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Dana Buchzik im Gespräch!

dbDana Buchzik ist nicht nur Bloggerin, die unter dem Pseudonym Sophia Mandelbaum auf Ze Zurrealism itzelf schreibt, sondern auch Literaturkritikerin, die u.a. für die Literarische Welt und die ZEIT arbeitet. Auf der Buchmesse in Frankfurt sorgte sie mit ihrem Fotoprojekt #sozialewärme für Aufsehen, außerdem rief sie vor kurzem zu einem #aufschrei in der Literatur auf und schrieb über ein misslungenes Interview mit Benjamnin Lebert.

Du schreibst u.A. für die Literarische Welt, die Süddeutsche und die ZEIT über Literatur und gleichzeitig auch an deinem eigenen Roman. An welcher der beiden Tätigkeiten hast du mehr Freude?

Glücklicherweise macht mich beides glücklich 🙂 Ich liebe die journalistische Arbeit sehr, weil ich nicht zuletzt dafür bezahlt werde, großartige Bücher zu lesen und spannenden Persönlichkeiten zu begegnen. Das literarische Schreiben begleitet mich schon lange und ist eine Art Grundbedürfnis. Wenn ich vor lauter Arbeit längere Zeit nicht dazu komme, fehlt es mir und ich fühle mich nicht mehr vollständig, so kitschig oder esoterisch das klingt/ist.

In Hildesheim hast du am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft studiert. Wie kam es dazu, dass du den Wunsch entwickelt hast, zu schreiben?

Wahrscheinlich sagt hier jeder das Gleiche, auch ich: Das Schreiben begleitet mich, seit ich denken kann. 2009 war ich an einem Punkt,  an dem ich so konsequent sein wollte, diesem großen Thema meines Lebens auch (m)ein Studium zu widmen – eine Entscheidung, die ich glücklicherweise nicht bereut habe.

Hat das Studium dein Schreiben verändert oder beeinflusst? Was hast du aus der Zeit in Hildesheim mitgenommen?

Kurz nach Studienbeginn sagte man mir: Nach dem ersten Semester wirst du alles wegwerfen und verachten, was du vor diesem Studium geschrieben hast. Ich wollte das nicht glauben, aber er hatte Recht. Das Studium in Hildesheim hat mich weiter gebracht, als ich es je für möglich gehalten hätte. Aber nicht nur das Schreiben selbst hat sich verändert, sondern auch mein Blick darauf. Ich habe gelernt, es ernster zu nehmen, habe begonnen, es als „Arbeit“ zu bezeichnen, nicht nur als kleine, irrelevante Spielerei, über die man nur beschämt oder durchironisiert sprechen kann.

Du schreibst momentan an deinem eigenen Roman und betreibst auch einen eigenen Blog, auf dem du Texte von dir veröffentlichst. Welche Themen treiben dich beim Schreiben um?

Ausgangspunkt sind zumeist Themen, die Freunde, Bekannte oder mich selbst bewegen; von dort aus entwickeln sich kleine Geschichten, Eindrücke, Assoziationen; als virtuelles Tagebuch ist es also nicht gemeint.

Die Artikel in deinem Blog veröffentlichst du unter dem Namen Sophia Mandelbaum, was hat es damit auf sich?

Ich bin ja schon eine ganze Weile im Internet unterwegs und habe immer nach einem Pseudonym gesucht, mit dem ich mich identifizieren kann. Sophia Mandelbaum kam mir spontan in den Sinn und blieb haften. Ich mag das Weiche und Blumige dieses Namens, im Gegensatz zu meinem Klarnamen, der eher hart und kantig klingt.

In den vergangenen Wochen hast du mit zwei Artikeln Aufmerksamkeit erregt: du hast zum einen zu einem literarischen Aufschrei aufgerufen. Was hat dich zu diesem Aufschrei motiviert? War die Veröffentlichung der Longlist der Auslöser oder hat dich das Thema schon länger umgetrieben?

