Browsing Tag

liebesroman

Eleanor & Park – Rainbow Rowell

Eigentlich lese ich keine Jugendbücher und Romane über die erste große Liebe gehören auch nicht zu meinem bevorzugten Genre. Doch nachdem ich Eleanor & Park erst einmal in die Hand genommen hatte, konnte ich es kaum noch zur Seite legen: Rainbow Rowell legt einen berührenden Liebesroman vor, voller Tragik und bittersüßem Humor.

Eleanor und Park

Am selben Morgen fiel Park im Englischunterricht auf, dass Eleanors Haar in einem weichen roten Punkt im Nacken endete.

Eleanor ist sechzehn Jahre alt und neu in der Stadt. Sie hat ein Jahr lang nicht mehr zu Hause gelebt, weil der Stiefvater sie rausgeschmissen hatte. Nun zieht sie doch wieder zurück zu ihrer Familie, zu einer Mutter, die sie nicht beschützt und einem Stiefvater, der zu viel trinkt und die ganze Familie in Angst und Schrecken versetzt. Einziger Lichtblick sind ihre kleinen Geschwister. In der neuen Schule ist Eleanor eine Außenseiterin: ihre Eltern haben wenig Geld, neue Kleidung oder ein Termin beim Friseur ist da auf gar keinen Fall drin. Dazu kommt, dass Eleanor auch nicht die schlankeste ist und mit roten Haaren und in seltsam zusammengestellten Outfits – häufig mit Herrenhemd und Krawatte – durch die Schulflure läuft. Auch Park ist ein Außenseiter, auch wenn er ein ganz anderer Außenseitertyp ist als Eleanor. Er ist gutaussehend, aber zurückhaltend. Seine Muter ist Koreanerin, sein Vater ein Kriegsveteran. Von seinen Mitschülern wird er zwar akzeptiert, aber doch auch seltsam beäugt.

Es ist also kein Zufall, dass Park den leeren Platz neben ihm im Schulbus ausgerechnet Eleanor  anbietet. In diesem Moment finden sich zwei, die außerhalb der geschlossenen Gesellschaft stehen. Zwei, die anders sind und deshalb von allen als seltsam abgestempelt werden. Das sich aus dieser Begegnung eine wunderschön-tragische Liebesgeschichte entwickeln wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.

Jeden Morgen, wenn Eleanor in den Bus stieg, hatte sie Angst, dass Park den Kopfhörer vielleicht nicht abnehmen würde. Dass er ebenso plötzlich aufhören würde, mit ihr zu reden, wie er damit angefangen hatte … Und wenn das passierte – wenn sie eines Tages in den Bus kommen und er nicht aufblicken würde -, sollte er keinesfalls sehen, wie niedergeschlagen sie dann wäre.

Rainbow Rowell legt mit Eleanor & Park einen ganz und gar zauberhaften Liebesroman vor, der mich sehr gerührt und gleichzeitig so wunderbar unterhalten hat. Es ist, als würde man Eleanor und Park bei ihrer Annäherung über die Schulter blicken – beide sitzen zunächst notgedrungen nebeneinander im Bus. Park hatte ihr den Platz aus Höflichkeit angeboten, nicht, weil er sie wirklich neben sich sitzen haben möchte. Beiden tragen einen Schutzpanzer, der kaum Nähe zulässt. Doch irgendwann merkt Park, dass Eleanor versucht ihm immer über die Schulter zu schauen, wenn er morgens im Bus seine Comics liest. Er leiht ihr den ersten Comic aus, später macht er ihr Mixkassetten, borgt ihr seinen Walkman und auch Batterien aus. Es dauert lange, bis die beiden überhaupt miteinander sprechen, doch Stück für Stück bröckeln die Mauern, die sie um sich herum errichtet haben und schon bald können sich Eleanor und Park ein Leben ohne einander nicht mehr vorstellen.

Eleanor und Park erleben die erste große Liebe miteinander, aber sie erleben auch, dass die Liebe häufig ein steiniger Weg sein kann. Es gibt Missverständnisse zwischen den beiden, auch Streit. Als Park sie das erste Mal mit zu sich nach Hause nimmt, glaubt Eleanor er würde sich vor seinen Eltern für sie schämen. Sie, die pummelig ist und seltsame Kleidung trägt.

