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Makarionissi – Vea Kaiser

Vea Kaiser erzählt in ihrem neuen Roman Makarionissi eine Familiengeschichte über fünf Generationen, die nicht nur auf einer griechischen Insel spielt, sondern auch in Hildesheim, St. Pölten, Chicago und der Schweiz. Makarionissi ist ein gleichzeitig witziger und berührender Familienroman und eine Geschichte von Helden und Herzensbrechern.

Vea Kaiser

Loslassen heißt nicht verdrängen und nicht vergessen. Sondern einfach vergeben und akzeptieren, dass manchmal die Dinge so sind, wie sind, selbst wenn sie scheiße sind.

Es ist bereits drei Jahre her, dass Vea Kaiser mit ihrem Debütroman Blasmusikpop nicht nur mich begeistert hat, sondern auch viele andere Kritiker. Die Autorin war damals gerade einmal dreiundzwanzig Jahre alt und hatte einen Roman vorgelegt, der sich durch eine unbändige Fabulierlust auszeichnete. Auf diese Lust am Fabulieren trifft man auch in Makarionissi. Da Vea Kaiser nach ihrem Debütroman immer wieder vorgeworfen wurde, dass Dinge nicht so gewesen sein können, wie sie das geschrieben hat, hat sie sich bemüssigt gefühlt, dem neuen Buch noch einen kleinen Hinweis voran zu stellen:

[…] Ebenso gilt bei gewissen Abweichungen zwischen historischen Ereignissen und der Geschichte dieses Buches, dass der Roman der Fiktion verpflichtet ist. Nicht der Realität. Geben Sie, geschätzte Leser, dem Fabulieren eine Chance! Denn bereits Herodot meinte: Oftmals erzählt ein G’schichterl besser, als es die Ereignisse in ihrem echten Ablauf je könnten.

Zu Vea Kaisers Erzähllust gesellt sich aber auch eine große Erzählkunst, die sie auch in diesem Roman wieder unter Beweis stellt: erzählen kann die Autorin und zwar mitunter so mitreißend, dass ich das Buch nur sehr schwer wieder aus der Hand legen konnte. Makarionissi – das den Untertitel Oder die Insel der Seeligen trägt – ist ein fast fünfhundert Seiten starker Roman, der ganze fünf Generationen umfasst. Die Geschichte nimmt ihren Ausgangspunkt in einem kleinen Bergdorf an der griechisch-albanischen Grenze und endet auf Makarionissi, einer bettelarmen (fiktiven) Fischerinsel im Westen Griechenlands. Dazwischen verschlägt es die Figuren in die niedersächsische Provinz nach Hildesheim, die österreichische Stadt St. Pölten, das griechische Viertel nach Chicago und schließlich auch noch in die Schweiz.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Eleni und Lefti, die gemeinsam aufwachsen. Sie sind Cousine und Cousin, doch während Lefti als Stammhalter der Familie gesehen wird, wurde Eleni nachträglich gezeugt, um beide miteinander verheiraten zu können. Die Auswahl an Frauen ist in Varitsi nämlich begrenzt. Das war zumindest der Plan von Großmutter Maria, doch Eleni beschließt bereits früh in ihrem Leben niemals zu heiraten: Heiraten werde ich niemals! Ich werde als Heldin durch die Welt reisen und Bestien töten. Statt zu einer tugendhaften Ehefrau heranzuwachsen, die den Fortbestand der Familie sichert, wird Eleni zu einer politischen Aktivistin. Cousine und Cousin heiraten trotz allem, doch eigentlich ist schon vorher klar, dass diese Ehe nicht auf einem festen Fundament gebaut ist.

Lefti glaubte an all das hier nicht mehr. Er saß vor dem Haus, von dem er sich immer gewünscht hatte, er könnte es sein Eigen nennen – und dachte zum ersten Mal, dass es viel zu groß, zugig, dunkel, altmodisch und baufällig war. Er stand kurz vor der Hochzeit mit der Frau, die er immer hatte heiraten wollen, und merkte, dass er sie gar nicht begehrte. Lefti fühlte sich so sanierungsbedürftig wie der Dachstuhl.

Eleni und Lefti gehen nach der Heirat gemeinsam nach Hildesheim, dort wohnen sie zwar zusammen in einer Wohnung, doch leben ansonsten zwei getrennte Leben. Wie es der Zufall, der in diesem Buch eine nicht immer unwichtige Rolle spielt, so will, finden beide fast gleichzeitig in der niedersächsischen Provinz ihre große Liebe. Lefti verliebt sich in Trudi, seine Deutschlehrerin mit österreichischen Wurzeln und Eleni in Otto, einen bayrischen Musiker. Doch ein langes Glück in Deutschland bleibt den beiden verwehrt, während Lefti und Trudi den Versuch wagen, sich eine gemeinsame Existenz in St. Pölten aufzubauen, geht Eleni zurück in ihr Heimatdorf. Doch sie geht nicht alleine, denn sie ist schwanger.

Eleni hasste viele Dinge an Deutschland, doch am meisten hasste sie das deutsche Nein. Das deutsche Nein war absolut. Man konnte nicht darüber diskutieren. Und es wurde nicht begründet. Selbst wenn das Nein keinen Sinn ergab und jeglicher Vernunft widersprach. Eleni empfand es wie das rote Licht einer Ampel. Mit ihm konnte man auch nicht verhandeln.

Die Geschichte ist an dieser Stelle noch längst nicht zu Ende, sondern wird Seite um Seite fortgeführt, Generation über Generation. Entstanden ist dabei ein proppenvoller Roman, der sowohl unfassbar unterhaltsam ist, als auch wunderbar mitreißend. Vea Kaiser webt ihre Erzählung wie einen bunten Teppich, der aus ganz viel Familie besteht, aus Liebe und Glück, Schicksal und Zufall, alten Mythen und der Weigerung sich zu entschuldigen. Es geht um Familien, in denen die Großmütter noch das Geschehen bestimmen – im Falle von Lefti und Eleni wurde die falsche Entscheidung getroffen, denn beide wurde von ihrer Familie nicht mehr als Individuen gesehen, sondern nur noch in ihrer Funktion, die Familie zu erhalten und weiterzuführen.

