Thommie Bayer wurde 1953 in Esslingen geboren. Er war Maler und Liedermacher und begann 1984 damit zu schreiben. Bisher erschienen von ihm “Das Aquarium”, “Die gefährliche Frau”, “Eine kurze Geschichte vom Glück” und “Fallers große Liebe”. Im vergangenen Jahr erschien sein neuester Roman “Vier Arten, die Liebe zu vergessen”.
Vier alte Schulfreunde begegnen sich nach vielen vergangenen Jahren am Grab ihrer ehemaligen Lehrerin Emmi und beschließen daraufhin, sich nach beinahe zwei Jahrzehnten mal wieder zu treffen. Einer von ihnen, Michael, lädt seine drei Schulfreunde Bernd, Wagner und Thomas für ein Wochenende zu sich nach Venedig ein. Alle vier haben gemeinsam ein Internat besucht, Emmi war ihre Lehrerin in den “Fächern Englisch, Französisch und Musik” eine Aufgabe, “die sie erfüllt habe mit ihrer Leidenschaft und Güte”.
Die Freundschaft zwischen Michael, Bernd, Wagner und Thomas hat damals einige Zeit gebraucht, um sich zu entwickeln. Zunächst gab es zwischen den vieren häufig Ärger und Unstimmigkeiten, die so weit gingen, dass einer von ihnen sogar im Krankenhaus landete. Die anderen wurden anschließend zu Zwangsbesuchen verdonnert – für die vier Jungs war das der Beginn, einer langen Freundschaft, die immer wieder über die schwere Zeit im Internat hinweggeholfen hat. Verbunden hat die vier Freunde vor allem die Musik, als “Nachtigallen” haben sie sich zusammengeschlossen und zumindest musikalische Achtungserfolge gefeiert. Es ist also kein Wunder, dass es auch die Musik ist, die sie wiedervereint, als sie gemeinsam an Emmis Grab ein Lied anstimmen.
“Michael fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag Emmi wirklich nahe. Es tat ihm leid, dass sie nicht mehr leben durfte, es tat ihm leid, dass er nie mehr hier gewesen war, es tat ihm leid, dass ihre Nachtigallen seit vielen Jahren nichts mehr miteinander zu tun hatten, dass sie sang- und klanglos weiterlebten, als wären sie nicht durch etwas verbunden gewesen, das sie Emmi verdankten und ihr zu Ehren hätten festhalten müssen. Das Lied klang mit jedem Vers besser.”
In den vergangenen zwanzig Jahren ist viel passiert, die vier Protagonisten sind in ihrem Leben ganz unterschiedliche Wege gegangen und dementsprechend unterschiedlich sind auch ihre “Arten, die Liebe zu vergessen”. Gemeinsam ist den vier Schulfreunden lediglich die Tatsache, dass sie alle in irgendeiner Form an der Liebe gescheitert sind Der Großteil der Geschichte wird aus der Perspektive von Michael erzählt, der mir während der Lektüre nicht ohne Grund am stärksten ans Herz gewachsen ist. Auch Michael scheitert an der Liebe, doch er scheitert, weil er es gar nicht erst versucht – aus Angst davor enttäuscht werden zu können, versteckt er sich hinter einem Pseudonym und komponiert für seine große Liebe Lieder.
“Jetzt waren nur noch vier Männer Mitte vierzig in derselben Richtung unterwegs, die jeder für sich das Altwerden von sich wiesen: der eine, indem er, um seine Stirnglatze zu kompensieren, das ergrauende Haar bis auf den Hemdkragen wachsen ließ, der andere, indem er sich beim Squash quälte, um das Äußere eines asketischen Topmanagers mit ultrakurzen Haaren und elastischem Gang zu kultivieren, der Dritte, indem er sich so gehen ließ wie eh und je, ohne wahrhaben zu wollen, dass Faulheit, gutes Essen und viel Alkohol ihre Spuren hinterließen, und der Vierte mit einer Art gepflegter Neutralität, die ihn fast unsichtbar machte.”
