binobino – bunte Spielsachen für Kinder, die die Welt entdecken!

Sibylle Rüdt hat kürzlich den Onlineshop binobino für genderneutrales Spielzeug und eine vielfältige Buchauswahl gegründet. Die ausgewählten Produkte sollen Kinder dabei unterstützen, sich selbstbestimmt und frei zu entfalten – ganz ohne Gender-Marketing oder stereotypisierende Darstellungen. Ich fand das eine so schöne Idee, dass ich direkt mal bei der Gründerin nachgefragt habe – warum gibt es diesen Onlineshop und wieso kann genderneutrales Spielzeug wichtig sein?

1.) Liebe Sibylle, du hast kürzlich den Onlineshop binobino gegründet – kannst du erzählen, wie es dazu kam?

Lieber Linus, zunächst möchte ich mich für die Möglichkeit zu diesem Interview bedanken. Ich freue mich sehr darüber. Die Geburt meines Sohnes und die Mutterschaft gaben mir in verschiedener Hinsicht Anlass, unsere Rollenzuschreibungen und die damit verbunden Fremderwartungen zu überdenken. In Bezug auf meinen Sohn fällt mir auf, wie sehr er schon von Klein auf von seinen Mitmenschen in seine vermeintlich männliche Rolle hinein erzogen wird: Dies beginnt beim ausdrücklichen Lob fürs Wild- und Frechsein („ein richtiger Junge eben“) über Tadel für vorsichtig-ängstliches Verhalten bis hin zur Zuweisung von passender Kleidung oder eben auch Spielzeug. Hierbei sorgt es tatsächlich für Kommentare, zumindest aber für Irritation, wenn er den vermeintlich jungenhaften Kriterien nicht entspricht und sich beispielsweise selbst für eine pinke Zeichenmappe entscheidet oder mit Puppen spielt.

Dazu kommt, dass sein Vater in Oberägypten geboren wurde und ich erst durch ihn erfahren habe, wie alltäglich Rassismus und wie gegenwärtig Vorurteile in unserer Gesellschaft sind – selbst hier in Berlin, wo man es vielleicht gar nicht so erwarten würde. Dies macht vor der Generation unserer Kinder keinen Halt: So wurden wir beispielsweise von einer Kita mit katholischem Träger im Vorfeld aussortiert (man bevorzuge ja schon Kinder aus katholischen Familien).

Ausgelöst durch diese Erfahrungen beschäftigte ich mich also immer intensiver mit diesen Themen und begann damit, auch Spielsachen und Kinderbücher zu recherchieren, die ich uneingeschränkt verwenden und weiterempfehlen würde – unabhängig von Kriterien wie Geschlecht, Herkunft, Familienmodell oder physischer Erscheinung des Kindes. Nirgends fand ich eine Zusammenstellung an Produkten, die all diese unterschiedlichen Aspekte zusammenbrachte. Worum es mir bei der Konzeptionierung von binobino folglich ging, war die Verbindung von hochwertigen und kindgerechten Spielsachen mit feinsinnigen Kinderbüchern, die echte Vielfalt widerspiegeln und Kinder darin fördern, ihre Individualität lieben zu lernen – und dies ohne erhobenen Zeigefinger.

So saß ich abends, während mein Sohn schlief, am Notebook und sog einfach alles auf, was ich für sinn- und wertvoll erachtete. Nach einiger Zeit war binobino.de auf einem so weit fortgeschrittenen Stand, dass ich nicht mehr zurück wollte.

2.) Ich habe selbst keine Kinder und kenne mich mit Spielzeug nicht aus: was denkst du, über das Spielzeugangebot für Kinder heutzutage? Warum braucht es noch deinen Shop? Was fehlte dir? Was kritisierst du?

Ich kritisiere, dass das Gender-Marketing von den großen Playern bewusst immer weiter getrieben wird, um mehr und mehr Absatz zu generieren. Die britische InitiativeLet Toys Be Toys“ beispielsweise verfolgt wichtige Ansätze, dem entgegenzuwirken: Kinder sollen selbst entscheiden, womit sie gerne spielen. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass Unternehmen weniger den Absatzmarkt als vielmehr die Bedürfnisse der Kinder im Blick haben. Natürlich ist das kein einseitiger Prozess, auch bei den Konsumenten muss ein Umdenken stattfinden.

Kritische Punkte sehe ich auch in Bezug auf die Darstellung multiethnischer Vielfalt oder in Hinblick auf die Familienmodelle: Längst haben sich neben der heteronormativen Kernfamilie alternative Familienmodelle wie Patchwork-Familien, Familien mit alleinerziehendem Elternteil, Co-Parenting oder Regenbogenfamilien etabliert. All das macht unsere Gesellschaft aus und trotzdem sucht man diese Diversität in vielen Kinderbüchern immer noch vergebens.

Es gibt bereits einige gute Online-Shops, sowohl für Bücher als auch für (Holz-)Spielsachen und Puppen. Was mir fehlte, war aber eine Kombination aus Artikeln, die Vielfalt abbilden und Offenheit vermitteln und dabei die individuelle Persönlichkeitsentwicklung des Kindes als höchstes Gut betrachten. Gerade wenn das Angebot an Büchern und Spielsachen immer größer wird, ist es aus meiner Sicht hilfreich und nützlich für die Besucher*innen, sorgfältige Vorauswahlen angeboten zu bekommen. Dabei soll vor allem auch das Bewusstsein für Vielfalt und Toleranz geschärft werden.