Makarionissi endet mitten in der griechischen Krise der heutigen Zeit, doch das Buch sollte nicht als politischer Text gelesen werden – für mich ist Makarionissi einfach ein unglaublich unterhaltsamer Familienroman, voller Esprit und ganz und gar mitreißend erzählt. Ähnlich wie in Blasmusikpop wird auch in diesem Roman so einiges durch den Kakao gezogen – ich habe nicht selten herzhaft lachen müssen. Natürlich geht es hin und wieder auch um ernstere Themen, es geht z.B. um die Frage, wie stark die Familie das eigene Leben eigentlich bestimmen darf. Vor allem geht es aber darum, das Loslassen zu lernen und akzeptieren zu lernen, dass manchmal die Dinge einfach so sind wie sind. Der Sommer wagt sich im Moment langsam hervor und passend dazu ist Makarionissi mein Buch des Sommers und eine unbedingt Leseempfehlung.

Vea Kaiser: Makarionnissi oder die Insel der Seeligen. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015. 460 Seiten, €19,99. Ein Interview mit der Autorin findet sich hier. Eine weitere Besprechung gibt es auf Leseschatz, dem Blog von Hauke Harder.

Vea Kaiser im Gespräch!

Im Vorfeld von Vea Kaisers Lesung am 30.01. in Bremen hatte ich die Möglichkeit, die junge Autorin zu einem Interview zu treffen und ihr einige Fragen zu stellen. Vea Kaiser spricht nicht nur über ihr Buch, sondern auch über ihr Literaturstudium in Hildesheim, ihren offenen Brief auf Facebook und warum sie nie wieder ein Buch mit Kunstdialekt schreiben möchte.

DSC_6486Buzzaldrins Bücher: Erst einmal vorweg: Welche Fragen kannst du in Interviews mittlerweile nicht mehr hören?

Vea Kaiser: Ich glaube, ich habe ein sehr schlechtes Gedächtnis. Gerade was Dinge angeht, die nicht so schön sind. Meine Freunde sagen immer, sie beneiden mich darum, weil ich wirklich das Talent habe, Dinge die mir lästig waren, total zu vergessen. Es gibt also – wenn ich so überlege – eigentlich gerade nichts, mit dem du mich in den Wahnsinn treiben könntest.

Du hast “Blasmusikpop“”mit dreiundzwanzig Jahren veröffentlicht. Wann ist dir die Idee gekommen?

Die Uridee hatte ich mit 16 beim Joggen. Mir kommen immer alle guten Ideen meines Lebens beim Joggen. Ich war damals total sauer auf mein Dorf. Ich wollte bei einem Theaterprojekt mitmachen und hatte auch hunderte Ideen, aber ich hatte mit dem Dorf nie etwas zu tun gehabt und bin nur für das Theaterprojekt dort eingestiegen. Ich wollte damals Samuel Beckett spielen – aber das kann man natürlich nicht mit einer Laienschauspielertruppe in Kasten am Hegerberg. Was ich aber mit 16 nicht kapiert habe. Ich habe immer gedacht: meine Ideen sind die besten und alle, die das nicht so sehen, sind Idioten. Sie haben es nicht so gesehen und ich war sauer, ging joggen und dachte mir beim Laufen: ich schreibe jetzt einen Racheroman und erkläre der Welt, wie bösartig Kasten am Hegerberg ist. Das war dann die Grundidee und die Struktur des Romans: dass eine Figur, die in einem Dorf gefangen ist, aus der Isolation heraus über dieses Dorf schreibt.

Wie ging es dann weiter?

Mit zwanzig habe ich ein Jahr in Deutschland gelebt, in Hildesheim. Ich fand das so schrecklich, dass ich gemerkt habe, Kasten am Hegerberg ist eigentlich richtig nett. Durch die Isolation in Deutschland habe ich sehen können: mein Dorf ist eigentlich gar nicht so böse und dann habe ich mich erinnert, wie ich damals die Geschichte schreiben wollte, die ja vielleicht auch unabhängig von mir und meinem Dorf interessant sein könnte. Zu der damaligen Zeit habe ich erste Kurzgeschichten veröffentlicht und an Wettbewerben teilgenommen und hatte ersten Kontakt zu Menschen, die aus dem Literaturbetrieb kamen: Verleger und Agenten, die dann fragten, ob ich etwas Längeres habe. Dann dachte ich: warum nicht diese Geschichte. Begonnen habe ich am 19. Dezember 2009 und fertig war ich am 15. September 2011.

Warum empfandst du deine Zeit in Hildesheim als so schrecklich?

Das hatte viele Gründe: ich bin mit dieser deutschen Kleinstadt nicht so richtig zurechtgekommen, weil ich davor in Wien gelebt habe. Wenn ich Hildesheimer sprechen höre, höre ich immer den Satz “Sagen Sie mal!”. Was gar nicht böse gemeint ist, das ist dieses typisch Niedersächsische. Ich komme halt aus einer Kultur, die nur in Konjunktiven redet. In Österreich gibt es de facto keinen Imperativ. Ich hab einfach so Heimweh gehabt. Ich wollte wieder, dass die älteren Herren in der Straßenbahn “Grüß Sie Gott, Fräulein” sagen, ich wollte wieder, dass die Bäckerinnen fragen “Was täten Sie denn gern kaufen wollen?” und nicht “Sagen Sie mal, was wollen Sie?”. Ich habe Sehnsucht gehabt nach der Küche, ich habe einfach nach allem Sehnsucht gehabt: nach dem Geruch der Straßen und auch nach den üblen Seiten der Österreicher.

Du hast in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert. Hat dir das Studium beim Schreiben deines Romans geholfen?

Nein, beim Schreiben eher nicht. Ich habe gemerkt, dass ich einfach nicht der Typ dafür bin, ständig über das zu sprechen, was ich mache. Ich habe viel eher das Gefühl, dass ich zufrieden bin, dass ich tausende Stimmen in meinem Kopf habe, die mir alle Ideen für meinen Text einflüstern.  Was mir das Studium aber auf jeden Fall beigebracht hat, ist ein Verständnis für den Betrieb. Ich glaube, es war wirklich wichtig zu lernen, wie der Literaturmarkt heutzutage funktioniert –  was sind Agenten, welche Wettbewerbe sind wichtig und ähnliches.

Ist der Dialekt in dem Buch ein Kunstdialekt?

Ja, den habe ich mir zusammen mit einem Sprachwissenschaftler von der Universität Wien ausgedacht, weil ich nicht wollte, dass man das Dorf zuordnen kann. Sobald man einen existenten Dialekt verwendet, kann man genau sagen, dass ist da oder dort. Wir haben versucht Merkmale von den verschiedensten deutschen Dialekten irgendwie zusammen zu wurschteln und daraus etwas Neues zu machen.

Wie arbeitsintensiv war das?

