“Als Schriftsteller muss man Humor haben” – Wladimir Kaminer im Gespräch

Wladimir Kaminer hat seitdem er im Jahr 2000 mit Russendisko debütierte bereits mehr als 20 Bücher veröffentlicht – ein beeindruckendes Arbeitspensum. Zuletzt erschien von ihm Goodbye Moskaudarin blickt er anlässlich des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution mit Sorge zurück auf seine alte Heimat Russland und die dortige politische Entwicklung – natürlich gewürzt mit der typischen Prise Humor und der einen oder anderen Anekdote über Familienangehörige.

Zuerst einmal würde ich Sie gerne nach Ihrem beeindruckenden Arbeitspensum fragen – Sie haben in 17 Jahren mehr als 20 Bücher veröffentlicht. Wie schaffen Sie das?

Ich versuche am Ende der Woche zu hinterfragen, was ich alles gemacht habe. Neben dem alltäglichen Leben läuft noch ein Leben – das ist genauso wie das geheime Leben des Waldes: oben sind Bäume, unten sind Pilze. Die sind oft nicht zu sehen, man muss sich immer sehr tief bücken und genau hinschauen, um sie zu finden. Und so finde ich auch meine Schätze – die Geschichten. Wenn ich diese dann am Ende des Jahres durchlese, kristallisiert sich normalerweise ein Thema heraus. Ein Thema, das sich durch alle Geschichten zieht – daraus entsteht dann meistens das Buch. Zur Zeit interessiere ich mich zu Beispiel sehr für diese Bewegung, die in das Leben vieler Menschen gekommen ist. Es sind unglaublich viele Menschen unterwegs. Die zwei größten Gruppen sind die Flüchtlinge und die Touristen. Beide Gruppen sind sehr oft am Wasser anzutreffen, da laufen sie sogar manchmal aneinander vorbei – und auch durcheinander. Sie kommunizieren nicht miteinander, aber sie begegnen einander mit Respekt, da sie wissen, dass die Grenzen nicht eindeutig markiert sind. Die Flüchtlinge von heute können bereits morgen Touristen werden oder umgekehrt. Ich habe viele amerikanische Freunde in Berlin, die durch die Wahl ihres Präsidenten verstimmt sind und für immer nach Europa auswandern wollen. Sind das nun Flüchtlinge oder Touristen? Das ist eine offene Frage – und genau diese beiden Gruppen sind heutzutage das Abbild der Welt. Darüber möchte ich schreiben.

Das heißt also, wir können uns auf ein neues Buch von Ihnen freuen?

Ja – doch. Ich schreibe langsam darüber.

Können Sie sich denn bei mehr als 20 Büchern noch an die Anfänge Ihres Schreibens erinnern?

Natürlich! Ich habe bereits im Kindergarten Geschichten erzählt, ich habe auch gerne Filme nacherzählt, die ich nicht gesehen habe. Meine Kindergartengenossen fanden das prima und haben als Gegenleistung meinen Brei aufgegessen – wir hatten eine Gesellschaft der sauberen Teller im Kindergarten, da durfte man nichts übrig lassen. Und ich hasste dieses Essen! Später in der Armee habe ich mich dann nur gerettet, weil ich mich als Wahrsager betätigt habe. Ich konnte das Schicksal voraussagen. In Deutschland bin ich dann bei Vorträgen aufgetreten, bei denen ich über das Leben in der Sowjetunion erzählte. Irgendwann merkte ich dann, dass ich älter werde und vieles vergessen könnte. Also habe ich angefangen, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Im Laufe der Jahre habe ich dann gelernt, wie man etwas richtig aufschreibt. Ich glaube, ich kann meinen Geschichten mittlerweile eine ziemlich gute Form geben. Das ist aber nicht ausschlaggebend – das wichtigste ist, erst einmal eine Geschichte zu haben.

Sie sind 1990 aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen – ich habe mich gefragt, ob es für Sie von Anfang an feststand, dass Sie auf Deutsch publizieren wollen?

Ja, das war eine bewusste Entscheidung! Hier versteht ja kein Mensch Russisch – hier wohnen hauptsächlich Deutsche und die verstehen nur Deutsch und ich wusste von Anfang an, dass ich eine breite Leserschaft erreichen möchte.

In vielen Ihrer bisherigen Bücher beschäftigen Sie sich mit Ihrem neuen Heimatland, kehren Sie mit Goodbye Moskau ein wenig zurück zu Ihren Wurzeln?

Es ist eigentlich ganz egal, worüber ich schreibe – ich bleibe immer bei dem gleichen Thema: mein Thema ist die Tragödie des menschlichen Lebens. Bei den Geschehnissen in Russland und bei dem, was dort passiert, ist mir klar geworden, dass hinter der politischen Kulisse ein zutiefst menschliches Drama steckt. Ein Drama, das eigentlich einen Platz in jeder Kirche verdient hätte – im Grunde genommen auch in jedem Schlafzimmer, in jeder Wohnung. Das ist ein zwischenmenschliches Problem, kein politisches, das man auf einem G8- oder G20-Gipfel lösen könnte. Es sitzt tief in der Gesellschaft und deshalb wusste ich sofort: das ist mein Thema.

Wenn wir über Russland sprechen, dann müssen wir auch über den russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen. Wie schätzen Sie die Situation in Russland ein?

Ich betrachte das mit großer Besorgnis. Ich glaube, dass die Deutschen – und überhaupt die Europäer – sehr naiv sind und nicht wahrhaben wollen, was da im Osten passiert. Sie würden es gerne nicht als eigenes Problem betrachten. Das ist überhaupt heute ausschlaggebend für die deutsche Politik: sie haben sich jahrzehntelang im Schatten des großen amerikanischen Bruders mit netten kleinen Dingen beschäftigt und waren froh, nicht für die ganze Welt zuständig zu sein. Die Welt ist aber so klein geworden, dass man nicht mehr ein gemütliches Leben in der eigenen Wohnung führen kann, wenn das ganze Haus brennt – die Nachbarn klopfen dann nämlich an. Es ist ein Irrtum, dass man sich abschotten kann von den Problemen der Welt.

Inwiefern glauben Sie stößt der Humor angesichts dieser politischen Situation auch irgendwann an seine Grenzen?

Ein Politiker darf keinen Humor haben, selbst wenn er Humor hat, wird dieser ihm schnell ausgetrieben. Ich sehe die Aufgabe der Literatur aber darin, das Positive zu präsentieren und den Menschen positive Impulse zu geben. Gerade in solchen Zeiten, in denen die Zukunft nebelig und ziemlich schwer erscheint.

Wladimir Kaminer: Goodbye Moskau. Goldmann Verlag, März 2017. 12,99€, 224 Seiten.

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