Vea Kaiser erzählt in ihrem neuen Roman Makarionissi eine Familiengeschichte über fünf Generationen, die nicht nur auf einer griechischen Insel spielt, sondern auch in Hildesheim, St. Pölten, Chicago und der Schweiz. Makarionissi ist ein gleichzeitig witziger und berührender Familienroman und eine Geschichte von Helden und Herzensbrechern.
Loslassen heißt nicht verdrängen und nicht vergessen. Sondern einfach vergeben und akzeptieren, dass manchmal die Dinge so sind, wie sind, selbst wenn sie scheiße sind.
Es ist bereits drei Jahre her, dass Vea Kaiser mit ihrem Debütroman Blasmusikpop nicht nur mich begeistert hat, sondern auch viele andere Kritiker. Die Autorin war damals gerade einmal dreiundzwanzig Jahre alt und hatte einen Roman vorgelegt, der sich durch eine unbändige Fabulierlust auszeichnete. Auf diese Lust am Fabulieren trifft man auch in Makarionissi. Da Vea Kaiser nach ihrem Debütroman immer wieder vorgeworfen wurde, dass Dinge nicht so gewesen sein können, wie sie das geschrieben hat, hat sie sich bemüssigt gefühlt, dem neuen Buch noch einen kleinen Hinweis voran zu stellen:
[…] Ebenso gilt bei gewissen Abweichungen zwischen historischen Ereignissen und der Geschichte dieses Buches, dass der Roman der Fiktion verpflichtet ist. Nicht der Realität. Geben Sie, geschätzte Leser, dem Fabulieren eine Chance! Denn bereits Herodot meinte: Oftmals erzählt ein G’schichterl besser, als es die Ereignisse in ihrem echten Ablauf je könnten.
Zu Vea Kaisers Erzähllust gesellt sich aber auch eine große Erzählkunst, die sie auch in diesem Roman wieder unter Beweis stellt: erzählen kann die Autorin und zwar mitunter so mitreißend, dass ich das Buch nur sehr schwer wieder aus der Hand legen konnte. Makarionissi – das den Untertitel Oder die Insel der Seeligen trägt – ist ein fast fünfhundert Seiten starker Roman, der ganze fünf Generationen umfasst. Die Geschichte nimmt ihren Ausgangspunkt in einem kleinen Bergdorf an der griechisch-albanischen Grenze und endet auf Makarionissi, einer bettelarmen (fiktiven) Fischerinsel im Westen Griechenlands. Dazwischen verschlägt es die Figuren in die niedersächsische Provinz nach Hildesheim, die österreichische Stadt St. Pölten, das griechische Viertel nach Chicago und schließlich auch noch in die Schweiz.
Im Mittelpunkt des Romans stehen Eleni und Lefti, die gemeinsam aufwachsen. Sie sind Cousine und Cousin, doch während Lefti als Stammhalter der Familie gesehen wird, wurde Eleni nachträglich gezeugt, um beide miteinander verheiraten zu können. Die Auswahl an Frauen ist in Varitsi nämlich begrenzt. Das war zumindest der Plan von Großmutter Maria, doch Eleni beschließt bereits früh in ihrem Leben niemals zu heiraten: Heiraten werde ich niemals! Ich werde als Heldin durch die Welt reisen und Bestien töten. Statt zu einer tugendhaften Ehefrau heranzuwachsen, die den Fortbestand der Familie sichert, wird Eleni zu einer politischen Aktivistin. Cousine und Cousin heiraten trotz allem, doch eigentlich ist schon vorher klar, dass diese Ehe nicht auf einem festen Fundament gebaut ist.
Lefti glaubte an all das hier nicht mehr. Er saß vor dem Haus, von dem er sich immer gewünscht hatte, er könnte es sein Eigen nennen – und dachte zum ersten Mal, dass es viel zu groß, zugig, dunkel, altmodisch und baufällig war. Er stand kurz vor der Hochzeit mit der Frau, die er immer hatte heiraten wollen, und merkte, dass er sie gar nicht begehrte. Lefti fühlte sich so sanierungsbedürftig wie der Dachstuhl.
Eleni und Lefti gehen nach der Heirat gemeinsam nach Hildesheim, dort wohnen sie zwar zusammen in einer Wohnung, doch leben ansonsten zwei getrennte Leben. Wie es der Zufall, der in diesem Buch eine nicht immer unwichtige Rolle spielt, so will, finden beide fast gleichzeitig in der niedersächsischen Provinz ihre große Liebe. Lefti verliebt sich in Trudi, seine Deutschlehrerin mit österreichischen Wurzeln und Eleni in Otto, einen bayrischen Musiker. Doch ein langes Glück in Deutschland bleibt den beiden verwehrt, während Lefti und Trudi den Versuch wagen, sich eine gemeinsame Existenz in St. Pölten aufzubauen, geht Eleni zurück in ihr Heimatdorf. Doch sie geht nicht alleine, denn sie ist schwanger.
Eleni hasste viele Dinge an Deutschland, doch am meisten hasste sie das deutsche Nein. Das deutsche Nein war absolut. Man konnte nicht darüber diskutieren. Und es wurde nicht begründet. Selbst wenn das Nein keinen Sinn ergab und jeglicher Vernunft widersprach. Eleni empfand es wie das rote Licht einer Ampel. Mit ihm konnte man auch nicht verhandeln.
Die Geschichte ist an dieser Stelle noch längst nicht zu Ende, sondern wird Seite um Seite fortgeführt, Generation über Generation. Entstanden ist dabei ein proppenvoller Roman, der sowohl unfassbar unterhaltsam ist, als auch wunderbar mitreißend. Vea Kaiser webt ihre Erzählung wie einen bunten Teppich, der aus ganz viel Familie besteht, aus Liebe und Glück, Schicksal und Zufall, alten Mythen und der Weigerung sich zu entschuldigen. Es geht um Familien, in denen die Großmütter noch das Geschehen bestimmen – im Falle von Lefti und Eleni wurde die falsche Entscheidung getroffen, denn beide wurde von ihrer Familie nicht mehr als Individuen gesehen, sondern nur noch in ihrer Funktion, die Familie zu erhalten und weiterzuführen.
Makarionissi endet mitten in der griechischen Krise der heutigen Zeit, doch das Buch sollte nicht als politischer Text gelesen werden – für mich ist Makarionissi einfach ein unglaublich unterhaltsamer Familienroman, voller Esprit und ganz und gar mitreißend erzählt. Ähnlich wie in Blasmusikpop wird auch in diesem Roman so einiges durch den Kakao gezogen – ich habe nicht selten herzhaft lachen müssen. Natürlich geht es hin und wieder auch um ernstere Themen, es geht z.B. um die Frage, wie stark die Familie das eigene Leben eigentlich bestimmen darf. Vor allem geht es aber darum, das Loslassen zu lernen und akzeptieren zu lernen, dass manchmal die Dinge einfach so sind wie sind. Der Sommer wagt sich im Moment langsam hervor und passend dazu ist Makarionissi mein Buch des Sommers und eine unbedingt Leseempfehlung.
Vea Kaiser: Makarionnissi oder die Insel der Seeligen. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015. 460 Seiten, €19,99. Ein Interview mit der Autorin findet sich hier. Eine weitere Besprechung gibt es auf Leseschatz, dem Blog von Hauke Harder.
10 Comments
Hauke
May 13, 2015 at 3:03 pmDanke liebe Mara für Deine Besprechung und die Verlinkung auf den Leseschatz.
Ich freue mich, daß Dir die Reise nach Makarionissi auch gut gefallen hat.
Liebe Grüße, Hauke
Mara
May 16, 2015 at 1:15 pmLieber Hauke,
sehr gerne! 🙂 Ich freue mich, dass uns beiden die Reise nach Griechenland gleichermaßen gut gefallen hat – ich kann dir nur zustimmen: das ist ein Buch, das die Freude am Lesen einfach wecken muss und ich hoffe, dass es sich dementsprechend gut verkaufen wird.
Liebe Grüße
Mara
Cindy Bookaholic
May 13, 2015 at 3:06 pmEine sehr schöne Besprechung, die mich noch neugieriger auf die Geschichte macht, als ich es ohnehin schon war. Bei Blasmusikpop hatte ich auf das Taschenbuch gewartet und das ist, wenn ich mich richtig erinnere, fast 2 Jahre nach der gebundenen Ausgabe erschienen. Nun bin ich mir nicht so sicher, ob ich bei Makarionissi auch so lange warten kann. Am Ende werden sich wohl Taschenbuch und gebundene Ausgabe im Regal zueinander gesellen müssen, aber das ist bei schönen Geschichten bestimmt auszuhalten… Liebe Grüße, Cindy
Mara
May 16, 2015 at 1:14 pmLiebe Cindy,
ich glaube, dass ich es nicht schaffen würde, so lange auf die Taschenbuchausgabe zu warten – ich weiß sowieso noch nicht genau, wie ich es nun bis zu Vea Kaisers (hoffentlich) nächstem Roman überhaupt aushalten soll. Auch “Blasmusikpop” hatte ich damals sofort nach dem Erscheinen gelesen und war ähnlich begeistert, auch wenn ich glaube, dass mich “Makarionissi” noch ein klitzekleines bisschen mehr begeistern konnte.
Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß bei dem Roman, wann auch immer du ihn lesen wirst. 🙂
Liebe Grüße
Mara
irveliest
May 13, 2015 at 5:29 pmNa das klingt doch sehr gut und deine Rezi hat mich neugierig gemacht 🙂
Mara
May 16, 2015 at 1:12 pmDas freut mich sehr – ich bin sehr begeistert gewesen! 😀
juttareichelt
May 14, 2015 at 8:57 amLiebe Mara, du hast wahrscheinlich nicht zufälligerweise am letzten Samstag die (sehr negative) Rezension in der FAZ gelesen (“Helene Fischer der deutschen Literatur” ist mir noch erinnerlich)? Ist, wenn es ich es gerade richtig gesehen habe, leider nicht online … Deine Meinung dazu würde mich interessieren. Viele Grüße!
Mara
May 16, 2015 at 1:09 pmLiebe Jutta,
ich wurde auf die Besprechung hingewiesen, habe sie aber leider selber nicht gelesen und sie auch online nicht gefunden – ich habe also leider keine Meinung dazu, finde es aber natürlich schade, dass die Besprechung so negativ ausgefallen ist. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen und kann ihn nur weiterempfehlen. Vea Kaiser hat großen Spaß am Fabulieren und ich finde das einfach herrlich erfrischend und trotz allem hat Makarionissi auch einigen Tiefgang – also die perfekte Mischung für sonnige Tage.
Liebe Grüße
Mara
Deutscher Buchpreis: der große Favoritencheck!
August 12, 2015 at 6:33 pm[…] Hansen: Altes Land – Vea Kaiser: Makarionissi – Katrin Seddig: Eine Nacht und […]
*+* Vea Kaiser: „Makarionissi – Oder die Insel der Seligen“ (Hörbuch) *+* | Irve liest...
August 14, 2015 at 5:00 am[…] http://buzzaldrins.de/2015/05/13/makarionissi-vea-kaiser/ […]