Benjamin Alire Sáenz erzählt in seinem Roman Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums die berührende Geschichte von zwei Jungen und einer ganz besonderen Freundschaft. Es geht um Vertrauen, Liebe und den Wunsch danach herauszufinden, wer man eigentlich wirklich ist. Ganz nebenbei geht es natürlich auch noch um die großen (und kleinen) Geheimnisse des Universums …
Das Problem mit meinem Leben war, dass ich nicht selbst darüber bestimmte.
Es ist Sommer 1986 und als Aristoteles eines Morgens die Augen aufmacht, stellt er mit Bedauern fest, dass die Welt immer noch dieselbe ist: nichts hat sich über Nacht verändert und auch im Radio laufen immer noch dieselben Songs. Aristoteles ist fünfzehn Jahre alt und führt ein langweiliges Leben. Spannend ist an ihm einzig und allein sein ungewöhlicher Name – den hat er seinem Großvater zu verdanken. Als Aristoteles, der am liebsten Ari genannt wird, eines Tages den gleichaltrigen Dante im Schwimmbad trifft, verändert sich sein Leben doch noch und zwar schlagartig.
Während Dante schwimmen kann, ist Aristoteles noch Nichtschwimmer. Diese Tatsache könnte fast wie eine Metapher gelesen werden, denn es gibt so vieles mehr, das Dante weiß und von dem Aristoteles noch nie gehört hat. Während Dante in einer gefestigten Familie aufwächst, ist die von Ari ganz ausgefranst und auf einem bröckeligen Fundament errichtet: sein ältester Bruder sitzt im Gefängnis. Gesprochen wird darüber nie. Der Bruder wird aus der Familie ausgeklammert, als wäre er verstorben. Auch über den Kriegseinsatz von Aris Vater wird nicht gesprochen. Aus Vietnam ist er mit vielen fürchterlichen Erinnerungen heimgekehrt und mit einem Schweigen, das mehrere hunderte Kilo wiegt.
Ich war also der Sohn von einem Mann, in dem der Vietnamkrieg lebte. Klar, ich hatte alle möglichen tragischen Gründe für mein Selbstmitleid. Dass ich fünfzehn war, half auch nicht gerade. Fünfzehn zu sein, dachte ich manchmal, war die schlimmste Tragödie von allen.
Dante und Ari haben eine Gemeinsamkeit: beide stammen aus Familien, die von Mexiko nach Amerika ausgewandert sind und sich dort ein neues Leben und ein neues Zuhause aufgebaut haben. Ihre beiden Leben sind ansonsten jedoch grundverschieden. Während die Familie von Dante einen offenen und fröhlichen Umgang miteinander pflegt, ist das Zuhause von Ari von einem tiefen Schweigen belastet. Während Dante mit großer Leidenschaft zeichnet und davon träumt, Künstler zu werden, hat Ari keine Interessen und auch keine Freunde. Er weiß einfach nicht, wie er das anstellen soll, dieses Freundefinden. Auch ein Mädchen hat Ari noch nie geküsst und eigentlich ist er sich auch gar nicht mehr sicher, ob er ein Mädchen küssen möchte oder vielleicht doch einen Jungen …
Durch Dante lernt Ari nicht nur, wie man im Wasser nicht untergeht, sondern er lernt auch alles über die Geheimnisse des Universums: was bedeutet eigentlich Freundschaft, Liebe und Loyalität? Wie findet man seinen Platz im Leben, wenn man merkt, dass man anders ist, als alle anderen. Warum ist es wichtig miteinander zu reden? Warum kann es vielleicht sogar Spaß machen, über die Welt zu philosophieren? Ari lernt, wie belastend Geheimnisse sind und wie alleine man sich in einem großen Schweigen fühlen kann. Sein Bruder lebt noch, doch es ist, als wäre er gestorben. Ari hat ihn schon lange nicht mehr gesehen und zu Hause wird nicht darüber gesprochen, warum der älteste Sohn im Gefängnis sitzt. Das Schweigen, in das sich sein Vater hüllt, ist erdrückend – für den Vater selbst, aber auch für die ganze Familie. Auch Ari selbst hat ein Geheimnis, das er so weit weggepackt hat, dass er selbst gar nichts davon wissen möchte.
Warum lächeln wir? Warum lachen wir? Warum fühlen wir uns allein? Warum sind wir traurig und verwirrt? Warum lesen wir Gedichte? Warum weinen wir, wenn wir ein Gemälde sehen? Warum ist unser Herz in Aufruhr, wenn wir lieben? Warum schämen wir uns? Was ist das Ding in unserer Magengrube, das wir Sehnsucht nennen?
