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Lebensbücher

Wenn ich eines liebe, dann sind es diese Literaturbeilagen, die regelmäßig den großen Tages- und Wochenzeitungen beiliegen: zu Weihnachten, zu den Buchmessen und natürlich auch zur Sommerzeit. Der neue Literaturspiegel, der der aktuellen Ausgabe des SPIEGELS beiliegt, kommt dieses Mal als Sommerausgabe daher: es werden zehn Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach den Büchern ihres Lebens gefragt, nach Büchern, die sie verwandelt, verändert und geprägt haben. Für mich ist so etwas immer eine Einladung, auf Entdeckungsreise zu gehen: ein Buch, das für andere ein Buch des Lebens gewesen ist, das könnte doch auch für mich interessant sein, oder? Es sind Navid Kermani, Elke Heidenreich, Joachim Meyerhoff, Feridun Zaimoglu, Orhan Pamuk, Katja Petrowskaja, Juli Zeh, Saša Stanišić, Eva Menasse und Zeruya Shalev die Auskunft über ihre Lektüre geben. Der schönste Satz, den ich mir in der Beilage angestrichen habe, stammt übrigens von Eva Menasse:

Und all das viele, was man gelesen hat, ist am Ende nur ein Papierschiffchen auf dem Meer des Genialen, Ungelesenen.

Es ist wunderbar durch die Leseempfehlungen der Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu blättern, ihrer Begeisterung nachzuspüren und dabei bekannte und noch ganz und gar unbekannte Bücher zu entdecken.

Erwähnung finden unter anderem die folgenden Bücher:

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Navid Kermani empfiehlt Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust, Elke Heidenreich Homer Hickam mit Albert muss nach HauseJoachim Meyerhoff erwähnt Sylvia Plath und ihren Roman Die Glasglocke, Feridun Zaimoglu nennt Hiob von Joseph Roth, von Orhan Pamuk kommen die Tipps Bekenntnisse von Jean-Jacques Rousseau und Die Dämonen von Fjodor Dostojewski, Eva Menasse empfiehlt Zeiten des Aufruhrs von Richard Yates und Tipps für die Wildnis von Margaret Atwood, Katja Petrowskaja weist auf Alice im Wunderland von Lewis Carroll hin, während Juli Zeh gleich mehrere Lieblingsbücher hat (Freiheit von Jonathan Franzen und Unendlicher Spaß von David Foster Wallace). Ach, und von Zeruya Shalev wird Das öde Land von T.S. Eliot als Lebensbuch genannt.

Eine – wie ich finde – tolle und spannende Mischung aus aktuelleren Büchern und Klassikern, einige davon sind direkt auf meine Wunschliste gewandert. Besonders neugierig geworden bin ich auf Albert muss nach Hause. Wenn ich darüber nachdenken würde, welches Buch mein Lebensbuch ist, dann könnte ich mich übrigens nur schwer entscheiden, auch wenn es natürlich einige Bücher gibt, die mich besonders geprägt haben – das sind weniger Neuerscheinungen, sondern eher Bücher, die ich bereits vor vielen Jahren gelesen habe. Ich denke dabei zum Beispiel an Der Fänger im Roggen, vielleicht lieber morgen oder Buzz Aldrin wo warst du in all dem Durcheinander.

Wie ergeht es euch denn: habt ihr Bücher, die ihr als Lebensbücher bezeichnen würdet? Bücher, die euch besonders geprägt haben? Ich bin gespannt! 🙂

Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte – D.T. Max

Am 12. September 2008 hat sich der Schriftsteller David Foster Wallace das Leben genommen, er erhängte sich in seiner Garage, nachdem er jahrelang mit schweren Depressionen gekämpft hatte. Seinen Büchern gemein ist eine überbordende Phantasie und eine alles durchdringende Traurigkeit. D.T. Max legt, sechs Jahre später, eine Biographie vor, die versucht alles nach zu erzählen: angefangen von einer scheinbar glücklichen Kindheit, bis hin zu den dunkelsten Stunden eines schwerkranken Mannes.

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Jede Geschichte hat einen Anfang, und so fing die Geschichte von David Wallace an: Er wurde am 21. Februar 1962 in Ithaca, New York geboren.