Die Longlist war sicherlich ein Auslöser, aber das Thema Sexismus im Literaturbetrieb beschäftigt mich schon länger und ich war (und bin) froh, dass sich die Gelegenheit auftat, ein paar grundsätzliche Gedanken zu dem strukturellen Ungleichgewicht zu formulieren, das ich im Betrieb wahrnehme. Die „Old Boys Networks“, wie Annina Luzie Schmid sie im Artikel genannt hat, sind ein sehr reales Problem, das Frauen im Mittelfeld festhält und Männer nach oben katapultiert. Dieses Thema muss auf den Tisch, wieder und wieder, bis sich etwas geändert hat, zum Besseren, hin zu mehr Chancengleichheit. Ich fordere übrigens keine Quote, auch wenn Journalistenkollegen mich mehrheitlich damit „zitieren“, sondern ich plädiere für mehr Transparenz, für mehr Nach- und Hinterfragen und für offene(re) Diskussionen. Ich möchte gern darauf vertrauen, dass wir auch ohne Quotendruck in der Lage sind, veraltete Denk- und Verhaltensmuster aufzubrechen.

Der Artikel ist nicht nur in der gedruckten Ausgabe erschienen, sondern auch online. Soziale Netzwerke haben es an sich, dass Menschen viel unmittelbarer reagieren können. Hast du alle Kommentare gelesen, die zu deinem Artikel eingegangen sind?

Nein, das wäre zum Einen angesichts der schieren Menge kaum machbar gewesen – zum Anderen halte ich die Lektüre von Onlinekommentaren nicht für sonderlich produktiv.

Was hast du für Methoden, um dich vor dieser Öffentlichkeit schützen zu können?

Online-Kommentare lese ich, wie gesagt, nicht; wenn man bei Facebook verlinkt oder direkt angeschrieben wird, poppt das natürlich auf und ins Bewusstsein. Mich haben teils genau solche Anfeindungen erreicht, wie ich sie im Artikel geschildert hatte, was mich anfangs hat schlucken lassen, aber, um Helen Lewis zu zitieren: „The comments on any article about feminism justify feminism” – und bis der nächste Artikel erscheint, der Facebook„freunde“ und –fremde zu Respektlosigkeiten inspiriert, trainiere ich einfach meine Block-Kompetenz 🙂

Der Artikel über das misslungene Interview mit Benjamin Lebert habe ich als etwas Außergewöhnliches im Literaturbetrieb empfunden. Warum hast du dich entschieden, den Artikel zu veröffentlichen und nicht über das Gespräch zu schweigen?

Ich glaube, dass auch im scheinbar Missglückten etwas aufscheinen und sichtbar werden kann. Das Interview mit Benjamin Lebert habe ich, auch wenn das paradox erscheinen mag, als sehr positiv in Erinnerung. Man reibt sich aneinander, manchmal scheitert man auch aneinander, und gerade deswegen können Begegnungen besonders und lehrreich sein. Wieso soll man über etwas schweigen, nur weil es nicht perfekt gelaufen ist?

Wie ergeht es dir da überhaupt als Literaturkritikerin? Ich muss gestehen, dass ich eindeutig mehr Freude daran habe, Bücher zu loben. Fallen dir Verrisse schwer?

Am schwersten fallen mir Besprechungen von Büchern, die ich als langweilig, als mittelmäßig erlebe; Loben oder Verreißen finde ich nicht schwierig. Ich schätze mich glücklich, in meiner journalistischen Arbeit nichts schönreden zu müssen, sondern klar und ehrlich sein zu dürfen. Daniela Strigl hat unlängst etwas sehr Schönes zu diesem Thema gesagt:

 „Ich glaube, dass man als Literaturkritiker auch Verrisse schreiben muss. Das bin ich den herausragenden Büchern schuldig. Wenn ich alles lau und mittelgut bewerte, ist alles eins. Kritik heißt Farbe bekennen.“

Kannst du uns abschließend noch deine drei Büchertipps für den Literaturherbst verraten?

Sehr gern! Stephanie Bart: Deutscher Meister, Karen Köhler: Wir haben Raketen geangelt und Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe.

Foto: © Christopher Weber

 

Eine Feier der Literatur.

