Olaf Kühl stand in diesem Jahr mit seinem lesenswerten Roman „Der wahre Sohn“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreis. Ich habe ihn auf der Frankfurter Buchmesse getroffen, nicht, um über seinen Roman zu sprechen, sondern um mich mit ihm über die Bedeutung von Literaturpreisen, das literarische Übersetzen und die Gefahr, eitel zu werden, zu unterhalten.
Mit Ihrem Roman „Der wahre Sohn“ standen Sie in diesem Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreis – was bedeutet einem als Schriftsteller eine solche Nominierung?
Ich habe das erst einmal gar nicht begriffen, weil mir das Preis- und Nominierungsgeschäft nicht so bewusst gewesen ist. Ich habe die Bedeutung dann erst an der Reaktion meines Verlegers gemerkt, weil der ziemlich aus dem Häuschen war und sich unheimlich gefreut hat. Ich habe mich dann gefragt: warum freut der sich jetzt so? Erst als ich recherchiert habe, wurde mir dann klar, was diese Longlist ist und was das bedeutet. Dann war ich doch auch ein bisschen stolz, weil diese Jury ja nicht irgendwer ist, sondern aus Literaturkritikern von großen Zeitungen besteht. Wenn man dann ausgewählt wird aus über 200 Büchern, denkt man: ja, das ist vielleicht doch schon eine Auszeichnung.
Das heißt, Sie kannten den Deutschen Buchpreis und die Longlist vorher gar nicht?
Doch, irgendwoher schon, aber ich habe es nicht wahrgenommen. Wenn einen etwas nicht betrifft, dann nimmt man solche Dinge nicht wahr. Es gibt ja viele Preise. Ich habe irgendwann gehört, dass ich vom Verlag eingereicht wurde, aber das hat mich erst einmal völlig kalt gelassen. Erst als dann dieser Trubel anfing, als ich auf der Longlist stand, da habe ich dann wirklich gemerkt, irgendetwas tut sich da.
Gibt es etwas, das sich bei Ihnen und in Ihrem Leben nach der Nominierung für die Longlist verändert hat?
Komischerweise wird man mehr wahrgenommen. Das Buch wird mehr wahrgenommen. Ich glaube, das ist auch der Sinn des Preises, das soll er ja bewirken. Aber für mich persönlich hat sich nichts verändert. Ich merke immer, wie gefährdet man als Autor ist. Jeder Mensch ist eitel und wenn man dann so eine halbe Auszeichnung kriegt, dann muss man sich sehr stark dagegen wehren, in diesen Sog reinzugeraten, dass man nur noch darauf schielt, welchen Preis könnte man gewinnen oder welche äußere Ehrung könnte man bekommen. Das ist eigentlich nicht der Sinn des Schreibens! Ich finde, man muss da richtig gegen ankämpfen. Man schreibt nicht für Preise, sondern man schreibt, um sich selbst auszudrücken und sich selbst verstehen zu lernen im Laufe des Lebens. Das ist eigentlich der Sinn des Schreibens. Dieser ganze äußere Kram und die ganze Aufregung in Bezug auf Preise ist gefährlich, weil sie einen noch eitler macht, als man ohnehin schon ist. Dann folgen naturgemäß auch Enttäuschungen, weil man Erwartungen nicht erfüllt sieht. Das ist eine ganz zweischneidige Sache.
Haben Sie sich mit den Titeln der 19 anderen Nominierten beschäftigt? Wer war für Sie der Favorit auf den Deutschen Buchpreis?
Ich habe mich weder mit der Shortlist noch mit der Longlist beschäftigt. Ich dachte, es kann nicht sein, dass ich jetzt anfange zu lesen und zu versuchen rauszukriegen, wer besser sein könnte als ich … Das ist Wahnsinn! Im Gegenteil: ich habe das alles verdrängt! Ich kannte einige Namen und habe gedacht, dass ich mich einfach dem Schicksal überlasse. Komischerweise war ich dann gar nicht so furchtbar bedrückt, dass ich nicht auf die Shortlist gekommen bin, denn mir war klar, was das bedeutet: dass ich am Ende hier mit fünf anderen sitze und nicht weiß, ob ich den Preis gewinne oder nicht und das wollte ich mir eigentlich ersparen. Das ist dann doch eine psychologische Stresssituation.
Ihr Debütroman erschien erst vor gerade einmal zwei Jahren – warum haben Sie sich erst so spät dazu entschieden, zu schreiben?
Ich schreibe, seit ich Anfang zwanzig bin, aber immer für die Schublade. Schriftsteller zu werden war mein erster Berufswunsch, eigentlich. Dann kam aber erst einmal das Studium, dann kam die literarische Übersetzung, aber dennoch zog sich das Schreiben wie ein Faden durch mein Leben. Ich habe immer gedacht, dass das, was ich als Roman in der Schublade habe, nicht gut genug ist. Ich konnte es niemandem zeigen. Dann wird man auch durch andere Sachen abgelenkt, durch andere berufliche Sachen, z.B. eine größere Übersetzung. Wenn die Übersetzung fertig ist, klemmt man sich wieder hinter den Roman, der schon ewig rumliegt. Eigentlich hätte ich auch bis an mein Lebensende nie etwas vollenden können, aber durch das Grenzgänger-Stipendium, das ich 2008 erhalten habe, war ich gezwungen, irgendetwas abzuliefern. Durch dieses Stipendium war ich zum ersten Mal gezwungen, einen Roman wirklich zu beenden. Seitdem weiß ich, dass es geht und ich habe etwas, das eigentlich viel älter ist, also den Roman „Der wahre Sohn“, endlich zu Ende geschrieben. Irgendwie nimmt man dann auch eine andere Arbeitsdisziplin an.
Sie arbeiten nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Übersetzer. Worin unterscheiden sich diese beiden Tätigkeiten?
Das sind komischerweise völlig unterschiedliche Tätigkeiten, obwohl es beides mit Sprache zu tun hat. Dadurch, dass man als Autor wirklich von null und mit einem leeren Blatt Papier anfängt, ist es viel persönlicher. Es geht viel näher und was man dann produziert, ist auch viel mehr man selbst – in irgendeiner verfremdeten Form. Wenn man übersetzt, muss man auch sprachlich gut sein, aber man hat letztlich nicht die Verantwortung für das, was der Autor sagt. Man ist auch nicht so empfindsam für Kritik, man hat den Autor immer wie ein Schild vor sich, auch bei Lesungen. Ich sitze zwar neben dem Autor auf dem Podium, aber ich bin nicht der eigentlich Verantwortliche. Ich bin ein Dienstleister. Ein hochangesehener Butler. Seitdem ich selbst übersetzt werde, habe ich gemerkt, wie unheimlich wichtig literarische Übersetzer sind, das war mir vorher nicht so klar. Als die „Toten Tiere“ ins Polnische übersetzt wurde und die Übersetzung ziemlich missraten war und auch nicht erschienen ist, habe ich gedacht: das ist ja eine ungeheure Verantwortung! Du erscheinst in einer anderen Sprache, aber eigentlich erscheinst du so, wie dein Übersetzer eben in der Lage ist, dich zu übersetzen. Wenn der bestimmte Beziehungen im Buch nicht erkennt, bestimmte Wortspiele oder Anspielungen nicht versteht, dann bist du am Ende ein Zerrspiegel deiner selbst. Dann bist du eine Karikatur. Seitdem habe ich wirklich einen enormen Respekt vor literarischen Übersetzern und für literarische Übersetzer.
Bekannt geworden sind Sie vor allem als Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen – was verbindet Sie mit diesen beiden Sprachen?
Ich habe Russisch nicht in der Schule gelernt, habe auch keine familiären Beziehungen. Ich komme aus Norddeutschland, aus Wilhelmshaven. Ich wollte eigentlich Psychologie studieren, habe aber dann nebenbei einen Russischkurs belegt. Die Sprache hat mich von Anfang an so fasziniert, dass ich nicht mehr davon weggekommen bin. Im nächsten Semester habe ich dann Slavistik gemacht und in diesem Rahmen Russisch, Polnisch und Serbokroatisch gelernt. Russisch hat mich von Anfang an begeistert, es war für mich die Sprache eines geheimnisvollen Reichs, von dem nicht alle wussten, was darin vorgeht. Die Sprache ist für mich sehr gefühlsmäßig besetzt. Das Polnische wiederum ist verbunden mit vielen Freunden und auch mit meiner Frau. Beide Sprachen stehen in einem engen Zusammenhang mit meinem Lebensweg, haben aber ansonsten keinerlei familiären Ursprung.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie sich so in diese beiden Sprachen hineingearbeitet haben, dass Sie sie auch übersetzen können?
Ich habe schon während des Studiums kunsthistorische Texte aus dem Russischen übersetzt, um Geld zu verdienen. Nach dem Studium dachte ich, dass ich als Osteuropaexperte und Sprachwissenschaftler der gesuchte Mann bin, aber tatsächlich war es so, dass niemand auf mich gewartet hatte. Mein großes Glück war, dass mein Professor mir die ersten literarischen Übersetzungen gegeben hat, das war damals noch für den Hanser Verlag. Mit Witold Gombrowicz hatte ich gleich zu Anfang schwere Literatur, habe das aber offenbar gut gemacht, denn danach kam eine Anfrage nach der anderen von den Verlagen und dann war ich da plötzlich drin.
Woran empfinden Sie mehr Freude, am Schreiben oder am Übersetzen?
Ich empfinde das Übersetzen als ganz erholsam, wenn man zuvor etwas geschrieben hat. Schreiben ist anstrengend. Beim Schreiben geht es wirklich ans Eingemachte, weil man etwas aus sich selbst befreien muss. Wenn man danach ein Buch übersetzen kann, was man gut findet, dann ist das so, als würde man plötzlich ins Wasser springen und schwimmen können, ohne für alles verantwortlich zu sein. Man kann sich aber dennoch bewegen. Übersetzen ist für mich wie die Gymnastik nach dem Schreiben.