D.T. Max ist Absolvent der Harvard University, Stipendiat der Guggenheim Foundation und schreibt regelmäßig für den New Yorker. D.T. Max hat David Foster Wallace nie kennengelernt, er hat ihn nur ein einziges Mal auf einer Verlagsparty getroffen. Da es keine eigenen Erinnerungen gibt, auf die er zurückgreifen kann, greift er auf die Erinnerungen von Freunden und Familienangehörigen zurück, in diesem Sinne ist die vorliegende Biographie weniger ein Werk eines einzelnen Autors, als eine Form des kollektiven Gedächtnisses, in das Erinnerungen zahlreicher Begleiter und Weggefährten von David Foster Wallace eingeflossen sind. Für diese Biographie hat sich D.T. Max auf eine komplexe Suche begeben, auf die Suche nach dem wahren David Foster Wallace: dabei hat er nicht nur in den Texten dieses vielschichtigen Autors gesucht, sondern auch in dessen Kindheit und in dessen Beziehungen.

Flüssig und mitreißend erzählt D.T. Max vom Leben dieses außergewöhnlichen Schriftstellers, der in einem behüteten Elternhaus aufwächst, in dem ihm jedoch viele Freiheiten gewährt werden. Erst spät in seinem Leben beginnt Wallace damit, seine Kindheit zu hinterfragen und nimmt dabei besonders seine Mutter in den Blick. Die Schwierigkeiten, die Jahre später schließlich zu seinem Selbstmord führen, beginnen bereits, als David Foster Wallace ein Teenager ist und seinen ersten Zusammenbruch erlebt. Von diesem Moment an schwankt er immer wieder zwischen Genialität, er wird beispielsweise als bester Student bezeichnet, den die Universität Amherst je gehabt hat und Momenten der absoluten Zerstörung und Verzweiflung. Der glücklichen Kindheit steht das Leben eines jungen Mannes gegenüber, das geprägt ist von Zusammenbrüchen.

Seine Qualen, schrieb er, strömten aus verschiedenen Quellen, von der Angst vor dem Ruhm bis zur Angst vor dem Scheitern. Hinter den gewöhnlichen Ängsten lauerte die Angst, gewöhnlich zu sein.

Aus einem notorischen Kiffer wird ein schwerkranker Alkoholiker, aber auch diese Sucht überwindet David Foster Wallace – nur diese alles überwältigende Traurigkeit, die kann er sein ganzes Leben lang nie wirklich abschütteln. Das Leben von David Foster Wallace ist auch geprägt von Beziehungen, die er immer wieder nach kurzer Zeit beendet. Es wäre zu leicht, all dies auf seine Kindheit zurückzuführen, die glücklich erscheint und doch geprägt gewesen ist, von den unterschiedlichen Persönlichkeiten seiner Eltern. Doch die Wurzeln der immensen Traurigkeit, wurden sicherlich damals schon gelegt und konnten nie mehr gekappt oder aus der Erde gerissen werden. Von all dem erzählt D.T. Max auf eine Art und Weise, dass man glaubt, einen Roman zu lesen: mitreißend und unterhaltsam. Doch unter dieser Oberfläche lauert eine beständige Traurigkeit, der man sich beim Lesen immer bewusst ist.

Ein Mittel, das in dieser Biographie immer wieder gewählt wird, ist das des Briefes: D.T. Max zitiert aus zahlreichen Briefen, die David Foster Wallace an Freunde und Bekannte geschrieben hat. Besonders eindrücklich ist mir ein Brief im Gedächtnis geblieben, den er an seinen Freund Jonathan Franzen schrieb:

Ich kann nur sagen, dass ich das vielleicht vor zwei, drei Jahren für Dich war und vielleicht in 16 Monaten oder zwei oder 5 oder 10 Jahren wieder sein kann, aber im Moment bin ich ein kläglicher und sehr verwirrter junger Mann, mit 28 ein gescheiterter Schriftsteller, der so eifersüchtig ist, so scheußlich neidisch auf Dich […], dass ich die Selbsttötung als logische – wenn auch im Moment nicht wünschenswerte – Lösung des ganzen jämmerlichen Problems betrachte.

Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte, das hervorragend von Eva Kemper ins Deutsche übertragen wurde, ist ein wahres Leseerlebnis, denn es ist nicht nur eine Annäherung an den Menschen David Foster Wallace sondern auch an seine Texte. Leicht beschämt muss ich an dieser Stelle gestehen, dass ich – bis auf Das ist Wasser – noch nichts von Wallace gelesen habe. All denen, denen es genauso geht wie mir, kann ich diese Biographie nur ans Herz legen, denn sie macht Lust darauf, dieses vielschichtige Werk, das David Foster Wallace hinterlassen hat, zu erkunden. Die Seiten der Biographie sind dicht befüllt mit zahlreichen Verweisen und Informationen, die das Buch jedoch an keiner Stelle zu einer zähen oder langatmigen Lektüre machen.

Seligkeit – eine jede einzelne Sekunde erfüllende Wonne und Dankbarkeit über das Geschenk, am Leben zu sein und Bewusstsein zu haben – ist das Gegenteil der niederschmetternden Langeweile.

Der Titel der Biographie fängt die Essenz des Lebens von David Foster Wallace perfekt ein: die Biographie ist eine Liebesgeschichte, denn sie erzählt von einer unbändigen Liebe zur Sprache, zu Worten, zur Literatur und zum Schreiben. Gleichzeitig ist sie jedoch auch eine düstere Geistergeschichte, die von dunklen Stunden und einem schwarzen Loch mit Zähnen erzählt. Vielleicht ist genau das auch die Essenz, die ich aus dieser Lektüre mitnehme: das Leben kann häufig aus beidem bestehen, aus Liebe und aus Geistern. Man sollte das Geschenk am Leben zu sein solange genießen, wie man kann, denn manchmal lauern die Geister schon im Hintergrund.

Blogparade 2012

Unfassbar, dass das Lesejahr 2012 bereits wieder vorbei ist. Vor einem Jahr habe ich zum ersten Mal bei der Blogparade mitgemacht und die Zeit dazwischen ist für mein Empfinden beinahe wie im Flug vergangen. Ich blicke auf ein bewegtes und schönes Blogjahr 2012 zurück: ich habe im Zusammenhang mit meinem Blog viele schöne und positive Erfahrungen machen dürfen, viele interessante Menschen kennengelernt und einen durchweg schönen literarischen Austausch gehabt, über den ich mich sehr gefreut habe. Daneben habe ich in diesem Jahr aber auch viele tolle Bücher gelesen und einige wenige, die mich leider nicht ganz erreichen konnten.

Über die Antworten auf die folgenden Fragen habe ich eine ganze Weile nachdenken müssen, denn die Bücher, die ich am Anfang des Jahres gelesen haben, liegen bereits eine ganze Weile zurück, andere, die ich vor kurzem gelesen habe, sind mir noch viel frischer im Gedächtnis und die Gefühle, die ich mit ihnen verbinde, sind noch sehr viel intensiver. Da fiel es mir schwer, eine gute Auswahl zu treffen.

* Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat?

Wald aus Glas, Hansjörg Schertenleib

Ich kannte weder den Autor noch wusste ich, was mich genau erwarten würde und dann wurde ich mit dem Aufschlagen der ersten Seite in eine Geschichte hineingezogen, dessen Sog ich mich nicht mehr entziehen konnte. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich das Buch zu Ende las und mir ein paar Tränen über die Wangen kullerten. Die Geschichte hat mich unheimlich berührt und auch über die Lektüre hinaus noch länger beschäftigt. Ich freue mich bereits jetzt darauf, im nächsten Jahr weitere Bücher dieses Autors zu entdecken.

Das ist Wasser, David Foster Wallace

Als ich das Buch in die Hand nahm, war ich erstaunt: Ein so schmales Bändchen und dann auch noch zweisprachig? Der Inhalt sollte eine Rede sein, die David Foster Wallace mal vor Studenten gehalten hat. Bevor ich begann, das Büchlein zu lesen, hatte ich wenige Erwartungen und noch weniger Kenntnisse über den Schriftsteller, von dem ich zwar schon mal gehört, aber noch nie etwas gelesen hatte. Ich habe “Das ist Wasser” in der Zwischenzeit bereits mehrere Male gelesen und entdecke immer wieder neue Aspekte, neue Impulse, die ich versuche auf mein Leben und mein Denken zu übertragen. Eine wahre Anregung zum Denken und zum Handeln und ein Buch, das mich in diesem Jahr sehr positiv überrascht hat.

* Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat? 

