Im englischen Sprachraum wurde John Williams, der 1922 geboren wurde und 1994 starb, bereits 2006 neu aufgelegt und als literarische Wiederentdeckung gefeiert. Obwohl der Autor bereits zu Lebzeiten Erfolg hatte, er gewann unter anderem den National Book Award, feierte er den größten Erfolg posthum: “Stoner” avancierte nach seiner Wiederentdeckung zu einem Welterfolg. Dank der Übersetzung von Bernhard Robben liegt das Buch nun endlich auch in deutscher Sprache vor.
“William Stoner begann 1910, im Alter von neunzehn Jahren, an der Universität von Missouri zu studieren. Acht Jahre später, gegen Ende des Ersten Weltkriegs, machte er seinen Doktor der Philosophie und übernahm einen Lehrauftrag an jenem Institut, an dem er bis zu seinem Tode im Jahre 1956 unterrichten sollte.”
Mit diesen Sätzen beginnt der gewichtige Roman von John Williams. Es ist ein Leben und eine universitäre Karriere, die in wenigen Sätzen zusammengefasst wird und doch ist dies gleichsam nur der Auftakt für diesen knapp 350 Seiten starken Roman, der mit viel Liebe für das Detail und für erzählende Dialoge, die Geschichte von William Stoner erzählt. Geboren wird Stoner 1891 auf einer kleinen Farm im tiefsten Missouri: seine Eltern sind jung, doch der Vater ist bereits von der Arbeit gebeugt und die Mutter erträgt das Leben als etwas, das sie Jahr für Jahr durchstehen muss. Es ist eine Überraschung, dass Stoner die Chance erhält, sich aus diesen Verhältnissen heraus zu befreien und eine Universität besucht, doch er muss hart arbeiten für diese Möglichkeit.
Gründlich und gewissenhaft, doch irgendwie auch desinteressiert und widerwillig nimmt Stoner ein Studium der Agrarwissenschaft auf; nach dem Abschluss plant er auf die Farm der Eltern zurückzukehren. Doch in seinem zweiten Studienjahr wechselt er den Studiengang: statt sich in der Wissenschaft des Ackers weiterzubilden, nimmt er ein Studium der englischen Literatur auf und schnell wird ihm klar, dass er nie wieder nach Hause zurückkehren kann. Er hat seine Berufung gefunden; er hat etwas entdeckt, was ihm Sicherheit und Halt gibt. Doch bedeutet dies auch gleichzeitig, dass man ein glückliches Leben führt?
“Den Älteren bedeutet sein Name eine Erinnerung an das Ende, das sie alle erwartet, für die Jüngeren ist er bloß ein Klang, der ihnen weder die Vergangenheit näherbringt, noch eine Person, die sich mit ihnen oder ihrer Karriere verbinden ließe.”
Auch dies erfahren wir bereits auf den ersten Seiten über William Stoner. Es ist ein Satz aus dem Traurigkeit spricht. Es ist ein Satz, der darauf hindeutet, dass jemand nicht das erreicht hat, das er erreichen wollte. Es ist ein Satz, aus dem Unglück spricht und dieses Unglück manifestiert sich im Roman Seite für Seite, bis William Stoner schwer gezeichnet von einer Krebserkrankung stirbt. William Stoner trifft Entscheidungen, die ihn zum Außenseiter machen, die ihn vereinsamen lassen. Er ist einer der wenigen, der sich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht meldet, sondern an der Universität bleibt. Er sieht Freunde gehen und sterben und die, die nicht in den Krieg ziehen, sehen ihn schief an, weil er sich für den leichteren Weg entschieden hat. Es ist nicht der einzige Krieg, den Stoner erleben muss und es ist nicht das einzige Mal, dass er mit ansehen muss, wie die Flure sich leeren, weil übermütige Studenten glauben, in einen Krieg ziehen zu müssen, doch eigentlich gar nicht wissen, was es heißt, zu kämpfen. Stoner findet bereits in jungen Jahren eine Frau, seine Wahl fällt auf Edith, eine Tochter aus gutem Hause. Er glaubt sie zu lieben, dass sie ihn nicht liebt, fällt ihm nicht auf.
