“Wachstumsschmerz” von Sarah Kuttner ist sicherlich ein Buch, das nicht ganz in mein eigentliches Beuteschema passt. Zwischendurch hatte ich schon fast das Gefühl, dass mir die Lektüre in irgendeiner Art und Weise fast unangenehm sein müsste: das ist ja trivial!, warum liest du denn ein Buch von der Kuttner?
Ich bin mir mit der Zeit immer unsicherer geworden, ob ich meine Rezension zu diesem Buch hier überhaupt vorstellen kann oder vielleicht auch darf. Erfülle ich mit dieser Lektüre vielleicht nicht den bisherigen literarischen Anspruch meines Blogs? Wer definiert überhaupt so etwas wie “literarischer Anspruch”? Wer entscheidet, ob etwas “trivial” ist, oder nicht? Ich habe eine Schwäche für Bücher, die eine bestimmte Sprache, Lebensweise und Generation verkörpern … schon an “Mängelexemplar” konnte ich nicht vorbeigehen, genauso wie an dem Buch von Helene Hegemann, den Texten von Airen oder dem neuen Roman von Kim Frank.
“Wachstumsschmerz” ist mit Sicherheit kein literarisch anspruchsvoller Roman, aber Sarah Kuttner hat mit Luise – der Hauptfigur – einen Charakter geschaffen, mit dem ich mich an vielen Stellen identifizieren konnte, da auch ich grade einen ähnlichen Abschnitt meines Lebens erlebe.
“Wann ist denn nur alles so kompliziert geworden?”
Luise ist Anfang dreißig und steht vor der Entscheidung, mit ihrem Freund Flo zusammenzuziehen. Sie arbeitet als selbstständige Schneiderin – eine Arbeit, mit der sie nicht viel Geld verdient, als Leser bekommt man jedoch schnell den Eindruck, dass es ihr an Hunger und Ehrgeiz fehlt, weiter zu kommen. Nebenbei hat sie in einer Agentur eine Modelkartei und wird immer mal wieder für einzelne Aufträge angeworben – aber auch da fehlt ihr der Ehrgeiz, es wirklich hoch hinaus zu schaffen.
“Ich habe nie den Reiz verspürt, berühmt zu werden, im Mittelpunkt zu stehen, mein Gesicht in Zeitungen zu sehen. Ich bin kein geborener Entertainer, keine Schönheit, ich habe keinerlei Bedürfnis mich herumzuzeigen wie etwas besonders Gelungenes. Nicht dass ich mich nicht für gelungen halte, aber meine Ambitionen sind nun mal kümmerlich und mein Talent augenscheinlich auch.”
Mit Flo, der in einer Kletterhalle arbeitet, ist Luise seit einigen Jahren zusammen und nach langem Hin und Her haben sie sich entschieden, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Dieser Schritt, in eine erste gemeinsame Wohnung zu ziehen, nimmt im Leben von Luise und Flo viel Raum ein.
“Mit Anfang dreißig planen einige von ihnen schon das zweite Kind, wir werden fast verrückt vor Angst zusammenzuwohnen. Woher nehmen all diese Menschen nur die Sicherheit? Den Mut, einen so gewichtigen Schritt so dermaßen leichtfüßig zu gehen? Unsere Füße sind bleischwer. Wir haben nie unsere Wohnungen mit unseren Partner geteilt. Wir haben immer allein gewohnt. […] Ich bin keine zwanzig mehr, mir ist egal, dass andere Mütter auch schöne Söhne haben, dass da plenty more fish in the sea ist, dass die Liebe ein seltsames Spiel ist, schließlich kommt und geht sie von einem zum anderen. Bei uns ist sie gekommen und geblieben.”
Immer wieder bekommt man den Eindruck, dass beide eher einer Choreographie folgen, von der sie glauben, dass sie von ihnen verlangt wird, als ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen:
“Weshalb liege ich hier in der Nacht vor meinem ersten Umzug zu zweit und habe das Gefühl, nur Erwachsensein zu spielen? Etwas zu tun, was von mir erwartet, aber nicht notgedrungen in gleichem Maße gewollt wird?”
Schließlich finden Luise und Flo eine gemeinsame erste Wohnung. Beide müssen jedoch schon recht bald erleben, dass dieser gemeinsame Schritt in eine erwachsene Welt, nicht automatisch Glück bedeutet. Es dauert lange, bis Luise und Flo ihren Alltag und ihre Leben aufeinander abstimmen können und mit der Zeit schleicht sich immer stärker ein nagendes, schweres Gefühl in ihre Beziehung. Luise hat das Gefühl zu wenig Ich-Zeit zu bekommen, da ihr gemeinsames Leben, nur noch aus einem ganz großem Wir besteht – ohne jegliche Freiräume. Luise beschreibt dieses Gefühl sehr eindrücklich in folgendem Satz:
“Ich würde meinem Freund so gerne ein wenig beim Leben zusehen, aber ich bin immer so nah bei ihm, dass ich ihn gar nicht mehr sehen kann.”
Der Mangel an Ich-Zeit führt dazu, dass Luise sich irgendwann dazu gezwungen sieht, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.
Mir hat “Wachstumsschmerz” der zweite Roman von Sarah Kuttner gut gefallen. In einer lakonischen, beinahe leichtfüssigen Sprache lässt Sarah Kuttner den Leser am Leben von Luise und Flo teilnehmen und beschreibt viele Gefühle, Emotionen und Ängste so nachdrücklich, dass ich mich in einzelnen Episoden immer wieder selbst erkannt habe.
Im Mittelpunkt des Romans steht sicherlich die Frage: erwachsen sein oder erwachsen spielen? An dieser Stelle empfinde ich auch den Titel des Romans “Wachstumsschmerz” als sehr passend … erwachsen handeln, etwas tun, was von einem als Erwachsener erwartet wird, zu wachsen, ist häufig gleichzeitig auch mit vielen Schmerzen verbunden.
Kein hoch literarisches oder gar anspruchsvolles Buch, aber dennoch sehr lesenswertes. Ich habe durch die Lektüre viel über mich lernen können … und jetzt habe ich erst mal Lust auf M&M’s, natürlich farblich sortiert!