Das war eine Heidenarbeit und ich habe mir danach geschworen: nie wieder!

Nie wieder Dialekt?

Nie wieder Kunstdialekt! Ich mag gerne Dialekt. Ich finde es einfach gut, dass man heutzutage wieder Dialekt schreiben kann, dass wir da auch über diese intellektuelle Attitüde hinweg sind, dass Dialekt irgendwie sozial schwache Menschen auszeichnen würde. Durch unsere Sprache sind wir. Durch unsere Sprache verstehen wir. Die Grenzen unseres Handelns sind die Grenzen unserer Sprache. Wenn man in der Literatur eine ganze Ebene der Sprache ausklammert, nur weil man nicht weiß, wie man sie schreibt, dann nimmt man vom Leben nur einen gewissen Teil wahr.

Was war das Besondere an der Arbeit mit diesem Kunstdialekt?

Das war eine Fuzzelei. Da es sich um einen Kunstdialekt handelte, konnte außer mir niemand anderer den Text korrigieren. Ich war damit vollkommen allein. Das Korrigieren der Fahnen hat zwei Monate meines Lebens und fünf Jahre meiner Zukunft gekostet. Ich musste jeden einzelnen Satz rausschreiben und dann schauen, ob ich das immer gleich geschrieben habe. Ich bin ein Perfektionist. Als ich fertig war, hatte ich anschließend eine Influenza: zwei Wochen lang ich tot auf meiner Couch und habe grünes Zeug gehustet.

Du hast den Roman parallel zu deinem Studium fertiggestellt. Wann hast du damals die Zeit zum Schreiben gefunden?

Ich habe immer morgens vor der Uni geschrieben. Ich muss gestehen, dass ich eine langsame Studentin bin, aber bewusst langsam, weil ich Griechisch und mein Studium liebe. Germanistik habe ich in vier Semestern durchgezogen. Bei Griechisch lasse ich mir gerne Zeit. Aber das Studium allein war für mich auch immer zu wenig. Das war nicht genug. Für das Schreiben bin ich früh aufgestanden und habe vor der Uni meine vier Stunden gearbeitet. Teilweise habe ich dann auch zwischen den Vorlesungen geschrieben, denn als Student hat man viel Wartezeit. Ich hatte mit den anderen Studenten nie viel zu tun und so habe ich mich in die Ecke gesetzt und einen Roman geschrieben.

Hast du zwischendurch an deiner Romanidee gezweifelt?

Ja, jeden zweiten Tag, nachts, um fünf Uhr morgens grübelnd im Bett. Immer wieder.

Wer hat dich dabei unterstützt, deine Idee durchzuziehen?

Ich hatte einen Agenten an meiner Seite, einen ganz wunderbaren, lieben und dicken Schweizer. Der hat mein Händchen gehalten. Der war so eine große Unterstützung. Am Anfang hatten wir immer ein Mal die Woche einen Telefontermin, weil er das so macht mit seinen Autoren und vor allem mit seinen Problemkandidaten. Das war sehr schön, weil ich wusste, ich konnte ihn anrufen, wenn es mir nicht gut ging. Ich habe dann auch häufig angerufen und gesagt: ich zweifle. Er war der erste Mensch, der mich überhaupt verstanden hat mit dem Schreiben. Meine Familie hat immer gedacht, das Kind ist mit fünf Jahren mal auf den Boden gefallen und hat sich den Kopf geprellt.

Deine Eltern haben dich bei deinem Wunsch zu schreiben, nicht unterstützt?

Die haben das nicht verstanden. Das Schreiben ist für viele Menschen etwas Seltsames. Das merke ich immer wieder. Schon allein, wie oft ich gefragt wurde, ob ich mich jetzt schon als Schriftstellerin bezeichnen würde. Ja, wieso denn auch nicht? Das ist ein Job wie jeder andere, mit dem man halt seine Miete bezahlt, Steuern zahlen muss und die Krankenversicherung abführt. Die Leute assoziieren mit diesem Begriff aber irgendwie etwas Seltsames. Viele Menschen verstehen das mit dem Schreiben nicht, weil sie sich sehr schwer damit tun. Das längste, was meine Eltern jemals geschrieben haben, war eine Einkaufsliste für Familienfeiern. Als Eltern wünscht man sich für sein Kind einen sicheren Job und dass es irgendwann die Miete zahlen kann.

Von außen stellt man sich das Leben als Schriftsteller häufig glamourös vor, diese Vorstellungen decken sich wohl eher nicht mit der Realität?

Ich empfinde das als einen Job wie jeden anderen. Er hat halt zwei Seiten: die eine Seite ist das Schreiben und das ist sehr einsam. Es ist sehr schön, sich jahrelang zurückzuziehen und wann man möchte etwas zu schreiben, aber es ist wahnsinnig einsam. In den intensivsten Schreibphasen habe ich teilweise Wochen gehabt, in denen ich vier Tage lang mein Haus nicht verlassen habe oder mein Zimmer nicht verlassen konnte und mit strähnigen Haaren und einem Jogginganzug durch die Gegend gelaufen bin. Die andere Seite ist das Präsentieren des Romans: das ist lustig, das macht Spaß, aber glamourös? Aber es ist schon verdammt cool.

Wie hältst du es mit negativen Kritiken und Verrissen?

Am Anfang hat es mich rasend interessiert. Als das Buch rausgekommen ist, wollte ich alles lesen und alles aufnehmen. Ich bin dann aber wirklich durch solche wechselnden Emotionen gegangen: durch die höchste Freude und die tiefste Trauer. Häufig schon wegen Kleinigkeiten. Ich habe dann irgendwann gemerkt, mir tut das nicht gut. Es ist, als würde man in ein Spiegelkabinett gehen: mal siehst du dich schlank, mal siehst du dich breit. Du siehst immer dich, aber das bist nicht du. Es ist immer verzerrt durch die Wahrnehmung von anderen. Auch Journalistenartikel sind wie ein Zerrspiegel.

Vor zwei Wochen hast du dich auf deiner Facebookseite öffentlich zum Urheberrecht geäußert. Wie waren die Reaktionen?DSC_6492

Es war erstaunlich, was ich für üble Beschimpfungen erhalten habe. Aber auch damit muss man umgehen. Es gab aber auch wunderschöne Rückmeldungen. Zu 90 bis 95 Prozent waren diese positiv und unterstützend. Ich habe mich darüber wirklich gefreut, weil ich gemerkt habe: die Welt ist wirklich in Ordnung.

Was wäre für dich denn eine Lösung dieser Debatte?