Er steckte den Stift in seine Tasche, nahm dann ihre Hand und hielt sie eine Weile an seine Brust. Es war das Schönste, was sie sich vorstellen konnte. Es weckte den Wunsch in ihr, Kinder mit ihm zu bekommen und ihm beide Nieren zu spenden.

So eine erste Liebe als Leserin minutiös mitzuerleben ist unterhaltsam und rührend, aber auch immer wieder tragisch. Es ist besonders Eleanors Geschichte, die mich tatsächlich getroffen hat: das Mädchen wächst in großer Armut auf, nicht nur in finanzieller Armut, sondern auch in emotionaler Armut. Es fehlt in ihrem Zuhause an allem, an Liebe, Zuwendung, Unterstützung und an so banalen Dingen, wie der Waschmaschine und einer Zahnbürste. Ihre erste große Liebe kann sie mit niemandem teilen, denn ihr Stiefvater würde ihr den Kontakt zu einem Jungen sofort verbieten. Es sind die Momente im Schulbus, die sie am Leben halten. Die Stunden mit Park und all das, was sie miteinander teilen. Eleanor ist bewundernswert stark und ich habe sie beim Lesen einfach in mein Herz schließen müssen.

Die Kapitel werden abwechselnd aus der Perspektive von Eleanor und Park erzählt. Die Kapitel sind kurz und knapp und ich wollte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bevor ich es zu Ende gelesen hatte. Über das Ende darf ich hier natürlich nicht allzu viel verraten, nur so viel: es hat sich für mich sehr passend angefühlt. Es wäre übrigens falsch, den Roman einzig und allein auf die Liebesgeschichte zu reduzieren, denn es geht um so viel mehr: es geht darum, als junger Mensch die eigene Identität zu finden, um Mobbing und darum, wie man damit umgeht, anders zu sein als alle anderen.

Am selben Abend nahm Park eine Kassette auf, mit dem Song von Joy Devision in Endlosschleife. Er entfernte sämtliche Batterien aus den Fernbedienungen für seine Videospiele und Joshs ferngesteuerte Autos und rief seine Oma an und erklärte ihr, dass er sich zu seinem Geburtstag im November nur Double-A-Batterien wünschte.

Eleanor & Park ist ein Jugendbuch und ein Liebesroman und ich bin so froh, dass ich es dennoch in die Hand genommen habe. Es ist ein Buch für Jugendliche, die selbst gerade ihre erste große Liebe erleben. Es ist aber auch ein Buch für all diejenigen, die im Herzen jung geblieben sind. Eleanor & Park ist ein wunderschöner Roman, den ich nur lauthals empfehlen kann!

Rainbow Rowell: Eleanor & Park. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Carl Hanser Verlag, München 2015. 360 Seiten, €16,90. Auf der Seite des Hanser Verlags gibt es auch tolles Bonusmaterial, unter anderem ein hilfreiches Glossar.

Mortimer und Miss Molly – Peter Henisch

Peter Henisch wurde 1943 in Wien geboren, er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie. Seit 1971 arbeitet er als freier Schriftsteller und lebt in Wien. Neben zahlreichen Veröffentlichungen hat Peter Henisch auch eine Vielzahl an Preisen vorzuweisen: mit seinen Roman “Die schwangere Madonna” und “Eine sehr kleine Frau” stand er auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Seine neueste Veröffentlichung “Mortimer & Miss Molly” erschien im vergangenen Literaturherbst.

Collage Henisch

“Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt. Ein Fallschirmspringer, der im Zentrum des Renaissancegartens landet.”

Peter Henisch erzählt in seinem Roman nicht nur eine Geschichte, sondern gleich zwei Geschichten. Es sind zwei Geschichten, die sich überlappen, ineinander überlaufen. Es sind zwei Liebesgeschichten, getrennt durch mehrere Jahrzehnte und sich doch so ähnlich. Beide Geschichten werden von Peter Henisch auf poetische Art und Weise miteinander verknüpft.

