Ian McEwan, 1948 geboren wurde, wurde der literarischen Öffentlichkeit durch seinen Bestseller “Abbitte” bekannt, der mit Keira Knightly verfilmt wurde. Er kann auf eine Reihe von Veröffentlichungen und zahlreiche Preise und Auszeichnungen zurückblicken. In diesem Jahr erschien sein Roman “Honig”, der von Werner Schmitz übersetzt wurde und im Original den Titel “Sweet Tooth” trägt.
“Ich heiße Serena Frome (reimt sich auf Ruhm), und vor knapp vierzig Jahren wurde ich vom britischen Nachrichtendienst auf eine geheime Mission geschickt.”
Serena Frome wächst in einem Elternhaus auf, das “freundlich, kultiviert, penibel aufgeräumt und voller Bücher” gewesen ist. Sie liebt es zu lesen, man könnte sie beinahe als Büchersäuferin bezeichnen, denn sie liest schnell, gerne auch zwei bis drei Romane die Woche. Trotz ihrer Begeisterung für Literatur, entscheidet sie sich für ein Studium der Mathematik. Sie ist dort einer der wenigen Frauen unter einer Vielzahl von nicht gerade ansehnlichen Männern und aus Mangel an anderen Freizeitaktivitäten, bewahrt sie sich ihre literarische Leidenschaft (“Groschenhefte, Hochliteratur und alles dazwischen – ich verschlang sie unterschiedslos.”).
“Es heißt, Schriftsteller seien abergläubisch und hätten ihre kleinen Rituale. Das gilt auch für Leser. Ich zum Beispiel hielt mein Lesezeichen zwischen den Fingern und streichelte es beim Lesen mit dem Daumen. Bevor mir spätabends die Augen zufielen, legte ich das Lesezeichen an die Lippen und erst dann zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und deponierte es neben dem Stuhl auf dem Boden, griffbereit für das nächste Mal.”
Als sich Serena in Tony Canning, einen deutlich älteren Mann und darüberhinaus der Geschichtstutor ihres Freundes, verliebt, nimmt ihr Leben eine ungeahnte Wende: als literarisch interessierte Frau mit abgeschlossenem Mathematikstudium wird sie 1972 vom M15 angeworben, dem britischen Inlandsgeheimdienst. Die ersten Monate verlaufen ernüchternd, statt als Spionin an der Front eingesetzt zu werden, ist sie Hilfsassistentin und übernimmt die Aufgaben einer Sekretärin. Als sie schon längst nicht mehr daran glaubt, wird sie überraschend doch noch mit einer delikaten Aufgabe betraut: es handelt sich um die Operation “Honig”.
Um den Roman von Ian McEwan verstehen zu können, muss man eigentlich auch den politischen Rahmen verstehen können. Bar jeglichen Hintergrundwissens fällt es nicht immer ganz leicht, der Handlung zu folgen und vor allen Dingen auch den doch zahlreichen Anspielungen. Der Roman spielt in den siebziger Jahren, die in Großbritannien geprägt sind von den Nachwirkungen des Kalten Krieges. Der Geheimdienst befindet sich auf der Suche nach Künstlern und Intellektuellen, die politisch konform sind und die Ansicht des Staates stützen und in ihren Büchern weiter verbreiten können. Serena wird auf Thomas Haley angesetzt, einen jungen Autor, der die ersten literarischen Erfolge feiert. Was als Arbeitsauftrag beginnt, endet in einer Liebesaffäre und mit der Frage, wie weit man bereit ist zu gehen – in der Liebe, aber auch in der Arbeit. Es ist eine Liebesaffäre, mit einem brüchigen Fundament, denn sie fußt auf einer Lüge.
“Er war mein Projekt, mein Fall, meine Mission. Seine Kunst, meine Arbeit und unsere Affäre waren eins. Wenn er versagte, versagte ich. Also ganz einfach – wir würden gemeinsam glänzen.”
