Schlafen werden wir später – Zsuzsa Bánk

Mit Schlafen werden wir später ist Zsuzsa Bánk ein moderner Briefroman gelungen: zwei Freundinnen schreiben sich E-Mails, in denen es um die Zwänge des Alltags, das Erlöschen der Liebe und die Frage nach dem richtigen Lebensentwurf geht.

Heute morgen hat Simon beim ersten frühen, viel zu frühen, Kaffee gesagt, wäre er zehn Jahre jünger und hätte drei Kinder weniger, hätte er mich schon verlassen.

Johanna und Márta sind seit Kindertagen Freundinnen und pflegen einen engen Kontakt – sie telefonieren, besuchen sich gegenseitig und schreiben sich Postkarten, Briefe und E-Mails. Schlafen werden wir später besteht aus den E-Mails, die sich die beiden Frauen zwischen März 2009 und Juni 2012 geschrieben haben. E-Mail für E-Mail taucht man in das Leben von Johanna und Márta ein, die sich gegenseitig in großer Offenheit von ihren Höhen und Tiefen erzählen.

Johanna ist kinderlos und arbeitet als Lehrerin im Schwarzwald. Der frühe Verlust der Eltern, eine unglückliche Beziehung und eine schwere Krebserkrankung liegen bereits hinter ihr, doch sie hat nie aufgegeben – neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin arbeitet sie mit großer Ausdauer an einer Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff. Márta lebt mit ihrem Mann Simon und den drei gemeinsamen Kindern in Frankfurt. Simon arbeitet als Journalist und nimmt sich dafür alle Freiräume, die er braucht. Márta ist Autorin und schafft es nur an ihrem brachliegenden Romanprojekt zu arbeiten, wenn sie sich nicht gerade um ihre Kinder kümmern muss. Schnell wird beim Lesen deutlich, dass beide Freundinnen jeweils über das verfügen, was die andere sich wünscht: Johanna hat viel Zeit für sich alleine, Márta hat eine Familie.

Die Kinder saugen mein Leben weg, Johanna, wer ungestört arbeiten will, darf keine Kinder haben, wer etwas anderes erzählt, lügt, aber das weiß ich erst jetzt, niemand hat mir das früher gesagt, alle haben geschwiegen. Zum Schreiben komme ich kaum, jetzt, da ich schreiben müsste, das Schreiben heftig an meinen Kopf, meine Hände klopft und raunt, schreib, schreib, schreib, dreimal hintereinander, Márta, schreib endlich!

E-Mail an E-Mail reiht sich auf fast 700 Seiten aneinander und doch ist mir nie langweilig geworden! Johanna und Márta stehen für zwei unterschiedliche Lebensentwürfe und loten in all ihren E-Mails aus, wie zufrieden sie mit dem sind, für das sie sich entschieden haben. Beide sind zweiundvierzig Jahre alt, beide stehen in der Mitte des Lebens und fragen sich, was gewesen ist und was wohl noch kommen wird.

Geschrieben sind die E-Mails in einer wunderbaren und unglaublich poetischen Sprache, die mitunter so verspielt und versponnen wirkt, dass der Roman schon fast einen entrückten Eindruck macht. Doch zwischen all den zauberhaften Worten steckt ein hochaktuelles und wichtiges Thema: was bedeutet Weiblichkeit heutzutage? Mit welchen Schwierigkeiten und Einschränkungen haben Frauen bei der Erfüllung ihrer Träume zu kämpfen? Wie können Frauen unterstützt werden? Wie können sie sich Freiräume schaffen? Wie fühlt es sich an, wenn man lieber tot sein möchte, als weiter Mutter zu sein? Márta wird nicht nur von ihrem Mann alleine gelassen, sondern auch von den Institutionen, die ihr ein Literaturstipendium anbieten, aber keine Kinderbetreuung. Die reflexhafte Unterstellung vieler Rezensenten, dass hier zwei Frauen jammern würden, zeigt deutlich, wie viel Nachholbedarf es in diesem Bereich noch gibt.

