Auf eine Zigarette mit Feridun Zaimoglu

Feridun Zaimoglu wurde 1964 geboren und ist deutscher Schriftsteller und Künstler – auf dem Blauen Sofa hat er am Freitag seinen neuen Roman Evangelio vorgestellt. Der Roman beschäftigt sich mit Martin Luther, passend zum 500. Jahrestag der Reformation. Im Gespräch mit Marita Hübinger betont er jedoch, dass ihm der günstige Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht bewusst gewesen. Zuletzt war Feridun Zaimoglu Stadtschreiber in Mainz, er hat dort eine Wohnung im Gutenberg-Museum bewohnt. Auf dem Blauen Sofa erzählt er davon, dass er als starker Raucher mehrmals am Tag die Treppen runter- und wieder rauflaufen musste, da er eine Nichtraucherwohnung bewohnte. Es dürfte also nicht überraschen, dass ich Feridun Zaimoglu heute ebenfalls auf eine Zigarettenlänge traf und ihm einige Fragen zu seinem neuen Roman und Martin Luther gestellt habe.

Sie haben mit “Evangelio” einen Roman über Martin Luther, den theoretischen Urheber der Reforamtion, geschrieben – wie kam es dazu?

Im Gespräch mit meinem Lektor, der zu einer Lesung nach Berlin kam, erzählte ich, dass ich jetzt keine Lust auf dieses oder jenes habe und dass ich am liebsten über Martin Luther schreiben würde. Das kam bei mir wirklich so aus dem Mund geschleudert. Mit Martin Luther war ich natürlich vertraut. Mein Lektor schaut mich an, ich schaute ihn an – und es war im Grunde genommen entschieden. Wenn ich für einen Stoff brenne, brauche ich keine Bedenkzeit. Ich denke dann auch nicht darüber nach, ob das wirklich eine gute Idee ist. Ich wusste, ich mache das. Punkt. Und dann legte ich los.

Wenn Sie sagen, Sie haben für diesen Stoff gebrannt, dann interessiert mich natürlich, was Sie an Martin Luther ganz besonders fasziniert?

Martin Luther hat die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt. Man muss das gelesen haben, um diese großartige Leistung wertschätzen zu können. Es ist ein wirklich großartiges Deutsch. Genauso wie für Luther sich alles am Wort entzündet hat, entzündet sich für mich auch die Welt an Worten. Die Wirklichkeit, die in Büchern beschrieben wird, ist für mich wirklicher als die eigentliche Wirklichkeit dort draußen. So kann man vielleicht schon verstehen, wenn ich für Martin Luther entbrannt gewesen bin und unbedingt einen Roman über ihn schreiben wollte – in Kenntnis eben seiner Wort- und Sprachgewalt.

Können Sie vielleicht ein wenig über die Recherche zu Ihrem neuen Roman erzählen?

In diesem Fall habe ich die Bibel einige dutzend Male gelesen, ich habe die verschriftlichten Tischgespräche gelesen, ich habe Originalbücher von Martin Luther gelesen, ich habe zur Vermeidung von logischen Fehlern natürlich auch Bücher über das Mittelalter gelesen. Aber Bücher lesen ist ja schön und gut, ich habe mich dann auch an den historischen Schauplätzen aufgehalten. Aber wie gesagt: Wenn es losgeht, dann stimme ich mich sozusagen auf die Welt und die Geschichte ein und so ungefähr nach einem Jahr hatte ich – wie ich dachte – den Ton.

Genau, der Ton des Romans ist auch etwas, das mich sehr fasziniert hat: die Thematik des Buches schlägt sich auch in der Sprache nieder, die klingt, als stamme sie aus dem 16. Jahrhundert. Wie ist Ihnen das gelungen?

Sie müssen sich vorstellen, da ist ein irrer Mönch in Kiel – also ich. Nicht verheiratet, keine Kinder, keine Beziehung, der sehr sehr viel Zeit hat und so irre ist, dass er das Schreiben als eine kalte Angelegenheit empfindet. Entweder oder – das klingt oder klingt nicht. Das ist kitschig, aber auch dramatisch. Ist mir doch egal, es ist so. Es läuft über die deutschen Worte – ich muss deshalb immer lachen, wenn man mir sagt, dass man im Deutschen dieses oder jenes nicht sagen könne. Ich finde keine Worte dafür, was deutsche Worte alles vermögen können. Mich muss man sich also als jemanden vorstellen, der jeden Tag Gewaltmärsche macht, der im wirklichen Leben ein bisschen hilflos ist, rumwankt und keine Orientierung hat und in dem Moment, in dem ich einen Stoff habe, bin ich zielsicher. Auf dem Papier löst sich nicht alles auf, aber das meiste. Früher habe ich mir gewünscht, dass es sich auch im wirklichen Leben so verhalten soll, aber jetzt liebe ich die verrätselte Welt.

Zum Abschluss: Ich würde behaupten, dass es Zeit und Kraft kostet, sich auf die Welt und die Sprache in “Evangelio” einzulassen – was würden Sie meinen Bloglesern zurufen, die vielleicht gerade noch zögern, ob das Buch etwas für sie ist?

Ich würde die Blogleser und -leserinnen ganz höflich bitten, einfach darauf zu vertrauen, dass man wirklich von Worten infiziert wird. Es ist eine schöne Krankheit. Und wenn man sich darauf einlässt, dann ist man für die Welt verloren.

Feridun Zaimoglu: Evangelio. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, März 2017. 22€, 352 Seiten. 

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