Die erste Geschichte beginnt an einem Frühlingstag 1944, als die alliierten Truppen vom Süden heraufkommen. Der amerikanische Soldat Mortimer wird von der deutschen Flak getroffen und ist dazu gezwungen, sein Leben mithilfe eines Fallschirmsprungs zu retten. Irgendwo jenseits der Stadtmauer explodiert die Maschine, während Mortimer im Zentrum eines malerischen Renaissancegartens landet – “unter den Augen oder zu Füßen von Miss Molly.” Miss Molly, die englische Gouvernante einer Adelsfamilie, die bereits in jungen Jahren in die italienische Stadt San Vito gekommen ist, nimmt Mortimer bei sich im Zimmer auf, versteckt ihn dort und rettet ihm so das Leben.

“Vorausgesetzt, dass die Geschichte sich wirklich so zugetragen hatte. Die wahre Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Aber ist die wahre Geschichte immer die wirkliche Geschichte? Oder andersherum gefragt: Ist die wirkliche Geschichte immer die wahre Geschichte?” 

Marco und Julia prägen die zweite Geschichte, die in den achtziger Jahren spielt. Marco ist Italiener, Julia stammt aus Wien. Kennengelernt haben sie sich in Siena, beide haben dort ein Seminar besucht. Ihre zart blühende Liebe führt das frisch verliebte Paar quer durch Italien, bis sie schließlich in San Vito Station machen. Sie übernachten in der Albergo Fantini – einem Hotel, dem man sein Alter mittlerweile ansehen kann. In den ersten Tagen in San Vito stürzen sich beide aufeinander, rettungslos vor Liebe – eine Liebe, die noch keine Risse hat und auch vom Alltag noch nicht überschattet ist. Nichts und niemand kann sie in ihrer Zweisamkeit stören. Doch dann entdecken sie durch Zufall, dass das Hotel nicht so menschenleer ist, wie sie geglaubt haben: sie haben einen Nachbarn. Bei einem gemeinsamen Abendessen beginnt der Nachbar, der sich ihnen als Mortimer vorstellt, seine Lebensgeschichte zu erzählen, angefangen bei der Fallschirmlandung im Renaissancegarten.

“Die Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Sie beginnt im Mai 1944, als Mortimer mit dem Fallschirm dort oben im Garten landet. Aber da ist auch die Geschichte von Marco und Julia. Die beginnt fast vierzig Jahre später, als die beiden zum ersten Mal im Albergo Fantini wohnen.”

Mortimers Geschichte begeistert Julia und Marco nicht nur, sondern beflügelt auch ihre gemeinsame Phantasie. Marco träumt schon lange davon, einen Film zu drehen und glaubt, in der Liebesgeschichte von Mortimer und Miss Molly den idealen Filmstoff gefunden zu haben. Doch auf eine Fortsetzung der Geschichte müssen beide vergebens warten, denn genauso plötzlich wie Mortimer aufgetaucht ist, taucht er auch wieder ab; bevor er seine Geschichte zu Ende erzählen kann,  ist er verschwunden. Zurück bleiben Marco und Julia, ein Paar, das so viel Gemeinsamkeiten empfindet, wenn es sich in die Lebensgeschichte von Mortimer und Miss Molly versetzt. Sie bleiben zurück mit ihrer Phantasie, mit ihren Tagträumen, mit ihrer eigenen Vorstellungswelt. Gemeinsam versetzen sie sich zurück in die Zeit des Krieges und spinnen die Geschichte weiter …

Collage Henisch 2

“Die Erinnerung, sagte Marco, ist eine immer wieder aufgenommene Montage. Wie ein Film, den man immer aufs Neue schneidet. Manche Szenen nimmt man vielleicht heraus, andere dreht man nach und fügt sie hinzu.”

Peter Henisch hat mit “Mortimer & Miss Molly” einen Roman über die Liebe und über Erinnerungen geschrieben. Darüberhinaus erzählt der Autor aber auch davon, wie wichtig Geschichten sind, wie wichtig es ist, zu erzählen und die Kraft der eigenen Phantasie zu benutzen. Julia und Marco wollen sich nicht damit zufriedengeben, dass ihnen die Fortsetzung vorenthalten wurde. Sie erfinden einfach ihre eigene Fortsetzung. Diese Vorstellung hat etwa Amüsantes, aber auch etwas Poetisches, etwas, das mich berührt und bewegt hat. Doch während Marco und Julia die fremde Liebesgeschichte weiterspinnen, verblasst die eigene immer mehr und ist nur noch in Umrissen zu erkennen. Das Gefühl der Vertrautheit und Nähe können beide nur noch erwecken, wenn sie gemeinsam San Vito besuchen, an allen anderen Orten fühlt sich ihre Liebe seltsam schal an; als würde dieses kleine italienische Dörfchen ein magischer Liebeszauber umwehen. Überhaupt wirkt die literarische Beschreibung der Toskana sehr authentisch und lebensecht, man fühlt sich beim Lesen so, als würde man tatsächlich die Sonne Italiens genießen können.

