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“Übersetzen ist für mich wie die Gymnastik nach dem Schreiben” – Olaf Kühl im Gespräch.

Olaf Kühl

Olaf Kühl stand in diesem Jahr mit seinem lesenswerten Roman „Der wahre Sohn“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreis. Ich habe ihn auf der Frankfurter Buchmesse getroffen, nicht, um über seinen Roman zu sprechen, sondern um mich mit ihm über die Bedeutung von Literaturpreisen, das literarische Übersetzen und die Gefahr, eitel zu werden, zu unterhalten.

Mit Ihrem Roman „Der wahre Sohn“ standen Sie in diesem Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreis – was bedeutet einem als Schriftsteller eine solche Nominierung?

Ich habe das erst einmal gar nicht begriffen, weil mir das Preis- und Nominierungsgeschäft nicht so bewusst gewesen ist. Ich habe die Bedeutung dann erst an der Reaktion meines Verlegers gemerkt, weil der ziemlich aus dem Häuschen war und sich unheimlich gefreut hat. Ich habe mich dann gefragt: warum freut der sich jetzt so? Erst als ich recherchiert habe, wurde mir dann klar, was diese Longlist ist und was das bedeutet. Dann war ich doch auch ein bisschen stolz, weil diese Jury ja nicht irgendwer ist, sondern aus Literaturkritikern von großen Zeitungen besteht. Wenn man dann ausgewählt wird aus über 200 Büchern, denkt man: ja, das ist vielleicht doch schon eine Auszeichnung.

Das heißt, Sie kannten den Deutschen Buchpreis und die Longlist vorher gar nicht?

Doch, irgendwoher schon, aber ich habe es nicht wahrgenommen. Wenn einen etwas nicht betrifft, dann nimmt man solche Dinge nicht wahr. Es gibt ja viele Preise. Ich habe irgendwann gehört, dass ich vom Verlag eingereicht wurde, aber das hat mich erst einmal völlig kalt gelassen. Erst als dann dieser Trubel anfing, als ich auf der Longlist stand, da habe ich dann wirklich gemerkt, irgendetwas tut sich da.

Gibt es etwas, das sich bei Ihnen und in Ihrem Leben nach der Nominierung für die Longlist verändert hat?

Komischerweise wird man mehr wahrgenommen. Das Buch wird mehr wahrgenommen. Ich glaube, das ist auch der Sinn des Preises, das soll er ja bewirken. Aber für mich persönlich hat sich nichts verändert. Ich merke immer, wie gefährdet man als Autor ist. Jeder Mensch ist eitel und wenn man dann so eine halbe Auszeichnung kriegt, dann muss man sich sehr stark dagegen wehren, in diesen Sog reinzugeraten, dass man nur noch darauf schielt, welchen Preis könnte man gewinnen oder welche äußere Ehrung könnte man bekommen. Das ist eigentlich nicht der Sinn des Schreibens! Ich finde, man muss da richtig gegen ankämpfen. Man schreibt nicht für Preise, sondern man schreibt, um sich selbst auszudrücken und sich selbst verstehen zu lernen im Laufe des Lebens. Das ist eigentlich der Sinn des Schreibens. Dieser ganze äußere Kram und die ganze Aufregung in Bezug auf Preise ist gefährlich, weil sie einen noch eitler macht, als man ohnehin schon ist. Dann folgen naturgemäß auch Enttäuschungen, weil man Erwartungen nicht erfüllt sieht. Das ist eine ganz zweischneidige Sache.

Haben Sie sich mit den Titeln der 19 anderen Nominierten beschäftigt? Wer war für Sie der Favorit auf den Deutschen Buchpreis?

Ich habe mich weder mit der Shortlist noch mit der Longlist beschäftigt. Ich dachte, es kann nicht sein, dass ich jetzt anfange zu lesen und zu versuchen rauszukriegen, wer besser sein könnte als ich … Das ist Wahnsinn! Im Gegenteil: ich habe das alles verdrängt! Ich kannte einige Namen und habe gedacht, dass ich mich einfach dem Schicksal überlasse. Komischerweise war ich dann gar nicht so furchtbar bedrückt, dass ich nicht auf die Shortlist gekommen bin, denn mir war klar, was das bedeutet: dass ich am Ende hier mit fünf anderen sitze und nicht weiß, ob ich den Preis gewinne oder nicht und das wollte ich mir eigentlich ersparen. Das ist dann doch eine psychologische Stresssituation.