Benjamin Alire Sáenz legt mit Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums ein wunderbares Buch vor: es ist traurig und berührend, daneben aber auch witzig und unterhaltsam. Die Sprache ist stellenweise poetisch, überwiegend jedoch von einer schlichten Intensität getragen. Es klingt wahrscheinlich wie ein Klischee, doch ich habe das Buch in die Hand genommen und konnte es kaum noch zur Seite legen. Es ist beeindruckend, mit wie viel Feingefühl und Ehrlichkeit Benjamin Alire Sánz über das Erwachsenwerden schreibt und darüber, wie schwierig es ist, einen Platz in dieser Welt zu finden, wenn man anders ist, als alle anderen.
Die Geschichte von Aristoteles und Dante ist eine Geschichte, die für Jugendliche geschrieben wurde, die aber auch von Erwachsenen gelesen werden kann. Es ist die Geschichte einer Entdeckungsreise: entdeckt werden die kleinen großen Geheimnisse des Universums, die Liebe und was es heißt, zu sich und seinen eigenen Gefühlen zu stehen. Das ist unglaublich lesenswert – für alle großen, aber auch für alle kleinen Leser und Leserinnen.
Irgendwie hatte ich gehofft, dies würde der Sommer, in dem ich feststelle, dass ich lebendig bin. Die Welt, von der meine Eltern behaupten, sie würde auf mich warten – die gibt es gar nicht.
Benjamin Alire Sáenz: Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. Thienemann, Stuttgart 2014. 382 Seiten, €16,99.
11 Comments
jancak
October 28, 2015 at 10:43 amHui das ist ja ein mir gänzlich unbekanntes Buch, wahrscheinlich ein Jugendbuch und sicher interessant!
Ich hänge ja noch ein bißchen beim Longlistenlesen, ich bin damit fast durch, neunzehn Bücher gelesen und das Buchpreisbuch muß ich noch zum Geburtstag bekommen, war eine spannende Erfahrung und vielen Dank für die Ermunterung, da einmal wirklich die Verlage anzuschreiben und mich darüber zu stürzen. Werde ich im nächsten Jahr wahrscheinlich wieder tun!
Ein bißchen erstaunt war ich darüber, daß die Buchpreisblogger gar nicht soviel gelesen und besprochen haben, hier waren es, glaube ich, ja nur zwei Bücher.
Ich hoffe, da ist die Lust nicht verloren gegangen, denn ich habe das Lesen als sehr spannend und lehrreich empfunden.
Ist das Longlistenlesen jetzt fertig und da würde mich noch sehr interessieren, welche Bücher gelesen wurden und welche vielleicht noch folgen, liebe Grüße aus Wien nach Hamburg!
Mara
October 28, 2015 at 10:54 amLiebe Eva, ich konnte in diesem Jahr tatsächlich nicht ganz so viel Longlistlesen machen, wie in den Jahren zuvor. Dies liegt vor allen Dingen an meiner veränderten beruflichen Situation, über die ich mich sehr freue, die mir aber nicht die Zeit lässt, mal eben einen Setz zu lesen. Hier liegen noch vier weitere der nominierten Bücher, die bereits alle gelesen aber noch nicht besprochen sind. Das wird alles so nach und nach eintrudeln.
Liebe Grüße
Mara
jancak
October 28, 2015 at 12:23 pmfein
Constanze Matthes
October 28, 2015 at 8:42 pmIch bin der Meinung, dass ein Kinder/Jugendbuch, das auch Erwachsene begeistern kann, ein Meisterwerk ist. Danke, dass du uns diese Perle vorgestellt hast – eben abseits der Bestseller-Listen und Preisverleihungen. Viele Grüße
Mara
November 5, 2015 at 1:39 pmLiebe Constanze,
danke dir für deinen lieben Kommentar, ich freue mich sehr darüber, dass dich das Buch neugierig machen konnte. Ich finde, dass es wirklich eine Kunst ist, Jugendbücher zu schreiben, die auch Erwachsene begeistern können – in diesem Fall ist es tatsächlich gelungen und ich habe hier schon ein weiteres Buch des Autors liegen.
Liebe Grüße
Mara
tinelesemomente
October 29, 2015 at 6:23 amTolle Rezension! 🙂
Ich mochte das Buch auch soooo gerne und könnte es nach dem Lesen deiner Rezi direkt noch ein Mal lesen – obwohl das letzte Mal erst drei Wochen her ist. 😀
Mara
November 5, 2015 at 1:41 pmLiebe Tine,
wie schön! Ich freue mich sehr, dass dir das Buch ebenso gut gefallen hat! 🙂
Kerstin Scheuer
November 4, 2015 at 3:51 pmDas hat mir meine Buchhändlerin schon letztes Jahr um diese Zeit ans Herz gelegt. Seitdem steht es auf der Wunschliste. Ungelesen. Danke, dass Du mich daran erinnerst.
Mara
November 5, 2015 at 1:41 pmSehr gerne, liebe Kerstin – ich hoffe, dass du es dir bald zulegen wirst und wünsche dir schon jetzt ganz viel Freude beim Lesen! 🙂
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