Tage zwischen gestern und heute – Andreas von Flotow

Andreas von Flotow wurde 1981 in Dannenberg geboren und lebt heutzutage in Berlin. Er hat als Dramaturgieassistent gearbeitet, unter anderem am Maxim Gorki Theater Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Daneben war in einer Kunstbuchhandlung tätig, sowie als Lektor. Mit “Tage zwischen gestern und heute” legt Andreas von Flotow, der heutzutage als freier Dramaturg arbeitet, seinen Debütroman vor.

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Andreas von Flotow legt mit “Tage zwischen gestern und heute” einen Roman vor, dessen Handlung in unserer heutigen Gegenwart wurzelt, dessen Ich-Erzähler sich jedoch bereits im Jahr 2031 befindet. Der Erzähler, der namenlos bleibt, begibt sich zurück in seine Kindheitserinnerungen, versetzt sich zurück in den Jungen, der er gewesen ist. Zweimal ist das Leben des Jungen zerbrochen, in so viele Einzelteile, dass es kaum noch zusammenzufügen ist. An dem Tag, an dem er zehn Jahre alt wird, werden seine Eltern von seinem Onkel erschossen. Der Vater stirbt sofort, die Mutter befindet sich fünf Jahre lang in einer Art Wachkoma – in einem Schwebezustand, zwischen Bewusstsein und Schlaf, aus dem sie niemand mehr herausholen kann. Sie stirbt, als der Erzähler fünfzehn Jahre alt ist.

“Meine erste Erinnerung, wenn ich an die frühe Kindheit denke: Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem es besonders laut oder lärmend um mich herum gewesen wäre.”

Die Erinnerungen an den Unglückstag, der alles verändern sollte, sind schwammig und vage, doch der Erzähler versucht sich hinein zu begeben in das Leben, das er als Kind geführt hat. Er versucht die Erinnerungsfetzen, die ihm geblieben sind, zu erforschen, zu untersuchen und zusammenzusetzen. Er begibt sich zurück in die Zeit vor dem Unglück, in die Zeit danach, als er bei seiner ungeliebten Großmutter leben muss, die er Tante Eve nennt.

Der Erzähler erlebt eine behütete Kindheit, auch wenn seine Eltern häufig abwesend sind. Mit seiner Mutter, die eine berühmte Sängerin ist, lebt er in Amerika, der Vater hält sich häufig in Frankreich auf. Wenn er doch einmal bei seiner Familie ist, versinkt er immer wieder in der Welt der Bücher, liest und schreibt kleine Zettelchen voller Notizen, die er zwischen die Buchseiten legt. Helen, das Kindermädchen, ist ein wichtiger Teil der Familie – sie ist diejenige, die die wohl engste und liebevollste Beziehung zu dem Erzähler hat.

“Der Tag, an dem meine Mutter starb, ist für mich im selben Augenblick Traum und Wirklichkeit; einerseits eine traumhaft logische, aber leider nur spürbare Folge unzähliger Ereignisse, andererseits eine exakte und greifbare Nachbildung der Vergangenheit vor meinem geistigen Auge.”

Der Blick zurück in die Vergangenheit ist gleichzeitig auch ein Blick auf die Eltern, die immer irgendwie da waren, denen der Erzähler jedoch nie nahe gekommen ist. Der Blick zurück auf das, was geschehen ist, ist auch ein Versuch, sich dem Kind anzunähern, das man gewesen ist und dabei die Eltern zu ergründen, die nur viel zu kurz Teil des eigenen Lebens gewesen sind.

“Im Jahr 2005 sind meine Eltern Opfer eines Anschlags geworden, den mein Onkel, ein Halbbruder meiner Mutter, verübt hat. Er feuerte dreizehn Schüsse ab, mein Vater war sofort tot, meine Mutter starb fünf Jahre später. Die folgende Erzählung ist eine kurze, hier und da bebilderte Chronologie meiner Kindheit bis zum Tod meiner Mutter. Sie ist durchwoben mit den Daten meines Lebenslaufes und stellt vermutlich den entscheidenden Teil des geistigen Fundamentes dar, auf dem ich als fünfzehnjähriger Junge stand. ich erzählte der Reihe nach und behalte die Natur der Ordnung im Hinterkopf: Sie ist ein Phänomen der Oberfläche, darunter ist es wüst und leer.”