Ihr Debütroman erschien erst vor gerade einmal zwei Jahren – warum haben Sie sich erst so spät dazu entschieden, zu schreiben?

Ich schreibe, seit ich Anfang zwanzig bin, aber immer für die Schublade. Schriftsteller zu werden war mein erster Berufswunsch, eigentlich. Dann kam aber erst einmal das Studium, dann kam die literarische Übersetzung, aber dennoch zog sich das Schreiben wie ein Faden durch mein Leben. Ich habe immer gedacht, dass das, was ich als Roman in der Schublade habe, nicht gut genug ist. Ich konnte es niemandem zeigen. Dann wird man auch durch andere Sachen abgelenkt, durch andere berufliche Sachen, z.B. eine größere Übersetzung. Wenn die Übersetzung fertig ist, klemmt man sich wieder hinter den Roman, der schon ewig rumliegt. Eigentlich hätte ich auch bis an mein Lebensende nie etwas vollenden können, aber durch das Grenzgänger-Stipendium, das ich 2008 erhalten habe, war ich gezwungen, irgendetwas abzuliefern. Durch dieses Stipendium war ich zum ersten Mal gezwungen, einen Roman wirklich zu beenden. Seitdem weiß ich, dass es geht und ich habe etwas, das eigentlich viel älter ist, also den Roman „Der wahre Sohn“, endlich zu Ende geschrieben. Irgendwie nimmt man dann auch eine andere Arbeitsdisziplin an.

Sie arbeiten nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Übersetzer. Worin unterscheiden sich diese beiden Tätigkeiten?

Das sind komischerweise völlig unterschiedliche Tätigkeiten, obwohl es beides mit Sprache zu tun hat. Dadurch, dass man als Autor wirklich von null und mit einem leeren Blatt Papier anfängt, ist es viel persönlicher. Es geht viel näher und was man dann produziert, ist auch viel mehr man selbst – in irgendeiner verfremdeten Form. Wenn man übersetzt, muss man auch sprachlich gut sein, aber man hat letztlich nicht die Verantwortung für das, was der Autor sagt. Man ist auch nicht so empfindsam für Kritik, man hat den Autor immer wie ein Schild vor sich, auch bei Lesungen. Ich sitze zwar neben dem Autor auf dem Podium, aber ich bin nicht der eigentlich Verantwortliche. Ich bin ein Dienstleister. Ein hochangesehener Butler. Seitdem ich selbst übersetzt werde, habe ich gemerkt, wie unheimlich wichtig literarische Übersetzer sind, das war mir vorher nicht so klar. Als die „Toten Tiere“ ins Polnische übersetzt wurde und die Übersetzung ziemlich missraten war und auch nicht erschienen ist, habe ich gedacht: das ist ja eine ungeheure Verantwortung! Du erscheinst in einer anderen Sprache, aber eigentlich erscheinst du so, wie dein Übersetzer eben in der Lage ist, dich zu übersetzen. Wenn der bestimmte Beziehungen im Buch nicht erkennt, bestimmte Wortspiele oder Anspielungen nicht versteht, dann bist du am Ende ein Zerrspiegel deiner selbst. Dann bist du eine Karikatur. Seitdem habe ich wirklich einen enormen Respekt vor literarischen Übersetzern und für literarische Übersetzer.

Bekannt geworden sind Sie vor allem als Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen – was verbindet Sie mit diesen beiden Sprachen?

Ich habe Russisch nicht in der Schule gelernt, habe auch keine familiären Beziehungen. Ich komme aus Norddeutschland, aus Wilhelmshaven. Ich wollte eigentlich Psychologie studieren, habe aber dann nebenbei einen Russischkurs belegt. Die Sprache hat mich von Anfang an so fasziniert, dass ich nicht mehr davon weggekommen bin. Im nächsten Semester habe ich dann Slavistik gemacht und in diesem Rahmen Russisch, Polnisch und Serbokroatisch gelernt. Russisch hat mich von Anfang an begeistert, es war für mich die Sprache eines geheimnisvollen Reichs, von dem nicht alle wussten, was darin vorgeht. Die Sprache ist für mich sehr gefühlsmäßig besetzt. Das Polnische wiederum ist verbunden mit vielen Freunden und auch mit meiner Frau. Beide Sprachen stehen in einem engen Zusammenhang mit meinem Lebensweg, haben aber ansonsten keinerlei familiären Ursprung.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie sich so in diese beiden Sprachen hineingearbeitet haben, dass Sie sie auch übersetzen können?