Später werde ich sagen, die Kinder haben mein Leben weggesaugt, als alte Frau werde ich das zu Dir sagen, also, wenn ich richtig alt sein und mit Dir bei einem Schnaps sitzen werde, im schwarzen Wald, in Hamburg oder hier, wo immer das sein wird, werde ich sagen, hör mal Johanna, meine Kinder haben mein Leben weggesaugt, Mia, Franz und Henri haben es weggesaugt, weg ist es.

Mich hat Schlafen werden wir später tief beeindruckt: als Leserin begleite ich die beiden Freundinnen drei Jahre lang durch ihr Leben. Wenn die E-Mails von einer starken Verzweiflung geprägt sind, dann leide ich mit ihnen; wenn ihnen Gutes geschieht, dann freue ich mich. Beide erzählen sich nicht nur von dem Leben, für das sie sich entschieden haben, sondern sprechen auch über intensive Traurigkeit, Todesängste und den Umgang mit Trauer und Verlust. Dabei hilft ihnen nicht nur die gegenseitige Freundschaft, sondern auch die Literatur, aus der beide immer wieder gegenseitig zitieren. Dabei spielen Annette von Droste-Hülshoff und der Poesieautomat im Literaturarchiv Marbach eine ganz besondere Rolle.

Die Sprache ist besonders und zunächst vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig – es gibt immer mal wieder Wortkreationen, poetische Versponnenheiten und den einen oder anderen etwas umständlich formulierten Satz. Nach den ersten E-Mails habe ich mich aber nicht nur in diesen ganz besonderen Zsuzsa-Bánk-Ton, den ich auch schon aus ihren ersten Romanen kenne, eingelesen, sondern mich auch in ihn verliebt.

Ich überlege angestrengt, welche Frauen ich kenne, die drei Kinder haben und schreiben, keine will mir einfallen, kennst du vielleicht eine, an die ich denken, an der ich mich festhalten könnte, wenn schon an sonst nichts? Wenn ich nur höre, wie großartig das kinderlose Leben der anderen ist! Wie sie in ihren kinderlosen großartigen Cafés sitzen, ohne Kinder ihre großartigen Computer aufklappen und ihren großartigen Erzählsträngen nachgehen! Nur ich harre bei meinen hustenden, fiebernden, weinenden, wimmernden, die Hände nach mir streckenden Kindern aus, mehr ist mein Leben nicht, Johanna, das Klappmesser Leben und Schreiben fällt klingenscharf auseinander, der Abstand zwischen beiden wird ozeanisch.

Ich habe mit Schlafen werden wir später einen berührenden Roman über zwei Frauen gelesen, die auf der Suche nach sich selbst und dem richtigen Platz im Leben sind. Zsuzsa Bánk erzählt von dem, was einen retten und dem, was einen aussaugen kann und von dem Wunsch als Mutter auch noch Frau sein zu dürfen, die ein eigenes Leben führt. Entstanden ist dabei ein wunderbar poetischer und lebenskluger Briefroman, der nicht nur die Sprache feiert, sondern auch dazu einlädt, sich selbst wieder mehr Zeit zu nehmen – zum Schreiben, zum Reflektieren und dazu herauszufinden, was einen eigentlich glücklich macht und wovon man sich befreien muss.

Zsuzsa Bánk: Schlafen werden wir später. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2017. 688 Seiten, 24€.

Weitere Bücher der Autorin:

Heißester SommerDie hellen TageDer Schwimmer

9 Comments

  • Reply
    trallafittibooks
    May 15, 2017 at 12:47 pm

    Liebe Mara.
    Das klingt großartig!
    Ich hatte das Buch schon mehrfach im Auge, jedoch wusste ich nie genau, ob es etwas für mich sein könnte.
    Nun hast du mich überzeugt, ich kann mir jetzt mehr drunter vorstellen.
    Tolle Rezension!
    Liebe Grüße,
    Nicci

    • Reply
      Mara
      May 15, 2017 at 10:53 am

      Liebe Nicci,

      ich freue mich sehr, dass ich dein Interesse wecken konnte! Die Besprechungen auf Amazon fallen ja teilweise fürchterlich aus, was mir total leid tut für das Buch, dem ich viele Leser & Leserinnen wünschen würde. Es ist etwas speziell, was man ja auch ein wenig an den Zitaten merkt, ich habe es aber sehr gerne gelesen und vieles daraus mitgenommen – auch wenn ich selbst keine Mutter bin.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    dbrehm
    May 17, 2017 at 8:36 am