Peosa Blog

Vom 29. Mai bis zum 1. Juni fand in Hildesheim das Literaturfestival PROSANOVA statt. Veranstaltungsort war eine leerstehende Hauptschule, aus der im nächsten Jahr eine Grundschule werden soll. Sinnvoll genutzt wurde sie in der Zwischenzeit von Schreibschülern und Schreibschülerinnen der Universität Hildesheim, die in Eigenregie dieses (sicherlich) einzigartige Lesefestival auf die Beine gestellt haben. Organisatorische Hürden, in Form von Wartezeiten und längeren Schlangen, ließen sich dabei nicht vermeiden, konnten aber verschmerzt werden. Ausgerichtet wurde das Festival unter dem Motto Bekenntnisse, ein passendes Motto, denn die vier Tage kamen einem Bekenntnis zur Kraft und Schönheit der Literatur gleich.

An den vier Festivaltagen lasen über 100 Autoren. Die Veranstalter haben es sich dabei zum Ziel gesetzt, die Lesung, die häufig zu einem etwas eingestaubten sekundären Ereignis verkommt, durch experimentelle und ungewöhnliche Formateneu zu definieren. Zwei szenische Lesungen führten die Zuschauer in die Turnhalle, auch wenn sich der Sinn der Performance im Zusammenhang mit dem Text, nicht immer erschließen wollte.

turnhalle

Bei der wahnwitzigen Rotten Kinck Schow wurde das Publikum von Ann Cotten, Monika Rinck und Sabine Scho nicht nur mit Globolikügelchen bespuckt, sondern es flog auch Pizzabelag und das ein oder andere ging sogar kaputt. Sehenswert war auch der absurde und hochkomische Powerpointvortrag von Wolfram Lotz, der gekonnt über die somalische Piraterie referierte. Durch die experimentellen Formate zeigte auch der ein oder andere Literat mal ganz neue Seiten von sich. Von Clemens Meyer, bei dem man befürchten musste, er würde bis in den Morgengrauen monologisieren, erfuhr man, dass er einmal eine Maus in seinem Bett vorfand, leidenschaftlich gerne Roulette spielt und ein Fan von Chuck Norris ist. Sein Stallgespräch endete mit einem Aufruf zur Gewalt. Darüber hinaus gab es jedoch auch Debatten ernsthafterer Natur, zum Beispiel das sehr interessanter Kritikergespräch zwischen Florian Kessler, Ina Hartwig und Georg Diez.

PROSANOVA gehört für mich zu den Phänomenen, die man selbst erlebt haben muss. Zu den Phänomenen, die sich für Menschen, die nicht dabei gewesen sind, nur schwer beschreiben lassen. Als Literaturfestival lebt es natürlich vor allen Dingen von der Literatur, darüber hinaus hat es aber auch eine ganz besondere literarische Atmosphäre. Ich habe mich ein wenig gefühlt wie auf Klassenfahrt, überall traf ich auf Menschen, die eine ähnliche Begeisterung, Liebe, Obsession für Literatur haben, wie ich. Plötzlich habe ich mich nicht mehr wie ein seltsamer Literatur-Nerd gefühlt, sondern wie ein Teil eines Ganzen – aufgehoben, angekommen. Vielleicht war dieses Gefühl mein wahres PROSANOVA-Highlight, darüber hinaus haben mich aber auch die folgenden drei Veranstaltungen begeistert:

1. Vor dem Fest, Lesung und Gespräch mit Saša Stanišić und Jörn Dege

Die Lesung von Saša Stanišić war die Veranstaltung, die einer klassischen Lesung wohl am nächsten kam. Es war eine Mischung aus Lesung und Gespräch, bei dem man viel erfahren konnte über die Entstehungsgeschichte des Romans und die Recherchereise des Autors in die Uckermark. Souverän moderiert wurde das Gespräch von Jörn Dege. Wenn ich das Buch noch nicht besitzen würde, hätte ich es mir anschließend sofort gekauft.

Sasa

 2. Auf Inseln

Das Lesungsformat Auf Inseln lud dazu ein, acht Autoren und Autorinnen auf ihren jeweiligen Inseln, oder besser: Sofagruppen, zu entdecken. Die Lesungen wurden mit einem Gongschlag eingeläutet und wieder beendet. Dem Zuhörer blieb es überlassen, wen er besuchen wollte, wem er zuhören wollte, wie lange er auf einer Insel verweilen und wann er wieder weiterziehen wollte. Ein experimentelles Format, das für mein Empfinden jedoch wunderbar funktioniert hat.