“Tage zwischen gestern und heute” ist ein Roman, der so kurz ist, das er schon fast eine Novelle sein könnte. Der Text lässt mich zwiespältig und mit vielen offenen und unbeantworteten Fragen zurück. Die Chronologie der Kindheit liest sich vielmehr als Steinbruch, als ein Trümmerhaufen der Erinnerungen. An vieles erinnert sich der Erzähler nicht mehr, vieles ist ihm unklar. Vieles bleibt dadurch auch dem Leser verborgen, wir tauchen zwar ein in diese Bruchstücke einer Kindheit, doch auf viele Fragen gibt es keinerlei Antworten. Die drängendste Frage war für mich die Frage nach dem warum? Wie konnte es zu dieser Tat kommen? Antwortversuche auf diese Frage gibt es nur spärlich.

Der Blick zurück auf die Kindheit, ist ein Blick, über den ich in vielen Romanen gestolpert bin zuletzt. Doch in diesem Roman funktioniert die gewählte Perspektive für meinen Geschmack nicht wirklich. Über der Kindheit des Erzählers liegt ein dunkler Schleier, der nur stellenweise Licht durchlässt. Vieles bleibt unklar, vieles bleibt schwammig. Ich fühle mich beinahe schon verloren in dieser Erzählung, die bereits vorbei ist, bevor sie eigentlich so wirklich begonnen hat. Andreas von Flotow deutet an, dass er erzählen kann, er deutet an, dass er Charaktere entwerfen und Szenen gestalten kann, doch all diesem fehlt dann doch ein verbindendes Element. Nach dem Zuklappen der letzten Seite gibt es nicht vieles, das von dieser Lektüre in mir zurückbleibt. Am meisten beeindruckt hat mich vielleicht die Bücherliebe des Vaters, die er an seinen Sohn weiterreicht. Es sind die Bücher, die dem Erzähler helfen, in Kontakt zu sich selbst und zu seiner Mutter zu kommen. Die Bücher des toten Vaters ziehen irgendwann im Zimmer des Sohnes ein und werden für ihn zu einer Art Rettungsanker, nicht unbedingt, weil er sie alle liest, sondern allein durch ihre Präsenz.

“Am liebsten würde ich hier jedes einzelne Buch meines Vaters mit einem Satz erwähnen, wenigstens etwas darüber sagen. Nicht unbedingt über den Inhalt, eher über ein paar wiederkehrende Gedanken, über das Gefühl, das diese Bücher in mir wecken, wenn ich mir nur die Titel in Erinnerung rufe. Aber ich schweige lieber. Über die wichtigsten Sachen lässt sich am wenigsten sagen.”

Andreas von Flotow legt mit “Tage zwischen gestern und heute” einen schmalen Roman vor, der mich leider nicht überzeugen konnte. Die Grundidee hat mich noch begeistern können, doch dem Autor gelingt es leider nicht wirklich, diese Idee auch mit Inhalt zu füllen. Vieles in diesem Roman bleibt deshalb leider Stückwerk, gute Ansätze sind dabei zwar immer wieder zu erkennen, mehr aber leider auch nicht.

13 Comments

  • Reply
    dasgrauesofa
    April 8, 2014 at 7:54 am

    Liebe Mara,
    endlich mal keine Empfehlung! Wie gut das tut! Kein Drang, kein Zwang zu einem neuen Buch, nein, einfach mal den Tag mit den vielen alten genießen, sie hätscheln und tätscheln, mit ihnen wispern und plaudern, ganz ohne störenden Neuankömmling.
    Viele augenzwinkernde Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 9, 2014 at 3:26 pm

      Liebe Claudia,

      puh, ich empfehle ja in der Tat lieber und diese negativen Besprechungen fallen mir einfach super schwer, aber manchmal müssen sie einfach sein – auch ich lese ja schließlich nicht nur ausschließlich Dinge, die mir gefallen (auch wenn manchmal dieser Eindruck entstehen könnte). 😉

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Bücherphilosophin
    April 8, 2014 at 10:21 am

