© Julian Baumann
Der neue Roman von Max Scharnigg fällt bereits durch seinen ungewöhnlichen Titel auf, noch ungewöhnlicher ist der beinahe märchenhafte Inhalt. Ich habe mich mit dem Autor in Frankfurt getroffen, um über seinen neuen Roman zu sprechen, seine Parzelle und darüber, wann Kritik weh tut.
Dein neuer Roman „Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau“ spielt in einem kleinen Dorf, dessen einzige Verbindung zur Außenwelt eine Landstraße ist. Woher kam die Idee, deinen Roman an diesem Schauplatz spielen zu lassen?
Ich empfinde extreme Orte als interessant. Der Ort, den ich geschaffen habe, ist eine Art Einöde und so eine Kulisse aufzubauen, ist natürlich reizvoll, weil sich die Figuren dort sehr ungestört entwickeln können. Sie müssen sich nicht viel mit der Außenwelt beschäftigen, sondern mehr mit sich selbst. Dadurch entstehen diese schrulligen Existenzen. Mir erschien ein Ort, der so abgeschieden und so zeitenthoben ist, als passend. Gleichzeitig ist es aber auch kein ganz künstlicher Ort. Die Welt nimmt ja doch immer mal wieder das Besuchsrecht wahr und kommt vorbei. Deswegen würde ich nicht sagen, dass es eine künstliche Situation ist, denn es wäre ja schon fast denkbar, dass es den Ort auch wirklich geben könnte: eine Landstraße mit vielen Kurven und schon ist man weiter weg von allem anderen.
Die Enge eines Dorfes kann auch als deprimierend empfunden werden, deine Figur Jasper Honigbrod entscheidet sich jedoch für das Glück. Verbindest du selbst auch Glück mit dem Leben auf dem Dorf?
Es ist ja nicht einmal ein Dorf, sondern lediglich ein Haus. In diesem Zusammenhang von Dorfleben zu sprechen, wäre fast schon zu viel der Unterhaltung. Ich glaube, es liegt daran, dass der Protagonist ein sechsjähriger Junge ist: als Kind kommen einem komische Sachen häufig gar nicht so komisch vor. Er vermisst ja eigentlich nichts, weil er gar nicht weiß, dass es noch etwas anderes gibt, als dieses Haus mit seinen ganzen kleinen Abenteuern drum herum. So wachsen wir ja auf und versuchen uns, egal, ob wir nun im dritten Stock wohnen oder in der Wildnis aufwachsen, unsere Spiele zu suchen. Genauso macht Jasper das auch, deshalb vermisst er auch erst mal nichts und dieser Rückzugsort ist für ihn positiv konnotiert. Ich sehe diesen Ort, als eine Art Oase des Nachdenkens und Erfahrens, aber auch als einen Ort, der einem schlimmen Isolationserlebnis gleichkommt.
Ist diese Oase Gegenstand deiner Phantasie oder bist du selbst an einem solchen Ort aufgewachsen?
Nein, das kann man nicht sagen: ich bin in München aufgewachsen. Ich kenne diesen Ort aber schon, weil wir als Familie immer in einem sehr kleinen Dorf im Niederbayrischen ein kleines Haus hatten. Beim Schreiben hatte ich das Bild dieses Dorfes deutlich vor Augen; ich hatte vor Augen, wie die Straßen laufen und wie der Mais steht.
Du bist Besitzer eines Schrebergartens, wie ist es dazu gekommen?
Etwas zu ernten, ist einfach ein Grundbedürfnis von mir gewesen. Ich habe das schon immer gerne gemacht, wenn irgendwo ein Apfelbaum stand. Etwas zu ernten und mit nach Hause zu nehmen hat mir ein gutes Gefühl gegeben. Die Gründe, einen Schrebergarten zu mieten, hatten erst einmal nichts mit irgendwelchen ökologischen Aspekten oder sonstigen Philosophien zu tun, sondern tatsächlich mit dieser Lust daran, etwas wachsen zu sehen und hinterher davon etwas mit in die Küche zu nehmen. Ich koche sehr gerne und irgendwie sehnt man sich dann ja nach möglichst frischen und selbstangebauten Produkten. Das Lustige ist, dass ich den Schrebergarten schon seit sechs Jahren habe und ich werde gerade von der Welt eingeholt, weil jetzt auf einmal alle so etwas machen und haben wollen und auf allen Balkonen und allen Dächern irgendwelche Guerilla-Gärten entstehen. Das ist lustig, denn als ich angefangen habe damit, war es wirklich sehr schwierig, als Einzelperson ein Stück Acker zu kaufen und mittlerweile gibt es alleine in München bereits fünf oder sechs Anbieter für Ackerland. Ich scheine offenbar einen Nerv getroffen zu haben.
Oh ja, man kann den Eindruck gewinnen, dass du voll im momentanen Trend liegst. Doch woran, meinst du, liegt diese Entwicklung?
Man kann da ganz viel hineininterpretieren. Man kann sagen, dass das eine Romantiksehnsucht in unserer komplexen Welt ist. Dinge anzubauen und zu ernten ist etwas, das einfach zu verstehen ist. Ein Stück weit ist das auch ein Rückzug in das Private. Ich finde, dass unsere Elterngeneration genau das ja gerade abgeworfen hatte und sehr technikbegeistert geworden ist. Niemand wollte mehr eine Vorratskammer anlegen, so wie die Großelterngeneration. Wir machen jetzt wieder einen backlash: wir machen unseren Hollersirup selber und stellen Marmelade her. Allein wie viel selbst gemachte Marmelade ich in diesem Jahr geschenkt bekommen habe, ist schon interessant. Auch diese ganze „Landlust“-Bewegung, dass diese Zeitschrift aus dem Nichts von einer Million Lesern gelesen wird, ist der Wahnsinn und es sollte dringend untersucht werden, warum das so ist. Mir kommt es tatsächlich so vor, als wäre es eine Abkehr. Eine Abkehr von den Krisen und all dem Digitalen, da all das so etwas von unnah geworden ist, dass wir uns so etwas Nahes im eigenen Garten wieder wünschen. Andererseits glaube ich aber auch, dass sich unsere Generation verstärkt mit Produkten beschäftigt und sich ihre Statussymbole nicht mehr in einem Mercedes wünscht, sondern in einem Genusswissen ausdrückt. Deswegen fotografieren wir, glaube ich, auch unser Essen so besessen, weil man anderen zeigen möchte: „Seht her, ich habe schön gekocht! Ich esse gerade in einem schönen Restaurant. Ich habe einen Luxus gefunden, der vergänglich ist, den ich aber dennoch teilen und genießen möchte.“ So ist sozusagen eine Genusskultur entstanden. Summa summarum glaube ich, dass es gut ist, dass wir uns so um unser Essen kümmern und dafür interessieren, dass wir wissen, wann etwas reif ist und damit etwas retten, was schon fast verloren gegangen ist. Ich glaube, dass durch unsere grüne ökologische Landlust oder wie auch immer man das nennen möchte, wieder Qualität und Bewusstsein zurückgekehrt sind. Ich finde das gut!
Du bist nicht nur Schriftsteller, sondern arbeitest auch als Journalist. Woher nimmst du die Zeit zum Schreiben?
Die nehme ich mir einfach. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie von irgendetwas abschneiden würde. Das Schreiben ist grundsätzlich bei allem immer der Motor gewesen. Ich habe mich zunächst dazu entschieden journalistisch zu schreiben, weil ich dort mehr Chancen gesehen habe. Nach acht Jahren Journalismus habe ich gemerkt, dass es bei mir noch Potential darüber hinaus gibt und ich habe mit dem ersten Roman angefangen.
Unterscheidet sich der Schreibprozess, wenn du journalistisch schreibst, zu dem, eines Romanprojekts?
Ja, weil ich bei dem belletristischen Schreiben absolut wertschätze und genieße, dass ich über Grenzen hinausgehen kann und das spiegelt sich ja auch in meinen Geschichten wider. Nicht alles ist sofort logisch, häufig kann man sich fragen, ob es das wirklich gibt. Wenn ich eine Reportage schreibe, muss ja alles wirklich hundertprozentig stimmen und echt sein. Dies beim literarischen Schreiben aufbrechen zu können, empfinde ich als große und angenehme Erfahrung. Deshalb macht es mir auch gar keinen Spaß, Romane zu schreiben, die super steril sind und ein Psychogramm abliefern. Das könnte ich auch in einer Reportage machen. Ich erfinde aus Lust am Erfinden und weil es mir Spaß macht, Leser an den Punkt zu bringen, wo sie denken: „Kann das wirklich so sein? Gibt es das wirklich oder ist das jetzt erfunden?“
Sind dir Rückmeldungen während des Schreibens wichtig oder ist der Schreibprozess etwas, was du mit dir alleine ausmachen musst?
Ich habe eine sehr belesene Freundin, die immer mal wieder gerne in mein Manuskript hineinschauen würde, aber ich lasse das nur ganz ungern zu. Ich schätze ihr Urteil und ich weiß, wenn sie das schrecklich finden würde, dann wäre mein Arbeits- und Produktionsablauf so gestört, dass ich sofort denken würde: „Stimmt, wahrscheinlich total schrecklich!“. Dann würde ich auf Seite 249 aufhören zu schreiben und das wäre doch fatal. Ich gebe meinen Text erst weg, wenn er fertig ist und empfinde es dann auch als sehr interessant, ob meine Einschätzung von irgendjemand anderem geteilt wird oder eine Binnenmeinung ist.
Wie gehst du mit Kritik um? Googelst du dich selbst oder liest du deine eigenen Rezensionen?
Da ich auch journalistisch arbeite und vieles schreibe, was online angeboten wird, habe ich es gelernt, mit dieser Instant-Kritik umzugehen, die oft unverblümt und als sofortige Reaktion unter den Texten steht. Diese Erfahrung hat dafür gesorgt, dass ich eine relativ hohe Teflonschmerzbeschichtung habe. Es ist aber doch noch einmal etwas anderes, wenn auf die literarische Arbeit Reaktionen kommen. Das war zum Beispiel beim Bachmannpreis ein interessanter Punkt, weil dieser Wettbewerb wirklich etwas ist, wo man sich unheimlich aussetzt, weil einen die Leute sehen, weil man live in Aktion ist und ganz viel Kritik sich gar nicht auf die inhaltliche Ebene bezieht, sondern oberflächlich konnotiert ist: „Ich versteh kein Wort.“ „Gott, was hat der an.“ Oder ähnliches. Da habe ich gemerkt, das tut schon weh. Ich habe mich von dieser Netzkrake einfach nicht adäquat verstanden gefühlt und habe danach auch aufgehört, nach mir selbst zu googlen.
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