    …auch wenn ich statt Mutter Vater bin: das Buchthema und die versprochene Posie der Sprache machen mich neugierig. Ich setze es auf meine Wunschliste. Danke für diese Buchbesprechung, Mara.
    VG, Dieter

  • Reply
    Cora
    May 18, 2017 at 2:35 pm

    Ich hatte das Buch gestern noch im Buchladen in der Hand und habe mich dann doch dagegen entschieden, weil ich große Sorge hatte, dass mir diese Form mit den E-Mails nicht gefallen könnte. Ich bin mit so einem Buch vor einer Ewigkeit mal richtig auf die Nase gefallen und habe es nach der dritten Mail oder so abgebrochen. Jetzt bereue ich es schon ein bisschen, es nicht gekauft zu haben. Wenn ich das nächste Mal im Buchhandel bin, werde ich auf jeden Fall noch einmal ein Blick darauf werfen.
    Liebste Grüße, Cora

    • Reply
      Mara
      May 22, 2017 at 2:52 pm

      Liebe Cora,

      die Mail-Form ist auf den ersten Seiten vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, mir ging es aber so, dass ich mich mit der Zeit eingelesen habe. Ich kenne andere, die zum Beispiel nur ein paar Mails pro Tag gelesen haben und das Buch auf dem Nachttisch liegen hatten. Falls du es doch lesen solltest, wäre ich sehr gespannt, wie es dir gefällt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    irveliest
    May 20, 2017 at 3:31 pm

    Liebe Mara,
    eine sehr schöne Rezi….und in der Mutter erkenne ich mich ein stückweit wieder…. Kinder sind so toll, aber manchmal hätte ich gerne ein “Parallelleben”, um mal am Plan B schnuppern zu können 😉
    Liebste Lesegrüße, Heike

    • Reply
      Mara
      May 22, 2017 at 2:48 pm

      Liebe Heike,

      ich glaube, dass das Buch auch gerade für Mütter interessant sein kann, weil in den Briefen vielleicht vieles vorkommt, das man als Mutter manchmal fühlt, aber nicht auszusprechen wagt. Wenn du das Buch tatsächlich lesen solltest, wäre ich gespannt darauf, wie es dir gefällt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Kathrin
    May 26, 2017 at 6:08 pm

    Liebe Mara,
    vielen Dank für diese schöne Rezension. Ich habe das Buch ebenfalls in den vergangenen Wochen gelesen und es hat mich zutiefst berührt und beeindruckt. Auch ich bin über die Amazonrezensionen erschrocken, da ich gerade sprachlich das Buch sehr gelungen finde. Beide Briefschreiberinnen sind mir ans Herz gewachsen und ich konnte mich in beiden Frauen wiederfinden. Als ich das Buch beendet hatte, war ich fast traurig.
    Mit der “Droste” möchte ich mich gerne wieder mal befassen und auch Meersburg endlich mal besuchen.
    Die Ortsbeschreibungen des Buchs haben mich persönlich sehr berührt, da sie auf familiäre Bezüge treffen:
    Meine Mutter wuchs in der benannten Straße in Höchst auf und besuchte die gleiche Schule wie die beiden Freundinnen. Die Freiburger Beschreibungen sind mir ebenfalls sehr vertraut: die Gassen, die Cafés, die Buchhandlung…. nur das Kokoschkabild fehlt noch. Das werde ich bei meinem nächsten Freiburgbesuch ansehen.
    Vielen Dank für die schönen Beiträge hier. Ich lese gerne hier und lasse mich inspirieren. Toni Morrisons Buch steht ganz oben auf der Liste und Monika Held habe ich hier entdeckt und lieben gelernt. Es gibt ein neues Buch von ihr! Ich werde es bestimmt bald lesen.
    Herzliche Grüße,
    Kathrin

  • Reply
    Ein Jahr in Bücher
    January 5, 2018 at 1:37 pm

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