Für mich ist die einzig mögliche Lösung, dass Diebstahl weder im Internet, noch im normalen Leben toleriert wird. Wenn ich den Kopiercode eines E-Books knacke, dann ist das Diebstahl. Und die Leute, die sich dort E-Books runterladen, wissen ja auch, dass das eigentlich Geld kostet. Wenn im Rahmen von Selfpublishing und E-Bookbusiness ein Autor entscheidet, dass er seine Sachen kostenlos abgibt, muss das ihm selbst überlassen bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass es einen Zwang geben kann, kostenlos zu arbeiten. Das ist für mich Sklaverei.

Diese Problematik hängt sicherlich mit der Entwicklung des E-Books zusammen, wie stehst du dem gegenüber?

Es gibt genug gratis E-Books und es gibt genug Autoren, die gratis schreiben, aber teilweise ist das dann auch so, dass man das nicht lesen möchte. Es gibt einen Grund, warum ich damit einverstanden bin, nur 12 Prozent des Netto- Ladenverkaufspreises zu erhalten. Wenn man es von außen betrachtet, ist das wenig, aber ich bin damit völlig einverstanden, weil ich weiß, was mein Verlag alles macht. Das sieht man auch am Buch, das einfach gut lektoriert und präsentiert ist. Am 25. Juni kannte mich niemand. Da war ich eine x-beliebige Studentin mit einer literarischen Ambition. Davon gibt es genug. Aber mein Verlag hat es wirklich geschafft aus einem No-Name jemanden zu machen, der in Talkshows eingeladen wird. Sie haben meinem Buch den Weg geebnet. Das rechne ich ihnen hoch an. Deswegen sage ich: jeder Cent, den der Verlag verdient, ist genauso gerechtfertigt wie das, was ich verdiene.

Und wie hältst du es selbst mit E-Books? 

Ich habe einen E-Book-Reader, verwende ihn aber mit einem sehr eigenen Zugang. Ich verwende ihn für drei Sachen: zum einen benutze ich ihnen gerne für Unisachen, für Referatspaper, Aufsätze und pdf-Dokumente. Die konsumiere ich einmal und dann schmeiße ich sie weg. Da finde ich es gut, Papier sparen zu können. Das zweite sind Manuskripte und Fahnen, die ich von Kollegen bekomme. Die muss ich dann nicht am Bildschirm lesen oder ausdrucken. Das finde ich dann schon sehr praktisch. Dann nehme ich es auch gerne noch auf Reisen mit: ich bin jetzt sieben Tage unterwegs, habe wahnsinnig viel Zeit beim Reisen und lese auch viel. Darüber hinaus hat der Reader eine medizinische Notwendigkeit, weil ich einen Wirbelsäulenschaden habe und nicht schwer tragen darf. Ich lese auf dem Reader aber nur Autoren, deren Urheberrecht aufgrund ihres Todes schon abgelaufen ist: Dickens, Jane Eyre, die ganzen Klassiker, die ich auch zu Hause im Bücherregal stehen habe. Das sind dann aber die wahnsinnig schönen Ausgaben, die ich dann lieber nicht mitnehmen möchte, weil ich auch immer gut darin bin, die Bücher einzusauen. Dafür sind E-Reader praktisch. Was ich aber wirklich unsexy finde, ist einen jungen deutschsprachigen Autor, den es auch als schönes Hardcover gibt, auf dem E-Reader zu lesen. Für mich ist ein E-Reader ein Gebrauchsgegenstand, der gewisse Dinge leichter macht, aber ich finde nicht, dass man das mit einem Buch vergleichen kann.

Vea Kaiser in fünf Jahren – wo würdest du dich gerne sehen?

Da muss ich ehrlich sagen, dass ich das noch nicht weiß. Ich hoffe einfach nur, dass ich mein Gewicht halten kann.

Vea Kaiser hat Bremen zum Lachen gebracht!

Am 30. Januar las Vea Kaiser in der Storm Buchhandlung aus ihrem Debütroman “Blasmusikpop” vor. Es sollte eine der unterhaltsamsten und vergnügtesten Lesungen werden, die ich bisher erlebt habe.

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Zu Beginn betonte Vea Kaiser ihre gute Beziehung zu Bremen, die vor allem im Fußball begründet ist. Weil es bei ihrer Lieblingsmannschaft Rapid Wien im Moment nicht so gut läuft, hat sie sich Werder Bremen zugewendet. Werder Bremen wird in der Fußballszene auch als “little Austria” bezeichnet wird, weil dort viele österreichische Fußballer spielen. Vea Kaiser war an diesem Abend jedoch nicht nur gekommen, um über Fußball zu fachsimpeln, sondern auch, um aus ihren skurrilen und vor Ideen sprühenden Debütroman “Blasmusikpop” vorzulesen.

Vea Kaiser hat die zahlreichen Zuhörer sehr sympathisch in die Geschichte ihres Buches und in die Handlung des Romans eingeführt. Vorweg hat sie amüsiert darüber berichtet, dass sich nach der Veröffentlichung ihres Romans 26 Gemeinden bei ihr gemeldet haben, um zu beweisen, dass der fiktive Handlungsort St. Peter am Anger ihrem eigenen Dorf ähneln müsse. Ein Bürgermeister eines Dorfes aus der Schweiz analysierte mögliche Ähnlichkeiten in einem fünf Seiten langen Brief: die Bewohner seines Dorfes lebten genauso abgeschottet, die Blaskapelle treffe auch nur jeden zweiten Ton und der Bürgermeister sei genauso fett …

Im Anschluss an die Lesung, bei der viel gelacht wurde, war Vea Kaiser bereit, Fragen zu beantworten – alle Fragen, “bis auf die Frage, wie das Buch ausgeht”. Offen und ausgesprochen sympathisch erzählte Vea Kaiser – immer gerne mit einer Anekdote untermalt – über ihr Buch, ihre Liebe zum Altgriechischen und die Verfilmung des Romans.

