Ursula Gräfe im Gespräch!

Ursula Gräfe wurde 1956 geboren und hat Japanologie, Anglistik und Amerikanistik studiert. Seit 1988 arbeitet sie als literarische Übersetzerin und wurde vor allen Dingen durch ihre Übersetzungen der Romane von Haruki Murakami bekannt. Zuletzt übersetzte sie seinen neuesten Roman “Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki” – mit ihrer Übersetzung wurde sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, der am 13.03. vergeben wird.

© Ursula Gräfe

© Ursula Gräfe

Sie sind bekannt geworden als Übersetzerin von Haruki Murakami – was verbindet Sie mit Japan und warum haben Sie sich entschieden Japanologie zu studieren? 

Meine Entscheidung, Japanologie zu studieren, entsprang eher der Neugier als einem besonderen Interesse oder einem festen Plan. Damals hatte ich nicht die geringste Ahnung von Japan, ganz zu schweigen von japanischer Literatur. Vor allem wollte ich gern eine asiatische Philologie studieren, um mein Bild von der Weltliteratur zu erweitern. Später, als ich Japaner kennen lernte und begann, japanische Literatur zu lesen, eröffnete sich mir eine unbekannte neue Welt, und ich fing richtig Feuer. Die ersten Werke, die wir im Original lasen, sind mir unvergesslich. Es waren Shunkinsho – Die Biografie einer Frühlingsharfe von Jun’ichiro Tanzaki – da könnte man auch mal an eine Neuübersetzung denken – und Kappa von Ryunosuke Akutagawa. Beides war unbeschreiblich schwer. Wir haben so unendlich lange für jeden Satz gebraucht, dass das Seminar über die ganzen Sommerferien ausgedehnt werden musste.

Haben Sie Ihr Studium damals bereits mit dem Wunsch begonnen, Übersetzerin zu werden oder hat sich dieses Interesse erst im Laufe der Zeit entwickelt?

Nein, das kam erst mit der Zeit – kein Wunder, wenn man am Anfang ungefähr vier Stunden für einen Satz braucht und er auch dann noch ziemlich seltsam klingt. Aber irgendwann habe ich bemerkt, dass es mir großen Spaß macht, mein Verständnis eines japanischen (oder englischen) literarischen Werkes umzusetzen.

Wie lange hat es gedauert, bis Verlage Sie mit Aufträgen versorgt haben?

Bis ich ganz vom Übersetzen leben konnte, vergingen mindestens fünfzehn Jahre. Bis dahin habe ich auch noch viel Unterricht an der VHS oder bei japanischen Firmen gegeben.

Welche Fähigkeiten sind erforderlich, um einen literarischen Text in eine andere Sprache zu übertragen?

Ich vergleiche den Beruf des Übersetzers gern mit dem des Schauspielers. Als Übersetzerin muss ich ebenfalls das Werk eines anderen interpretieren und dabei in verschiedene Rollen schlüpfen können. Häufig gibt es Figuren, die mir persönlich recht fremd erscheinen. Aber auch solche dürfen keinen unüberwindlichen Widerstand in mir hervorrufen. Stattdessen muss ich mich in sie hineinversetzen, um ihnen auf Deutsch gerecht werden zu können. Sehr wichtig ist es für eine Übersetzerin, dass sie selbst gern liest, um das Repertoire ihrer sprachlichen Möglichkeiten ständig zu erweitern.

Sie übersetzen nicht nur aus dem Japanischen, sondern auch aus dem Englischen – unterscheidet sich dabei der Arbeitsprozess?

Ja, beim Übersetzen aus dem Englischen muss man sprachlich nicht so stark abstrahieren, da es als europäische Sprache der unseren näher ist. Japanisch funktioniert sehr anders, zum Beispiel gibt es keine Artikel, also kein männlich oder weiblich, weder Mehrzahl noch Einzahl und viele andere Unterschiede. Hinzu kommen die zusätzlichen Ausdrucksmöglichkeiten, über die die japanische Schrift verfügt und die mit unserem lateinischen Alphabet kaum widerzugeben sind.

Der japanische Kulturkreis ist für die meisten Menschen der westlichen Welt fremd oder auch klischeebehaftet. Wie bringen Sie diese Kultur – seien es Redewendungen oder auch kulturelle Besonderheiten – den deutschen Lesern nahe?

Darin sehe ich gar kein so großes Problem. Der Leser weiß, dass eine Handlung in Japan spielt, also eine gewisse Fremdheit zu erwarten ist. Deshalb habe ich wenige Hemmungen, japanisches Vokabular oder bestimmte Redewendungen in meine Übersetzung zu übernehmen. Begriffe wie Tatami (Fußboden), Soba (Buchweizennudeln) oder Ryokan (jap. Hotel oder Gasthaus) lernen die Leser einfach als Fremdwörter mit – englische Wörter wie Display oder Fast Food müssen ja auch erst gelernt werden.