Thommie Bayer erzählt die Geschichte von vier Männern, die alle auf ganz unterschiedliche Weise am Leben und der Liebe kranken. Thommie Bayer erzählt unaufgeregt und souverän, aber dennoch schildert er die persönlichen Schicksale der Männer unheimlich nah und authentisch. Das Buch wird nicht nur von Figuren bevölkert, sondern von Menschen, Menschen, deren Lebensverläufe mir nahe gegangen sind, mit denen ich Mitleid hatte, mit denen ich mitgelitten habe. Am stärksten identifizieren konnte ich mich, wie bereits erwähnt, mit Michael, aus dessen Perspektive der Großteil der Geschichte erzählt wird.
“Aber sie waren eine Zeit lang wichtiger füreinander gewesen als ihre Familien, davon musste noch ein Echo existieren.”
Die zwanzig Jahre die zwischen der letzten Begegnung der vier Freunde liegen, machen es zunächst schwer, Anknüpfungspunkte und Gesprächsthemen zu finden. In vielen Sequenzen wird deutlich, dass Michael, Bernd, Thomas und Wagner sich in der Zwischenzeit auseinander gelebt und voneinander entfernt haben. Die vier Freunde kommen sich in der Zeit ihres Zusammenseins in Venedig nicht unbedingt näher, es gelingt nicht allen von ihnen, die zwanzigjährige Distanz zu überwinden und doch ist dieses gemeinsame Treffen Anlass für jeden der vier, sich über die Vergangenheit aber auch über die Gegenwart und die eigenen Wünsche ans Leben Gedanken zu machen.
“Vier Arten, die Liebe zu vergessen” ist eine melancholische Geschichte über die Liebe, das Leben und die Freundschaft von vier Männern. Thommie Bayer ist ein feinfühliger Roman gelungen, den ich sehr gerne gelesen habe. Ich habe mich nicht nur wunderbar unterhalten gefühlt, ich wurde auch zum Nachdenken angeregt und habe bei der Lektüre von “Vier Arten, die Liebe zu vergessen” vier interessante Männerfiguren kennengelernt. Ein Buch, das ich guten Gewissens weiterempfehlen möchte!
8 Comments
IngridW
March 1, 2013 at 7:17 pmIch kenne Thommie Bayer bisher nur als hervorragenden Liedermacher. Mir scheint, es wird Zeit, sich auch mal seine Bücher vorzunehmen. Das von Dir vorgestellte zum Beispiel…
buzzaldrinsblog
March 4, 2013 at 2:24 pmLiebe Ingrid,
wie interessant! Ich kannte ihn gar nicht als Liedermacher bisher, war nur schon mehrmals über seine Bücher gestolpert. Es wird in der Tat zeit, ihn auch als Schriftsteller zu entdecken, ich glaube, er könnte dir gefallen. Ich werde ihn dann mal demnächst als Liedermacher entdecken. 🙂
Susanne Haun
March 2, 2013 at 7:09 amLiebe Mara,
ich habe mich vom Interview und von deiner Buchbeschreibung so angesprochen gefühlt, dass ich mir das Buch gerade als Hörbuch downloade…. Ich bin neugierig, gerade höre ich noch von T.C.Boyle Dr. Sex und danach freue ich mich richtig auf den Beginn des Hörgenuß von Vier Arten, die Liebe zu vergessen!
LG Susanne
buzzaldrinsblog
March 4, 2013 at 2:22 pmLiebe Susanne,
das Wochenende habe ich mit den ersten Sonnenstrahlen im Freien verbracht, Bandit immer an meiner Seite. So komme ich erst jetzt dazu, dir zu antworten: ich freue mich sehr, dass ich dich so überzeugen konnte mit meiner Besprechung, dass du dir das Hörbuch gleich downgeloadet hast und bin schon unheimlich gespannt darauf, wie dir diese ruhige Geschichte gefallen wird. Ich muss gestehen, dass ich mich ja schon in den Titel verliebt hatte, bevor ich das Buch kannte. Vier Arten, die Liebe zu vergessen … das hat mich einfach so neugierig auf das Buch gemacht.
