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Schreiben Sie mir, oder ich sterbe

Ihr wisst es wahrscheinlich alle schon – heute ist Valentinstag und auch wenn ich mir selbst nicht allzu viel aus diesem Tag mache, möchte ich ihn doch zum Anlass für ein paar ganz besondere Buchempfehlungen nehmen. Wie könnte man diesen Tag auch schöner begehen als mit ein paar Buchgeschenken ?

Ich habe meinen Blick mal durch mein Bücherregal schweifen lassen und dabei festgestellt, dass ich kaum eine dieser klassischen Liebesgeschichten im Regal stehen habe. Dafür besitze ich aber ganz viele Liebesbriefe – von Franz Kafka bis hin zu Ingeborg Bachmann. Und was könnte es denn Schöneres geben als das Lesen von romantischen Briefen? Gerade auch vor dem Hintergrund, dass heutzutage nur noch selten Briefe geschrieben werden.

Hier kommen also meine Tipps für einen literarischen Valentinstag:

“Schreiben Sie mir, oder ich sterbe”: Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer

Dieser Band ist eine wahre Fundgrube an wunderbaren Briefen und großen Gefühlen. Der Band ist letztes Jahr im Piper Verlag erschienen und weiß auch durch die wunderbare Gestaltung zu überzeugen. Er versammelt Briefe von Johann Wolfgang von Goethe, Marlene Dietrich, Edith Piaf, Oscar Wilde oder auch Virginia Woolf. Es ist ein Vergnügen, sich durch die Briefe zu blättern – Petra Müller und Rainer Wieland haben zahlreiche bewegende und berührende Dokumente zusammengestellt.

Liebesbriefe großer Frauen / Liebesbriefe großer Männer

Im kleinen Marix Verlag sind vor einigen Jahren zwei wunderbare Bände erschienen, die bis heute zu den liebsten Büchern meiner Bibliothek gehören. Sabine Anders und Katharina Maier, die beide Bände gestaltet haben, haben einen unglaublich großen Fundus an Liebesbriefen großer Frauen und Männer zusammengetragen, darunter große Frauen wie Heloisa, Bettina von Arnim, George Sand, Annette von Droste-Hülshoff, Emily Dickinson, Clara Schumann und große Männer wie Beethoven, Goethe, Napoleon, Lord Byron und Kafka. Entstanden ist dabei eine wunderbare Sammlung an Liebesbekundungen und Zeitzeugnissen, durch die ich auch heute gerne noch blättere.

Dylan Thomas: Die Liebesbriefe

Dylan Thomas war einer der großen Lyriker des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig auch ein großer Briefeschreiber – in diesem Buch sind insgesamt 34 Briefe versammelt, den ersten hat er mit gerade einmal 19 Jahren geschrieben, den letzten kurz vor seinem Tod. Besonders spannend an den Briefen ist, dass es sich nicht nur um romantische Zeugnisse handelt, sondern, dass man in ihnen auch vieles über das Leben und den Alltag des Dichters erfährt.

Franz Kafka: Briefe an Felice

“Jetzt werde ich Ihnen eine Bitte vortragen, die wahrhaftig wahnsinnig aussieht, und ich würde sie nicht anders beurteilen, wenn ich den Brief zu lesen bekäme. Es ist aber auch schon die stärkste Probe, auf die man den gütigsten Menschen stellen kann. Also ich bitte: Schreiben Sie mir nur einmal in der Woche und so, dass ich Ihren Brief Sonntag bekomme. Ich ertrage nämlich Ihre täglichen Briefe nicht, ich bin nicht imstande, sie zu ertragen.”

Bevor mir der Band mit den Liebesbriefen in die Hände fiel, hätte ich nie geglaubt, dass ausgerechnet Franz Kafka zu einem großen Schreiber von Liebesbriefen gehörte. Seine Briefe sind wunderschön und gleichzeitig herzzerreißend. Kafka und Felice Bauer schrieben sich zwei Jahre lang Briefe, bevor sie sich verlobten – diese Verlobung wurde allerdings sechs Wochen später schon wieder aufgelöst.

Ingeborg Bachmann/Paul Celan: Herzzeit

Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan währte von 1948 bis 1963 und die Briefe, die in Herzzeit versammelt sind, sind Zeugnis einer großen, aber auch schmerzhaften Liebe. Es gibt immer wieder Momente des Schweigens und der gemeinsamen Annäherung – hier wird ganz deutlich, dass beide nicht wirklich miteinander können, aber auch nicht ohne. Diese Mischung aus Liebe und Leiden macht Herzzeit zu einer berührenden Lektüre.

“Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

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Heute vor 131 Jahren, am 3. Juli 1883, wurde Franz Kafka geboren. Zum ersten Mal begegnete mir dieser außergewöhnliche Schriftsteller auf einer Rolltreppe. Jedes Mal, wenn ich diesen einen Buchladen besuchte und in den zweiten Stock fuhr, fuhr ich an Kafkas Worten vorbei: “Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” Sie haben sich für immer eingebrannt. Später habe ich dann auch seine Bücher entdeckt, sein Werk, und ich habe es lieben gelernt. Elias Canetti bringt die Faszination, die ich für diesen Schriftsteller hege, auf den Punkt, wenn er sagt, dass Franz Kafka unvergessliche Bilder der Macht entworfen hat – Bilder, die auch heutzutage nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Vor einigen Jahren habe ich das Kafka-Museum in Prag besucht und dort eine beeindruckende Reise durch dessen Werk und Leben unternommen.

