Vom 29. Mai bis zum 1. Juni fand in Hildesheim das Literaturfestival PROSANOVA statt. Veranstaltungsort war eine leerstehende Hauptschule, aus der im nächsten Jahr eine Grundschule werden soll. Sinnvoll genutzt wurde sie in der Zwischenzeit von Schreibschülern und Schreibschülerinnen der Universität Hildesheim, die in Eigenregie dieses (sicherlich) einzigartige Lesefestival auf die Beine gestellt haben. Organisatorische Hürden, in Form von Wartezeiten und längeren Schlangen, ließen sich dabei nicht vermeiden, konnten aber verschmerzt werden. Ausgerichtet wurde das Festival unter dem Motto Bekenntnisse, ein passendes Motto, denn die vier Tage kamen einem Bekenntnis zur Kraft und Schönheit der Literatur gleich.
An den vier Festivaltagen lasen über 100 Autoren. Die Veranstalter haben es sich dabei zum Ziel gesetzt, die Lesung, die häufig zu einem etwas eingestaubten sekundären Ereignis verkommt, durch experimentelle und ungewöhnliche Formateneu zu definieren. Zwei szenische Lesungen führten die Zuschauer in die Turnhalle, auch wenn sich der Sinn der Performance im Zusammenhang mit dem Text, nicht immer erschließen wollte.
Bei der wahnwitzigen Rotten Kinck Schow wurde das Publikum von Ann Cotten, Monika Rinck und Sabine Scho nicht nur mit Globolikügelchen bespuckt, sondern es flog auch Pizzabelag und das ein oder andere ging sogar kaputt. Sehenswert war auch der absurde und hochkomische Powerpointvortrag von Wolfram Lotz, der gekonnt über die somalische Piraterie referierte. Durch die experimentellen Formate zeigte auch der ein oder andere Literat mal ganz neue Seiten von sich. Von Clemens Meyer, bei dem man befürchten musste, er würde bis in den Morgengrauen monologisieren, erfuhr man, dass er einmal eine Maus in seinem Bett vorfand, leidenschaftlich gerne Roulette spielt und ein Fan von Chuck Norris ist. Sein Stallgespräch endete mit einem Aufruf zur Gewalt. Darüber hinaus gab es jedoch auch Debatten ernsthafterer Natur, zum Beispiel das sehr interessanter Kritikergespräch zwischen Florian Kessler, Ina Hartwig und Georg Diez.
PROSANOVA gehört für mich zu den Phänomenen, die man selbst erlebt haben muss. Zu den Phänomenen, die sich für Menschen, die nicht dabei gewesen sind, nur schwer beschreiben lassen. Als Literaturfestival lebt es natürlich vor allen Dingen von der Literatur, darüber hinaus hat es aber auch eine ganz besondere literarische Atmosphäre. Ich habe mich ein wenig gefühlt wie auf Klassenfahrt, überall traf ich auf Menschen, die eine ähnliche Begeisterung, Liebe, Obsession für Literatur haben, wie ich. Plötzlich habe ich mich nicht mehr wie ein seltsamer Literatur-Nerd gefühlt, sondern wie ein Teil eines Ganzen – aufgehoben, angekommen. Vielleicht war dieses Gefühl mein wahres PROSANOVA-Highlight, darüber hinaus haben mich aber auch die folgenden drei Veranstaltungen begeistert:
1. Vor dem Fest, Lesung und Gespräch mit Saša Stanišić und Jörn Dege
Die Lesung von Saša Stanišić war die Veranstaltung, die einer klassischen Lesung wohl am nächsten kam. Es war eine Mischung aus Lesung und Gespräch, bei dem man viel erfahren konnte über die Entstehungsgeschichte des Romans und die Recherchereise des Autors in die Uckermark. Souverän moderiert wurde das Gespräch von Jörn Dege. Wenn ich das Buch noch nicht besitzen würde, hätte ich es mir anschließend sofort gekauft.
2. Auf Inseln
Das Lesungsformat Auf Inseln lud dazu ein, acht Autoren und Autorinnen auf ihren jeweiligen Inseln, oder besser: Sofagruppen, zu entdecken. Die Lesungen wurden mit einem Gongschlag eingeläutet und wieder beendet. Dem Zuhörer blieb es überlassen, wen er besuchen wollte, wem er zuhören wollte, wie lange er auf einer Insel verweilen und wann er wieder weiterziehen wollte. Ein experimentelles Format, das für mein Empfinden jedoch wunderbar funktioniert hat.
3. #brandtlendlereich / Social Reading
Das Prinzip der Veranstaltung mag auf den ersten Blick kompliziert klingen, es war jedoch denkbar einfach und unfassbar unterhaltsam: Jo Lendle, Jan Brandt und Annika Reich haben unveröffentlichte Texte von sich selbst online gestellt und gegenseitig korrigiert und kommentiert – ohne die Kommentare der anderen zu kennen. Die Texte und Kommentare wurden an diesem Abend vorgelesen, was mitunter hochkomisch war und für heitere Ausgelassenheit im Publikum sorgte. Abseits aller Humorigkeit deutet Social Reading, das Stichwort der Veranstaltung, aber auch darauf hin, dass das Schreiben vielleicht schon längst nicht mehr die Tätigkeit eines Eremiten ist, sondern langsam zu einer sozialen Gemeinschaftstätigkeit werden kann. Sinnbildlich stehen dafür Adler & Söhne, die auch in Hildesheim zu Gast waren: eine Bürogemeinschaft von Schriftstellern und Lektoren, die gemeinsam ein Büro mieten, um einen geregelten Arbeitsalltag zu simulieren.
Mein abschließendes Fazit für dieses viertägige Literaturfest, fällt beinahe uneingeschränkt begeistert aus. Natürlich gab es auch Veranstaltungen, die mich nicht erreicht haben und Lesungen, die sich mir nicht erschlossen haben. Alles in allem wird dies jedoch von den vielen schönen und interessanten Lesungen aufgewogen. Darüber hinaus habe ich vier Tage lang eine wunderbare Atmosphäre und Stimmung aufgesaugt, die ich nun am liebsten um mich herum verteilen und weitergeben würde – vielleicht gelingt mir das ja ein wenig durch meinen Bericht.
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