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Vea Kaiser schrieb “Blasmusikpop” in einer Quarterlife Crisis – ihr Freund hatte sich von ihr getrennt und sie wollte endlich mal ein Projekt beginnen, was sie auch zu Ende führt, denn ihr bisheriges Leben war von Hobbys geprägt, die sie meistens nach einem halben Jahr wieder abgebrochen hat, um etwas Neues zu beginnen. Für das Schreiben ihres Debütromans brauchte Vea Kaiser knappe zwei Jahre. Die Zuhörer der Lesung beeindruckt sie damit, dass sie auf den Tag genau das Datum nennen konnte, an dem sie anfing zu schreiben und an dem sie den Roman beendete. Thematisiert wurde auch Vea Kaisers Leidenschaft für Griechisch und ihre Begeisterung für das Fußball spielen. Die Schule, die sie besuchte war das Gymnasium der englischen Fräulein und die Jungs der Fußballmannschaft mussten mit einem Trikot auflaufen, auf dessen Rückseite die Worte “englische Fräulein” standen. Als sich die Jungs weigerten in diesem Trikot Fußball zu spielen, war dies die Chance für die Mädchen – ihre Fußballkarriere gab Vea Kaiser dann jedoch nach einem gebrochenen Fuß wieder auf. Während derVerletzungspause hatte sie zu viele andere interessante Hobbys gefunden. Scherzhaft bemerkt sie, dass das ja im Rückblick schade sei, denn ansonsten hätte sie ja vielleicht doch etwas Vernünftiges gelernt. Ihr Griechischstudium bezeichnet sie als “studieren wie im 19. Jahrhundert”. Sie studiert mit 35 Kommilitonen, von denen 17 bereits in Pension sind. Jeder hat auf seine Weise einen Schuss weg und Vea Kaiser nimmt sich selbst dabei auch nicht aus.

Vea Kaiser hat bereits eine neue Idee, die ihr auf einer Zugfahrt nach Prag eingefallen ist. Der neue Roman spielt in einer griechischen Schaumstofffabrik, die geschlossen werden muss. Hauptfigur wird Jannis sein, der ein unverbesserlicher Optimist ist – wir können uns also auf etwas Neues freuen. Ganz am Ende verrät sie auch, dass “Blasmusikpop” verfilmt wird. Ihr einziger Wunsch bei der Produktion ist ein Undercoverauftritt: als Mutter, mit dickem Plastikbusen, Schweißbändern und Nordic Walking Stöcken …

Die Lesung von Vea Kaiser war witzig, humorvoll, unterhaltsam und unheimlich mitreißend. Viele Zuschauer haben sich im Anschluss ihr Buch gekauft und ich kann an dieser Stelle meinen Aufruf aus meiner Besprechung nur noch einmal wiederholen: lest Vea Kaiser! Lest “Blasmusikpop”.

Ich hatte die Chance, Vea Kaiser im Vorfeld der Lesung zu einem Interview zu treffen, mehr darüber lest ihr hier.

Verdammt Recht!

Gestern hat die junge Schriftstellerin Vea Kaiser einen offenen Brief auf ihrer Facebookseite veröffentlicht, der in der Folge von vielen kommentiert, geliked und geteilt wurde. Vea Kaiser spricht in diesem Brief, der eine Reaktion auf eine Seite ist, auf der ihr Roman “Blasmusikpop” als kostenloses Ebook angeboten wird, wichtige Themen an: das Urheberrecht und wie dieses im Netz missachtet und mit Füßen getreten wird. Vea Kaiser ist wütend und das zu Recht!

“Liebe Ebook-Piraten, 
Ich fürchte zwar, Ihr werdet meine Nachricht nicht veröffentlichen, aber: 
ich bin Autorin eines der Ebooks, die Ihr gratis zum Download anbietet und ich fühle mich von Euch bestohlen und ausgebeutet – bin entsetzt, was Ihr hier tut. Ich habe jahrelang an diesem Roman geschrieben und finanziere mir mühsam durch den Verkauf mein Studium und mein Leben – das ist nicht besonders luxuriös, aber dafür kann ich an meinem nächsten Roman arbeiten. Ich bin auf diese Buchverkäufe angewiesen, und indem Ihr mein Buch für jedermann zur unbeschränkten kostenlosen Weiterverbreitung anbietet, nutzt Ihr mich aus. Ihr denkt Euch jetzt vielleicht, es is ja nicht anders als borgen. Nunja: Es ist ein Unterschied ob ich einem Freund ein Buch borge, oder Kopien für die ganze Stadt anfertige und sie am Marktplatz zur freien Entnahme aufstelle. Oder glaubt Ihr, wir Autoren würden ohnehin alle so gut verdienen, dass es egal ist, ob Ihr für unsere Arbeit bezahlt oder nicht? Ken Follett wird es vielleicht nicht kratzen, aber junge Autoren, innovative Stimmen sind von jedem verdammten Buch abhängig.
Was Ihr hier macht, ist nichts anderes als Diebstahl. Und was ich so schlimm finde, Ihr schämt Euch nicht einmal, sondern animiert Euch gegenseitig weiterzustehlen. Ihr nennt das ” Bücher befreien” – ist Euch bewusst, dass Ihr damit die Autoren versklavt? Ihr zwingt Autoren, gratis für Euch zu arbeiten, Ihr anerkennt unsere LEistung nicht, laut Euch steht uns NICHTS zu. Jahrelange Arbeit nur damit Ihr kostenloses Lesevergnügen habt? Das ist Sklaverei. Wären alle Leser so wie Ihr, dann gäbe es keine Bücher mehr, denn wir Autoren hätten nicht die Möglichkeit zu schreiben. Warum ich Euch das sage? Weil ich im Herzen daran glaube, dass Leser gute Menschen sind und Bücher, sowie deren Autoren, schätzen. Zumindest schreibe ich für Leser, die die Arbeit eines Autors auch zu schätzen wissen, und bereit sind, dafür zu zahlen. Denn sind wir uns ehrlich: 10-20 Euro für ein Buch ist verdammt wenig. Zwei Kinokarten, 4 Packerl Zigaretten, 1/4 Tankfüllung. Das rechnet nie die jahrelange Arbeit, und wir Autoren tun’s trotzdem. Wenn Ihr aber so weitermacht, zerstört Ihr die Vielfalt. Klar, Bücher wird es immer geben. Aber überlegt mal, ob Ihr noch lesen wollt, wenn es nur noch Megaseller wie Shades-of-grey gibt, weil sich anderes nicht mehr rentiert, weil junge Autoren keine Chance haben, weil innovative Ideen nicht mehr möglich sind. Ach, und dann habt Ihr ja Euer Argument, Ihr wollt doch nur die “Content-Mafia” umgehen, legitimiert Ihr Euer Treiben damit, dass Ihr meint, es bräuchte keine Verlage? Nur dass Ihr wisst: Verlage entdecken neue Autoren, verwirklichen mutige Bücher und helfen dem, was Ihr nachher gut findet, aus dem Ei. Das sind keine üblen Verwertungsmaschinen, die einen Autor ausquetschen, sondern Menschen mit Herz, die einem Projekt ins Leben helfen. Ohne deren Mut, Expertise und stützende Strukturen gäbe es einen ziemlichen Einheitsbrei, denn das Durchsetzen von Neuem in diesem gewaltigen Markt überfordert die Möglichkeiten eines einzelnen Menschen. Wenn Ihr das wollt: dann macht weiter so. Wenn nicht, überlegt doch mal, ob Ihr dem Buchhändler um die Ecke nicht einen Besuch abstatten wollt. Dort gibt es übrigens auch persönliche Beratung, Hilfe, Lektüre zu finden, die Ihr sonst nicht gefunden hättet, oder Lesungen, die Möglichkeit, Autoren mal kennenzulernen. Geht doch mal zu einer Lesung und schaut Euch den Menschen an, der das Buch geschrieben hat und erklärt mir dann bitte, wieso dieser Mensch Euer Sklave sein soll – das würde mich nämlich wirklich interessieren, wieso Ihr der Meinung seid, dass Ihr mit Eurem Diebstahl uns Autoren und Verlage ausbeuten dürft.”