Haruki Murakamis neuester Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ erschien im Januar. Wie lange haben Sie für die Übersetzung gebraucht?

Etwa sieben Monate, mit sehr viel Wochenendarbeit.

Wie eng arbeiten Sie mit Autoren, die Sie übersetzen, zusammen? Haben Sie Haruki Murakami schon einmal getroffen?

Wenn sich keine speziellen Verständnisprobleme ergeben, arbeite ich kaum mit den Autoren zusammen, denn die Entscheidung, wie sich etwas im Deutschen anhören sollte, liegt letztendlich ja bei mir. Falls ich doch eine Frage habe, wende ich mich per Mail an Haruki Murakami und erhalte auch sofort Antwort. Leider habe ich Herrn Murakami noch nie persönlich kennen gelernt. Er lebt ja, wie Sie wissen, sehr zurückgezogen.

Die meisten Leser kennen den Namen von Haruki Murakami, viele aber wohl leider nicht Ihren. Empfinden Sie dies als frustrierend? Glauben Sie, dass die mangelnde Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ein generelles Problem der Übersetzer ist oder etwas, das für Deutschland spezifisch ist?

Mich persönlich stört es nicht, im Hintergrund zu wirken. Allerdings bin ich als Übersetzerin eines Bestsellerautors wie Haruki Murakami auch in einer etwas privilegierten Lage, da etwas von seinem Glanz auch immer wieder auf mich fällt – wie dieses Interview zeigt. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich auch gleich für Ihr Interesse, liebe Mara Giese. Ich glaube übrigens nicht, dass die Problematik besonders typisch für Deutschland ist.

Sie sind nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse, ist das eine Form der Anerkennung, die Sie sich häufiger wünschen würden? Was glauben Sie, müsste sich verändern, um Ihre Arbeit und die Arbeit Ihrer Kollegen sichtbarer zu machen?

Über die Nominierung freue ich mich natürlich wie verrückt. Dass Übersetzungen als preiswürdig anerkannt werden, ist, glaube ich, sogar eine neuere Entwicklung. Insofern sind die Übersetzerpreise ganz gewiss ein wirksames Mittel, unsere Arbeit mehr in den Blickpunkt  des öffentlichen Interesses zu rücken.

19 Comments

  • Reply
    dasgrauesofa
    March 11, 2014 at 1:13 pm

    Liebe Mara,
    wieder ein schönes und sehr informatives Interview!
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 12, 2014 at 1:07 pm

      Liebe Claudia,

      hab Dank für deine Worte, ich freue mich, dass das Interview auf Interesse gestoßen ist. 🙂
      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    macg82
    March 11, 2014 at 2:26 pm

    Schließe mich dem an, dass es ein sehr schönes Interview ist, welches einmal eine Person in den Vordergrund rückt, die sonst nur im “Impressum” für ein Buch erscheint. Die Arbeit einer Übersetzerin/ eines Übersetzers wird sehr schön angerissen und sollte beim Lesen solcher Werke immer im Hinterkopf sein. Man sollte sich immer bewusst sin, dass die Übersetzer in manchen Fällen auch einen schweren Job Hahn, der nicht zu unterschätzen ist und wenn man, wie Frau Gräfe, aus dem Japanischen übersetzt, dann sollte man das genauso wertschätzen wie die Arbeit des Autors selber.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 12, 2014 at 1:09 pm

      Lieber Marc,

      danke für deine Worte, die ich nur unterschreiben kann. Auch ich würde mir wünschen, dass Übersetzer und Übersetzerinnen mehr Aufmerksamkeit erhalten für das was sie tun, dass sie stärker sichtbar gemacht werden können. Viele der Bücher die ich lese, könnte ich ohne sie gar nicht entdecken und aufgeführt werden sie dann höchstens nebenbei.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Wortgalerie
    March 11, 2014 at 4:29 pm

    Ich freue mich sehr über das Interview und darüber, endlich einmal zu erfahren, wer der Mensch hinter dem Namen Ursula Gräfe ist, der in all meinen Murakami-Büchern steht 🙂 Ich finde Übersetzungsarbeiten sehr spannend und beschäftige mich zurzeit übrigens mit der Neuübersetzung von Murakamis “Gefährliche Geliebte” und will darüber demnächst einen vergleichenden Blog-Artikel schreiben.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 12, 2014 at 1:06 pm

      Liebe Wortgalerie,

      ich danke dir für deine Wortmeldung! 🙂 Ich finde es immer schade, wenn Übersetzer und Übersetzerinnen, die doch eigentlich so viel Arbeit leisten, nicht genügend gewürdigt werden für ihre Arbeit und ihre Leistung. Ursula Gräfe gehört wohl noch zu den bekanntesten Übersetzerinnen, viele andere finden keine große Erwähnung, was doch schade ist. Ohne sie könnte ich all diese großartigen Bücher gar nicht lesen und entdecken.
      Auf deinen vergleichenden Blogbeitrag freue ich mich schon.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    54books
    March 12, 2014 at 5:03 pm

    Tolle Idee mal eine Übersetzerin ins Rampenlicht zu rücken und nicht immer nur die übersetzten Autoren.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 14, 2014 at 2:30 pm

      Das war auch mein Anliegen bei diesem Interview, deshalb freue ich mich über deine Worte. 🙂

  • Reply
    nymphodora
    March 12, 2014 at 8:39 pm

    Liebe Mara,
    danke für das tolle Interview. Als Murakami-Fan und aber auch als Anglistik-Studentin verbindet dieses Interview zwei meiner Welten. Leider wird die Übersetzungsarbeit immer noch stark unterschätzt und zu wenig gewürdigt. Schön, dass du das mit deinem Interview umgedreht hast!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 14, 2014 at 2:28 pm

      Liebe Theresa,

      erst einmal: herzlich Willkommen auf meinem Blog! Schön, dass dir das Interview gefallen hat – auch mir war es wichtig es zu führen, um die Arbeit der Übersetzer stärker in den Fokus zu rücken. Trotz ihrer Leistungen, werden sie für das, was sie tun, leider viel zu selten gewürdigt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Mariki
    March 13, 2014 at 2:32 pm

    Ich find’s echt grandios, dass du immer so tolle Interviews machst. Kompliment!

  • Reply
    masuko13
    March 13, 2014 at 8:23 pm

    Ursula Gräfe – das war für mich bisher ein Name. Und weil er für die perfekten Murakami-Übersetzungen steht, ein bedeutender Name. Doch habe ich mich oft gefragt, wer ist diese Frau!? Was für ein Gefühl muss das sein, so tief in Murakamis Gedankenwelt einzutauchen. Und die beiden sind sich nie begegnet??? Faszinierend.
    Tolles Interview. Danke!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 14, 2014 at 2:19 pm

      Liebe masuko,

      die Tatsache, dass man sich so tief in einen Text hineinarbeiten muss, der nicht der eigene ist und dann den Menschen dahinter vielleicht gar nicht so genau kennt, finde ich auch interessant. Schön, dass dir das Interview gefallen hat.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Muromez
    March 15, 2014 at 1:30 pm

    Sehr aufschlussreich. Was mich verwundert hat, dass sie bei der Übersetzung überhaupt keinen persönlichen Kontakt zum Autor hatte. Immerhin bietet Deutschland doch schon einen hohen Absatzmarkt, was (seine) Bücher betrifft und möglicherweise besitzt der Herr großes Vertrauen in seine Übersetzerin.

    Möchte anbei noch auf diesen Beitrag (http://www.youtube.com/watch?v=THyPWyMHzzg) verweisen, in dem dargestellt wird, wie die Zusammenarbeit bei “Venushaar” zwischen Autor Michail Schischkin und Übersetzer Andreas Tretner ablief. Ganz anders irgendwie.

  • Reply
    Der Sonntagsleser KW#11 – März 2014 | Lesen macht glücklich
    March 16, 2014 at 7:00 am

    […] der Werke von Haruki Murakami, Ursula Gräfe, interviewt. Das Ergebnis findet ihr hier. Sehr schön finde ich, dass Mara in diesem Interview nicht mit einem Autor sondern mit einem […]

  • Reply
    Gabriele Haefs im Gespräch! - Buzzaldrins Bücher
    November 28, 2014 at 3:58 pm

    […] wichtige und bewundernswerte Arbeit. Vor einiger Zeit habe ich euch bereits Ursula Gräfe in einem Interview vorgestellt, nun folgt die Übersetzerin Gabriele […]

  • Reply
    Der Versuch einen Haruki Murakami zu rezensieren | Karminrot's Lesezimmer
    August 17, 2015 at 8:39 am

    […] Übersetzung ist grandios. Sie hatte ein Interview bei einer meiner Lieblingsbuchbloggerinnen Buzzaldrins, wen es interessiert, der schaut es sich doch einfach mal […]

  • Reply
    Rezension: „Die Ermordung des Commendatore I“ (Haruki Murakami) – ein erster Eindruck | Studierenichtdeinleben
    February 22, 2018 at 11:36 am

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    Von Männern, die keine Frauen haben – lesezimmer.karminrot-blog.de
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