Heartcore. Liebe ist ein Aufstand – Johanna Merhof

Johanna Merhof wurde 1982 geboren und hat Neuere Deutsche Publizistik in Berlin studiert. Für  Welt Online hat sie die Kolumne “Heartcore” geschrieben. Heutzutage arbeitet sie als freie Autorin.

“Die Liebe ist unsere einzige Möglichkeit, als Erwachsene noch magisch zu denken: Alles ist plötzlich wieder neu und wichtig, jede Handbewegung, jeder Wimpernschlag ist ein Augenzwinkern des Schicksals. Ich wünsche Ihnen eine Zeit, in der Ihre Liebe aus dem Winterschlaf erwacht. Eine Liebe, die gekommen ist, um zu bleiben.”

Ein Buch über die Liebe? Ein erzählerisches Sachbuch? Als ich es mir im Sessel gemütlich machte und die erste Seite von Johanna Merhofs Buch “Heartcore” aufschlug, wusste ich nicht wirklich, was mich erwarten würde. Auch jetzt, nach dem Zuklappen der letzten Seite fällt es mir schwer in Worte zu fassen, was ich da eigentlich gelesen habe. Ich kann es mit meinem Verstand nicht erfassen, aber ich habe es beim Lesen fühlen können: “Heartcore” ist ein Buch, mit dem man sich wohlig warm fühlen kann.  Johanna Merhofs Texte vermitteln etwas von der kindlichen Magie und Reinheit, die auch die Liebe stellenweise immer noch umweht.

Aber von vorn: “Heartcore – Liebe ist ein Aufstand” ist in insgesamt sieben Abschnitte unterteilt: Abheben,  Schweben, Abstürzen, Soloflug, Landen, Vögeln und Schluss, Aus, Weiterfliegen.  Im Anhang gibt es eine Playlist zu jedem Abschnitt, schon an diesem Detail wird deutlich, welche Rolle die Musik in diesem Buch spielen soll. Jeder Abschnitt beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung, diese steht unter dem Motto: “Was man im Folgenden lieben kann: […]”.

“Was man im Folgenden lieben kann: die Wurzeln. Wo wir herkommen, erzählt etwas darüber, wo wir hinwollen, vor allem verrät es, warum wir wurden, was wir sind. Was sich eingebrannt hat: chaotische Weihnachten unterm schiefen Tannenbaum und die Sehnsucht nach unschuldigeren Tagen, die immer unerfüllt bleiben muss, weil wir leider nur älter werden können. Die erste Liebe. Erste und zweite Küsse. Mütter, die Leben retten können. Feste, die zu Recht gefeiert werden. Mit Würde zu erröten lernen, wenn das denn ginge. Am Ende dann: Trennungen, bei denen man nur Zuschauer ist. Ein Scheidungskind zu sein und trotzdem zu überleben. Und ein paar Songs von damals und heute, die man laut hören sollte. Um sich zu freuen, dass höchstens die Nachbarn heute noch ein Wörtchen beim Aufdrehen mitzureden haben. Erwachsenwerden? Gibt ja wenig Alternativen. Legen wir uns für das ‘Wie’ ins Zeug.”

Im Mittelpunkt der kurzen Episoden, die alle einen Songtitel als Überschrift haben, steht die Liebe in allen möglichen Variationen. Es geht um das Leben und es geht um die Liebe, denn “Leben lernen [heißt] auch lieben lernen, auch wenn sie die Lektionen nie mit Namensschild ausweisen”. Johanna Merhof schreibt über ihre Familie: ihre Familie ist für sie ein Ort, an den sie immer wieder zurückkehren kann, auch wenn es natürlich mal Konflikte zwischen ihnen gibt, genauso wie “todtraurige Zustände”. Sie erzählt von Weihnachtsfesten und von der Scheidung ihrer Eltern. Ein Ereignis, das ihr Leben nachhaltig erschüttert hat und ihr die “dunkle Seite der Liebe” offenbart hat.