3.) Wenn ich mir binobino anschaue, wird schnell deutlich, dass dir Themen wie Toleranz und Gender-Neutralität wichtig sind. Kannst du erklären, ab wann ein Spielzeug tolerant ist? Oder genderneutral? 

Vermutlich kann ein Spielzeug selbst nicht tolerant sein, aber es kann dabei helfen, Toleranz zu vermitteln, zum Beispiel indem es einerseits ermöglicht, andere Perspektiven einzunehmen und zu erfahren, und andererseits Kommunikationsprozesse in Gang setzt. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten habe ich versucht, auch in den Produktkategorien zu systematisieren. Es gibt wunderschöne Holzspielsachen, die einen neugierigen, forschenden und offenen Blick auf das, was einem in der Welt begegnet, unterstützen. Bei den Puppen wiederum finde ich zum Beispiel wichtig, dass sie Vielfalt abbilden. Hier geht es vor allem um Fragen von Repräsentation und Empowerment. Bezüglich der Kinderbücher ist die Frage einfacher zu beantworten: Geschichten und Bilder können unmittelbar das Bewusstsein für Toleranz schärfen beziehungsweise diese vermitteln. Mir selbst ist folgendes Bild aus einem Buch meiner Kindheit immer in Erinnerung geblieben (auch wenn ich mich weder an Titel noch Autor erinnern kann): Ein in Anzug gekleideter Mann lächelt mir entgegen. Auf der Rückseite, hinter seinem Rücken, hält er einen Stein als Waffe zum Wurf bereit. Auf der nächsten Seite schaut ein ärmlich gekleideter Mann mit unfrisiertem Haar mürrisch drein, in den Händen hinter dem Rücken hält er einen Strauß Wiesenblumen.

Unter genderneutralem Spielzeug verstehe ich solches, das nicht mit den üblichen stereotypen Attributen versehen ist (vermeintliche “Jungen- und Mädchen-Farben”, Glitzer für Mädchen etc.) und nicht über eindeutige Rollenzuweisungen funktioniert. An sich ist es ein beruhigender Gedanke, dass Spielzeug immer auch Gegenstand eines kreativen Aneignungsprozesses durch das Kind wird. Das heißt, dass auch Spielzeug, das beispielsweise mit binären Geschlechterstereotypen arbeitet, Bestandteil eines subversiven Spiels sein kann, indem diese vorgegebenen Rollenmuster gänzlich unterwandert werden. Ob nun eine Puppe mit verzerrter Darstellung von weiblichen Körperformen den Weihnachtsmann spielt oder eine Plastikbohrmaschine für “echte Kerle” im Spiel zum Handrührgerät umfunktioniert wird – all das liegt glücklicherweise nicht in der Hand der Spielzeughersteller. Trotzdem vermitteln solche Beispiele fragwürdige Vorstellungen von Geschlechtsidentitäten und damit verbundenen gesellschaftlichen Rollen. Häufig korrespondiert ausgeprägtes Gender-Marketing auch mit einem starken Eingriff in das Spielverhalten, beziehungsweise es werden kaum mehr Freiräume für das Entwickeln eigener Spielideen gelassen. Kinder werden zu Miniatur-Erwachsenen, die das Leben der “Großen” nachspielen. Das ist eine traurige Vorstellung und genau dem möchte ich etwas entgegenstellen. Die Spielzeuge von binobino sollen Freiräume eröffnen. Genderneutral ist ein Spielzeug für mich auch dann, wenn man nicht darüber nachdenkt, ob es für Jungen oder Mädchen ist und beispielsweise auch die Verpackung keine Aussage darüber trifft.

4.) Wie wird dein Angebot bisher angenommen? Was bekommst du für Rückmeldungen?

Momentan betreibe ich binobino.de im kleineren Rahmen, da ich noch eine feste Anstellung in Teilzeit sowie natürlich meinen Sohn habe, mit dem ich so viel Zeit wie möglich verbringe. Mengenmäßig habe ich bis dato nicht sehr viele, dafür aber durchweg positive und motivierende Rückmeldungen zum Konzept oder auch zu gekauften Artikeln erhalten. Besonders freue ich mich darüber, dass das Konzept häufig als „sehr zeitgemäß“ wahrgenommen wird.

5.) Schwere Frage, ich weiß, aber was ist dein Lieblingsprodukt aus deinem Shop?

Da muss ich wirklich einen Moment lang überlegen! Ich denke, es ist die Holzkamera mit gelber Linse von kiko + &gg*. An ihr gefällt mir, dass sie ein minimalistisches Design mit kindgerechten Details verbindet wie das schnappende Auslöser-Sternchen, das drehbare Objektiv mit Kaleidoskop-Optik oder die bunte Linse.

Ich möchte meinem Sohn damit meine Freude am Fotografieren und Entdecken vermitteln. Insofern symbolisiert sie eben auch etwas sehr Persönliches für mich.

Liebe Sibylle, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

 

 

 

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