“Kaum war es vorbei, spürte er, dass sie einander auf eine Weise fremd waren, die er nicht erwartet hätte; und er wusste, er hatte sich verliebt.”
Edith entpuppt sich im Zusammenleben als eine krankhafte und hysterische Person und auch die gemeinsame Tochter Grace kann die unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen nicht kitten. Wo Liebe sein sollte, ist Kälte. Wo Wärme sein sollte, ist Hass. Wie das geschehen konnte, ist Stoner unbegreiflich. Was ihm bleibt, ist die Arbeit: er liebt es zu lesen und zu schreiben und auch an der Lehre beginnt er Gefallen zu finden. Literatur ist sein Refugium, sein Zufluchtsort vor der Lieblosigkeit seiner Frau.
“Die Liebe zur Literatur, zur Sprache, zum Mysterium des Verstandes und des Herzens, wie sie sich in den kleinen, seltsamen und unerwarteten Kombinationen von Buchstaben und Wörtern zeigt, in der schwärzesten, kältesten Druckertinte […].”
Stoners Arbeitsplatz ist die Universität und John Williams gelingen zahlreiche lesenswerte und hochspannende Szenen aus dem universitären Betrieb, der immer wieder bestimmt wird durch tiefe Grabenkämpfe in den eigenen Reihen. “Stoner” mag handlungsarm sein, aber der Roman zeichnet sich weniger dadurch aus, dass etwas geschieht, sondern durch die bewegende Lebensgeschichte eines Mannes, der nie das gefunden hat, was er gesucht hat und wenn er dachte, es zu haben, wurde es ihm wieder weggenommen. Es ist eine tragische Geschichte.
“In seinem dreiundvierzigsten Lebensjahr erfuhr William Stoner, was andere, oft weit jüngere Menschen vor ihm erfahren hatten: das nämlich jene Person, die man zu Beginn liebt, nicht jene Person ist, die man am Ende liebt, und dass Liebe kein Ziel, sondern der Beginn eines Prozesses ist, durch den ein Mensch versucht, einen anderen kennenzulernen.”
John Williams gehört für mich zu den großen amerikanischen Autoren und damit in eine Reihe mit James Salter, Richard Yates oder auch Philip Roth. Nicht nur seine Fähigkeit, ein mehrere Jahrzehnte umfassendes Zeitpanorama zu entfalten, ist beeindruckend, sondern genauso überzeugt auch die Wahl des Schauplatzes. “Stoner” ist ein beeindruckender Campusroman, beim Lesen kann man die alten Bücher in der Bibliothek riechen und die Atmosphäre in den Hörsälen beinahe mit allen Sinnen spüren. Genauso detailgetreu und genau skizziert der Autoren seine Figuren und ihre Beziehungen untereinander, er braucht nur wenige Pinselstriche um ganz viele vielschichtige zwischenmenschliche Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
“Stoner” ist ein Roman über die Liebe zur Literatur, über Menschlichkeit und das Gefühl ein Leben gelebt zu haben, mit dem man gescheitert ist. Es ist ein Roman über abgestorbene Gefühle und Leidenschaften, die neu entdeckt werden. John Williams erzählt die Lebensgeschichte seines Helden, die als eine Geschichte des Versagens und Scheiterns gelesen werden kann, mit so viel Liebe und tiefer Menschlichkeit, wie auch ich sie beim Lesen für William Stoner empfunden habe.
13 Comments
Karthause
December 20, 2013 at 2:06 pmWas für eine schöne Rezension. Mit “Stoner” werde ich das Lesejahr 2014 beginnen. Ich freue mich schon sehr darauf.
buzzaldrinsblog
December 22, 2013 at 11:17 amDa kannst du dich auch drauf freuen, liebe Heike! 🙂 Es ist eine wunderbare Lektüre und ich hoffe, der Roman gefällt die ähnlich gut, wie mir!
