Zu Beginn der Woche ist im Hanser Verlag ein Buch erschienen, das quer durch die Literaturblogs getourt ist und für Furore gesorgt hat. Vollkommen zu Recht, wie ich finde! Ich habe das große Glück gehabt, die Debütantin zum Gespräch bitten zu dürfen
Foto: © Julia Klug
Eigentlich wollte ich dich nach deinen Erfahrungen beim Bachmann-Preis fragen, doch dann kamen die Windpocken dazwischen. Dass du nicht lesen konntest, muss eine große Enttäuschung für dich gewesen sein, oder?
Klar. Was für ein beschissenes Timing. Ich hab geheult, als das Laborergebnis der Blutuntersuchung kam. Ich konnte das gar nicht fassen. Ich hatte die Windpocken schon als Kind gehabt, ein Großteil der Menschen entwickelt dann Antikörper. Ein winzig kleiner Teil der Menschen aber nicht…
Ich meine, wie groß ist bitte die Wahrscheinlichkeit, die Windpocken zweimal zu bekommen? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, zum Bachmannpreislesen eingeladen zu sein und gleichzeitig die Windpocken zu haben? Verrückt.
Wir (mein Verlag und ich) haben dem ORF echt alles angeboten: Skypelesung, Liveschaltung zum NDR nach Hamburg, im Auto runterfahren und vor Ort in einem Quarantänestudio lesen… Aber die wollten das alles nicht. Letztlich bin ich ja nur weggeblieben, um die Gesundheit der anderen zu schützen, weil die Krankheit hochansteckend ist. Ich hab mich eigentlich relativ gut gefühlt und hätte allemal lesen können.
Ich hab jetzt von der Gesundheitsbehörde einen Meldezettel bekommen wegen der Erkrankung, wo ich genau beschreiben musste, mit wem ich im Kontakt war und wo ich mich aufgehalten habe…
Wie stehen denn die Chancen, dass du stattdessen im nächsten Jahr dabei sein wirst?
Keine Ahnung.
In deiner Biografie steht, dass du Kosmonautin werden wolltest und Fallschirmspringen gelernt hast, klingt ungewöhnlich – was genau hat es damit auf sich?
Als ich acht, neun Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal Aufnahmen aus dem Weltraum von der Erde und dem Mond gesehen. Das hat mich tief beeindruckt. Wunderschöne und verstörende Bilder. Ich kannte Land- und Weltkarten von der Erde, aber da war plötzlich alles anders: Afrika stand Kopf und war „oben“. Ich begriff, dass es im Weltraum kein Oben und kein Unten gibt, dass es nur eine Frage der Perspektive ist. Das fasziniert mich bis heute. Ich war später gut in Mathe und Physik. Ich wollte da unbedingt hin, in den Weltraum. Auf Bayern3 liefen spätabends Raumfahrtaufnahmen. Und die Kosmonauten schienen mir so viel sympathischer als die Astronauten, ich wollte unbedingt Kosmonautin sein. Dann hieß es: Mit Plomben kann man das vergessen. WHAT!? Ein kleiner Traum zerbröselte, die Mauer fiel, die Sowjetunion zerbröselte auch und schwupp hatte ich einen Irokesenhaarschnitt und hörte Punk und mein Weltraum war auf einmal auf der Erde.
Du schreibst für das Theater und veröffentlichst diesen Herbst einen Erzählungsband – woraus ist bei dir der Impuls entstanden, zu schreiben?
Ich bin ins Schreiben reingeraten und konnte nicht mehr aufhören. Jetzt ist das Schreiben mein Schwimmflügel, um irgendwie mit dieser Lebensunverschämtheit klarzukommen. Es ist ein auch Weg, Ohnmacht zu überwinden. Die Ohnmacht, mit all dem klarzukommen, was ist.
„Wir haben Raketen geangelt“ ist deine erste Prosaveröffentlichung – ist dir die Arbeit daran schwer gefallen?
Nicht mehr als das Schreiben anderer Texte. Klar ringe ich. Zweifle ich. Immer wieder. Suche nach Worten. Suche nach Wegen, das auszudrücken, frage mich, was ich zu sagen habe. Ich scheitere auch. Versuche es neu. Anders. Besser. Ich lerne. Ich übe. Ich bin eben auch noch eine Anfängerin.
Du bist Mitglied im Forum Hamburger Autoren und Autorinnen – wie wichtig ist die damit verbundene Möglichkeit, sich auszutauschen und gemeinsam an Texten zu arbeiten, für dein Schreiben?
Als ich anfing zu schreiben, war mir der Austausch sehr wichtig, weil ich gar nichts wusste. Da war ich sehr froh, dass die mich aufgenommen hatten und dass die anderen Autoren dann auch was zu meinen Texten sagen wollten. Ich kann mit konstruktiver Kritik auch sehr viel anfangen. Mittlerweile ist es mir manchmal zu viel, wenn sehr viele unterschiedliche Leute aus einem Impuls heraus etwas zu einem Text sagen. Da frage ich mittlerweile lieber gezielter einzelne Autoren, ob sie mal was lesen würden und hole mir die Kritik von einzelnen, die sich etwas länger mit einem Text beschäftigen mochten.
