Urwaldgäste – Roman Ehrlich

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Roman Ehrlich sein Debüt als Schriftsteller gefeiert hat – vor etwas mehr als einem Jahr erschien sein vielbeachteter Roman Das kalte Jahr. In diesem Herbst nun hat er sein zweites Buch vorgelegt, diesmal einen Erzählband, der den Titel Urwaldgäste trägt. Mit diesem entführt uns Roman Ehrlich in den Urwald der heutigen Arbeitswelt und den scheinbar ganz normalen Alltag.

Roman EhrlichIch fühlte mich ohnehin in diesen Tagen als soziales Wesen, als Mensch unter Menschen, unanbietbar.

Urwaldgäste ist ein seltsames Puzzle, das sich aus insgesamt zehn Erzählungen zusammensetzt. Alle Erzählungen können für sich stehend gelesen werden, manchmal begegnet man Figuren jedoch in mehreren der Erzählungen. Allen Erzählungen gemein ist der lapidare und scheinbar harmlose Ton, mit dem Roman Ehrlich einen ganz normalen Alltag beschreibt, der auf den zweiten Blick jedoch nicht mehr ganz normal wirkt. Gemein ist den Erzählungen jedoch auch das übergeordnete Thema: alle zehn kreisen auf unterschiedliche Art und Weise um unsere heutige Arbeitswelt, die eine etwas seltsam anmutende Welt ist. Eine Welt, die von ökonomischen Gesichtspunkten diktiert wird.

Es ist unmöglich, genau zu sagen, wann das geschehen war – wann dieser Zustand begonnen hatte, in dem ich maulfaul, abwesend und auch taub für die Äußerungen meiner Umwelt wurde. Es war ein Vorgang wie die Ankunft des Winters.

Da gibt es zum Beispiel den Protagonisten aus der ersten Erzählung, der zum Schein Physik studiert, um Zugriff auf die studentische Jobbörse zu erhalten. Er heuert bei dem Unternehmen Grinello Clean Solutions an, wo er einsam am PC seine neue Tätigkeit verrichten soll. Das Büro ist hochmodern ausgestattet, dem neuen Mitarbeiter fehlt es an nichts – nur menschliche Kollegen hat er irgendwie kaum. Wenn es ihm mal zu eintönig wird, dann kann er auf seinen USB-Weihnachtsbaum zurückgreifen. Dieser ganze Büroalltag wird von Roman Ehrlich lapidar geschildert, es erscheint alles so normal und alltäglich – in wie vielen Büros in Deutschland sieht es wohl genauso aus: in hochmodern eingerichteten Zimmern arbeiten Menschen stumpf vor sich hin, alleine mit sich und ihren sinnlosen Aufgaben. Keinem ist bewusst, wie einem dabei Stück für Stück das letzte bisschen Menschlichkeit abhanden kommt und von einem roboterhaften Tun ersetzt wird.

Ich stehe im Licht. Ich bin dran. An der Reihe – Aber halt! Halthalthalt. Hat denn so jemals jemand gesprochen? Hat denn, im Leben, jemals einer so geredet, sich so gegeben? Hat denn, hahaha, hihi hat denn so jemals jemand gelacht, hat sich denn je einer so aufgeregt, verdammt, Scheiße, Fuck, so wütend, war je einer so in Rage, so verzweifelt, so außer sich und ohne Hoffnung war jemals jemand so weit entfernt, so abwesend, versunken, verschlossen, verloren, hat sich jemals einer so gesehnt, so herrlich gesehnt, weil er so, so schrecklich verliebt war? Hat jemand, jemals, so direkt das Wort an Sie gerichtet und Sie gefragt, wollte jemals jemand auf diese Art von Ihnen wissen, was eigentlich mit Ihnen los ist?

Da gibt es auch noch Arne Heym, den Protagonisten einer anderen Erzählung, der ein unbefriedigendes Dasein in seinem Job fristet. Als er eines Abends auf eine spannende Werbeanzeige stößt (Lassen Sie sich täuschen!), verändert sich sein langweiliges und alltägliches Leben von einem Moment auf den anderen: plötzlich befindet er sich in einem lebensechten Rollenspiel, bei dem er nie so genau weiß, was Wirklichkeit ist und was Täuschung.

Ich habe eine große Sehnsucht. Ich gehe jeden Tag zur Arbeit. Und diese Arbeit, das ist es halt, was mir stinkt, ist dieser Ort der offenen Fragen, wo wie nirgends sonst ein Raubbau an meiner Sehnsucht getrieben wird. Eine Ausbeutung meiner Träume und Illusionen. Das findet hier statt. Aber sagen Sie mir mal, hat man Ihnen das nicht schon mal gesagt?

Roman Ehrlich legt mit Urwaldgäste einen vielschichtigen und interessanten Erzählband vor, der sich von vielem abhebt, dass unsere deutschsprachige Gegenwartsliteratur ansonsten zu bieten hat. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass sich Roman Ehrlich einem wichtigen Themenkomplex annimmt: der Entindividualisierung unserer Arbeitswelt, vielleicht sogar unseres ganzen Lebens. Wo bleibt der Mensch in einer durchorganisierten und hochtechnisierten Welt? Wo bleibt das Menschliche? Wo bleiben Verletzlichkeit und überraschende Momente? Der Erzählton ist lapidar, fast beiläufig – so erschafft Roman Ehrlich eine Welt, die auf den ersten Blick ganz normal erscheint und doch verbergen sich unter dieser Oberfläche Seltsamkeiten, allerhand Skurriles und Befremdliches. In vielen der Erzählungen wird mit Realität und Phantasie gespielt und dabei werden Charaktere erschaffen, die genauso glatt sind, wie die Büros, in denen sie arbeiten. Das macht die Lektüre nicht immer einfach, aber darum nicht weniger spannend.

Urwaldgäste ist keine Lektüre für zwischendurch, ganz sicherlich nicht. Die Erzählungen erfordern nicht nur Zeit, sondern auch, dass man sich auf die Erzählwelt, die Roman Ehrlich erschafft, einlässt.Urwaldgäste ist kein Literatursnack und kein Wohlfühlbuch, aber ein hochinteressanter Erzählband, der es verdient, gelesen zu werden.

Weitere Besprechungen gibt es hier, hier und hier.

10 Comments

  • Reply
    tausendmrd
    December 8, 2014 at 1:54 pm

    Hallo Mara,
    toller Artikel! Vielleicht hast Du Lust auch mal in unsere Rezension reinzulesen.
    http://tausendmrd.wordpress.com/2014/11/03/wer-hat-dich-denn-eingeladen-roman-ehrlichs-urwaldgaste/
    Viele Grüße,
    Tassilo

    • Reply
      Mara
      December 8, 2014 at 3:16 pm

      Hallo Tassilo,

      ich freue mich sehr über deinen Besuch bei mir und dein Lob. Danke! 🙂 Auch eure Besprechung habe ich mit großem Interesse gelesen und gleich einmal verlinkt – herzlichen Dank für den Hinweis.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Rezension: Roman Ehrlich – Urwaldgäste (DuMont 2014) | buecherrezension
    December 8, 2014 at 2:43 pm

    […] Besprechungen finden sich etwa auf Buzzaldrin’s Blog, Tausendmrd und Das graue […]

  • Reply
    vigoleis01
    December 8, 2014 at 2:45 pm

    Merci für die Verlinkung & die schöne Besprechung, die das Buch, wie ich finde, sehr gut trifft.

    • Reply
      Mara
      December 10, 2014 at 1:08 pm

      Danke für deinen Besuch und den Kommentar, den du mir hinterlassen. Ich freue mich sehr, dass unsere Empfindungen für das Buch ganz ähnlich sind und bin gespannt, was Roman Ehrlich in den kommenden Jahren noch so vorlegen wird.

  • Reply
    dasgrauesofa
    December 8, 2014 at 4:14 pm

    Liebe Mara,
    mir ist es bei der Lektüre wohl so gegangen wie Dir: die Erzählungen sind keine, in die man als Leser so ganz hineingezogen wird, in denen man sich mit den Protagonisten gar identifizieren kann, sondern sie sorgen mehr für den etwas genaueren Blick auf unsere durchorganisierte, effiziete Welt und was passieren kann, wenn da mal jemand aus der Rolle fällt (der Nachrichtensprecher beispielsweise, oder der Erzähler der ersten Geschichte, der seiner Arbeit ja nicht wirklich gewissenhaft nachkommt). Und oft gelingt es dem Autor ja auch, so eine dubsiose, merkwürdig-bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, wohl ein Grund, warum in einigen Besprechungen auch der Bezug zu Kafka hergestellt wird. So finde ich Deinen letzten Satz sehr zutreffend: die Erzählungen sind kein Snack, überhaupt kein Wohlfühlbuch, aber lohnende und spannende und anregende Lektüre!
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      Mara
      December 10, 2014 at 12:40 pm

      Liebe Claudia,

      ja, beim Lesen deiner Besprechung habe ich mich auch sehr wiederfinden können. Die Erzählungen bieten nicht viel Identifikationspunkte, ich bin keiner der Figuren wirklich näher gekommen und doch hat mich ein Buch selten zuvor noch so lange nach der Lektüre beschäftigt. Manchmal brauche ich selbst Literatursnacks und Wohlfühlbücher, aber manchmal ist es auch nicht verkehrt, seinen Geist anregen zu lassen und dabei über bestimmte Themen nachzudenken. Das ist Roman Ehrlich auf jeden Fall gelungen. Da

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    December 9, 2014 at 3:31 pm

    Liebe Mara,

    danke für die schöne Besprechung, allein, das, was ich schon zu Claudias Besprechung kommentiert habe, gilt nach wie vor: irgendwie bekomme ich da keinen Zugang. Auch die Sprache, die er in den Zitaten gebraucht, spricht mich nicht an – ehrlich gesagt bin ich immer etwas skeptisch, sobald jemand versucht, sich sprachlich Kafka anzunähern. Kafka gibt es ja schon.

    Vielleicht verpasse ich ja auch etwas mit meinem (Vor-)Urteil, andererseits: ein Buch weniger auf dem Stapel ist derzeit auch immer ein gutes Buch…

    Liebe Grüsse
    Kai

    • Reply
      Mara
      December 10, 2014 at 12:36 pm

      Lieber Kai,

      ein Buch weniger ist sicherlich nicht verkehrt, da stimme ich dir zu. Manchmal springen einen Bücher einfach nicht an, weder inhaltlich noch sprachliche – ich kenne das auch. Vielleicht findet ihr beide ja noch einmal irgendwann zu einander und so lange hast du sicherlich noch das ein oder andere Buch auf dem Stapel, das gelesen werden möchte.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Roman Ehrlich im Gespräch! - Buzzaldrins Bücher
    December 10, 2014 at 12:26 pm

    […] beim Debütantenball gelesen, doch mittlerweile liegt bereits sein zweites Buch in den Läden: Urwaldgäste ist ein lesenswerter Erzählband. Ich habe dies zum Anlass genommen, mich mit Roman Ehrlich […]

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