Auf Inseln

3. #brandtlendlereich / Social Reading

socialreadingDas Prinzip der Veranstaltung mag auf den ersten Blick kompliziert klingen, es war jedoch denkbar einfach und unfassbar unterhaltsam: Jo Lendle, Jan Brandt und Annika Reich haben unveröffentlichte Texte von sich selbst online gestellt und gegenseitig korrigiert und kommentiert – ohne die Kommentare der anderen zu kennen. Die Texte und Kommentare wurden an diesem Abend vorgelesen, was mitunter hochkomisch war und für heitere Ausgelassenheit im Publikum sorgte. Abseits aller Humorigkeit deutet Social Reading, das Stichwort der Veranstaltung, aber auch darauf hin, dass das Schreiben vielleicht schon längst nicht mehr die Tätigkeit eines Eremiten ist, sondern langsam zu einer sozialen Gemeinschaftstätigkeit werden kann. Sinnbildlich stehen dafür Adler & Söhne, die auch in Hildesheim zu Gast waren: eine Bürogemeinschaft von Schriftstellern und Lektoren, die gemeinsam ein Büro mieten, um einen geregelten Arbeitsalltag zu simulieren.

Prosa c

Mein abschließendes Fazit für dieses viertägige Literaturfest, fällt beinahe uneingeschränkt begeistert aus. Natürlich gab es auch Veranstaltungen, die mich nicht erreicht haben und Lesungen, die sich mir nicht erschlossen haben. Alles in allem wird dies jedoch von den vielen schönen und interessanten Lesungen aufgewogen. Darüber hinaus  habe ich vier Tage lang eine wunderbare Atmosphäre und Stimmung aufgesaugt, die ich nun am liebsten um mich herum verteilen und weitergeben würde – vielleicht gelingt mir das ja ein wenig durch meinen Bericht.

Erste Eindrücke aus Hildesheim …

Auch wenn es mir nicht so vorkommt, bricht heute bereits der letzte Tag in Hildesheim an. Gefühlsmäßig hat PROSANOVA gerade erst begonnen und schon ist es vorbei, na  ja … noch nicht ganz! Aber so kommt es mir zumindest vor.

Heute gibt es die ersten visuellen Eindrücke aus Hildesheim … später natürlich mehr darüber, wie Clemens Meyer eines Nachts eine Maus in seinem Bett fand, die somalische Piraterie und wie Jo Lendle, Annika Reich und Jan Brandt ihre Texte gegenseitig Korrektur lesen.

Nova Collage Prosa Collage

5 Fragen an Lisa-Maria Seydlitz!

© severafrahm

© severafrahm

Lisa-Maria Seydlitz wurde 1985 in Mannheim geboren. Nach ihrem Abitur zog sie nach Hildesheim, wo sie an der Universität Literarisches Schreiben studierte. Es folgte ein Frankreichaufenthalt an der Université de Provence Aix-Marseille. Trotz ihres jungen Alters war sie bereits als Herausgeberin der Literaturzeitschrift BELLA triste tätig und Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. Der Roman “Sommertöchter”, der im vergangenen Jahr erschien, ist ihr Debüt als Schriftstellerin.

1.)    Warum wollten Sie Schriftstellerin werden?

Seit ich mit zwölf erste Romananfänge geschrieben habe, träumte ich davon, ein Buch zu veröffentlichen. Auf dem Weg dorthin ist mir der Mut, wirklich einen Roman zu schreiben, oft verloren gegangen. Aber das Schreiben selbst habe ich nie verloren. So hat mir zum Beispiel auch lange Zeit das dokumentarisch-journalistische Schreiben das gleiche Glück verschafft, wie in fiktiven Geschichten meine eigenen Welten und Figuren zu entwerfen.

2.)    Gibt es einen Schriftsteller oder einen Künstler, der Sie auf Ihrem Weg besonders inspiriert hat?

Es sind eher einzelne Bücher als ganze Werke eines Schriftstellers. Beeindruckt haben mich Javier Marias „Mein Herz so weiß“, Siri Hustvedts „Was ich liebte“, Jeffrey Eugenides „Middlesex“,  sowie, aktueller, Leanne Shaptons Ausstellungskatalog-Roman „Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke“. Besonders mag ich auch die Bildwelten in Sofia Coppolas Filmen.

3.) Wann und wo schreiben Sie am liebsten?