“Dabei ging ihr zum ersten Mal auf, dass Liebe vielleicht etwas mit Widerstand zu tun hatte. Mit Widerstand gegen alle widrigen Umstände. Und letzten Endes mit Widerstand gegen die Zeit.”

Peter Henisch legt mit “Mortimer & Miss Molly” einen wunderbar komponierten und höchst poetischen Roman vor, einen Roman über die Liebe, über die Phantasie und darüber, wie wichtig es ist, Geschichten zu erzählen. “Mortimer & Miss Molly” ist frei von Kitsch und Sentimentalitäten. Eine schöne Liebesgeschichte, die herzerwärmend ist – gerade in diesen kalten Tagen, kann das ja nicht schaden.

Peter Henisch: Mortimer & Miss Molly. Roman. Deuticke Verlag, München 2013. 320 Seiten, € 19,90.

Der Liehaber meines Mannes – Bethan Roberts

Bethan Roberts wurde in Oxford geboren und lebt und arbeitet heutzutage in Brighton. Die Autorin war bereits vielfältig aktiv und hat unter anderem als Produktionsassistentin beim Fernsehen gearbeitet und einen Kurs in Creative Writing an der Chichester University gegeben. Im Antje Kunstmann Verlag sind bereits zwei Romane von ihr erschienen, “Stille Wasser” im Jahr 2008 und im darauf folgenden Jahr “Köchin für einen Sommer”. “Der Liebhaber meines Mannes” ist ihre neueste Veröffentlichung und in diesem Bücherfrühjahr erschienen.

Die Geschichte, die Bethan Roberts erzählt, spielt im Jahr 1999, in der englischen Küstenstadt Peacehaven. Dort leben Marion und Tom, seit vielen Jahren sind sie zusammen, doch schon lange haben sie sich voneinander entfremdet; jeder geht seinen eigenen Wegen nach. Wirklich zusammengehört haben sie eigentlich nie, denn zu viel hat ein Leben lang zwischen ihnen gestanden. Marion, die sich im Alter dazu entscheidet, Patrick bei sich aufzunehmen, schreibt ihre Lebensgeschichte nieder. Marion, Tom und Patrick – die drei waren eine zeitlang enger miteinander verbunden, als es ihnen lieb gewesen ist. Marion erzählt nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die Geschichte der beiden Männer. Marion erzählt, um sich von einer Schuld zu befreien.

“Denn ich will alles aufschreiben, damit ich es richtig verstehe. Dies ist eine Art Geständnis und es ist wichtig, bis in die Einzelheiten genau zu sein.”

Alles fing an im Jahr 1957, zu einer Zeit, als homosexuelle Paare ihre Liebe zueinander noch lange nicht so frei ausleben konnten, wie dies heutzutage möglich ist. Einige Jahre zuvor, als Marion Tom zum ersten Mal begegnet, gehen beide noch zur Schule – sie sind vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Der gut aussehende Tom ist der Bruder von Marions bester Freundin, später gibt er ihr Schwimmunterricht. Die naive und unschuldige Marion verliebt sich trotz aller Warnhinweise in Tom, der ihr gegenüber freundlich aber zurückhaltend ist, auch körperlich ist er eher distanziert. Dennoch macht Tom, der als Polizist arbeitet, ihr einen Heiratsantrag. Während die Ehe für Marion das schönste Glück der Welt ist, ist sie für Tom ein Versteck, eine Flucht, denn seine wahren Gefühle gelten nicht seiner Frau, sondern einem Mann. Mit Patrick, dem intellektuellen Künstler, hat Tom eine leidenschaftliche Affäre. Zwischen Tom, Patrick und Marion entwickelt sich eine unheilvolle und für alle drei unerfüllte Dreiecksbeziehung. Bis einer von ihnen dies nicht mehr aushält und zu einer drastischen Methode greift, um sich aus dieser Verbindung zu befreien …