Der Höhepunkt des Romans ist sicherlich der Abschluss und die Wendung am Ende, die einem literarischen Kniff gleich kommt. Aber auch hier finden wir einen eher im Stillen verzückenden Höhepunkt, denn einen wahren Showdown. “Honig” ist weit davon entfernt, Spionagethriller oder Agentengeschichte zu sein, auch wenn sich Ian McEwan an einzelnen Bestandteilen dieses Genres bedient, daraus aber etwas ganz Eigenes erschafft. Gleichzeitig legt das Ende des Romans jedoch auch einen Schwerpunkt auf die Liebesbeziehung und die politische Situation rückt zunehmend in den Hintergrund.
Während der Klappentext des Romans etwas reißerisch von Sex und Spionage spricht, habe ich einen ruhigen und stillen Roman gelesen, dessen Handlung stellenweise gar langsam voranschreitet. Ich habe einen unprätentiösen Roman gelesen, frei von Zynismus und Pointen. Einen Roman, in dessen Mittelpunkt nicht unbedingt Aktion und Spannung stehen, sondern die Entdeckungsreise einer begabten jungen Frau. Serena Frome entdeckt die Liebe, zu Männern und zur Literatur und sie muss erfahren, dass man manchmal dazu gezwungen ist, im Namen der Liebe Entscheidungen zu treffen. Mal ist sie von diesen Entscheidungen betroffen, mal trifft sie sie selbst. Nebenbei ist Ian McEwan auch das Porträt einer bewegten politischen Zeit gelungen. Ich glaube, dass die Lektüre von “Honig” zu ganz unterschiedlichen Lesarten einladen kann, dass Leser und Leserinnen ganz unterschiedliche Aspekte im Roman entdecken können und ich glaube, dass dies auch eine der Stärken des Romans ist. Ich habe ihn gelesen wie eine Liebesgeschichte und mich dabei an die Fersen Serenas geheftet, in der ich mich und meine eigene Liebe zu Büchern wiedergefunden habe.
Bis jetzt habe ich mir mit Ian McEwan immer ein klein wenig schwer getan, doch dieses mal hat er es geschafft, mich zu überzeugen. “Honig” ist ein lesenswerter und vielschichtiger Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.
11 Comments
saetzeundschaetze1
December 13, 2013 at 10:42 amLangsam lasse ich mich überzeugen, “Honig” doch zu lesen – ich mochte Abbitte, Zementgarten und Solar dagegen weniger…er hat eine tolle Themenvielfalt, aber nicht alles hat mich bisher vom Hocker gerissen. Aber deine Besprechung überzeugt.
buzzaldrinsblog
December 16, 2013 at 2:29 pmIch mochte “Abbitte” komischerweise gar nicht, konnte damit nichts anfangen und habe davon nichts im Gedächtnis zurückbehalten. “Honig” dagegen hat mich viel stärker erreicht und ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Die Themenvielfalt von McEwan ist wirklich beeindruckt, schon alleine all das, was er in diesem einzelnen Buch behandelt ist enorm. 🙂
Wortgalerie
December 13, 2013 at 10:49 amEine interessante Besprechung! Ich lese McEwan sehr gerne und Honig steht schon seit einer Weile in meinem Bücherregal. In einem Interview habe ich gelesen, dass er mit Honig einen Roman schreiben wollte, bei dem der letzte Satz die gesamte Geschichte in einem anderen Licht erscheinen lässt – das ist sicherlich die Wendung am Ende, die du beschreibst. Ich freue mich schon sehr darauf, es endlich zu lesen 🙂
buzzaldrinsblog
December 16, 2013 at 2:39 pmLiebe Wortgalerie,
oh ja, genau das ist der literarische Kniff am Ende. 🙂 Ich habe vorher nichts davon gewusst und mich überraschen lassen. Ich glaube aber, dass – wenn man sich zu viel vom Ende verspricht – die Lektüre auch schief gehen kann. Ich bin auf jeden Fall ganz gespannt auf deine Eindrücke zu diesem Roman.
Liebe Grüße
Mara
dasgrauesofa
December 14, 2013 at 12:34 pmLiebe Mara,
nach Deiner Besprechung freue ich mich schon sehr auf “Honig”, “der” schon auf dem Stapel zum Lesen bereit liegt. Ich habe “Abbitte” und “Saturday” mit großen Vergnügen gelesen und bin nun beim Betrachten des Klappentextes (ja, reißerisch ist er auch) erst einmal zurückgeschreckt, denn einen James Bond konnte ich mir von McEwan eigentlich nicht vorstellen. Die Verknüpfung ziwschen Geheimdienst und Literatur in Hochzeiten des Kalten Kriges fand ich dann aber wieder sehr spannend. Und nun bin ich gespannt, ob mich auch eher die Liebesgeschichte interessiert oder sich vielleicht doch auch ein wenig historisches Zeitgefühl er-lesen lässt, so wie Du vermutest, dass der Roman auch ganz verschieden gelesen werden kann.
Viele Grüße, Claudia
PS: Als eben solche Vielleserin wie Serena wäre der Job der Literatur-Agentin ja auch etwas für Dich. Nicht, dass Dich noch irgendein Geheimdienst anwirbt :-)!
buzzaldrinsblog
December 16, 2013 at 2:35 pmLiebe Claudia,
komisch, ich scheine einer der wenigen zu sein, die mit “Abbitte” nicht viel anfangen konnten. Ich habe aber auch nur noch ganz dunkle Erinnerungen an die Lektüre und daran, dass mir der Roman nicht gefallen hat. Vielleicht sollte ich ihn einfach noch einmal lesen und mein Urteil überprüfen. 🙂 Der Klappentext von “Honig” ist in der Tat reißerisch und etwas übertrieben – ich glaube, ich hätte einen ganz anderen Klappentext formuliert, wenn man mich gelassen hätte.
Auch ich die Themenvielfalt spannend: Literatur sowieso, aber vor allem auch die Verknüpfung mit dem Geheimdienst und der Frage, ob man Literaten finden kann, die für den Staat schreiben und dessen politische Ausrichtung unterstützen.
Ich bin gespannt, für welche Lesart du dich entscheiden wirst und wünsche dir viel Vergnügen bei der Lektüre!
Liebe Grüße, Mara
P.S:: Ja, um ehrlich zu sein, konnte ich mich selbst ab und an auch in der Rolle von Serena Frome sehen, aber ich glaube, für den Posten der Literatur-Agentin wäre ich dann doch zu ängstlich.
serendipity3012
August 24, 2014 at 12:36 pmIch hatte nach mehreren Besprechungen zu dem Buch, auch im Fernsehen, wer weiß was erwartet, als “Kniff” am Ende und fand es dann eher enttäuschend. Meiner Meinung nach ist “Saturday” sein stärkstes Buch (von den von mir gelesenen), kennst Du es? Wenn nicht: Es lohnt sich! 🙂
Mara
August 26, 2014 at 8:28 am“Saturday” kenne ich noch nicht – ich habe vor “Honig” kaum etwas von Ian McEwan gelesen, irgendwie habe ich nie ganz begriffen, was alle so toll an ihm finden. Auch “Abbitte” habe ich nur quergelesen, um es irgendwann zur Seite zu legen. 🙂
Lieblinge im Taschenformat. | Klappentexterin
January 4, 2015 at 1:35 pm[…] sehr gerne gelesen habe.“ Die ausführliche Rezension findet ihr bei Mara von Buzzaldrins Bücher hier. Ich stimme Mara zu, dieses Buch ist wahrlich beeindruckend und spannend bis zum […]
Ian McEwan – Honig | Lesen macht glücklich
April 6, 2015 at 6:23 pm[…] Blogs – Dieter Wunderlich (Vorsicht, mit Spoiler, dafür sehr detailliert) – Buzzaldrins (in ihrer gewohnten, schmackhaft machenden Art) – wird noch weiter […]
macg82
April 8, 2015 at 8:12 amHallo Mara,
mittlerweile habe ich das Buch ebebenfalls gelesen (in der Edition Büchergilde) und kann mich deiner Meinung und deiner Schlussfolgerung nur anschließen. Vor allem kann ich bestätigen, dass dieses Buch nichts reißerisches an sich hatte, sondern ihm eher etwas melancholisches anhaftet. Fand ihn bis auf wenige, sich ziehende Passagen lesenswert.
Liebe Grüße
Marc