Ich habe schon während des Studiums kunsthistorische Texte aus dem Russischen übersetzt, um Geld zu verdienen. Nach dem Studium dachte ich, dass ich als Osteuropaexperte und Sprachwissenschaftler der gesuchte Mann bin, aber tatsächlich war es so, dass niemand auf mich gewartet hatte. Mein großes Glück war, dass mein Professor mir die ersten literarischen Übersetzungen gegeben hat, das war damals noch für den Hanser Verlag. Mit Witold Gombrowicz hatte ich gleich zu Anfang schwere Literatur, habe das aber offenbar gut gemacht, denn danach kam eine Anfrage nach der anderen von den Verlagen und dann war ich da plötzlich drin.

Woran empfinden Sie mehr Freude, am Schreiben oder am Übersetzen?

Ich empfinde das Übersetzen als ganz erholsam, wenn man zuvor etwas geschrieben hat. Schreiben ist anstrengend. Beim Schreiben geht es wirklich ans Eingemachte, weil man etwas aus sich selbst befreien muss. Wenn man danach ein Buch übersetzen kann, was man gut findet, dann ist das so, als würde man plötzlich ins Wasser springen und schwimmen können, ohne für alles verantwortlich zu sein. Man kann sich aber dennoch bewegen. Übersetzen ist für mich wie die Gymnastik nach dem Schreiben.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit …

Collage Proust

Die “Literarische Welt” feiert am heutigen Samstag den Geburtstag eines Jahrhundertwerks – es ist der Geburtstag von Marcel Prousts Roman “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”, den dieser zwischen 1908 und 1922 geschrieben hat und dessen erster Teil im Jahr 1913 erschienen ist. Die schön gestaltete Ausgabe umfasst einen Text von Christian Berkel und ein Interview mit dem Proustkenner Alain de Botton. Außerdem kommen unter der Überschrift “Hat Proust ihr Leben verändert” einige deutschsprachige Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu Wort, die über ihre eigene Proustlektüre sprechen. Online gibt es sogar die Möglichkeit, einen Proust-Test zu absolvieren.

All dieses ermöglicht einen schönen Einblick in die Welt und die Literatur Prousts, über den ich so vieles gelesen habe, an dessen Roman ich mich jedoch selbst noch nie herangetraut habe. Vielleicht wecken die positiven Erfahrungen der Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Clemens Setz kommt unter anderem zu Wort, bei dem ein oder anderen die Lust, sich einzulassen auf dieses literarische Wagnis und die “Recherche” zu lesen. Bei mir hat es dies definitiv getan! 🙂

Für alle anderen kann ich folgendes Buch zum sanften Einstieg empfehlen:

#leselawine

Auf dem Blog zum Literaturfest München wurde die schöne Idee zu einer Leselawine ausgerufen. Die Idee dahinter ist denkbar einfach: die ersten Worte eines Buches sind häufig etwas Besonderes, in manchen Fällen entscheiden sie darüber, ob wir ein Buch kaufen, in anderen Fällen darüber, ob wir ein Buch anfangen zu lesen. Manche erste Sätze sind berührend, haben einen Nachhall – andere wiederum sind fürchterlich nichtssagend und banal. Die Leselawine ruft dazu auf, erste Sätze zu teilen – dies können die ersten Sätze der aktuellen Lektüre sein, oder auch die ersten Sätze unserer Lieblingsbücher, Hauptsache viele machen mit, um auch überhaupt eine Lawine loszutreten.

Leselawine Collage

Ich mache natürlich auch mit! 😀 Der erste Satz, für den ich mich entschieden habe, stammt aus dem Roman “Fünf Kopeken” von Sarah Stricker, den ich in den letzten Tagen begeistert verschlungen habe. Hängengeblieben ist der erste Satz bei mir, weil er ungewöhnlich ist und mit den Erwartungen und Vorstellungen des Lesers bricht. Dürfen Mütter hässlich sein?

Frankfurt, meine Perle.