Die Erzählung setzt sich aus zwei Ebenen zusammen: zum einen wird aus der Sicht von Marion erzählt, die sich 1999 dazu entscheidet, ihre Lebensbeichte auf Papier zu bringen, zum anderen fließen die Aufzeichnungen von Patrick mit in die Erzählung ein, der sein Leben lang ein Tagebuch geführt hat. Es ist vor allem der Wechsel zwischen diesen beiden Perspektiven, der den Roman zu einer äußerst lesenswerten Lektüre macht. 1999 ist Patrick, nachdem er bereits mehrere Schlaganfälle erlitten hat, ein Pflegefall. Sprechen ist für ihn beinahe unmöglich, er kann aber noch gut hören. Für Marion, die Patrick gegen den Willen ihres Mannes zu sich nach Hause holt, ist es die erste Wiederbegegnung mit Patrick nach Jahrzehnten des Schweigens. Nun pflegt sie diesen Mann, der der ehemalige Liebhaber ihres eigenen Ehemannes gewesen ist.

“Ich kann das alles tun, ohne dass meine Hände zittern, ohne dass ich den Kiefer mit solchem Ingrimm zusammenpresse, dass ich befürchte, ihn vielleicht nie mehr öffnen zu können.”

Bethan Roberts schreibt über die Liebe zwischen zwei Männern, über Homosexualität, die in den fünfziger Jahren in England noch unter Strafe stand und als “widernatürliche Praktik” bezeichnet wurde. Die Liebe zwischen Patrick und Tom ist unmöglich; zu der damaligen Zeit unauslebbar. Tom ist Polizist, bleibt er unverheiratet werden ihm Möglichkeiten zum Aufstieg verwehrt gibt sein Vorgesetzter ihm zu verstehen. Die damalige Gesellschaft, hat diejenigen, die sich getraut haben, ihre Leidenschaft auszuleben, zu Isolation, Angst und Selbsthass verurteilt.

“Konventionen, die Meinung anderer Leute, das Gesetz, alles erschien lachhaft gegen den Wunsch, das Verlangen, zu dem Geliebten zu kommen.”

Die Ehe ist für Tom ein Deckmantel, unter dem er weiter seine Leidenschaft für Patrick ausleben kann. Während Patrick sich bereit erklärt hat, seinen Liebhaber mit einer Frau zu teilen und ein bisschen von ihm zu behalten, ahnt Marion nichts von dem, was Tom heimlich treibt. Marion möchte nicht wahrhaben, dass der Mann, in den sie sich verliebt hat, anders als andere Männer sein könnte. Trotz der körperlichen Distanz zwischen ihnen schöpft sie lange keinerlei Verdacht. Diese Naivität und Unschuld erweckt beim Lesen beinahe schon einen schmerzhaft unbedarften Eindruck.

Bethan Roerts legt mit “Der Liebhaber meines Mannes” einen lesenswerten Roman vor, der vor allem aufgrund seiner Komposition und den unterschiedlichen Erzählperspektiven zu überzeugen weiß. Die Autorin erzählt die Geschichte von Marion, Tom und Patrick mit sehr viel Ruhe, Souveränität und Unaufgeregtheit, lässt es dabei aber auch nicht an Gefühlen und Emotionen fehlen. “Der Liebhaber meines Mannes” ist ein Liebesroman, der jedoch ganz ohne Kitsch und Gefühlsduselei auskommt. Stattdessen erzählt Bethan Roberts eine Geschichte dreier Menschen, die von großen Gefühlen, Verletzlichkeit und der Unmöglichkeit der Liebe geprägt ist. Eine großartige und wichtige Lektüre, die auf Zustände hinweist, die es zum Glück schon lange nicht mehr gibt, die es aber auch hoffentlich nie mehr wieder geben wird.

Liebe unter Fischen – René Freund

René Freund wurde 1967 geboren und lebt als Autor und Übersetzer in Grünau im Almtal. Er arbeitete zwei Jahre als Dramaturg am Theater in der Josefstadt und studierte Philosophie, Theaterwissenschaft und Völkerkunde. Von ihm erschienen bereits zahlreiche Bücher, unter anderem “Stadt, Land und danke für das Boot” sowie “Wechselwirkungen”. “Liebe unter Fischen”, das zu Beginn dieses Jahres erschien, ist seine neueste Veröffentlichung.

