Warum Lesen glücklich macht – Stefan Bollmann

In Warum Lesen glücklich macht beschäftigt sich Stefan Bollmann mit den Ursprüngen des Lesens, erzählt von dessen Geschichte und spürt der Frage nach, welche Bedeutung literarische Texte für unser Leben haben können. Das Buch ist eine kleine Schatztruhe für Bücherliebhaber – geeignet zum Selberlesen, aber auch zum Verschenken.

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Lesend finden wir nicht nur Antworten auf unsere Lebensfragen, sondern schöpfen auch die Kraft für Neuanfänge, wenn wir einmal den Weg verloren haben.

Can Reading Make You Happier? – so hieß ein Artikel, der letzte Woche im New Yorker erschien. Ceridwen Dovey beschäftigt sich darin mit der Frage, ob Lesen uns glücklicher machen kann (eine Frage, die ich nur mit einem ganz klaren und lauten Ja beantworten kann) und erzählt nebenbei von den Möglichkeiten der Bibliotherapie. Ich glaube, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass Lesen momentan ein beliebtes Themenfeld ist. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich euch Lesen als Medizin vorgestellt habe – darin geht Andrea Gerk ganz ähnlichen Fragen nach. Woher kommt nur das Bedürfnis, sich mit den Haupt- und Nebenwirkungen von Büchern zu beschäftigen? Ich weiß es nicht und doch teile ich das Interesse daran, den Geheimnissen des Lesens auf die Spur zu kommen. Es ist also kein Wunder, dass ich an Stefan Bollmanns schmalem, aber wunderschön aufgemachten, Büchlein Warum Lesen glücklich macht nicht vorbeigehen konnte, als ich es in der Buchhandlung entdeckt hatte.

Wirkliches Lesen, so könnte man sagen, gleicht einem Aufbruch in die unbekannte Welt des Waldes, um experimentell zu überprüfen, was einem wesentlich ist und was nicht. Es ist der Ausstieg auf Zeit aus der Lebenswelt mit ihren Routinen und Konventionen und die Einkehr in eine fremde Vorstellungswelt, zu dem Zweck, das eigene Leben und vor allem das Bild, das wir davon haben, auf den Prüfstand zu stellen.

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Von Stefan Bollmann gibt es mittlerweile schon eine ganze Reihe Bücher, die sich mit dem Lesen beschäftigen – bevorzugt aus weiblicher Perspektive. Da geht es um Frauen und Bücher, Frauen, die lesen, Frauen, die schreiben und Frauen, die gefährlich und klug sindDa mag die Frage natürlich erlaubt sein, ob Stefan Bollmann wirklich noch etwas Neues zu erzählen hat.

Viele von Stefan Bollmanns Gedanken findet man auch andernorts und die rhetorisch gestellte Titelfrage (Warum Lesen glücklich macht) bleibt weitestgehend unbeantwortet – das Lesen dieses schmalen Büchleins lohnt sich dennoch. Dies liegt zum einen an der wunderbaren Gestaltung und Bebilderung. Viele der Bilder erstrecken sich über eine Doppelseite, sie sind sorgfältig ausgewählt und wurden gut in den Textfluss integriert. Hauptsächlich zu sehen gibt es lesende Menschen, doch diesmal nicht nur Frauen, sondern auch den einen oder anderen Mann.

Warum Lesen glücklich macht lässt sich wohl am ehesten als literarischer Essay bezeichnen. In vier Kapiteln widmet sich Stefan Bollmann den Ursprüngen und der Bedeutung des Lesens: es geht um das Lesen als Rückzug, um das Erlernen des Lesens. Es geht aber auch um die Gefahren der neuen technischen Möglichkeiten und einer Auslotung der Frage, ob diese Möglichkeiten vielleicht auch ihre Vorteile haben können. Erst im allerletzten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Frage nach dem Leseglück und nimmt dazu den Glücksbegriff etwas genauer unter die Lupe.

Die große Kunst von Stefan  Bollmann ist es, mit welcher Leichtigkeit er von wissenschaftlichen und historischen Fakten erzählt und dabei immer wieder Anekdoten rund um’s Lesen einflicht. Er entführt einen nicht nur in die amerikanischen Wälder und erzählt die Geschichte von Henry David Thoreau, sondern auch in den deutschen Wald, in dem vor einigen Jahren Joseph Paccione ein Leben als Einsiedler geführt hat. Achtzehn Monate lang verbringt er lesend im Wald.

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Während sich Stefan Bollmann in seinen anderen Büchern Gedanken um lesende Frauen gemacht hat, rückt er in diesem Buch auch den lesenden Mann in den Fokus. Auch wenn die zunehmende Anzahl männlicher Blogger das Gegenteil beweisen, kann einen doch der Eindruck überkommen, es gäbe mehr lesende Frauen als lesende Männer. Ist der männliche Leser also in seiner Art bedroht? Wenn man historisch zurückgeht, dann gehört der Mann interessanterweise zu den allerersten Lesern – denn das Lesen von Tierspuren auf der Suche nach Beute ist eine vergleichbare und verwandte Tätigkeit gewesen.

Bei nicht wenigen Lesern nimmt die Sorge um Lesefutternachschub die Gestalt von Beutezügen an, von denen der Buchhandlungen, Antiquariate und Auktionshäuser oder auch nur das Internet durchstreifende Bibliomane regelmäßig mit einer vollen Sammeltasche heimkehrt, bis schließlich die heimische Höhle von oben bis unten vollgestopft ist mit Büchern.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, warum Lesen uns glücklich macht, findet der Autor nicht, dafür liefert er ganz viele spannende und interessante Antwortansätze. Jeder Leser und jede Leserin definiert das eigene Leseglück anders, doch sicher ist, dass das richtige Buch zur richtigen Zeit etwas verändern oder anstoßen kann. Wer bin ich und wie soll ich mein Leben führen? Wie kann ein gutes Leben aussehen? Auf all diese Fragen lassen sich Antworten in Büchern finden. Bücher können glücklich machen, Bücher können aber auch eine neue Perspektive aufzeigen, Bücher können einen zu einem Neuanfang ermutigen, Kraft geben, einen Dinge über sich selbst und das eigene Leben lehren oder auch eine kleine Leseflucht sein.

Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, der kann in ganz vielen unterschiedlichen Büchern weiterlesen, unter anderem in diesen dreien:

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Virgina Woolf: Der gewöhnliche Leser  |  Gabriel Zaid: So viele Bücher  | Anna Quindlen: How Reading Changed My Life

Stefan Bollmann: Warum Lesen glücklich macht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 142 Seiten, €9,99.

12 Comments

  • Reply
    Dorte
    June 14, 2015 at 2:10 pm

    Danke für den wunderbaren Überblick!

    Dorte

    • Reply
      Mara
      June 18, 2015 at 11:58 am

      Liebe Dorte,

      gern geschehen, ich hoffe, du konntest etwas Interessantes daraus mitnehmen.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Constanze Matthes
    June 14, 2015 at 3:21 pm

    Wieder einmal ein Schmuckstück von Lese-Buch, dass du wieder ganz bezaubernd vorstellst. Das Thema ist sehr, sehr spannend. Leider habe ich es persönlich etwas aus den Augen verloren. Während meines Studiums habe ich mich mehr beschäftigt und kann in diesem Zusammenhang unter anderem das Buch “Die Gutenberg-Elegien” von Sven Birkerts empfehlen. Viele Grüße und weiterhin glückliches Lesen!

    • Reply
      Mara
      June 18, 2015 at 11:59 am

      Ich muss gestehen, dass mich das Thema im Moment ganz und gar fesselt, deshalb danke ich dir auch sehr für den weiterführenden Buchtipp – da schaue ich gleich mal nach. 🙂

  • Reply
    dasgrauesofa
    June 15, 2015 at 7:56 am

    Liebe Mara,
    sollte ich den Satz “Warum Lesen glücklich macht” ergänzen, würde ich ganz schön auf dem Schlauch stehen. Natürlich macht mich Lesen glücklich, sonst würde ich es ja nicht tun. Aber warum genau setze ich mich Stunde um Stunde in eine ruhige Ecke und lese? Und ist es wirklich so, dass mich das Lesen zu einem anderen Menschen macht oder gemacht hat? Ganz erhlich: So spontan könnte ich das gar nicht beantworten. Aber ich weiß, dass es (fast) nichts Schöneres gibt, als durch einen Buchladen zu gehen, auf der Suche nach neuen spannenden Geschichten, die auch noch in einer schönen Sprach erzählt werden, dass es (fast) nichts Schöneres gibt, als große Buchstapel, die auf das Erlesen-Werden warten, dass es (fast) nichts Schöneres gibt als den der Geruch von Paier, das Rascheln beim Seitenwenden, das Verschwinden in ganz anderen Welten, das Einnehmen neuer Perspektiven und Blickwinkel (das hast Du ja auch so geschrieben) – und das alles von meinem grauen Sofa aus. Neurologisch gesehen scheinen Bücher bei mir irgendwie das Belohungszentrum im Gehirn anzusprechen, so wie Schokolade und Spaghetti-Eis, zwei weitere Süchte, denen ich so gerne fröhne :-).
    Viele Grüße, Claudia (und ganz viel Spaß am Mittwoch in Frankfurt! Ich werde an Euch denken und hoffe auf viele Berichte!)

    • Reply
      Mara
      June 18, 2015 at 11:57 am

      Liebe Claudia,

      deinen Kommentar habe ich total gerne gelesen, da ich mich in deinen Gedanken unheimlich gut wiederfinden kann. Auch ich weiß nicht ganz genau, warum und inwiefern mich Lesen glücklich macht, ich weiß nur, dass ich unheimlich gerne lese und Bücher kaufe und dass ich schlechte Laune kriege, wenn ich mal weniger lesen kann, als ich mir das wünsche. Mich macht das Lesen von Büchern ja fast genauso glücklich, wie das Kaufen von Büchern – schade ist nur, dass ich nicht noch zusätzliche Lesezeit erwerben kann, um all das zu lesen, was ich mir so kaufe.
      Schokolade und Spaghetti-Eis sind übrigens auch zwei ganz tolle Leidenschaften, denen man ruhig ab und an nachgeben sollte.

      Das bookup in Frankfurt war übrigens ganz wunderbar gestern, wir hatten eine tolle, wenn auch viel zu kurze, Zeit.

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        dasgrauesofa
        June 18, 2015 at 4:31 pm

        Aha, Du bekommst auch schlechte Laune, wenn Du nicht so viel Zeit zum Lesen hast, wie Du Dir wünscht! So geht es mir auch!
        Und dann kommt hoffentlich bald Dein Bericht zum bookup, damit ich richtig neidisch sein kann. Meine Cryptoparty war nämlich ziemlich chaotisch, deshalb sehr anstrengend, da wäre ich wohl doch viieeel lieber mit Euch zusammen gewesen!
        Viele Grüße, Claudia

  • Reply
    flattersatz
    June 16, 2015 at 4:31 am

    ich habe seinerzeit die hardcover-ausgabe gelesen und die hatte mich gar nicht sooo glücklich gemacht, da ich die einfach lieblos und dem thema unangemessen fand…..

    • Reply
      Mara
      June 18, 2015 at 11:42 am

      Lieber Flattersatz,

      ich habe jetzt ja nur die kostengünstige Taschenbuchausgabe gelesen, damit war ich glücklich und zufrieden – ich kann aber auch verstehen, dass es einem mit einer teureren Ausgabe möglicherweise anders ergeht. Ich habe in dem Essay von Stefan Bollmann viele interessante Gedanken und Anknüpfungspunkte gefunden, wenn er auch keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse formuliert.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    jancak
    June 17, 2015 at 9:26 am

    Nun ja, wenn ich mir die Inhalte so mancher Bücher, die ich gelesen habe und lese, durch den Kopf gehen lasse https://literaturgefluester.wordpress.com/2013/08/08/axolotl-roadkill/, https://literaturgefluester.wordpress.com/2012/12/18/der-russe-ist-einer-der-birken-liebt/, https://literaturgefluester.wordpress.com/2012/06/14/abschied-von-sidonie/, https://literaturgefluester.wordpress.com/2014/06/22/anne-frank-tagebuch/und und und, kann vom Glücklichsein wohl keine Rede sein.
    Trotzdem ich lese gern und viel, würde mich eigentlich nicht als Süchtige deklarieren, obwohl ich wirklich bald keinen Platz mehr habe und das Lesen für mich sehr wichtig ist, trotzdem ist das, glaube ich, wie bei der Schokolade und den angeblichen Glückshormonen, die sie auslöst, obwohl auch ich gern Schokolade esse, habe ich davon noch nichts bemerkt und eigentlich sollte man auch nicht, wegen den Speckfalten am Bauch. Also wahrscheinlich sind diese Art von Bücher eine Leidenschaft von Herrn Bollmann, sie sind sicher schön anzuschauen und zu lesen und der Buchhandel freut sich darüber.
    Ich lese jetzt übrigens “brennt” von Sudabeh Mohfaz, da ist man nachher wahrscheinlich auch nicht sehr glücklich, höchstens darüber, daß man das nicht selbst erlebt hat, also wieder Literatur als Lebensersatz? Dem stimme ich eigentlich auch nicht zu.

    • Reply
      Mara
      June 18, 2015 at 11:37 am

      Liebe Eva,

      deinen Kommentar habe ich mit Interesse gelesen – Stefan Bollmann schreibt übrigens auch, dass es schwierig ist, von Glück zu sprechen, wenn dieses ominöse Glück von jedem anders interpretiert wird. Ich glaube, dass es auch schwere und traurige Bücher gibt, die einen “glücklich” machen können, weil man ganz viel von ihnen lernt.

      Aber klar: Stefan Bollmann hat da ein wenig eine Marktlücke entdeckt und nutzt diese aus, wer würde es ihm verdenken?

      Bei deiner Lektüre wünsche ich dir viel Freude, glücklich bist du danach wahrscheinlich nicht, aber möglicherweise hast du viel gelernt und wirst danach aus einer anderen Perspektive aus das Leben blicken.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Ein Jahr in Büchern | Buzzaldrins Bücher
    December 21, 2015 at 8:07 am

    […] und Salinger: Ein Leben von David Shield und Shane Salerno) und einige tolle Bücher über das Lesen und das Schreiben. Neben den Neuerscheinungen, an denen auch ich natürlich nicht vorbeikomme, habe […]

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