Vea Kaiser tritt mit diesem offenen Brief in die Fußstapfen von Sven Regener, der im letzten Jahr eine ähnliche Wutrede zum Urheberrecht hielt. Sven Regener kommt zu dem Schluss:

“Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert”

Ich kann beide Künstler in ihrem Anliegen und in ihrer Wut nur unterstützen. Wer sich die Arbeit macht, etwas zu schreiben, etwas zu malen oder etwas zu komponieren, sollte für diese Arbeit bezahlt werden. Menschen, die Bücher oder Musik als etwas wahrnehmen, was sie sich umsonst irgendwo runterladen können, kann ich nicht verstehen.

Vea Kaisers offener Brief wurde bis jetzt bereits über 200 Mal geteilt und ich kann ihr als Leserin und Bücherliebhaberin nur uneingeschränkt zustimmen. Mittlerweile wurde ihr Artikel auch online im Tagesspiegel veröffentlicht.

Blogparade 2012

Unfassbar, dass das Lesejahr 2012 bereits wieder vorbei ist. Vor einem Jahr habe ich zum ersten Mal bei der Blogparade mitgemacht und die Zeit dazwischen ist für mein Empfinden beinahe wie im Flug vergangen. Ich blicke auf ein bewegtes und schönes Blogjahr 2012 zurück: ich habe im Zusammenhang mit meinem Blog viele schöne und positive Erfahrungen machen dürfen, viele interessante Menschen kennengelernt und einen durchweg schönen literarischen Austausch gehabt, über den ich mich sehr gefreut habe. Daneben habe ich in diesem Jahr aber auch viele tolle Bücher gelesen und einige wenige, die mich leider nicht ganz erreichen konnten.

Über die Antworten auf die folgenden Fragen habe ich eine ganze Weile nachdenken müssen, denn die Bücher, die ich am Anfang des Jahres gelesen haben, liegen bereits eine ganze Weile zurück, andere, die ich vor kurzem gelesen habe, sind mir noch viel frischer im Gedächtnis und die Gefühle, die ich mit ihnen verbinde, sind noch sehr viel intensiver. Da fiel es mir schwer, eine gute Auswahl zu treffen.

* Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat?

Wald aus Glas, Hansjörg Schertenleib

Ich kannte weder den Autor noch wusste ich, was mich genau erwarten würde und dann wurde ich mit dem Aufschlagen der ersten Seite in eine Geschichte hineingezogen, dessen Sog ich mich nicht mehr entziehen konnte. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich das Buch zu Ende las und mir ein paar Tränen über die Wangen kullerten. Die Geschichte hat mich unheimlich berührt und auch über die Lektüre hinaus noch länger beschäftigt. Ich freue mich bereits jetzt darauf, im nächsten Jahr weitere Bücher dieses Autors zu entdecken.

Das ist Wasser, David Foster Wallace

Als ich das Buch in die Hand nahm, war ich erstaunt: Ein so schmales Bändchen und dann auch noch zweisprachig? Der Inhalt sollte eine Rede sein, die David Foster Wallace mal vor Studenten gehalten hat. Bevor ich begann, das Büchlein zu lesen, hatte ich wenige Erwartungen und noch weniger Kenntnisse über den Schriftsteller, von dem ich zwar schon mal gehört, aber noch nie etwas gelesen hatte. Ich habe “Das ist Wasser” in der Zwischenzeit bereits mehrere Male gelesen und entdecke immer wieder neue Aspekte, neue Impulse, die ich versuche auf mein Leben und mein Denken zu übertragen. Eine wahre Anregung zum Denken und zum Handeln und ein Buch, das mich in diesem Jahr sehr positiv überrascht hat.

* Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat? 

Das Meer am Morgen, Margaret Mazzantini

Bei meinen Bloggerkollegen hatte ich im Vorfeld schon so viel Positives über die Autorin gelesen, über deren Namen und deren Bücher ich immer wieder gestolpert war. Als ich den schmalen Roman “Das Meer am Morgen” in die Hand nahm, waren die Erwartungen hoch und die anschließende Enttäuschung war dann umso größer. Margaret Mazzantini kippt einen riesigen Eimer poetischer Bilder und Metaphern über eine eigentlich interessante Geschichte aus und bringt diese und die Figuren dahinter vollkommen zum Verschwinden. Eine Enttäuschung, die mich aber nicht davon abhalten wird, weitere Bücher der Autorin zu lesen.

Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr, Zoran Feric

Das Buchcover verströmte eine wunderschöne Leichtigkeit, die Geschichte versprach Spannung, doch das, was Zoran Feric daraus gemacht hat, hat mich dann doch mehr als enttäuscht zurückgelassen. Eine nette Geschichte, durch die man sich jedoch an etlichen sprachlichen Stolpersteinchen vorbei quälen muss. Das Buch war für mich – aufgrund der holprigen und ungelenken Sprache – eines der anstrengendsten Leseerlebnis dieses Jahr.

* Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?

Vea Kaiser

Warum? Muss man das bei dem Namen Vea Kaiser wirklich noch begründen? Sie hat mit “Blasmusikpop” nicht nur einen fantastischen, erfrischenden und vor Ideen sprühenden Roman vorgelegt, sondern tritt auch darüber hinaus sehr positiv und sympathisch auf. Sie ist für mich die Autoren-Neuentdeckung des Jahres und ich hoffe sehr, dass es von ihr bald noch mehr zu entdecken geben wird. Solange freue ich mich darauf, sie im nächsten Jahr das erste Mal live lesen zu hören. Ach ja, wer sich noch nicht in Vea Kaiser verliebt hat, sollte sich einfach dieses Video noch einmal anschauen:

Weitere Neuentdeckungen: Janet Frame, Kathrin Weßling, Pia Ziefle

* Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?