Eindrücke

Der Anblick der Hochhäuser, die mich beim Blick aus dem Fenster des Zugabteils begrüßt haben, war eher deprimierend und ernüchternd, doch als ich erst einmal die heiligen Hallen der Frankfurter Buchmesse betreten habe, haben mich das Buchmessenfieber und der überall postulierte und viel beschworene Messewahnsinn sofort gepackt. Für mich war dies nicht nur der erste Besuch der Frankfurter Buchmesse, sondern auch der erste Besuch einer Buchmesse als Literaturbloggerin – ich bin nicht nur zum Spaß nach Frankfurt gereist, sondern auch zum Arbeiten und diese Arbeit hat sich gelohnt. Ich habe einige schöne und interessante Gespräche und Interviews mit Autoren und Autorinnen geführt, andere Blogger und Bloggerinnen getroffen und einigen Verlagen endlich einmal auch die Person hinter meinem Blog vorstellen dürfen.

Bücherwände

Wenn man den Strom der Menschen betrachtet, der sich am Messesamstag die Rolltreppen hoch und runter geschoben hat, muss man sich um die Zukunft des Buches kaum noch Sorgen machen. Einerseits. Andererseits  ist der Eindruck, dass es auf der sogenannten Buchmesse immer weniger um das Buch geht, sondern stattdessen um Vermarktung, Geschäfte und die fortschreitende Digitalisierung, nicht wegzudiskutieren. Ich glaube aber ganz fest daran, dass sich beides – das Buch als Gut und die damit verbundenen Geschäftsmodelle oder Digitalisierungsprozesse – nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Für die Literatur ist es wichtig, nicht in einem Elfenbeinturm zu sitzen, sondern sich neuen und innovativen Ideen gegenüber offen zu zeigen. Beides kann nebeneinander existieren und im Idealfall kann beides voneinander profitieren und sich ergänzen. Begriffe wie Digitalisierung oder Non Books, nehmen mir nicht den Zauber der Literatur, den ich immer noch beim Lesen eines gedruckten Buches empfinde – aber sie zeigen möglicherweise Alternativen und Wege auf, die man gehen kann, die aber niemand gehen muss.

Werkschau Deutscher Buchpreis

Leseinsel der unabhängigen Verlage

“Ich verlange verdammt noch mal von jedem Autor, der hier auf den Sofas sitzt, dass es ihm um Kunst und Literatur geht!” (Clemens Meyer im Interview auf dem Blauen Sofa.)

Wenn man sich Zeit und Ruhe genommen hat, konnte man auch  in Frankfurt feststellen, dass es Orte gab, an denen Literatur im Mittelpunkt stand. Besonders beeindruckt hat mich die schöne Werkschau zum Deutschen Buchpreis, aber auch die Leseinsel der unabhängigen Verlage, die deutlich machte, wie viele unabhängige Verlage es gibt und wie interessant und unterschiedlich deren Profil ist. Es gab viele interessante Lesungen und Gespräche mit Autoren und Autorinnen und es ist beruhigend für mich, dass die neue Preisträgerin des Deutschen Buchpreises 2013 ein ähnlich großes Publikum anzieht, wie Boris Becker, der in diesen Tagen seine zweite Autobiographie veröffentlicht hat. Ich habe immer wieder mit Freude Menschen beobachtet, die sich durch das Angebot an Büchern blätterten und sich besonders interessante Titel auf Notizzetteln und in kleine Notizbücher notierten.

Auch die sogenannten “Non Book”-Bereiche auf der Buchmesse, hatten vieles zu bieten, was das Bücherherz höher schlagen lässt. Es gab wunderschöne Produkte, aber auch immer mal wieder die Gelegenheit selbst aktiv zu werden und zum Beispiel zum Pinsel zu greifen.

Eindrücke 2

Die Stände der Verlage waren ganz unterschiedlich gestaltet, es gab die ganze Bandbreite – von kleinen und überschaubaren Ständen, bis hin zu großen Ständen, die aufwendig gestaltet waren und auf denen man sich beinahe schon fast verlaufen konnte. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Autorenbaum von Bastei Lübbe.

Autorenbaum

Ich habe meine Zeit auf der Frankfurter Buchmesse genossen und bin mit einer ganzen Menge Mut und Begeisterung, enormer Bestätigung und ganz viel Inspiration, vielen Ideen und einer Menge Interviews im Gepäck nach Hause zurückgekehrt. 🙂

Alice Munro gewinnt den Nobelpreis für Literatur 2013

Alice Munro Nobelpreis

Es war kurz nach 13 Uhr, als ich auf der Frankfurter Buchmesse zufällig am Stand des S. Fischer Verlags vorbeischlenderte und auf einem Zettel, der an einem Regalfach befestigt war, die Nachricht las: der Nobelpreis für Literatur 2013 geht an Alice Munro. Trotz des allgegenwärtigen Messewahnsinns habe ich kurz innegehalten und mir etwas Zeit genommen. Zeit, um mich zum einen über diese Nachricht zu freuen und Zeit dafür, durch ihre dort ausgestellten Bücher zu blättern. Es brauchte nur wenige Seiten, um mich erneut in die Welt von Alice Munro hineinzuziehen.

Alice Munro, die 1931 in Kanada geboren wurde, ist bekannt für ihr umfangreiches Werk, darunter eine Vielzahl an Kurzgeschichten, interessanterweise jedoch nur ein einziger Roman. Es gab eine Zeit in meinem Leben, zu der ich mich durch diese ganz besondere Welt der kurzen Geschichten von Alice Munro hindurch gelesen habe. Es war eine Zeit, zu der ich noch keine Rezensionen geschrieben habe – deshalb finden sich von ihr leider keine Spuren in meinem literarischen Gedächtnis, ihre Geschichten trage ich dennoch immer noch in meinem Herzen und eine solche Preisverleihung ist ja auch immer wieder ein schöner Anlass dafür, Bücher erneut zu lesen.

Dem Literaturnobelpreis wurde in den vergangenen Jahre immer mal wieder nachgesagt, bei der Auswahl der Preisträger vor allem politische Aspekte im Blick zu haben – dies kann bei Alice Munro ausgeschlossen werden. Besonders macht diese Auszeichnung in meinen Augen auch die Tatsache, dass das Werk von Alice Munro durch Kurzgeschichten bestimmt wird. Die sogenannten “short stories” sind kein leichtes Genre und auch ich habe mich lange mit dieser Literaturform nicht wirklich anfreunden können, doch Alice Munro beherrscht die Kurzgeschichten wie eine Meisterin. Mein Literaturherz schlägt höher, seitdem ich weiß, dass Alice Munro für ihre literarischen Welten, die mich selbst so lange begleitet und so intensiv geprägt haben, mit dem Literatur Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Chapeau und Glückwunsch nach Kanada!

Wer Alice Munro noch nicht kennt, dem empfehle ich einen Blick in einen schönen Essay von Jonathan Franzen und in den umfangreichen Führer durch ihr Werk bei The Millions.

Alice Munro

Ein Gruß von der Frankfurter Buchmesse!

Gruß Buchmesse

Wer sich gewundert haben sollte, warum es bei mir etwas stiller geworden ist: ich treibe mich im Moment auf der Frankfurter Buchmesse herum und bin so an Eindrücken angefüllt, dass ich mich hier erst wieder zu Wort melden kann, wenn das Buchmessenfieber abgeklungen ist. Meine Zeit in Frankfurt ist anstrengend, aber gleichzeitig auch wunderschön! Ich habe bereits einige tolle Autoren und Autorinnen getroffen, Interviews geführt, Lesungen besucht, Menschen aus dem Internet endlich in der realen Welt getroffen und meine Wunschliste um endlos viele weitere Titel erweitert.

Ich freue mich schon darauf, euch mehr über die diesjährige Frankfurter Buchmesse berichten zu können. 🙂

Die Verleihung des Deutschen Buchpreis – eine Feier der Literatur!

Im Kaisersaal des Frankfurter Römer wurde gestern – am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse – der Deutsche Buchpreis verliehen. Das beeindruckende Ambiente des Kaisersaals war genauso stimmungsvoll, wie die ganze Veranstaltung. Das Publikum war gespickt mit Literaturgrößen wie Michael Krüger und Jo Lendle, aber auch mit prominenten Namen: von Michel Friedman bis zu Bärbel Schäfer.