    Ich stimme Dir voll und ganz zu, das Buch ist irgendwie unfertig. Andreas von Flotow hätte gut daran getan sich die Zeit zu nehmen die Lücken zu füllen und dem Leser so etwas mehr Hintergrundgeschichte zu geben.
    Für mich waren die Figuren Vater und Mutter irgendwie schemenhaft, was sicher damit zusammenhängt, dass die Geschichte aus Sicht des Erzählers so lange zurück liegt.
    Das ist ein interessanter stilistischer Kniff, der hier aber nicht so richtig zu funktionieren scheint. Vielleicht fehlt dem Autor dafür die Erfahrung, dies ist schließlich sein erster Roman.

    Mal was anderes, wie findest Du denn “Das Huhn…” bisher?
    Ich hab das Buch letztes Jahr gelesen. Es ist ja auch eher kurz, aber trotzdem irgendwie rührend.

    LG, Katarina 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 9, 2014 at 3:23 pm

      Liebe Katarina,

      ich teile deine Gedanken zum Buch, das auf mich den Eindruck macht, unfertig zu sein. Es fehlt einfach irgendetwas, das alles erklärt und zusammenhält – so bleibt vieles einfach unklar. Natürlich liegt das, wie du ja auch selbst schreibst, mitunter an der Perspektive, doch dem Autor ist es einfach nicht gelungen, mich mit dieser ungewöhnlichen Perspektive zu packen und mitzunehmen. Schade.

      Das Huhn habe ich übrigens schon durchgelesen und auch besprochen, ich muss mal dringend das Bildchen austauschen! 😉

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        Bücherphilosophin
        April 9, 2014 at 5:33 pm

        Wann das denn? Da muss ich direkt mal schauen.
        Ich hab seit einiger Zeit das Gefühl, dass mein Reader Beiträge schluckt. Ich muss da mal nachforschen gehen. Vielleicht hab ich es auch einfach nur übersehen.

        LG, Katarina 🙂

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    April 8, 2014 at 11:44 pm

    Liebe Mara,
    was für ein Glück, diese Besprechung! Erstens, weil ich das Gefühl habe, Deine Besprechung ist besser sein, als das Buch selber und zweitens, weil ich das Buch gar nicht auch nur in Erwägung zu ziehen brauche. Das ist mal ein komischer Kommentar, aber irgendwie bin ich erleichtert und schließe mich Claudia da in jeder Hinsicht an…
    Liebe Grüße, Kai

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 9, 2014 at 3:19 pm

      Lieber Kai,

      mir fallen negative Besprechungen immer super schwer, ich empfehle viel lieber, ich stecke Leute gerne mit meiner Begeisterung an – doch das funktioniert nicht immer und in diesem Fall habe ich leider wenig gefunden, das mich begeistern konnte. Leicht fällt mir das aber nicht gerade, ich habe schon fast ein schlechtes Gewissen dem armen Buch gegenüber. 😉

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    (Die Sonntagsleserin) KW #15 – April 2014 | Bücherphilosophin.
    April 13, 2014 at 6:00 am

    […] heute” erschien letzten Monat und nicht nur ich, habe es diese Woche rezensiert. Mara von Buzzaldrins Bücher war zwar ähnlich enttäuscht von diesem etwas kargen Debüt, wie ich es war. Doch ihre […]

  • Reply
    [Die Sonntagsleserin] KW #15 – April 2014 | Phantásienreisen
    April 13, 2014 at 7:02 am

    […] und Szenen gestalten kann, doch all diesem fehlt dann doch ein verbindendes Element”, hält Mara fest und auch Katarina ist der Ansicht, dass “Tage zwischen gestern und heute” ein Roman […]

  • Reply
    andreasthamm
    May 1, 2014 at 1:56 pm

    Jawohl, Grundkonstrukt anspruchsvoll, Umsetzung verbesserungswürdig, recht Ähnlich gelesen.
    http://derderm.wordpress.com/2014/05/01/identitatsroman-mit-oma/

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 2, 2014 at 12:07 pm

      Schön, dass du den Roman ebenso gelesen hast, wie ich – oder vielleicht besser: nicht schön. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was wir von dem Autor in Zukunft noch hören werden, Talent hat er auf jeden Fall! 🙂

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