Zuhause an meinem Schreibtisch und meinem Computer mit dem riesigen, 21,5-Zoll großen Bildschirm. Wenn es ganz ruhig um mich herum ist, kein Telefon läutet und keine Termine anstehen. Das kann früh morgens oder in den Abendstunden sein. Zwischendrin mache ich mir mal einen Milchkaffee oder presse mir einen Orangensaft. Oder ich mache eine längere Pause und schaue mir Foto-Blogs an.

4.) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

„Fegefeuer“ von Sofi Oksanen.

5.) Was würden Sie einem jungen Schriftsteller raten?

Die Welt aufsaugen und beobachten. Die ganz kleine um einen herum, Familie, Freunde und Bekannte. Und die große, die man nur durch Reisen entdecken kann. Lesen. Und schreiben, schreiben, schreiben. Texte liegen lassen, Distanz gewinnen und wieder ansehen, sie überarbeiten, besser machen.

Herzlichen Dank an die Autorin für das Beantworten meiner Fragen!

Vea Kaiser im Gespräch!

Im Vorfeld von Vea Kaisers Lesung am 30.01. in Bremen hatte ich die Möglichkeit, die junge Autorin zu einem Interview zu treffen und ihr einige Fragen zu stellen. Vea Kaiser spricht nicht nur über ihr Buch, sondern auch über ihr Literaturstudium in Hildesheim, ihren offenen Brief auf Facebook und warum sie nie wieder ein Buch mit Kunstdialekt schreiben möchte.

DSC_6486Buzzaldrins Bücher: Erst einmal vorweg: Welche Fragen kannst du in Interviews mittlerweile nicht mehr hören?

Vea Kaiser: Ich glaube, ich habe ein sehr schlechtes Gedächtnis. Gerade was Dinge angeht, die nicht so schön sind. Meine Freunde sagen immer, sie beneiden mich darum, weil ich wirklich das Talent habe, Dinge die mir lästig waren, total zu vergessen. Es gibt also – wenn ich so überlege – eigentlich gerade nichts, mit dem du mich in den Wahnsinn treiben könntest.

Du hast “Blasmusikpop“”mit dreiundzwanzig Jahren veröffentlicht. Wann ist dir die Idee gekommen?

Die Uridee hatte ich mit 16 beim Joggen. Mir kommen immer alle guten Ideen meines Lebens beim Joggen. Ich war damals total sauer auf mein Dorf. Ich wollte bei einem Theaterprojekt mitmachen und hatte auch hunderte Ideen, aber ich hatte mit dem Dorf nie etwas zu tun gehabt und bin nur für das Theaterprojekt dort eingestiegen. Ich wollte damals Samuel Beckett spielen – aber das kann man natürlich nicht mit einer Laienschauspielertruppe in Kasten am Hegerberg. Was ich aber mit 16 nicht kapiert habe. Ich habe immer gedacht: meine Ideen sind die besten und alle, die das nicht so sehen, sind Idioten. Sie haben es nicht so gesehen und ich war sauer, ging joggen und dachte mir beim Laufen: ich schreibe jetzt einen Racheroman und erkläre der Welt, wie bösartig Kasten am Hegerberg ist. Das war dann die Grundidee und die Struktur des Romans: dass eine Figur, die in einem Dorf gefangen ist, aus der Isolation heraus über dieses Dorf schreibt.

Wie ging es dann weiter?

Mit zwanzig habe ich ein Jahr in Deutschland gelebt, in Hildesheim. Ich fand das so schrecklich, dass ich gemerkt habe, Kasten am Hegerberg ist eigentlich richtig nett. Durch die Isolation in Deutschland habe ich sehen können: mein Dorf ist eigentlich gar nicht so böse und dann habe ich mich erinnert, wie ich damals die Geschichte schreiben wollte, die ja vielleicht auch unabhängig von mir und meinem Dorf interessant sein könnte. Zu der damaligen Zeit habe ich erste Kurzgeschichten veröffentlicht und an Wettbewerben teilgenommen und hatte ersten Kontakt zu Menschen, die aus dem Literaturbetrieb kamen: Verleger und Agenten, die dann fragten, ob ich etwas Längeres habe. Dann dachte ich: warum nicht diese Geschichte. Begonnen habe ich am 19. Dezember 2009 und fertig war ich am 15. September 2011.