Das Meer am Morgen, Margaret Mazzantini

Bei meinen Bloggerkollegen hatte ich im Vorfeld schon so viel Positives über die Autorin gelesen, über deren Namen und deren Bücher ich immer wieder gestolpert war. Als ich den schmalen Roman “Das Meer am Morgen” in die Hand nahm, waren die Erwartungen hoch und die anschließende Enttäuschung war dann umso größer. Margaret Mazzantini kippt einen riesigen Eimer poetischer Bilder und Metaphern über eine eigentlich interessante Geschichte aus und bringt diese und die Figuren dahinter vollkommen zum Verschwinden. Eine Enttäuschung, die mich aber nicht davon abhalten wird, weitere Bücher der Autorin zu lesen.

Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr, Zoran Feric

Das Buchcover verströmte eine wunderschöne Leichtigkeit, die Geschichte versprach Spannung, doch das, was Zoran Feric daraus gemacht hat, hat mich dann doch mehr als enttäuscht zurückgelassen. Eine nette Geschichte, durch die man sich jedoch an etlichen sprachlichen Stolpersteinchen vorbei quälen muss. Das Buch war für mich – aufgrund der holprigen und ungelenken Sprache – eines der anstrengendsten Leseerlebnis dieses Jahr.

* Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?

Vea Kaiser

Warum? Muss man das bei dem Namen Vea Kaiser wirklich noch begründen? Sie hat mit “Blasmusikpop” nicht nur einen fantastischen, erfrischenden und vor Ideen sprühenden Roman vorgelegt, sondern tritt auch darüber hinaus sehr positiv und sympathisch auf. Sie ist für mich die Autoren-Neuentdeckung des Jahres und ich hoffe sehr, dass es von ihr bald noch mehr zu entdecken geben wird. Solange freue ich mich darauf, sie im nächsten Jahr das erste Mal live lesen zu hören. Ach ja, wer sich noch nicht in Vea Kaiser verliebt hat, sollte sich einfach dieses Video noch einmal anschauen:

Weitere Neuentdeckungen: Janet Frame, Kathrin Weßling, Pia Ziefle

* Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?

Vom ersten Anblick an habe ich mich direkt in das Cover von “Visby” verliebt, einem wunderschönen Roman von Barbara Slawig.

 

* Welches Buch wollt ihr unbedingt in 2013 lesen und warum?

“Weiter Weg”, einen Essayband von Jonathan Franzen, auf den ich mich schon seit einigen Monaten wie eine Schneekönigin freue.

 

Das ist Wasser/This is water – David Foster Wallace

Wenn ich an David Foster Wallace denke, muss ich zwangsläufig immer auch an seinen Selbstmord denken, der mittlerweile beinahe schon vier Jahre zurückliegt. Am 12. September 2008 erhängte der Schriftsteller sich, er hatte jahrelang unter sehr schweren Depressionen gelitten.

Gelesen habe ich von David Foster Wallace bisher leider noch nie etwas. Natürlich kenne ich seinen Namen und vor allem auch nach seinem Selbstmord habe ich viele Artikel über ihn gelesen. Bei mir im Regal steht von ihm “Unendlicher Spaß”, sein sicherlich berühmtestes Werk, was ich bisher aber noch nicht gelesen habe. Ich habe Angst, dass die Lektüre eine zu große Herausforderung für mich sein könnte.

“Das ist Wasser/This is water” ist ein schmales Bändchen und enthält eine berühmte Rede von David Foster Wallace, der 2005 gebeten wurde, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Es ist die einzige Rede dieser Art, die David Foster Wallace je gehalten hat. Untertitelt ist das Buch mit den Worten “Anstiftung zum Denken”, im Einband stehen die Worte:

“Gedanken zu einer Lebensführung der Anteilnahme vorgebracht bei einem wichtigen Anlass.”

Ich empfinde vor allem die Worte “Anstiftung zum Denken” als sehr passend, denn David Foster Wallace spricht in seiner Rede viel über das Denken und bezieht sich dabei vor allem auf den Satz, der häufig bei Abschlussreden fällt, dass Studenten in Universitäten “das Denken beigebracht” werden soll. Wallace weitet dies aus und schreibt:

“[…] denn die wirklich wichtige Ausbildung im Denken, um die es in Institutionen wie dieser geht, betrifft gar nicht die Fähigkeit zu denken, sondern die Entscheidung für das, worüber es sich nachzudenken lohnt.”

