“Was uns allen zu wünschen ist, ist ein nüchterner und gelassener Blick auf die eigene Endlichkeit.”
Ich habe lange überlegt, ob ich eine Rezension zu “Über das Sterben” auf meinem Blog veröffentlichen sollte. Vieles sprach für mich dagegen. Das Thema des Buches fällt sehr stark aus dem Themenspektrum meiner bisherigen Rezensionen heraus und dazu kommen Befürchtungen, dass es aufgrund seiner Ernsthaftigkeit kaum Interesse wecken wird. Erschwerend hinzu kommt, dass es mir sehr schwer fällt, angemessene Worte für dieses Buch zu finden. Ich habe mich dennoch dazu entschieden, mich an einer Rezension zu versuchen – ich empfinde das Thema als zu wichtig, genauso wie die Informationen, die das Buch beinhaltet, als das ich darauf verzichten möchte.
Mich haben die Themen Sterben und Tod schon immer sehr stark beschäftigt und geängstigt. Mittlerweile kommen auch meine Eltern so langsam in ein Alter, in dem genau diese Themen leider immer akuter und damit natürlich auch gleichzeitig für mich als Angehörigen relevanter werden.
Ausgangspunkt für das Schreiben des vorliegenden Buches war für den Palliativmediziner Gian Domenico Borasio folgende Beobachtung, die er immer wieder gemacht hat:
“Viele Menschen, auch (und gerade) hochgebildete und blitzgescheite, verhalten sich im Angesicht des Todes auf erstaunliche Weise irrational.”
Gian Domenico Borasio gilt als einer der führenden Palliativmediziner in ganz Europa und hat durch seine Bemühungen und sein Engagement vielen innovativen Veränderungen den Weg geebnet: ihm ist es beispielsweise zu verdanken, dass Medizinstudenten während ihres Studiums mittlerweile auch Seminare zum Thema Palliativmedizin besuchen können. Borasio hatte bei seinen Bemühungen immer wieder auch mit Rückschlägen und Gegenwehr zu kämpfen, über die er auch im vorliegenden Buch schreibt.
In kurzen Abschnitte schreibt Gian Domenico Borasio über unterschiedliche Aspekte, die rund um das Thema Sterben kreisen: er beschäftigt sich mit der Frage, was man heutzutage überhaupt über das Sterben weiß und welche Prozesse beim Sterben ablaufen, geht auf Aspekte ein, wie die Angst vor dem Verhungern und Verdursten sowie die Atemnot von Patienten im Sterbeprozess und setzt sich intensiv mit der Sterbehilfe auseinander. Dabei schafft er bezüglich vielen medizinischen Mythen Klarheit. Im Mittelpunkt steht aber die Frage danach, wie Menschen sich ihr eigenes Lebensende wünschen und was man als Patient beachten muss, um aus diesem Wunsch auch Realität werden zu lassen. Borasio stellt die unterschiedlichen Strukturen der Sterbebegleitung vor und geht auf die häufigsten Probleme am Lebensende ein und wie man diesen vorbeugen kann.
Das Hauptanliegen von Borasio ist es, den Leser auf Hilfsmöglichkeiten aufmerksam zu machen, um sich auf einen sanften Tod vorbereiten zu können, denn laut Borasio haben die meisten Menschen an ihrem Lebensende den Wunsch nach Schmerzfreiheit und Geborgenheit. Doch viele wissen nicht, wie sie diesen Wunsch wahr werden lassen können. Aus lauter Angst davor, sich mit dem eigenen Sterben und dem Tod zu beschäftigen, herrscht bei vielen Menschen in Bezug auf diese Themen eine große Unwissenheit. Borasio schreibt, dass dies einer selffulfilling prophecy gleichkommt: aus lauter Angst, auf einer Intensivstation sterben zu müssen, beschäftigen sich die meisten Menschen nicht mit ihrem Lebensende, was dazu führen kann, dass genau das eintritt, wovor sie am meisten Angst haben – denn sie haben nicht vorgesorgt, um ihr Lebensende anders zu gestalten.
Das wichtigste Instrument, um vorzusorgen ist die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung. Beides kann jeder Mensch aufsetzen, um vorzusorgen für den Fall, dass er sich irgendwann nicht mehr äußern kann. Genauso wichtig ist es aber auch, mit Vertrauten und Angehörigen über die eigenen Wertvorstellungen und Wünsche bezüglich des Lebensendes immer wieder zu reden, um sich selbst klar werden zu können, was man sich für sich selbst wünscht.
In der Altersstufe ,in der ich mich befinde (die Zwanzig- bis Neunundzwanzigjährigen) haben bis jetzt gerade einmal nur 6,9% bereits eine Patientenverfügung angelegt. Bei den über 70jährigen sind es bereits dreimal so viele. Mich hat “Über das Sterben” dazu angeregt, mich auch jetzt bereits mit meiner Patientenverfügung zu beschäftigen, denn beim Lesen des Buches ist mir eine Tatsache klar geworden, auf die auch Borasio hinweist:
“Es ist zunächst hilfreich, sich ganz bewusst der Tatsache zu stellen, dass nur zwei Dinge im Leben sicher sind: Erstens, wir werden alle sterben. Zweitens, wir wissen nicht, wann.”
“Über das Sterben” ist ein nüchternes Buch, das verständlich und sehr sachlich auf die wichtigsten Aspekte rund um das Thema Sterben eingeht. Borasio schreibt weder emphatisch noch emotional und dennoch spürt man, dass dem Palliativmediziner seine Patienten und deren Wohl am Herzen liegen. Obwohl er dem Leser viele Fakten, Informationen und auch praktische Hinweise liefert, wirkt das Buch nicht schwer verständlich oder zu anspruchsvoll. Abgerundet werden die einzelnen Kapitel durch interessante Fallbeispiele.
Es ist entsetzlich, dass wir alle irgendwann sterben müssen und die Hoffnungen auf ewiges Leben sind wohl wahrscheinlich sehr gering, aber es gibt Wege und Mittel, das Sterben so wenig entsetzlich wie möglich zu gestalten und Gian Domenico Borasio zeigt einige dieser Hilfsmöglichkeiten in seinem wichtigen und innovativen Buch auf. Ein Buch, das einem Angst machen kann, doch ich kann nur jedem die Lektüre empfehlen, genauso wie die Beschäftigung mit diesem so wichtigen und unausweichlichen Thema.