Du schreibst auch Theaterstücke, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder – wie gelingt es dir, dich beim Schreiben in die Vorstellungswelt von Kindern zu versetzen?
Ich nehme Kinder ebenso ernst wie Erwachsene. Es macht eigentlich keinen großen Unterschied für mich, ob ich für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene schreibe. Der Unterschied liegt vielleicht nur darin, wie ich Themen verpacke. Wichtig ist mir, meine Zielgruppe zu kennen, wenn ich für sie schreibe. Ich meine, was weiß ich über Teenager aus einer Kleinstadt von heute? Ich muss hingehen und sie kennen lernen, mich mit ihnen beschäftigen, ihnen zuhören, sie ernst nehmen, ihnen Fragen stellen und Möglichkeiten geben, sich mir anzuvertrauen. Ich möchte offen bleiben, von ihnen zu lernen und mir nicht mit einem vorgefertigten Bild Sachen für sie ausdenken.
Und letztlich: Selber Kind sein. Das hört sich nach Selbsthilfebuch an, soll es sich gar nicht, aber ich habe mir irgendwie ein paar innere Kinder bewahren können. Mit Musik finde ich sehr leicht zu meinem inneren Teenager zurück. Da muss ich nur eine Dead Kennedys-LP auflegen. Zack: Wieder 15.
Du bist ja nicht nur Autorin, sondern auch Schauspielerin und Illustratorin. Gibt es etwas, das du lieber machst als das andere?
Nein. Das, was ich tue, tue ich mit Hingabe. Ich erzähle Geschichten.
Hast du schon Pläne für die Zukunft? Arbeitest du vielleicht sogar schon an einem neuen Projekt?
Für die nächsten zwei Spielzeiten habe ich Schreibaufträge von verschiedenen Theatern, für sie entwickele ich neue Jugenstücke. Ich habe aber auch Lust, mich einem längeren Prosatext zu widmen. Es gab mehrere Anfänge von etwas, die ich allesamt verworfen habe, weil ich gerade sehr kritisch mit mir bin. Nun gibt es eine Ahnung von etwas Neuem, und ich frage mich gerade: Was kann-soll-muss überhaupt von mir geschrieben werden? Es kommen so überwältigend viele Bücher auf den Markt, da wird mir immer ganz anders, wenn ich das beobachte. Ich frage mich, was für Literatur kann ich überhaupt noch mit gutem Gewissen schreiben? Welche Themen sind meine? Warum muss diese Geschichte erzählt werden? Und wie muss sie erzählt werden? Ich will nicht Teil einer Maschinerie werden, ich will etwas zu sagen haben.
21 Comments
Kerstin
August 29, 2014 at 10:37 amTolles Interview! Keine langweiligen Fragen gestellt – sehr interessant!
Mara
September 1, 2014 at 4:10 pmIch finde es immer so schwer spannende Fragen zu finden, die noch nicht tausendmal gestellt wurden, deshalb freue ich mich über deine Rückmeldung!
juttareichelt
August 29, 2014 at 10:40 amInteressante Autorin, kluge Fragen = tolles Interview!
Mara
September 1, 2014 at 4:10 pmDanke dir! 🙂
skyaboveoldblueplace
August 29, 2014 at 11:15 amLiebe Mara,
ein klasse Interview mit einer sehr aussagefreudigen und unprätentiösen Autorin. Herzerfrischend!
Ihren Satz zum Schreiben für Kinder: “Da muss ich nur eine Dead Kennedys-LP auflegen. Zack: Wieder 15.” finde ich wunderbar, bei mir wäre es was anderes, aber genau so geht es.
Hofften wir, dass sich Ihre Zweifel zum Ende des Interviews wieder auflösen. Auf die Frage, was eigentlich geschrieben werden muss, wäre meine Antwort schlicht: alles, was gut ist. Und da scheint die Frau doch die allerbesten Voraussetzungen zu haben..
Liebe Grüsse
Kai
Mara
September 1, 2014 at 4:09 pmLieber Kai,
ich freue mich sehr, dass dir das Interview gefällt! 🙂
Ich hoffe auch, dass sich diese Zweifel auflösen werden, denn Karen Köhler hat mich mit ihren Erzählungen wirklich beeindruckt und ich würde es mir sehr wünschen, bald wieder etwas von ihr zu lesen: am Liebsten einen ganz ganz dicken Wälzer.
Liebe Grüße
Mara
dasgrauesofa
August 29, 2014 at 5:19 pmEin sehr schönes Interview, das es ja noch viel schwerer macht, das Buch NICHT lesen zu wollen…. :-)!