“Von der Liebe merkte man 1995 nicht viel. Von ihrer dunklen Seite umso mehr. Was mir wehtat, war, dass das, was hier in seinen letzten Atemzügen lag, nie mehr wiederzubeleben war, und damit meine ich nicht nur die Ehe meiner Eltern. Es war der Glaube an das Unerschütterliche der Familie. Es war der Zusammenbruch des Gefühls, dass die Eltern immer eine Antwort haben. Trost jeweils nur ein paar Meter entfernt ist. Scheidungskinder lernen vielleicht früher als andere, was Verlust bedeutet, den man nicht aufhalten kann, wie fragil Sicherheiten sind. Sie lernen, wie schwach der Mensch ist.”

Johanna Merhof erzählt von Flugzeugen im Bauch und dem Kopf in den Sternen. Sie bezeichnet die Liebe als Aufstand – “wider wissenschaftliche Erkenntnisse, entgegen der eigenen Lebenserfahrung“:

“Liebende sind die letzten Rebellen unserer Zeit. Sie sind ungemütlich, weil sie uns an Gefühle erinnern, die so groß sind, dass sie im Alltag schwer Platz finden, weil sie Herz und Verstand sprengen.”

Man erfährt von ihren schwedischen Liebhabern und davon, dass es mit beiden nicht funktioniert hat. Nach dem Abheben folgt der Absturz, die Trennung, das Alleinsein, das Zurückwollen – Tage die man nur mit guten Freunden und eiskaltem Wodka übersteht. Und sie erzählt von einer endgültigen und einseitigen Trennung, als sich ihre Jugendliebe Oskar das Leben nimmt. Johanna Merhof erzählt von Dates, SMS und von der Traurigkeit, wenn es wieder einmal vorbei.

Es geht in “Heartcore – Liebe ist ein Aufstand” jedoch nicht nur um die Liebe zu einer anderen Person, sondern auch um die Liebe zu sich selbst und zu Dingen, an denen man Freude hat:

“Leidenschaften, die kein Gegenüber brauchen, und Liebe zu allem, was gegen jede Gewitterlaune bleibt, und Existieren in Leben verwandelt: Man selbst, die wichtigste Beziehung des Lebens. Daneben Musik. Mehr Musik. Bücher, Filme, Kunst, der Wald, Himmel, Schnittblumen, Nahrung und Schmusen mit der Katze […].”

Die größte Liebe ihres Lebens ist für Johanna Merhof eindeutig die Musik und diese Tatsache wird auch auf jeder Seite dieses Buches spürbar. Noch bei keinem anderen Buch zuvor habe ich mir so sehr gewünscht, einen Soundtrack zum Buch besitzen zu können.

Die Frage, was “Heartcore” nun eigentlich ist, kann ich auch jetzt – am Ende meiner Besprechung – kaum beantworten und ich glaube auch, dass jeder Leser diese Frage für sich anders beantworten wird. Für mich ist “Heartcore” eine Art Lebensanleitung, ein Handbuch, ein Ratgeber: Johanna Merhof regt mit ihren Texten dazu an, den Blick auf das Wesentliche zu wenden und strahlt dabei eine ungeheure Leichtigkeit aus, die ergänzt wird mit Selbstironie und einer ordentlichen Portion positivem Denken. “Heartcore” hat einen Nerv bei mir getroffen, weil ich mich in vielen Beschreibungen wiedergefunden habe. Etliche Post-Its kleben mittlerweile im Buch, markieren Stellen die mich begeistert haben, aber auch viele Stellen, die mich zum Nachdenken angeregt haben. “Heartcore” hat mich vor allem auch aufgrund der sehr schönen, eingängigen Sprache begeistert. Johanna Merhof beschreibt im Grunde Banalitäten und doch tut sie dies auf so verzaubernde Art und Weise, dass ich das Buch zwischendurch kaum noch aus der Hand legen konnte. Ich habe “Hearcore” nicht in mein Bücherregal eingeordnet, stattdessen liegt es an meinem Bett und in Momenten der Traurigkeit, des Schmerzes, aber auch in Glücksmomenten greife ich zu dem Buch und fühle mich aufgehoben, geborgen und fast immer in irgendeiner Form bestätigt.

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