Franz Kafka hat nicht nur ein beeindruckendes Werk vorzuweisen, das auch heute noch lohnt, entdeckt zu werden, sondern hat auch viele kluge Gedanken zum Lesen geäußert, in denen ich mich ganz und gar wiederfinde.

“Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

“Zweifellos ist in mir die Gier nach Büchern. Nicht eigentlich sie zu besitzen oder zu lesen, als vielmehr sie zu sehen, mich in der Auslage eines Buchhändlers von ihrem Bestand zu überzeugen.”

Also, lasst uns anstoßen auf einen großartigen Autor und diesen feierlichen Anlass nutzen, heute vielleicht mal wieder eines seiner Bücher aufzuschlagen! 🙂

 

Die Verwandlung – Das Buch als Magazin

In diesem Monat ist eine ganz besondere Zeitschrift in die Zeitschriftenläden gekommen. Eine Zeitschrift, die ein Doppelleben führt: als Buch und Magazin. Kein Wunder, dass dies auch der Titel der 120 Seiten umfassenden Zeitung ist: Das Buch als Magazin. Vom ersten Entdecken dieser Zeitschrift an, empfand ich diese Idee sowohl als interessant, als auch als unheimlich mutig, denn wer liest denn heutzutage eigentlich noch verstaubte Klassiker?

Franz Kafkas “Verwandlung” ist vor beinahe genau 100 Jahren erschienen. “Das Buch als Magazin” druckt im ersten Teil des Magazins den Originaltext von Gregor Samsas Odyssee ab, ergänzt mit Sidenotes, Anmerkungen, zusätzlichen Informationen. Im zweiten Teil findet sich dann der Journalismus. Die ersten Worte im zweiten Teil des Magazins gehören Elke Heidenreich, ihre Antwort auf die Frage, was man heutzutage aus Kafkas “Verwandlung” lernen kann, habe ich als so charmant und lesenswert empfunden, das ich sie hier gerne zitieren möchte:

“Ach, der Kafka!

Was ist über den nicht alles geschrieben worden, und was haben wir in den nicht alles schon hineininterpretiert.

Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Da hat einer immer nur Angst. Angst vorm Vater, vor den Frauen, vor Mäusen, vorm Büro, ein Mann, über einen Meter achtzig groß, unter sechzig Kilo meist, was für ein armes banges kleines Hühnchen  und dann so eine riesige Fluchtfantasie im Kopf. […]

Erst heute Morgen, ein grauer Regentag, lag ich in meinem Bett und war in einen Käfer verwandelt. Ich lag auf dem Rücken, die kläglichen Beinchen gestreckt, alles tat mir weh, da war nur noch Panzer, und ich hatte keine Luste, aufzustehen und irgendwie zu funktionieren. Gregor Samsa, das ist mein Mann, dachte ich. Mein Käfer. Aber wir wissen ja, wie böse das endet, wenn man einfach nur Käfer sein und nicht mehr funktionieren will – sie schmeißen einen am Ende auf den Müll.

Also bin ich aufgestanden und habe diesen Text hier geschrieben. Ich bin zehn Zentimeter kleiner als Kafka und wiege dennoch zehn Kilo mehr, als er gewogen hat. Da hat man mehr Kraft. Da muss man nicht Käfer sein. Aber ich kann Gregor Samsa sehr gut verstehen. Nichts an dieser Geschichte ist geheimnisvoll. Alles ist wahr, und täglich sehe ich Käfer um mich herum verrotten. Ich halte noch durch. Noch.”

Es folgen Fotos von Gerald von Foris, einem Fotografen, der Gegenstände in der Wohnung seines pflegebedürftigen Vaters fotografiert und sich diesem Menschen auf diesem Weg zum ersten Mal annähert: “Was wissen wir von unseren Eltern und über die Vergänglichkeit? Wann müssen wir loslassen?” Als interessant und lesenswert habe ich auch den Beitrag des Schriftstellers Joey Goebel empfunden, der über Steven Kutscher schreibt, einen Amerikaner, der Insekten für Kinofilme dressiert. Am stärksten berührt hat mich der Text von Michèle Loetzner, die nach dem Tod ihrer Mutter nicht mehr ihre Wohnung verlässt: “Mit einem Mal wird die Wohnung ein Ring, in dem du allein gegen dich selbst kämpfst.”

Erfinder des Buchs als Magazins sind Joanna Swistowski und Peter Wagner, denen – wie ich finde – ein erfrischendes und unheimlich lesenswertes Magazin gelungen ist. Der Originaltext von Franz Kafka wird durch die zusätzlichen Informationen und Fotos aufgebrochen und liest sich dadurch beinahe schon wie eine Reportage aus unserer Gegenwart. Genau dies ist auch Ziel und Anspruch des Magazins: Texte und Klassiker der Vergangenheit, zu deren Lektüre man in der Schule gezwungen wurde, nicht nur zu entstauben, sondern auch mit unserem gegenwärtigen Leben zu verknüpfen. Die “Verwandlung” ist mittlerweile bereits 100 Jahre und doch gibt es auch für heutige Leser immer noch Anknüpfungspunkte.

“Das Buch als Magazin” ist ein mutiges und sicherlich auch gewagtes Projekt. Die zweite Ausgabe – mit Georg Büchners Woyzeck – ist für den Herbst dieses Jahres geplant und ich freue mich bereits jetzt darauf.

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