Ich wünsche dir viele Sonnenstrahlen und einen schönen Start in diese Woche,
Mara. 🙂
Susanne Haun
March 5, 2013 at 6:59 amLiebe Mara, ich habe bei FB die schönen Fotos von dir und Bandit gesehen. Es sieht nach einem sonnigen Tag aus.
Ich finde den Titel auch sehr gelungen und bin neugierig. Noch bin ich nicht dazu gekommen, den ersten Satz zu hören … aber es wird nicht mehr viel Zeit bis dahin vergehen!
Einen schönen Dienstag sendet dir Susanne
buzzaldrinsblog
March 6, 2013 at 11:29 amLiebe Susanne,
dann bin ich schon gespannt, wie es dir gefallen wird. Ich tendiere ja immer ganz gerne zu “Männerbüchern”, in diesem Fall erzählt ja ein männlicher Autor die Geschichte von vier Männern – doch das Buch ist unheimlich fein, ruhig und so gelassen erzählt, dass ich mich in der Geschichte einfach wohlgefühlt habe.
Wenn ich aus meinem Zimmerfenster schaue, schaue ich schon wieder in den blauen Himmel, die Sonne scheint und ich werde mich gleich wieder in den Frühling stürzen mit Bandit und freue mich einfach nur, dass es endlich wieder heller und wärmer ist. 🙂
Mara
Susanne Haun
March 10, 2013 at 6:44 amLiebe Mara,
das Buch hat mir ausgesprochen gut gefallen!
Als erstes mein Lieblingszitat:
“Das unterscheidet Künstler von anderen Menschen, Ihre Nahrung, das Lob und Interesse ist eine harte Droge, es gibt keine ungefährliche Dosis.”
Gründsätzlich glaube ich nicht, das Künstler andere Menschen sind aber das Zitat fand ich trotzdem auf den Punkt gebracht.
Ich mag solche “Männerbücher” auch. Ich lerne gerne die andere Sicht der Welt kennen und finde dieses Sicht der Dinge oft auch auf mich zutreffend. Ich habe zum Beispiel gelernt, das viele Frauen es nicht schaffen, mit sich alleine zu sein. Aber vielleicht ist es auch bloß ein Klischee…..
Man merkt in dem Buch, dass Thommie Bayer auch Liedermacher ist, er gibt, denke ich, Einblick in diesen Zweig seines Lebens in der Figur des Michaels.
Und Bayer verwendet eines meiner Lieblingsbegriffe, die Lautmalerei, ein spezielles Wort für die Literatur, was ich auch gerne in der Zeichnung sehe. Auch wenn es dafür nicht gedacht ist.
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag, Berlin ist leider ganz verschneit…. 🙁
Liebe Grüße von Susanne
buzzaldrinsblog
March 11, 2013 at 4:39 pmLiebe Susanne,
ach, ich freue mich sehr darüber, dass dir das Buch gefallen hat! 🙂
Dein Lieblingszitat gefällt mir auch gut, auch wenn es mir beim Lesen selbst nicht unbedingt ins Auge gesprungen ist. Ich kann mir vorstellen, dass du einen Roman in dem es um die “Kunst” geht sicherlich noch einmal verstärkt aus deiner eigenen Künstlerperspektive liest – dann springen einem solche Sätze wahrscheinlich noch stärker ins Auge.
Ja, die Begeisterung für die Musik wird in dem Buch auf jeder Seite deutlich, dass empfand ich auch als sehr interessant. Gerade auch, weil ich zur klassischen Musik keinerlei Beziehung habe. Die Idee, dass Michael die Lieder seiner großen Liebe komponiert fand ich einen unheimlich tollen Erzählkniff. 🙂
Hier in Bremen schneit es auch noch ab und zu, aber auch die Sonne schaut wieder hervor, da bin ich immer ganz erfreut. 🙂
Liebe Grüße
Mara