um Erniedrigungen. Und natürlich geht es auch um die Träume und Wünsche von jungen Männern, die kurz vor einer der wichtigsten Phasen in ihrem Leben stehen: für viele von ihnen endet die Zeit in der Dorset Academy mit dem Kriegseintritt. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen von Richard Yates, in denen er sich auf ein oder zwei Charaktere konzentriert, die er förmlich seziert, gibt es in “Eine gute Schule” sicherlich ein gutes Dutzend Figuren, über die Yates schreibt. William Grove ist sicherlich die Hauptfigur, doch Yates springt in seinem Roman von einer Figur zur nächsten: von Terry Flynn, der “das Gesicht eines Engels und den Körper eines Modellathleten” hat zu W. Alcott Knoedler, der hilflos überforderte Direktor der Dorset Academy, dem es gelingt, die Schule in den finanziellen Ruin zu führen. Es gibt auch typische Yates-Figuren, wie den Chemielehrer Mr Draper:

“[…] ein gebrechlicher Mann, der an allen vier Gliedmaßen von einer Kinderlähmung so stark behindert war, dass er kaum gehen und kaum einen Bleistift halten konnte.”

Mr Draper ist eine Figur, die gescheitert ist: er ist ein schwer gezeichneter Krüppel, wird von seiner Frau nicht nur abgelehnt, sondern sogar betrogen und eines Tages von seinen Schülern sturztrunken auf dem Fußboden gefunden. Mr Draper verkörpert das Scheitern bei Yates so stark, dass er selbst beim finalen Akt scheitert – in einer der sicherlich stärksten Szenen des Romans.

Der Roman wird durch ein Vor- und ein Nachwort eingerahmt, die für mein Empfinden einige der eindrücklichsten Passagen des Romans enthalten. Das spannende an dem Vor- und Nachwort – das in der Ich-Form gehalten ist –  ist sicherlich, dass der Bezug zum Roman zu Beginn nicht ganz klar ist und dadurch beinahe der Eindruck entsteht, als würde sich Richard Yates in diesen Passagen selbst an den Leser wenden. Dank der großartigen Biographie und Einführung in das Werk von Richard Yates von Rainer Moritz habe ich erfahren, dass “Eine gute Schule” der am stärksten autobiographisch geprägte Roman von Richard Yates ist. Diesen autobiographischen Bezug habe ich als sehr spannend empfunden. Im Mittelpunkt  des Vor- und Nachworts steht die Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler (bei dem ich vermute, dass es sich um William Grove handelt) und seinem Vater:

“[…] es gelang ihm nicht, das Singen zum Beruf zu machen, stattdessen wurde er Handelsvertreter. Ich nehme an, es war als eine Art Übergangslösung gedacht, als er sich der General Electric Company in Schenectady anschloss, damit ein paar Dollar hereinkamen, während er weiter nach Engagements suchte, doch es dauerte nicht lange, dann hatte die Firma ihn geschluckt.”

Williams Eltern haben sich getrennt, William Grove hat das Gefühl, nach der Scheidung in den Besitz seiner Mutter übergegangen zu sein, während sich das Verhältnis zu seinem Vater sehr stark abgekühlt hat. Doch auch Williams Mutter ist nicht so erfolgreich im Leben, wie sie es sich selbst erhofft hat:

“[…] so wurde sie nach der Scheidung Bildhauerin und sehnte sich danach, dass reiche Leute ihre Arbeit bewunderten und sie an ihrem Leben teilhaben ließen. Beide Ambitionen, die künstlerische wie auch die gesellschaftliche, wurden immer wieder durchkreuzt.”

Mit wenigen Pinselstrichen gelingt es Yates Szenen zu entwerfen, die so typisch sind für seine Romane: enttäuschte Erwartungen, zerplatzte Träume und das Streben nach etwas Höherem, das ein Leben lang unerfüllt bleiben wird. Bucky Ward – der beste Freund von William Grove – fast dieses Grundgefühl der Romane von Yates an einer Stelle sehr gut zusammen:

“Dem, was man in seinem Leben haben will, so nahezukommen und es dann nie ganz – es dann nie ganz zu erreichen, das liegt wohl im Wesen der menschlichen Verfassung.”

“Eine gute Schule” ist der kürzeste Roman von Yates und unterscheidet sich für mein Empfinden wesentlich von seinen anderen Texten. Ein Unterschied der heraussticht, ist sicherlich auch, dass “Eine gute Schule” – für die Verhältnisse von Richard Yates – schon beinahe überschwänglich positiv und versöhnlich endet. Wenn man möchte, könnte man schon fast von einem glücklichen Ende sprechen.

Für mich ist “Eine gute Schule” ein guter Roman, der einige großartige Passagen hat, in denen das ganze Erzähltalent von Yates aufblitzt. Dazu kommt, der sehr spannende autobiographische Bezug, der sich auch im Roman fortsetzt, da Richard Yates eine ähnliche Schule besucht hat, wie die Dorset Academy. Dennoch hat mir “Eine gute Schule” nicht ganz so gut gefallen wie andere Romane von Yates, ohne dass ich genau sagen könnte, woran es gelegen hat: vielleicht an der Vielzahl an Figuren und Erzählsträngen, da vieles nur angedeutet bleibt, unausgeführt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Roman mehr Seiten gehabt hätte, mehr Platz, um die Figuren ausführlich vorstellen und beschreiben zu können. Und dennoch ist “Eine gute Schule” besser als so viele andere Romane die heutzutage erscheinen– oder, um es mit den Worten von Rainer Moritz zu sagen: “auch schwächere Yates-Bücher sind besser als die meisten Nicht-Yates-Bücher.”

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