Viele Grüße, Claudia
Mara
September 1, 2014 at 3:22 pmLiebe Claudia,
in der Tat, in der Tat – nach der Longlist, solltest du unbedingt zu den Raketen greifen! 🙂
dj7o9
August 29, 2014 at 10:11 pmklarer Fall – das Raketenbuch muß geangelt werden 😉
Mara
September 1, 2014 at 3:18 pmSehr gute Entscheidung, zu der ich dich nur beglückwünschen kann! 😀
wortlandschaften
August 30, 2014 at 1:13 pmHaha, ich bin auch mit Space Night auf BR3 aufgewachsen. Als Musikuntermalung lief in einer Folge der Song Dream a little dream of me von Mama Cass, den ich damals eine ganze Weile aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen mit Marilyn Monroe in Verbindung brachte 😛 Und danach zum Sendeschluss die Bayernhymne. Es gab noch Ansagerinnen und in den Sommerferien wurden Regenfilme gezeigt (übrigens nicht bloß Heimatfilme). Lange ist’s her…
Schönes Interview! Sehr sympathisch. “Ich nehme Kinder ebenso ernst wie Erwachsene.” Das gefällt mir und finde ich richtig.
Mara
September 1, 2014 at 3:16 pmHallo Wortlandschaften,
ich freue mich so sehr darüber, endlich wieder von dir zu lesen – danke für deinen Kommentar. Ich kenne die Space Night übrigens nicht, ich schaue später mal, ob sich davon vielleicht noch alte Folgen auf YouTube finden lassen. 🙂
Ich finde die Einstellung, Kinder genauso ernst zu nehmen, wie Erwachsene, auch schön!
Dir ganz liebe Grüße
Mara
wortlandschaften
September 6, 2014 at 4:42 pmHallo Mara,
die Sendung läuft seit 20 Jahren, allerdings war das damals der Schlusspunkt des Programms. Da war irgendwann Programmschluss und auf ARD, ZDF, HR usw. liefen Testbilder. Auf BR3 konnte man zu nachtschlafender Stunde hingegen die wunderbaren Satellitenbilder sehen, untermalt von schöner Musik.
Ich habe gerade gelesen, dass die Sendung für kurze Zeit (Januar-Februar 2013) eingestellt wurde. Die GEMA verlangte zu hohe Tantiemen. Kein Wunder, dass ich keine Sendung mit der ursprünglichen Musik gefunden hatte. Es gibt allerdings eine Webseite, auf der man die Playlists der jeweiligen Episoden nachlesen kann. Da finden sich dann so schöne Klassiker wie Caravans on the Move von Mike Batt.
Manches war früher eben doch besser. 😉 Und jetzt genug des Off-Topics. 🙂
Viele Grüße
Maren Wulf
August 31, 2014 at 4:01 pmGroßartiges Interview!
Mara
September 1, 2014 at 3:05 pmDanke, ich freue mich über deinen Kommentar! 🙂
nymphodora
September 1, 2014 at 6:48 pmTolles Interview und es zeigt, dass die Dame recht sympathisch ist. Mannomann, komme gar nicht hinterher mit dem lesen aller guten Neuerscheinungen
madameflamusse
September 2, 2014 at 12:08 pmTolles Interview, tolle Antworten – ich kann ihre Fragen alle so sehr nachvollziehen. Und das Foto finde ich auch wunderwunderschön.
Mara
September 2, 2014 at 2:28 pmIch fand die Antworten auch toll, genauso toll wie ihr Buch und ich hoffe so sehr, dass sie all ihre Fragen und Zweifel überwindet, um uns bald das nächste Buch zu schenken. 🙂
madameflamusse
September 2, 2014 at 3:27 pmIch glaube ehrlich das so Zweifel einen schon behindern können, aber gleichzeitig lassen Sie den Menschen eben Meisterwerke erschaffen.. – da geht nix schnell und husch und irgendwie sondern hat ganz viel Tiefe. Ich glaube die Fragen sind ganz sehr nötig für gute Literatur.
🙂 und ich hoffe natürlich wieder auf die Bibo – bei der ich übrigens am Do ein Vorstellungsgespräch habe. Liebe Grüße und bitte Daumendrücken
Mara
September 2, 2014 at 3:39 pmIch glaube, dass Zweifel notwendig sein können, so lange sie einen nicht am Leben hindern. Ich habe in den letzten Monaten viele Autoren getroffen, die alle dasselbe gesagt haben: sie zweifeln vor einem neuen Buch genauso wie vor dem ersten, trotz des Erfolgs. Ich finde Zweifel sympathisch.
Für dein Vorstellungsgespräch drücke ich dir alle verfügbaren Daumen und Bandit drückt seine Pfoten! 🙂
madameflamusse
September 2, 2014 at 5:54 pmDanke, wie cool. Und ja ein hoch aufs Zweifeln wenns nicht zuvil und zu oft wird (das kenne ich leider auch) 🙂