Liebesdienst – Howard Jacobson

Download (59)Der 1943 geborene Schriftsteller Howard Jacobson hat bereits zwölf Romane geschrieben und auch mehrere Sachbücher veröffentlicht. Er gehört zu den bekanntesten Autoren in Großbritannien und wurde vor zwei Jahren mit dem renommierten Booker-Preis für seinen Roman “Die Finkler-Frage” ausgezeichnet. “Liebesdienst” ist bereits der zweite Roman von Howard Jacobson, der in Deutschland veröffentlicht wurde.

“Aber die Vernunft war keine Hilfe. Gegen Eifersucht.”

In “Liebesdienst” erzählt Howard Jacobson die Geschichte von Felix Quinn. Felix Quinn ist Besitzer eines Antiquariats, lebt in einem angesehenen Stadtteil Londons, ist belesen, kultiviert, intelligent und verheiratet mit einer wunderschönen Frau. Marisa. Doch Felix Quinn empfindet kein Glück, ganz im Gegenteil: beginnend mit der gemeinsamen Hochzeitsreise von ihm und Marisa entwickelt Felix eine Obsession, die im Laufe der Jahre immer wahnhaftere und krankere Züge annimmt. Seine Obession ist die Eifersucht. Interessanterweise handelt es sich bei seiner Form der Eifersucht jedoch nicht um eine reale Eifersucht, sondern um den Wunsch danach, betrogen zu werden. Es geht um das Verlangen danach, hintergangen und belogen zu werden, um die alles andere überschattende Vorstellung, dass seine Frau mit jemandem anderen schlafen könnte. Felix Quinn sehnt sich nach Eifersucht, nach Gründen eifersüchtig zu sein, um den Zustand der wahren Liebe spüren zu können. Dieses Verlangen geht so weit, dass er für seine Frau versucht zweideutige Situationen zu arrangieren. Er spielt den Kuppler seiner eigenen Frau. Im Englischen gibt es für dieses Verhalten den Fachbegriff “Cuckold”, mit diesem Begriff wird ein masochistischer Mann bezeichnet, der sexuelle Erregung spürt, wenn seine Frau von jemandem anderen berührt wird. Dieser Begriff wird von Howard Jacobson selbst im Roman auch immer wieder verwendet.

“Kein Mann, der je eine Frau geliebt, hat sie sich nie in den Armen eines anderen vorgestellt […]. Kein Ehemann ist je glücklich – wirklich glücklich, genital, in seinem Innersten glücklich, als Ehemann -, bis er nicht den eindeutigen Beweis hat, dass ein anderer sie fickt.”

Der Roman beginnt damit, dass Felix Quinn nach einem Liebhaber für seine Frau sucht und auch fündig wird, als er durch Zufall auf Marius trifft.

“Er war fünfunddreißig – obwohl er älter aussag und älter klang -, beängstigend lang und hager, mit einem Gesicht wie verwüstet von einer Umweltkatastrophe: Weltuntergangsaugen, erodierte Wangen, der Mund ein raues, vertrocknetes Flussbett.”

In der Folge entwickelt sich eine Ménage à trois: die Ehefrau, der Liebhaber, der Ehemann. Felix ist der Ehemann in dieser Konstellation und nach der anfänglichen Begierde und Erregung, die er aufgrund der Tatsache empfindet, dass seine Ehefrau einen Liebhaber hat, beginnt er immer stärker unter der von ihm selbst herbeigeführten Situation zu leiden. Die von ihm selbst hergestellte Situation, beginnt ihn zu belasten, ihn verrückt zu machen. Stück für Stück verliert er alle Macht, die er zunächst über Marisa und Marius gehabt zu haben glaubte.

Felix Wünsche werden mit der Zeit immer obsessiver. Er schleicht durch das gemeinsame Haus, wenn sich Marius und Marisa treffen, um beiden beim Geschlechtsverkehr zuhören zu können. Er fleht Marisa an, ihm alle intimen Details ihrer Treffen mit Marius zu erzählen. Doch je weiter die Erzählung voranschreitet, desto stärker scheinen sich auch Realität und Einbildung miteinander zu vermischen. Grenzen verschwimmen und lösen sich auf. Häufig wird nicht klar, ob Dinge lediglich in Felix Kopf geschehen, oder auch in Wirklichkeit: wünscht er sich diesen Liebhaber so sehr herbei, dass er sich ihn möglicherweise einbildet? Was ist hier Einbildung, was ist Wirklichkeit? Kann Felix Quinn selbst überhaupt noch zwischen diesen beiden Polen unterscheiden?