Vom ersten Anblick an habe ich mich direkt in das Cover von “Visby” verliebt, einem wunderschönen Roman von Barbara Slawig.

 

* Welches Buch wollt ihr unbedingt in 2013 lesen und warum?

“Weiter Weg”, einen Essayband von Jonathan Franzen, auf den ich mich schon seit einigen Monaten wie eine Schneekönigin freue.

 

5 Fragen an Vea Kaiser!

© http://www.pertramer.at

© http://www.pertramer.at

Vea Kaiser wurde 1988 geboren und studiert Klassische und Deutsche Philologie in Wien. “Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam” ist ihr erster Roman. Gut gefallen hat mir ein kurzes Porträt von ihr, das ich bei www.datum.at gefunden habe:

“[Vea Kaiser] hält regelmäßig Vorlesungen über Literatur an Stammtischen und Bartresen, will bis zur Pension die gesamte altgriechische Literatur übersetzt haben, und beschäftigt sich sonst mit Fußball und Stöckelschuhen.”

Zumindest das Interesse an altgriechischer Literatur und am Fußball sticht auch in “Blasmusikpop” heraus.

1.) Warum wollten Sie Schriftstellerin werden?

Weil ich viel zu viel zu erzählen hab, und viel zu wenig Menschen in meinem Umfeld, die bereit sind, stundenlang still zu sitzen und mir zuzuhören.

2.) Gibt es einen Schriftsteller oder einen Künstler, der Sie auf Ihrem Weg besonders inspiriert hat?

Nicht nur einen, sondern drei (ich nenne sie immer meine „Säulenheiligen“, sie haben auch einen eigenen Schrein in meinem Bücherregal): Gabriel García Marquez, den ich für seine Fabulierkunst bewundere, Heimito von Doderer, von dem ich viel über das Konstruieren, Gestalten und Erzählen von Geschichten gelernt hab, und John Irving, dessen Hauptfiguren (die ja meist Schriftsteller sind) mir wahnsinnig viel über das Leben als schreibender Mensch, und dessen Höhen wie Tiefen, beigebracht haben.

3.) Wann und wo schreiben Sie am liebsten?

An einem kühlen aber sonnigen Tag am Schreibtisch meiner kleinen Wiener Wohnung zwischen 07:00 und 13:00 Uhr, mit drei Halb-Liter-Häferln Melange, zwei kleinen Frühstücks-Pausen, je nach Stimmung etwas Musik, Haare zu einem gordischen Knoten am Hinterkopf verwurstelt, ein bequemes Kleidchen an, Telefon und Internet ausgeschaltet.

4.) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Ich hab aktuell mal wieder meine griechische Phase: Abends las ich Michael Frayn – Willkommen auf Skios (zum ersten Mal, war sehr begeistert) und nachmittags in kleinen Häppchen über längere Zeit hinweg Homers Ilias (zum fünften Mal, aber immer noch großartig).

5.) Was würden Sie einem jungen Schriftsteller raten?

Don’t cry – work! (Das steht in großen Lettern über meinem Schreibtisch und hilft zumindest mir persönlich von Tag zu Tag ganz wunderbar.)

Herzlichen Dank an Vea Kaiser für die Beantwortung meiner Fragen!

Es gibt vom Verlag Kiepenheuer & Witsch eine umfangreiche Pressemappe an Material zu der jungen Autorin und ihrem Roman. Ich möchte gerne auf das folgende Video verweisen, das ich sehr sehenswert finde:

Bei www.zehnseiten.de kann man die Autorin auch aus ihrem Roman lesen hören und sehen:

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam – Vea Kaiser

Die erst dreiundzwanzigjährige Schriftstellerin Vea Kaiser studiert in Wien Klassische und Deutsche Philologie. Sie hat bereits zahlreiche Stipendien erhalten sowie den Theodor-Körner-Preis gewonnen. Sie nahm 2010 an der Autorenwerkstatt Prosa in Berlin teil und war Finalistin beim 17. Open Mike.

Im Mittelpunkt von Vea Kaisers fulminantem Debütroman “Blasmusikpop” steht der junge Johannes A. Irrwein, der sich selbst als “Historiograph” und “Nachfolger des Herodot von Halikarnassos” bezeichnet. Johannes wächst im abgeschiedenen alpenländischen Bergdorf St. Peter am Anger auf.

“St. Peter am Anger war ein kleines Dorf, das vor allem von einer Einnahmequelle lebte – den weltweit einzigartigen Adlitzbeerenbaumbeständen.”

St. Peter am Anger ist darüber hinaus dafür bekannt, dass man nicht über Dinge spricht, die man nicht ändern kann, dass alles dreißig Jahre später als im Rest der Welt geschieht, keine Details erörtert werden und dass Dinge nun mal so sind, wie sie sind.

“In St. Peter am Anger war bei den meisten ab dem Kindergarten ausgemacht, wer wen heiraten würde, die Söhne bekamen die Namen der Väter, die Töchter die Namen der Großmütter, der Bauernhof wurde an den erstgeborenen Sohn weitergegeben, und die größte Neuerung war, dass der Gemeinderat beschlossen hatte, die Straßen asphaltieren zu lassen.”

Alles bleibt in St. Peter am Anger, wie es immer gewesen ist und dem einzelnen bleibt häufig nur übrig, sich zu fügen. Doch Johannes fügt sich nicht. Er wird in seinem Aufwachsen und seiner Erziehung von seinem Großvater Johannes Gerlitzen – einem Wurmforscher und einem der wenigen, der es geschafft hat, das Dorf Richtung Hauptstadt zu verlassen – geprägt. Johannes Gerlitzen bemüht sich darum, seinen Enkel zu einem Nachwuchsforscher auszubilden, damit es ihm erspart bleibt, mit den anderen “doofen St.-Petri-Kindern” zu spielen. Auch Johannes hat sich zum Ziel gesetzt, sein Heimatdorf zu verlassen und aus den starren Ritualen und Mustern auszubrechen, sie hinter sich zu lassen. Sein Umzug in die Stadt zum Studium ist schon fest eingeplant. Doch dann fällt Johannes – der Musterschüler und einer der wenigen in St. Peter am Anger, der Hochsprache spricht und eine Klosterschule außerhalb des Dorfes besucht – durch die Abitursprüfung.