Warum empfandst du deine Zeit in Hildesheim als so schrecklich?

Das hatte viele Gründe: ich bin mit dieser deutschen Kleinstadt nicht so richtig zurechtgekommen, weil ich davor in Wien gelebt habe. Wenn ich Hildesheimer sprechen höre, höre ich immer den Satz “Sagen Sie mal!”. Was gar nicht böse gemeint ist, das ist dieses typisch Niedersächsische. Ich komme halt aus einer Kultur, die nur in Konjunktiven redet. In Österreich gibt es de facto keinen Imperativ. Ich hab einfach so Heimweh gehabt. Ich wollte wieder, dass die älteren Herren in der Straßenbahn “Grüß Sie Gott, Fräulein” sagen, ich wollte wieder, dass die Bäckerinnen fragen “Was täten Sie denn gern kaufen wollen?” und nicht “Sagen Sie mal, was wollen Sie?”. Ich habe Sehnsucht gehabt nach der Küche, ich habe einfach nach allem Sehnsucht gehabt: nach dem Geruch der Straßen und auch nach den üblen Seiten der Österreicher.

Du hast in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert. Hat dir das Studium beim Schreiben deines Romans geholfen?

Nein, beim Schreiben eher nicht. Ich habe gemerkt, dass ich einfach nicht der Typ dafür bin, ständig über das zu sprechen, was ich mache. Ich habe viel eher das Gefühl, dass ich zufrieden bin, dass ich tausende Stimmen in meinem Kopf habe, die mir alle Ideen für meinen Text einflüstern.  Was mir das Studium aber auf jeden Fall beigebracht hat, ist ein Verständnis für den Betrieb. Ich glaube, es war wirklich wichtig zu lernen, wie der Literaturmarkt heutzutage funktioniert –  was sind Agenten, welche Wettbewerbe sind wichtig und ähnliches.

Ist der Dialekt in dem Buch ein Kunstdialekt?

Ja, den habe ich mir zusammen mit einem Sprachwissenschaftler von der Universität Wien ausgedacht, weil ich nicht wollte, dass man das Dorf zuordnen kann. Sobald man einen existenten Dialekt verwendet, kann man genau sagen, dass ist da oder dort. Wir haben versucht Merkmale von den verschiedensten deutschen Dialekten irgendwie zusammen zu wurschteln und daraus etwas Neues zu machen.

Wie arbeitsintensiv war das?

Das war eine Heidenarbeit und ich habe mir danach geschworen: nie wieder!

Nie wieder Dialekt?

Nie wieder Kunstdialekt! Ich mag gerne Dialekt. Ich finde es einfach gut, dass man heutzutage wieder Dialekt schreiben kann, dass wir da auch über diese intellektuelle Attitüde hinweg sind, dass Dialekt irgendwie sozial schwache Menschen auszeichnen würde. Durch unsere Sprache sind wir. Durch unsere Sprache verstehen wir. Die Grenzen unseres Handelns sind die Grenzen unserer Sprache. Wenn man in der Literatur eine ganze Ebene der Sprache ausklammert, nur weil man nicht weiß, wie man sie schreibt, dann nimmt man vom Leben nur einen gewissen Teil wahr.

Was war das Besondere an der Arbeit mit diesem Kunstdialekt?

Das war eine Fuzzelei. Da es sich um einen Kunstdialekt handelte, konnte außer mir niemand anderer den Text korrigieren. Ich war damit vollkommen allein. Das Korrigieren der Fahnen hat zwei Monate meines Lebens und fünf Jahre meiner Zukunft gekostet. Ich musste jeden einzelnen Satz rausschreiben und dann schauen, ob ich das immer gleich geschrieben habe. Ich bin ein Perfektionist. Als ich fertig war, hatte ich anschließend eine Influenza: zwei Wochen lang ich tot auf meiner Couch und habe grünes Zeug gehustet.

Du hast den Roman parallel zu deinem Studium fertiggestellt. Wann hast du damals die Zeit zum Schreiben gefunden?