Die Geschichte, die René Freund in seinem Roman “Liebe unter Fischen” erzählt, beginnt am 16. Juni. Die Verlegerin Susanne Beckmann beginnt an diesem Tag damit, ihrem berühmtesten Autor Alfred Firneis – genannt Fred – auf den Anrufbeantworter zu sprechen. Sie ist verzweifelt, denn ihrem Verlag droht die Pleite, wenn nicht ihr Starautor endlich ein neues Buch vorlegt.

“Von Im Schein der Wolkenkratzer haben wir jetzt Hundertfünfzigtausend verkauft. Jenseits von Mitte ist vergriffen, wir drucken gerade nach. Mensch, Sie sind der einzige Lyriker im deutschen Sprachraum, der Kasse macht.”

Doch Fred Firneis hat ganz andere Sorgen: er wurde nicht nur von seiner Frau verlassen, sondern ertränkt seinen Kummer nun auch noch im Alkohol. Seinen Laptop hat er weggeworfen und an neuen Texten schon lange nicht mehr gearbeitet. Susanne Beckmann lässt nicht locker und spürt ihren Autor schließlich in seiner verdreckten Wohnung auf. Zur Regeneration schickt sie Fred – unter der Aufbietung einiger Überzeugungskraft – in eine Holzhütte in die österreichischen Alpen.

Grünbach am Elbsee ist eine Idylle. Die Hütte liegt abgeschieden, es gibt weder Strom noch Internet und auch keinen Handyempfang. Freds erster Impuls ist, dass er dort so schnell wie möglich weg möchte. Ein Sturzbach, “der ihn von den anderen Menschen trennte”, verhindert diesen Wunsch und zwingt Fred dazu, in der Hütte zu bleiben und zur Ruhe zu kommen. Als er den Förster August und dessen Hündin Aisha kennenlernt, beginnt Fred seine Zeit in Grünbach sogar richtig zu genießen.

“Als ich diesen Atemzug machte, der meinen ganzen Brustkorb auszufüllen schien, den ich als Wärme in den Füßen und als Klarheit im Kopf spürte, fiel mir plötzlich auf: Ich hatte in den letzten Jahren das Atmen verlernt.”

Als plötzlich die Biologin Mara auftaucht, die Fred nicht nur mit ihrer Schönheit, sondern auch mit ihrem charmanten Akzent und ihrem Wissen über das Liebesleben von Fischen verzaubert, scheint das Glück perfekt zu sein. Es ist die Begegnung mit Mara, die Fred dazu bringt, wieder zu schreiben. Doch von einem Tag auf den anderen verschwindet die geheimnisvolle Mara …

Auf knapp 200 Seiten erzählt René Freund eine kurzweilige und unterhaltsame Geschichte, die für den Leser eine Wendung bereithält, die es in sich hat. “Liebe unter Fischen” ist ein Roman, der eine gewisse Leichtigkeit verströmt und sich flüssig und angenehm lesen lässt. Neben dieser Leichtigkeit beinhaltet der Roman aber auch viele spannende Gedanken zum Schriftstellerleben. Fred Firneis steht trotz seines Erfolgs, den er als einer der wenigen deutschen Lyriker hat, unter dem Druck Texte liefern zu müssen. Doch die Texte lassen sich schon lange nicht mehr so leicht schreiben, wie zu Beginn und statt zum Stift greift Fred immer öfter zum Alkohol.

“Ich lebe in einem Raumanzug gefertigt aus Ironie, genäht mit Zynismus, beschichtet mit Fremdheit. Ich komme da nur raus, wenn ich trinke oder wenn ich schreibe. Zuletzt war nur noch das Trinken geblieben.”

An vielen Stellen schimmert die ständig präsente Angst durch, zu versagen und die Erwartungen des Publikums, des Feuilletons und des Verlags nicht erfüllen zu können.

“Ein Bestsellerautor mit Ängsten – das wäre doch lächerlich! Lächerlich zum Beispiel die Angst, nichts Gutes mehr schreiben zu können. Mit dem nächsten Buch die totale Pleite einzufahren. Ausgeschrieben zu sein, für immer. Ich habe es mir eine Zeitlang sehr bequem in dem Glauben eingerichtet, tatsächlich keine Sorgen, keinen Groll, keine Ängste zu haben. Bis ich in dem Glauben vertrocknet oder verhungert bin.” 