Schwierigkeiten bei dem Roman hatte ich mit den Figuren, die wenig Identifikationspotential bieten. Felix Quinn ist kultiviert und belesen, führt ein selbstständiges Leben als Antiquar und gibt alles was er hat für eine wahnhafte Begierde auf. Über seinen Wahn verliert er im Laufe des Buches seinen Verstand. Beim Lesen befindet man sich in seinem Kopf, verstrickt in all diesen wirren Gedanken und Gefühlen und es ist mir immer wieder schwer gefallen, seine Handlungen nachzuvollziehen. Marisa wird lediglich aus der Perspektive von Felix Quinn geschildert und beschrieben. Als würde sie kein eigenständiges Dasein führen, wird sie lediglich aus seinen Augen betrachtet.

Howard Jacobson ist darum bemüht, seinem Roman einen intelligenten Anstrich zu geben. Den Kapiteln vorangestellt sind Zitate von Georges Bataille, Joseph Roth oder Michel de Montaingne.  Eine zentrale Rolle im Roman spielt die Literatur, es gibt eine Vielzahl an literarischen Verweisen und Anspielungen und es ist kein Zufall, dass Felix Quinn Antiquar ist, denn Bücher sind sein Leben. Aber auch Abhandlungen über Musik und Kunst sind in den Roman eingebettet. Allen Anspielungen gemeinsam ist die Fixierung auf das Motiv Eifersucht, das Felix glaubt überall erkennen zu können.

Howard Jacobson zeigt in “Liebesdienst” auf beeindruckende Art und Weise, wie eine Obsession, das scheinbar stabile Leben eines Menschen völlig aus den Fugen bringen kann. Felix verliert jegliche Kontrolle über sein Denken, sein Handeln und sein Verhalten und belastet damit nicht nur seine Ehe, sondern auch seinen Beruf und sein privates Leben. Howard Jacobsen beschreibt mit einer minutiösen Liebe zum Detail, wie aus einer scheinbar harmlosen Leidenschaft eine wahnhafte Obsession werden kann. Howard Jacobson überzeugt mit einer Erzählung, die in feinen Strichen gezeichnet ist – nicht eine Handlung steht im Mittelpunkt, sondern intensive Beschreibungen und die detailereiche Sezierung von der Gedankenwelt von Felix Quinn. “Liebesdienst” ist ein interessantes und vielschichtiges Zeugnis eines großartigen Autors, das jedoch auch viel Zeit und Ruhe bedarf, um es in allen Facetten genießen zu können.

4 Comments

  • Reply
    Klausbernd
    December 15, 2012 at 11:17 am

    Danke für die ausführliche Rezension. Ich finde es gut, dass Jacobsen konsequent aus der Perspektive seiner Hauptperson beschreibt. Und dieses nicht-Identifikatorische seines Stils erinnert mich an wenig an Brechts Ideen zum Verfremdungseffekt. Dieser Roman, den ich für nicht so gelungen übersetzt halte, spielt nicht nur auf der inhaltlichen, sondern auch auf der stilistischen Ebene auf die Weltliteratur an. Ich finde ihn einen wunderschönen Roman, den man wieder lesen kann und dabei Neues entdeckt.
    Liebe Grüße
    Klausbernd

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      December 18, 2012 at 8:31 am

      Lieber Klausbernd,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar zum “Liebesdienst”, der meine Perspektive auf das Buch noch einmal etwas erweitern konnte. Ich habe mich mit diesem “Verfremdungseffekt”, mit diesem Festsitzen im Kopf von Felix, etwas schwer getan. Seine sexuellen Begierden und dass er darüber schlichtweg seinen Verstand verliert, war etwas, das ich nur schwer aushalten konnte, ohne genau zu wissen, was mich eigentlich so sehr gestört hat. Die inhaltlichen Anspielungen auf die Weltliteratur, genauso wie die vielen literarischen Anmerkungen haben mir sehr gut gefallen – das entspricht den Suchbewegungen, die ich beim Lesen immer gerne unternehme.
      Lustigerweise habe ich in den vergangenen Wochen einige britische Autoren gelesen: Julian Barnes, Howard Jacobson und im Moment Simon Mawer. Alle Bücher sind ganz unterschiedlich und doch besitzen sie alle etwas, was mich fasziniert und in den Bann zieht … 🙂
      Viele Grüße
      Mara

  • Reply
    Private Büchersammlungen: Maras Bücher « kbvollmarblog
    December 18, 2012 at 6:10 pm

    […] keine Rolle. Manchmal bin ich fast traurig angesichts dieser immer moderneren Entwicklung. Bei Howard Jacobson las ich neulich, dass eine Figur schnell ein Foto mit dem Handy knipst – Johan Harstad spricht […]

  • Reply
    Howard Jacobson: Liebesdienst « Bücherwurmloch
    January 14, 2013 at 10:09 am

    […] Besprechungen von Liebesdienst findet ihr auch bei Mara und […]

Hinterlasse hier Deinen Kommentar ...

%d bloggers like this: