Britta Boerdner wurde in Fulda geboren und hat nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin Amerikanistik, Germanistik und historische Ethnologie studiert. Heutzutage arbeitet sie hauptberuflich als Texterin und Konzeptionerin. Außerdem schreibt sie Essays und Kurzgeschichten. “Was verborgen bleibt” ist ihr Romandebüt.
“Kann man seine Heimat auch in einem Menschen finden?”
“Was verborgen bleibt” erzählt eine Geschichte über das langsame Zerbrechen einer Beziehung. Die Erzählerin des Romans bleibt namenlos. Sie folgt ihrer großen Liebe Gregor nach New York. Sie hatten sich gegenseitig ein Versprechen gegeben: wer es als erster von ihnen nach Amerika schafft, holt den anderen nach. Gregor hat es geschafft und sieben Monate später folgt die Erzählerin ihm.
“Drei Wochen werde ich bleiben, ein erster Besuch in Gregors neuem Zuhause, eine Annäherung an die Stadt soll es sein. Bald werde ich hier leben, mein Name wird auf dem Klingelschild stehen, jeden Morgen werde ich das Haus verlassen mit meinem eigenen Schlüssel in der Hand, werde ihn in meine Tasche fallen lassen und den Weg zur Arbeit antreten, wo immer sie auch sein wird.”
Doch niemand hat der Erzählerin gesagt, wie ein Neuanfang funktionieren kann und wie man sich verhalten sollte, um sich selbst und seiner Beziehung einen solchen zu ermöglichen. Sie kommt im kalten Februar nach New York und leidet unter der Kälte. Bereits mit der Begrüßung von Gregor beschleicht sie ein Gefühl der Beklommenheit. Zwischen den beiden scheinen nicht nur sieben Monate zu liegen, sondern Welten.
“Das Schweigen ist ein unerträglicher Zustand, wenn man in der Stimme des anderen ein Zuhause gefunden hat; mit dem Schweigen zogen die Fragen ein, mit den Fragen die Kritik und als Antwort darauf die aufgeschlagene Sonntagszeitung beim Frühstückstisch. Eine Liebe im Schnelldurchgang, eine Nähe, die vor der Zeit altert, weil ihr das Thema verlorengegangen ist.”
Die Erzählerin weiß nicht, wie sie Gregor begrüßen soll, sie findet keine Themen mehr, über die sie sprechen könnten. Gregor blüht in seiner Arbeit auf. Morgens verlässt er früh das Haus und abends macht er häufig Überstunden. Die Erzählerin ist sich selbst überlassen. Schnell muss sie erkennen, dass ihre Vorstellungen und Wünsche nicht mehr deckungsgleich mit der Realität sind. Gregor hat keine Zeit für gemeinsame Spaziergänge und Unternehmungen.
“Ich sehe ein Raster vor mir, in das mein Leben, meine Wünsche und geheimen Gedanken eingetragen sind, ein Quadrat nach dem anderen muss ich durchstreichen, ich weigere mich, so rational auf die Dinge zu schauen […].”
Gregors neues Leben hat ihn von der Erzählerin entfremdet. Sie erkennt ihn manchmal kaum wieder, er erscheint ihr fremd und unbekannt. Er lebt ein Leben, zu dem sie keinen Zutritt hat. Symbolisch dafür steht eine Katze, die Gregor morgens heimlich füttert, von der er der Erzählerin jedoch nichts erzählt.
“[…] es ist, als hätte ich bisher nur Teilbereiche seines Lebens wahrgenommen, die sich jetzt zu einem Ganzen formen, das ich noch nicht entschlüsseln kann.”
Die “alte Zweisamkeit” ihrer Beziehung hat noch nicht den Weg in Gregors neues Leben finden können. Die Geschichte der beiden, sollte eigentlich eine Geschichte des Neuanfangs werden: “Wer von uns zuerst da ist, holt den anderen nach, versprachen wir uns.” Doch die Erzählerin muss erkennen, dass es nicht so einfach ist, nachzukommen. Gregors neues Leben, seine Arbeit, sein neues Umfeld – die Erzählerin hat das Gefühl an Gregors Seite in einem Hochgeschwindigkeitszug zu sitzen. Sie findet keinen eigenen Stand, dafür fährt der Zug einfach zu schnell. Mit der englischen Sprache ist sie so unsicher, dass sie häufig nicht an Gesprächen teilnehmen kann, auch wenn Gregor sie zu Partys mitschleppt. Gregor ist in Amerika angekommen, die Erzählerin noch nicht. Sie wartet auf ihn, statt ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Die spürbare Entfremdung raubt ihr jede Energie, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Ihre Tage füllt sie mit einsamen Spaziergängen.
“Ab wann ist das Schwierige keine Phase mehr, sondern ein bleibender Zustand?”
Britta Boerdner beschreibt meisterhaft das langsame Zerbrechen einer Liebe und seziert die Unmöglichkeit, eine Beziehung durch einen Neubeginn in einer fremden Stadt kitten zu wollen. Gregor und die Erzählerin kennen Amerika bereits aus ihrem gemeinsamen Sommerurlaub. Doch von den Urlaubsgefühlen ist im kalten Winter von New York nichts mehr übrig geblieben. Nicht nur das Paar hat sich voneinander entfremdet, auch die Stadt erscheint der Erzählerin fremd und trostlos. Die Beschreibung der Erzählerin, die voller Mut und Vorfreude nach Amerika reist, ist unheimlich beklemmend. Bedrückend und von einer ungeheuren Traurigkeit ist ihre Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, Heimat in einem anderen Menschen zu finden, dass sie und Gregor allein sind und “voneinander getrennt wie alle Menschen”.
“Gregor ist nicht mehr mein kleines, dunkles Mädchen, der Gedanke trifft mich genauso hart wie der Streif Sonnenlicht von einem Fenster gegenüber, das gerade geschlossen wird. Eigentlich weiß ich es seit meinem ersten Tag, seit der Minute, als ich ihn fragte, ob er einen Tag freinehmen kann, um mit mir herumzubummeln, genau hierher wollte ich mit ihm kommen, hier wieder entlanggehen. Du weiß doch, ich muss bei der Stange bleiben, Urlaub ist nicht drin, er sah mich an, als verstünde ich nichts von dem, was vor sich ginge.”
An einer Stelle fragt sich die Erzählerin, ob man “den Moment, in dem sich etwas zwischen zwei Menschen unverrückbar verschiebt” spüren könnte. Ich habe keine Antwort auf diese Frage, ich weiß nur, dass Britta Boerdner diesen Moment in ihrem Buch von der ersten bis zur letzten Seiten spürbar werden lässt: die Beklemmung, die Traurigkeit, das Gefühl, dass etwas endet. Britta Boerdner zeichnet sich dabei vor allem als genaue Beobachterin aus, der es gelingt, sogar leise Zwischentöne einzufangen und aufs Papier zu bannen. “Was verborgen bleibt” beschreibt und seziert diesen Moment, den Moment, in dem eine Beziehung zu Ende geht, den Moment, den man nicht mehr kitten kann, der nie mehr rückgängig zu machen ist. Zurück blieb ich als Leser mit dem Gefühl, ganz wund vor Traurigkeit zu sein.
“Was verborgen bleibt” ist ein beeindruckendes Romandebüt von einer Autorin, von der wir in Zukunft hoffentlich noch viel lesen werden. Der Roman hat mich nicht nur sprachlich überzeugt, sondern auch durch Britta Boerdners feine Beobachtungsgabe und ihre Kunst, mit Wörtern wunderschöne Bilder zu kreieren. “Was verborgen bleibt” ist ein beeindruckendes Porträt einer zerbrechenden Liebe und ein wunderbarer Roman über New York. Eine ganz große Leseempfehlung!
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