Ich habe immer morgens vor der Uni geschrieben. Ich muss gestehen, dass ich eine langsame Studentin bin, aber bewusst langsam, weil ich Griechisch und mein Studium liebe. Germanistik habe ich in vier Semestern durchgezogen. Bei Griechisch lasse ich mir gerne Zeit. Aber das Studium allein war für mich auch immer zu wenig. Das war nicht genug. Für das Schreiben bin ich früh aufgestanden und habe vor der Uni meine vier Stunden gearbeitet. Teilweise habe ich dann auch zwischen den Vorlesungen geschrieben, denn als Student hat man viel Wartezeit. Ich hatte mit den anderen Studenten nie viel zu tun und so habe ich mich in die Ecke gesetzt und einen Roman geschrieben.

Hast du zwischendurch an deiner Romanidee gezweifelt?

Ja, jeden zweiten Tag, nachts, um fünf Uhr morgens grübelnd im Bett. Immer wieder.

Wer hat dich dabei unterstützt, deine Idee durchzuziehen?

Ich hatte einen Agenten an meiner Seite, einen ganz wunderbaren, lieben und dicken Schweizer. Der hat mein Händchen gehalten. Der war so eine große Unterstützung. Am Anfang hatten wir immer ein Mal die Woche einen Telefontermin, weil er das so macht mit seinen Autoren und vor allem mit seinen Problemkandidaten. Das war sehr schön, weil ich wusste, ich konnte ihn anrufen, wenn es mir nicht gut ging. Ich habe dann auch häufig angerufen und gesagt: ich zweifle. Er war der erste Mensch, der mich überhaupt verstanden hat mit dem Schreiben. Meine Familie hat immer gedacht, das Kind ist mit fünf Jahren mal auf den Boden gefallen und hat sich den Kopf geprellt.

Deine Eltern haben dich bei deinem Wunsch zu schreiben, nicht unterstützt?

Die haben das nicht verstanden. Das Schreiben ist für viele Menschen etwas Seltsames. Das merke ich immer wieder. Schon allein, wie oft ich gefragt wurde, ob ich mich jetzt schon als Schriftstellerin bezeichnen würde. Ja, wieso denn auch nicht? Das ist ein Job wie jeder andere, mit dem man halt seine Miete bezahlt, Steuern zahlen muss und die Krankenversicherung abführt. Die Leute assoziieren mit diesem Begriff aber irgendwie etwas Seltsames. Viele Menschen verstehen das mit dem Schreiben nicht, weil sie sich sehr schwer damit tun. Das längste, was meine Eltern jemals geschrieben haben, war eine Einkaufsliste für Familienfeiern. Als Eltern wünscht man sich für sein Kind einen sicheren Job und dass es irgendwann die Miete zahlen kann.

Von außen stellt man sich das Leben als Schriftsteller häufig glamourös vor, diese Vorstellungen decken sich wohl eher nicht mit der Realität?

Ich empfinde das als einen Job wie jeden anderen. Er hat halt zwei Seiten: die eine Seite ist das Schreiben und das ist sehr einsam. Es ist sehr schön, sich jahrelang zurückzuziehen und wann man möchte etwas zu schreiben, aber es ist wahnsinnig einsam. In den intensivsten Schreibphasen habe ich teilweise Wochen gehabt, in denen ich vier Tage lang mein Haus nicht verlassen habe oder mein Zimmer nicht verlassen konnte und mit strähnigen Haaren und einem Jogginganzug durch die Gegend gelaufen bin. Die andere Seite ist das Präsentieren des Romans: das ist lustig, das macht Spaß, aber glamourös? Aber es ist schon verdammt cool.

Wie hältst du es mit negativen Kritiken und Verrissen?

Am Anfang hat es mich rasend interessiert. Als das Buch rausgekommen ist, wollte ich alles lesen und alles aufnehmen. Ich bin dann aber wirklich durch solche wechselnden Emotionen gegangen: durch die höchste Freude und die tiefste Trauer. Häufig schon wegen Kleinigkeiten. Ich habe dann irgendwann gemerkt, mir tut das nicht gut. Es ist, als würde man in ein Spiegelkabinett gehen: mal siehst du dich schlank, mal siehst du dich breit. Du siehst immer dich, aber das bist nicht du. Es ist immer verzerrt durch die Wahrnehmung von anderen. Auch Journalistenartikel sind wie ein Zerrspiegel.