Dieses überraschende Scheitern ist für Johannes ein tiefer Einschnitt, eine Wende im Leben. Statt zum Studium in die Stadt zu ziehen, bleibt er den Sommer über in seinem Kinderzimmer in St. Peter am Anger. Lange hat sich Johannes geweigert, am Dorfleben teilzunehmen, jetzt muss er sich gezwungenermaßen mit seinem Heimatdorf und dessen Bevölkerung auseinandersetzen. In Anlehnung an seinen Lieblingsschriftsteller Herodot, beginnt er damit, die Chronik seines Dorfes zu verfassen. Schnell merkt Johannes, dass man so eine Chronik nicht schreiben kann, wenn man lediglich beobachtet – Johannes beginnt damit, am Dorfleben zu partizipieren, ein Teil von dem zu werden, über das er schreiben möchte.

“[…] schließlich musste er verstehen, dass es auf dieser Welt Dinge gibt, die nicht beschrieben werden wollen. Dinge, die man miteinander erlebt und erinnert, die passieren und etwas verändern.”

Mit dem Entschluss, eine Dorfchronik zu schreiben, ist Johannes der Auslöser eines der größten Ereignisse in der Geschichte von St. Peter am Anger …

Doch das ist längst nicht alles in diesem sprudelnden Debüt, daneben spielt auch ein 14,8 Meter langer Fischbandwurm eine wichtige Rolle, genauso wie der griechischliebende Diagamma-Klub, eine selbstgebaute Seifenkiste, ein talentierter Dorffußballer und seine schwangere Angebetete und der Ältestenrat, der darum bemüht ist, jegliche Innovationen zu boykottieren.

Der Roman setzt sich aus zwei Ebenen zusammen: er besteht zum einen aus den Aufzeichnungen von Johannes, die – immer in kursiver Schrift gesetzt – in Form von vier Notizbüchern eine Dorfchronik über das Volk der “Bergbarbaren” in St. Peter am Anger darstellen und damit parallel zum Hauptstrang fast eine kleine Nebengeschichte erzählen. Zum anderen wird die Geschichte der Familie Gerlitzen erzählt. Beginnend im Jahr 1959 wird die Ehe zwischen Johannes und Elisabeth Gerlitzen geschildert, die Geburt der gemeinsamen Tochter Ilse, Johannes Wunsch aus St. Peter am Anger wegzugehen, um Arzt zu werden und wie Ilse schließlich Alois Irrwein heiratet und den gemeinsamen Sohn Johannes zur Welt bringt. Die Geschichte reicht – mit Johannes misslungener Abitursprüfung – bis in die aktuelle Zeit hinein – “bei der Geschichte beginnend bis zur Gegenwart”.

Bei der Fülle an Neuerscheinungen heutzutage ist es immer schwieriger geworden, Literaturperlen zu entdecken, denn das Feuilleton schmeißt mittlerweile immer schneller mit Superlativen um sich und die Halbwertszeit wird gleichzeitig immer kürzer. Mit “Blasmusikpop” habe ich das Gefühl, dass mir jedoch genau das passiert ist: ich habe einen großartigen Roman, eine Literaturperle, entdeckt und ich würde diese Entdeckung gerne jedem entgegenschreien. Das Außergewöhnliche an “Blasmusikpop” ist sicherlich, dass es konträr zu vielen Modeerscheinungen  heutzutage geschrieben ist: Johannes kommuniziert nicht über Facebook, sondern beschäftigt sich lieber mit den alten Griechen. Die Sprache des Romans habe ich als sprudelnd empfunden, an vielen Stellen auch als humorvoll und unterhaltsam, doch gleichzeitig auch wieder berührend. So wie die Geschichte, hat auch die Sprache viele Ebenen und Facetten. Vea Kaiser gelingt es einen außergewöhnlichen, doch sehr eingängigen Ton zu treffen.

“Blasmusikpop” ist vieles: eine Familiengeschichte, eine Historie der Gegenwart, ein Coming-To-Age-Roman, aber eben auch ein Dorfroman. Die Hinwendung zum Dörflichen ist nichts Neues in der deutschen Literatur: Jan Brandt hat es in seinem großartigen Roman “Gegen die Welt” bereits vorgemacht, auch bei Stephanie Gleißners “Einen solchen Himmel im Kopf” steht ein Dorf im Zentrum. In allen genannten Romanen geht es gleichzeitig auch immer um eingefahrene Rituale, um eine Gemeinschaft, die als starr empfunden wird, um jemanden, der nicht dazu gehört, sich nicht eingliedern kann oder möchte. Bei “Blasmusikpop” steht der Gegensatz zwischen Dorf und Stadt im Mittelpunkt: Johannes entwickelt schon sehr früh den Wunsch, sein Heimatdorf zu verlassen. Er grenzt sich ab, indem er sich weigert, den heimischen Dialekt zu sprechen, er schämt sich für die anderen Bewohner seines Dorfes.

“Seit er an der Klosterschule angenommen worden war, hatte er jeden Kontakt zu den Dorfbewohnern abgebrochen. Er hielt sich von den Festen fern, hörte seinen Eltern nicht zu, wenn diese über das Dorf sprachen, und verbrachte so viel Zeit wie möglich in Lenk. Anders als in St. Peter fühlte er sich dort akzeptiert und nicht mit Stielaugen beobachtet, wenn er in der Öffentlichkeit ein Buch las oder beim Spazieren Vokabeln lernte. Johannes wollte sich so weit wie möglich vom Dorf distanzieren, denn er hatte Angst, dass er es sonst nie schaffen würde, seine Träume zu verwirklichen, Forscher zu werden und hinaus in die große Welt zu gehen […].”

Versuche seiner Eltern, Johannes in die Dorfgemeinschaft einzugliedern – durch die Teilnahme am örtlichen Fußballtraining oder einem gemeinsamen Ausflug mit den anderen Kindern – enden immer wieder schon beinahe traumatisch für ihn. Johannes grenzt sich ab von der Engstirnigkeit und Starrigkeit seines Dorfes und seiner Bewohner und die Bewertung seines Verhaltens ist auch immer wieder eine Gratwanderung zwischen Individualismus und Arroganz oder auch Überheblichkeit.

Vea Kaiser ist mit “Blasmusikpop” ein fantastischer Debütroman gelungen. “Blasmusikpop” sprudelt über vor Ideen und absurden Einfällen und Vea Kaiser gelingt es, all dies in eine erstaunlich lesbare Form zu bringen. Ein großartiger Roman, dem ich viele Leser wünsche!

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