Ambiente

Nachdem zunächst Prof. Dr. Felix Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt Frankfurt am Main zu Wort kam, folgte von Prof. Dr. Gottfried Honnefelder die Ansprache zur Preisverleihung. Doch bevor, der Preisträger bekannt gegeben wurde, stellte Gert Scobel, der für die Moderation zuständig gewesen ist, zunächst die Jury des Deutschen Buchpreis vor. Der Juryvorsitzende Helmut Böttinger wurde vom Moderator in ein literarisches Kreuzverhör genommen. Der freie Kritiker und seine fünf Kollegen und Kolleginnen hatten die Mammutaufgabe, aus 254 Romanen zunächst eine Longlist und später eine Shortlist zu erstellen und damit eine Auswahl, mit der selten alle zufrieden gestellt werden können. Gert Scobel konstatierte, dass eine Shortlist selten zuvor so intensiv diskutiert worden ist, wie in diesem Jahr. Helmut Böttinger gelang es mit Souveränität und Ruhe eine Shortlist zu begründen, mit der ich selbst nicht immer ganz einverstanden gewesen bin. Für ihn bedeutet der Begriff Anspruch nicht gleich, dass etwas schwer lesbar ist und dennoch hat ein Wort wie Anspruch heutzutage beinahe schon etwas Anrüchiges. Kriterien habe die Jury bei der Bewertung der Romane nicht gehabt, doch zwei Begriffe standen in ihrer Herangehensweise an die ausgewählten Bücher besonders im Mittelpunkt: die Sprachkunst und die Sprachästhetik. In diesem Sinne bezeichnet Helmut Böttinger die Shortlist als ein Kompendium der gegenwärtigen Sprachästhetik.

Moderation

Im Anschluss wurden die fünf Autoren und zwei Autorinnen in Kurzfilmen vorgestellt, die Überraschendes offenbarten: Mirko Bonné verriet das Ende seines eigenen Romans, Terézia Mora verriet dagegen, dass eine Fortsetzung bereits in Planung ist und über Clemens Meyer erfuhren wir, dass er sich unter dem Pseudonym Günter Meyer als Künstler verdingt.

Schließlich, um kurz vor 19 Uhr, war es endlich soweit und Terézia Mora wurde als Preisträgerin des Deutschen Buchpreis 2013 bekannt gegeben. Ausgezeichnet wurde die Autorin für einen Roman, der, geteilt durch einen schwarzen Strich, eine Geschichte einer Ehe erzählt. Es ist die Geschichte zweier Charaktere, getragen von zwei Textformen. In der Begründung der Jury wird “Das Ungeheuer” als sowohl tiefbewegend, als auch zeitdiagnostisch bezeichnet. Lautem Applaus folgte eine sympathische Rede einer sehr sympathischen Autorin. Obwohl ihr empfohlen wurde, eine kleine Rede vorzubereiten, hat sie sich im Vorfeld keine Notizen gemacht. Vom Pressechef des Luchterhand Verlags wurde ihr geraten “Thank you, Mom!” zu sagen. Das sagte Terézia Mora dann auch, unter anderem. Darüber hinaus bedankte sie sich für die brauchbaren und auch unbrauchbaren Gespräche während des Schreibprozesses, denn ob brauchbar oder nicht, es ist besser, Gespräche zu führen, als nicht zu sprechen. Der schönste Satz der Dankesrede war das Bekenntnis Moras zu ihrer eigenen Literatur: “Ich stehe mit dem ganzen Leben hinter jedem einzelnen Satz.”

Preisträgerin

Herzlichen Glückwunsch an Terézia Mora, die in einem starken Jahr einen wichtigen Literaturpreis gewonnen hat. Glückwunsch aber auch an all die anderen nominierten Autoren und Autorinnen, die mit ihren Werken den bisherigen Bücherherbst bestimmt haben. Die Jury des Deutschen Buchpreis kann nicht den Geschmack der Lesermasse bedienen, wenn es denn so etwas überhaupt gibt, aber sie können spannenden, guten aber auch polarisierenden und diskussionswürdigen Büchern eine Bühne bieten und Leser und Leserinnen zum Lesen anregen, aber auch zum Diskutieren. Ist das nicht das Wichtigste?

An diesem Montagabend wurden viele wichtige und richtige Dinge gesagt, doch zwei Sätze sind mir besonders im Gedächtnis geblieben: “Literaturpreise sind die Leuchttürme der heutigen Literaturwelt” und die “Verleihung des Deutschen Buchpreis ist der Sonnenaufgang der beginnenden Frankfurter Buchmesse”. Am Ende dieses Abends – mitten im Sonnenaufgang des Blitzlichtgewitters – stand mit dem “Ungeheuer” von Terézia Mora nur noch ein Roman von ursprünglich sechs Titeln im Mittelpunkt und doch war es gleichzeitig mehr als das: eine großartige Feier für die Literatur und von der Literatur. Mein Literaturherz schlägt Kapriolen vor Glück, hautnah dabei gewesen sein zu können.

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