Vor zwei Wochen hast du dich auf deiner Facebookseite öffentlich zum Urheberrecht geäußert. Wie waren die Reaktionen?DSC_6492

Es war erstaunlich, was ich für üble Beschimpfungen erhalten habe. Aber auch damit muss man umgehen. Es gab aber auch wunderschöne Rückmeldungen. Zu 90 bis 95 Prozent waren diese positiv und unterstützend. Ich habe mich darüber wirklich gefreut, weil ich gemerkt habe: die Welt ist wirklich in Ordnung.

Was wäre für dich denn eine Lösung dieser Debatte?

Für mich ist die einzig mögliche Lösung, dass Diebstahl weder im Internet, noch im normalen Leben toleriert wird. Wenn ich den Kopiercode eines E-Books knacke, dann ist das Diebstahl. Und die Leute, die sich dort E-Books runterladen, wissen ja auch, dass das eigentlich Geld kostet. Wenn im Rahmen von Selfpublishing und E-Bookbusiness ein Autor entscheidet, dass er seine Sachen kostenlos abgibt, muss das ihm selbst überlassen bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass es einen Zwang geben kann, kostenlos zu arbeiten. Das ist für mich Sklaverei.

Diese Problematik hängt sicherlich mit der Entwicklung des E-Books zusammen, wie stehst du dem gegenüber?

Es gibt genug gratis E-Books und es gibt genug Autoren, die gratis schreiben, aber teilweise ist das dann auch so, dass man das nicht lesen möchte. Es gibt einen Grund, warum ich damit einverstanden bin, nur 12 Prozent des Netto- Ladenverkaufspreises zu erhalten. Wenn man es von außen betrachtet, ist das wenig, aber ich bin damit völlig einverstanden, weil ich weiß, was mein Verlag alles macht. Das sieht man auch am Buch, das einfach gut lektoriert und präsentiert ist. Am 25. Juni kannte mich niemand. Da war ich eine x-beliebige Studentin mit einer literarischen Ambition. Davon gibt es genug. Aber mein Verlag hat es wirklich geschafft aus einem No-Name jemanden zu machen, der in Talkshows eingeladen wird. Sie haben meinem Buch den Weg geebnet. Das rechne ich ihnen hoch an. Deswegen sage ich: jeder Cent, den der Verlag verdient, ist genauso gerechtfertigt wie das, was ich verdiene.

Und wie hältst du es selbst mit E-Books? 

Ich habe einen E-Book-Reader, verwende ihn aber mit einem sehr eigenen Zugang. Ich verwende ihn für drei Sachen: zum einen benutze ich ihnen gerne für Unisachen, für Referatspaper, Aufsätze und pdf-Dokumente. Die konsumiere ich einmal und dann schmeiße ich sie weg. Da finde ich es gut, Papier sparen zu können. Das zweite sind Manuskripte und Fahnen, die ich von Kollegen bekomme. Die muss ich dann nicht am Bildschirm lesen oder ausdrucken. Das finde ich dann schon sehr praktisch. Dann nehme ich es auch gerne noch auf Reisen mit: ich bin jetzt sieben Tage unterwegs, habe wahnsinnig viel Zeit beim Reisen und lese auch viel. Darüber hinaus hat der Reader eine medizinische Notwendigkeit, weil ich einen Wirbelsäulenschaden habe und nicht schwer tragen darf. Ich lese auf dem Reader aber nur Autoren, deren Urheberrecht aufgrund ihres Todes schon abgelaufen ist: Dickens, Jane Eyre, die ganzen Klassiker, die ich auch zu Hause im Bücherregal stehen habe. Das sind dann aber die wahnsinnig schönen Ausgaben, die ich dann lieber nicht mitnehmen möchte, weil ich auch immer gut darin bin, die Bücher einzusauen. Dafür sind E-Reader praktisch. Was ich aber wirklich unsexy finde, ist einen jungen deutschsprachigen Autor, den es auch als schönes Hardcover gibt, auf dem E-Reader zu lesen. Für mich ist ein E-Reader ein Gebrauchsgegenstand, der gewisse Dinge leichter macht, aber ich finde nicht, dass man das mit einem Buch vergleichen kann.

Vea Kaiser in fünf Jahren – wo würdest du dich gerne sehen?

Da muss ich ehrlich sagen, dass ich das noch nicht weiß. Ich hoffe einfach nur, dass ich mein Gewicht halten kann.

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