Laut David Foster Wallace neigt der Mensch – und da nimmt er sich selbst nicht aus – dazu, sich als Mittelpunkt des Universums zu sehen. Er bezeichnet dies als Selbstzentriertheit und als “Standardeinstellung” des Menschen: es dreht sich alles um mich, darum wie ich die Wirklichkeit und die Welt wahrnehme.  Wallace möchte kein Moralapostel sein und es geht ihm auch nicht um Tugend,

“es geht vielmehr darum, ob ich diese angeborene, fest verdrahtete Standardeinstellung irgendwie ändern oder überwinden möchte, diese tief sitzende und im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehende Ichbezogenheit, deretwegen wir alles durch die Linse des Selbst sehen und interpretieren.”

Selber denken lernen bedeutet für David Foster Wallace die bewusste Entscheidung, “wie man über das Wie und Was des eigenen Denken eine gewisse Kontrolle ausübt”. Zentral dabei ist für Wallace der Begriff der Entscheidung, man hat die Entscheidung darüber, worauf man achten möchte, man hat die Entscheidung darüber, wie man Dinge interpretieren möchte. David Foster Wallace versucht den Absolventen zu vermitteln,

„dass es Ihre Entscheidung ist, wie Sie die Dinge sehen wollen. Und das, behaupte ich, ist die Freiheit wahrer Bildung, die Selbsterziehung zur Anpassung: Es wird Ihre bewusste Entscheidung, was Sinn hat und was nicht. Sie entscheiden, was Sie glauben.  […] Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag.“

Mich haben die Worte von David Foster Wallace sehr beeindruckt. Ich habe seine Rede bereits mehrmals gelesen. Bei der Ausgabe vom Kiepenheuer & Witsch Verlag handelt es sich um eine zweisprachige Ausgabe, so dass im zweiten Teil des Buches die Rede auch noch einmal auf Englisch abgedruckt ist. Ich habe das Gefühl, bei jeden Lesen wieder etwas Neues zu entdecken: einen neuen Gedanken, einen bisher unbeachteten Aspekt. Die Gedanken von David Foster Wallace sind eigentlich sehr einfach und doch so komplex umzusetzen und im Alltag auf das eigene Leben zu übertragen. Er erläutert seine Denkidee anhand von sehr griffigen Beispielen, die jeder nachempfinden kann (der Ärger am Abend nach der Arbeit an der Supermarktkasse oder beim täglichen Kampf um den Parkplatz) und ich weiß, wie häufig es mir so geht, dass ich mich persönlich beleidigt fühle, wenn ich es eilig habe und im Supermarkt keine zweite Kasse geöffnet wird. Dieses Denken wird von Wallace als Standardeinstellung bezeichnet und es lässt sich wohl kaum behaupten, dass man sich dazu entscheidet, so zu denken: es ist einfach zu leicht, zu naheliegend, sich genervt und geärgert zu fühlen. Es erfordert Anstrengung, Mitgefühl mit der Kassiererin zu haben, die wahrscheinlich einen anstrengenden Tag hatte oder auch Verständnis für die Umstehenden zu haben, die auch alle lange gearbeitet haben und erst spät einkaufen können.

Es ist nicht leicht den Text nicht im Kontext von David Foster Wallace’ Selbstmord zu lesen. Es gibt einige direkte Anspielungen in der Rede auf eine Selbstmordthematik. Besonders beeindruckt haben mich die Worte am Ende der Rede:

“Die Wahrheit im Vollsinn des Wortes dreht sich um das Leben vor dem Tod. Sie dreht sich um die Frage, wie man dreißig oder sogar fünfzig Jahre alt wird, ohne sich die Kugel zu geben. Sie dreht sich um den wahren Wert wahrer Bildung, die nichts mit Noten oder Abschlüssen, dafür aber alles mit schlichter Offenheit zu tun hat […].”

Ich bin traurig, dass David Foster Wallace keinen anderen Weg gesehen hat, als sich selbst zu töten. Aber ich bin froh, dass er uns diese Worte hinterlassen hat. Mich hat er nicht nur „angestiftet“ zum Denken, sondern auch zum Handeln.

Wer sich David Foster Wallace noch gerne anhören oder auch ansehen möchte, kann dies bei YouTube tun:

 

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