Ein anderer Blickwinkel wird von Freds Verlegerin Susanne Beckmann vertreten, die um das Überleben ihres Verlages kämpft und mit allen Mitteln versucht, Fred zum Schreiben zu zwingen. Für sie zählt zunächst einmal der finanzielle Profit und die Absicherung des Verlages, dafür ist sie bereit, alles zu tun.

Sprachlich weiß der Roman vor allem an den Stellen zu überzeugen, an denen Fred Briefe an seine Verlegerin schreibt, diese Briefe sind nicht nur poetisch, sondern auch philosophisch angehaucht und machen einen Großteil des Lesevergnügens aus, das ich bei diesem Roman empfunden habe. “Liebe unter Fischen” ist ein Buch mit Herz, Hirn und Humor; die perfekte Dosierung dieser Mischung lässt einen dann auch die stellenweise etwas stereotype Figurenzeichnung  verschmerzen.

René Freund ist mit “Liebe unter Fischen” eine originelle und abwechslungsreiche Liebesgeschichte gelungen, die durch einen subtilen und humorvollen Blick in die literarische Welt ergänzt wird. Ein Buch, dessen Lektüre sich wie ein sonniger Urlaub angefühlt hat und das dazu angeregt, auch einmal eine Pause vom Alltag zu machen und sich nicht weiter “einlullen, anfüllen, zumüllen” zu lassen.

Das Liebesspiel – Dawn Tripp

“Das Liebesspiel” ist bereits der dritte Roman der amerikanischen Schriftstellerin Dawn Tripp. Schon für ihre beiden ersten Romane “Mondgischt” und “Wasserzeit” hat sie von Publikum und Kritik – unter anderem von der Literaturkritikerin Elke Heidenreich – viel Lob erhalten. Für mich war “Das Liebesspiel” der erste Roman dieser Autorin, deren Bücher sehr stark von Landschaftsbeschreibungen ihrer Heimatregion Massachusetts geprägt sind.

“Einst glaubte ich, es gebe eine Trauer, die ich anfassen könnte, eine Trauer, in der ich mich vergraben könnte, ich glaubte, wenn ich mich nur tief genug hineingrübe, würde ich sie finden, sie wäre solide, sie wäre etwas, das ich hochheben und tragen könnte, ein Gewicht in meinen Armen – aber nicht das hier.”

Im Mittelpunkt von Dawn Tripps Roman “Das Liebesspiel” stehen zwei Familien, die durch Geheimnisse, Lügen und die Liebe zwischen zwei Menschen ein für immer miteinander verwobenes Schicksal teilen. Dawn Tripp gelingt es, zwei unterschiedliche Zeitebenen und mehrere unterschiedliche Perspektiven in ihrer Erzählung miteinander zu verweben, ineinander fließen zu lassen. Die Geschichte springt zwischen dem Jahr 2004 und den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hin und her. 1957, als Jane Weld elf Jahre alt ist, verschwindet ihr Vater Luce. Man findet sein verlassenes Ruderboot in der Nähe der Kiesgrube an der Drift Road. Luce Weld war ein Kleinganove, ein Dieb, der ganze Stadtteile nicht mehr betreten konnte, da ihm dort nur Ärger drohte. Und er hatte eine Beziehung mit Ada Varick. Eine Affäre mit der fünffachen Mutter – Scott, Green, Huck, Ray und Junie heißen ihre Söhne. Ihr Mann Silas war Alkoholiker und gewalttätig und Luce Weld war ihm ein Dorn im Auge. Anfang der Sechziger wird in der Nähe der Kiesgrube eine neue Brücke gebaut und im Zuge der Bauarbeiten findet man einen Schädel mit einem Einschussloch.

“Jeder, der zwei und zwei zusammenzählen konnte, wettete, dass jener Schädel die letzte dürftige Spur war, die Luce Weld hinterließ.”

2004, kehrt Marne, die Tochter von Jane Weld aus Kalifornien in ihre Heimatstadt zurück und zieht wieder bei ihren Eltern ein. Sie verliebt sich in Ray Varick, einen der fünf Söhne von Ada und Silas. Silas wurde von Anfang an mit dem Verschwinden von Luce Weld in Verbindung gebracht – eigentlich ist es für Marne undenkbar, sich aufgrund dieser Vergangenheit in ein Mitglied der Familie Varick zu verlieben. Und doch: trotz aller Geheimnisse, trotz all dem, was ungesagt bleibt, sind die Gefühle, die sie für Ray empfindet, nicht mehr zu leugnen.