Conor
December 20, 2013 at 2:34 pmLiebe Mara,
wie schön, dass dir “Stoner” ebenfalls gut gefallen hat. Warum der Roman nur so lange vergessen war…. eigentlich unverständlich.
Danke für die schöne Rezension, wo ich ausnahmsweise das Buch vor dir gelesen habe.:)
Liebe Grüße
Conor
buzzaldrinsblog
December 22, 2013 at 11:16 amLiebe Conor,
ich finde das immer wieder traurig, wie schnell Bücher in Vergessenheit geraten können. Ein ähnliches Schicksal hat ja auch Richard Yates ereilt und wahrscheinlich noch viele andere Autoren und Autorinnen, von denen ich gar nichts weiß. Ich hoffe, dass der DTV nun weitere Bücher von John Williams übertragen wird – ich würde mich zumindest sehr darüber freuen.
Liebe Grüße
Mara
Klappentexterin
December 20, 2013 at 8:25 pmLiebe Mara,
Stoner ist ein wunderbares, anmutiges Buch, das ich so schnell nicht vergessen werde. Danke für deine schöne Rezension, die mir aus dem Herzen spricht.
Herzlich,
Klappentexterin
buzzaldrinsblog
December 22, 2013 at 11:11 amLiebe Klappentexterin,
ich freue mich so sehr, dass es wieder ein Buch gibt, für das unsere beiden Herzen gleichermaßen schlagen! 🙂 Für mich war Stoner eines der Lesehighlights in diesem Jahr und ich hoffe sehr, dass auch die anderen Bücher des Autors noch ins Deutsche übertragen werden.
Liebe Grüße
Mara
Xeniana
December 20, 2013 at 8:35 pmIch schließe mich den Kommentatoren an. Eine wunderbare Besprechung über ein wunderschönes Buch, dass berührt und einen in seinen Bann zieht. Ich habe es in einer Nacht durchgelesen und bin am nächsten Morgen völlig übermüdet zur arbeit gegangen….
buzzaldrinsblog
December 22, 2013 at 11:10 amLiebe Xeniana,
das sind doch die besten Bücher, die man sogar nachts nicht mehr zur Seite legen kann. 🙂 So mitten im Weihnachtsgeschäft ist mir so etwas leider nicht mehr möglich, zu müde bin ich am Abend. Ich hoffe aber, an den Feiertagen wieder das ein oder andere Buch durchschmökern zu können.
Liebe Grüße
Mara
Ramblingbrother
December 22, 2013 at 4:29 pmLiebe Mara,
“Alles was ist” und “Stoner” werden die Bücher sein, die ich im neuen Jahr als erste lesen werde.
Dir ein frohes und zufriedenes Weihnachtsfest und ein gesundes, glückliches neues ahr.
Liebe Grüße
Achim
buzzaldrinsblog
December 26, 2013 at 1:51 pmLieber Achim,
wie schön, ich bin ganz gespannt darauf, wie beide Bücher dir gefallen werden. 🙂 Ich habe Autoren wie Salter und John Williams einfach ins Herz geschlossen, auch Yates und Wolff zählen für mich dazu. Sie haben eine Art zu erzählen, die mich einfach in den Bann zieht.
Danke auch für deine guten Wünsche, ich hoffe, auch du hast ein schönes Weihnachtsfest gehabt.
Liebe Grüße
Mara
„Stoner“, der liebenswürdige Purist. | brasch & buch
October 27, 2014 at 12:16 pm[…] Es freut mich, dass es auch anderen Bloggern ähnlich ergangenen ist: Feiner Reiner Buchstoff, Glanz und Elend, Buzzaldrins. […]
„Stoner“, der liebenswürdige Purist. | brasch & buch
February 11, 2015 at 7:53 am[…] dass es auch anderen Bloggern ähnlich ergangenen ist: Feiner Reiner Buchstoff, Glanz und Elend, Buzzaldrins, […]
[Rezension] Stoner von John Williams | Lovely Mix
October 31, 2015 at 4:48 pm[…] Buzzaldrins […]