Eine dritte Perspektive ist die von Jane Weld, die, trotz der Umstände des Todes ihres Vaters, sich immer noch mit Ada Varick jeden Freitag auf eine Partie Scrabble trifft. Diese Partie Scrabble bildet den Handlungsrahmen des Romans, umfasst die Geschichte, fungiert als Zweigstelle für die unterschiedlichen Perspektiven und Zeitebenen. Während der Partie denkt Jane an viele Episoden aus ihrer Vergangenheit zurück.

“[…] ich spüre, dass sich das Schweigen zwischen uns öffnet wie ein Feld, diese feinen Lichtfäden, die ihr Leben mit meinen verknüpfen – mein Vater, ihr Mann, unsere Söhne …”

“Das Liebesspiel” von Dawn Tripp ist sehr viel mehr als ein einfacher Liebes- oder auch Familienroman. Es ist eine anspruchsvolle Geschichte mit vielen unterschiedlichen Schichten, mit ineinander verzweigten Perspektiven und Familiengeschichten, die vor allem sprachlich zu überzeugen weiß. Die unterschiedlichen Perspektiven vereint das Unglück, das über beiden Familien liegt, die Unzufriedenheit. Zwei Söhne von Ada – Green und Junie – sind bereits verstorben, ihr Sohn Scott ist ein Kriegsveteran. Huck verhält sich wie ein typischer Yankee, er ist ein Prolet und nach einer gescheiterten Ehe wieder bei seiner Mutter eingezogen. Auch Marne ist nicht glücklich, hat viele gescheiterte Beziehungen hinter sich und arbeitet immer noch lediglich in kurzfristigen Aushilfsbeschäftigungen. Beide Familien wirken lückenhaft, wie Flickwerk, es franst überall aus und keiner findet eine gemeinsame Basis, auf der man glücklich miteinander sein könnte.

Ein Leitmotiv des Romans ist der Spaß an der Sprache, der sich im gemeinsamen Scrabblespiel äußert und in einem Bibliotheksbuch, das von Ada Varick ausgeliehen und nie zurückgebracht wurde und durch eine Reihe von Zufällen mittlerweile in den Besitz der Familie Weld übergegangen ist. Für June ist dieses Buch eines der wenigen Dinge, die ihr von ihrem Vater geblieben sind. Es ist der Grundstein für ihre Begeisterung für Literatur, die sich darin äußert, dass sie ganze Seiten aus Büchern ausschneidet und sammelt.

“Es war ein Impuls, eine Gewohnheit, manchmal ein Bedürfnis, Nahrung, Atem, Schlaf – ich war Ezechiel, der die Schriftrollen aß, ohne genau zu verstehen, was ich tat oder warum.”

“Das Liebesspiel” ist ein Buch über die Liebe, über Familien und deren Geheimnisse und darüber, dass man nicht aufhört, jemanden zu lieben, nur weil dieser nicht mehr da ist.

“Man hört nicht damit auf, nur der Teil von dir, der aufgehört hat zu sein, der Teil von dir, der außerhalb deines Körpers dein Herz war, aber nicht mehr ist, dieser Teil blieb hängen in dem Damals, das man verloren hat, hielt inne, drehte sich um, sah zurück, wie Lots Frau, die auf dem Hügel zur Salzsäule erstarrte, in der Rückschau auf die Stunde des eigenen Lebens, als man Sonnenlicht war.”

Mich hat “Das Liebesspiel” sehr positiv überrascht. Es hat mich vor allem aufgrund seiner Sprachgewalt, der sprudelnden Freude an der Sprache, begeistert. Zu Beginn des Romans hatte ich Schwierigkeiten damit, mich bei den ganzen unterschiedlichen Perspektiven und Familienangehörigen zurecht zu finden, doch dann hat die Geschichte einen starken Sog auf mich ausgeübt und es fiel mir zwischendurch schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Ein toller Roman, der mich unterhalten, berührt und begeistert hat.

%d bloggers like this: