Die edition fünf ist ein ganz besonderer Buchverlag: seit dem Jahr 2010 veröffentlicht der Verlag jedes Jahr fünf Bücher, dabei handelt es sich ausschließlich um Bücher, die von Frauen geschrieben wurden. Ein besonderes Augenmerk legt der Verlag dabei auf vergessene Bücher, auf zu wenig beachtete literarische Schätze und auf Bücher, die unbedingt zurück in die Regale der Buchläden gehören. Ich habe aus dem Verlagsprogramm bereits Alice Pungs Roman “Ungeschliffener Diamant” entdeckt, sowie “Café Saratoga” von Marlin Schwerdtfeger. Die edition fünf ist ein Verlag, der Herzensbücher veröffentlicht und damit auch ein Verlag, der mir am Herzen liegt – ich freue mich deshalb, dass ich mit Karen Nölle, der Herausgeberin, ein Gespräch führen konnte.
Die edition fünf ist ein Verlag, der von zwei Gründerinnen getragen wird. Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Die Idee zu dem Verlag kam von Silke Weniger, die als Literaturagentin in Gräfelfing bei München tätig ist. Wir kennen uns schon lange, nicht nur, aber auch von den Bücherfrauen und von meinen Text-Seminaren auf Sylt, aus denen die Sommerakademie der Bücherfrauen hervorgegangen ist. Wir führten seit Jahren ein Gespräch über Literatur von Frauen, ihre Bedeutung für uns, die Geschichte weiblichen Schreibens, unsere Freude daran, „durch unsere Mütter zu denken“, wie Virginia Woolf das einmal genannt hat. Wir hatten eine ganze Reihe gemeinsamer Lieblingstitel, von denen viele hierzulande vergriffen waren, irgendwo ohne die gebührende Aufmerksamkeit dahindümpelten oder gar nicht erst in Deutschland erschienen waren. Und eines Tages Anfang 2009 lud Silke Weniger mich ein, doch mit ihr zu überlegen, ob nicht aus unserem Gefühl „Da fehlt doch was“ ein Verlagsprogramm zu stricken sei. Wir gingen auf die Suche, wurden fündig, konnten uns vor Ideen, was wir alles bringen könnten, kaum retten, und wagten die Realisierung.
Wir „machen“ den Verlag zu fünft: Silke Weniger als die Verlegerin, ich als Programmverantwortliche, Sophia Jungmann als Lektorin und, ganz wichtig, Kathleen Bernsdorf als Gestalterin sowie Antje Flemming als Pressefrau.
Der Verlag hebt sich aus vielerlei Gründen von vielen anderen Verlagen ab. Einer ist sicherlich die Zahl fünf – warum habt ihr euch dazu entschieden, jedes Jahr nur fünf Bücher zu veröffentlichen?
Uns schwebte von vornherein ein Verlag vor, der sich von der Hektik des Marktes, wie sie im Augenblick herrscht, möglichst freihält. Wir wollen „slow books“ machen, die langsam und sorgfältig entstehen und die nicht nach 90 Tagen wieder aus dem Handel verschwinden. Fünf wurden es, weil die Anzahl es uns schon ermöglicht, die Vielfalt weiblichen Schreibens zu zelebrieren. Eine Handvoll Bücher im Jahr erschien uns rund und machbar.
Gibt es Kriterien für die Auswahl der fünf Bücher?
Ja – sie müssen von Autorinnen geschrieben sein, aus Deutschland und aller Welt. Und wir suchen sie danach aus, dass sie besondere Aspekte weiblichen Erzählens beleuchten. Jedes Jahresprogramm bekommt nämlich ein Motto, das eine mögliche Lesart herausstellt, und wir arbeiten dann darauf hin, dass die Bücher auf interessante Weise miteinander verwandt und doch ganz unterschiedlich sind.
Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Wir bringen immer ein junges Buch – ein Debüt, das Buch einer jungen Autorin oder ein Buch über junge Heldinnen. Dabei kann das Debüt auch mal hundert Jahre alt sein. Dann machen wir immer ein Buch mit kurzen Texten, weil so viele Frauen die kurze Form wählen – sie ist ökonomisch, kann sehr innovativ sein und erlaubt viele Freiheiten, da gibt es wahnsinnig interessante Sachen. Wir graben immer einen Schmöker aus – ein Buch fürs Wochenende, für die Reise, die leichte Form für unsere manchmal auch sehr ernsten Themen; und zu guter Letzt jedes Jahr eine Klassikerin und eine Biografin, die über das Leben oder das Schreiben, oder beides zusammen, reflektiert. Alle Bücher können von heute oder von vorgestern sein.
In diesem Jahr heißt unser Motto „Alleingänge“. Nachdem wir letztes Jahr das Thema „Verstrickungen“ hatten, mit dem wir die Komplikationen der Liebe ausgekostet haben, konzentrieren wir uns diesmal auf eher einsame Entscheidungen …
An anderer Stelle wurdet ihr als „Archäologinnen, die nach Büchern graben“ bezeichnet. Wie kann ich mir eure Arbeit vorstellen? Wo grabt ihr nach Büchern, wo findet ihr Bücher?
Wir graben in unseren Bücherschränken, im Netz natürlich, aber viel auch in Gesprächen mit anderen Vielleserinnen und Viellesern. Es gibt so viele Bücher, die Gemüter bewegen, ohne dass sie es in den Mainstream schaffen. So bewegen wir uns viel in Nischen – suchen in der Exilliteratur, in der Protestliteratur vergangener Generationen, ein Name führt zum nächsten. Ich bin z. B. zwischendurch immer wieder dabei, frühere Nobelpreisträgerinnen zu lesen. Toll, was da zu finden ist – und wie schade, dass vieles gar nicht mehr zu haben ist.
Ich finde die Vorstellung, dass es wahrscheinlich unendliche viele lesenswerte Bücher gibt, die aus dem einen oder anderen Grund aber aus den Regalen der Buchhandlungen verschwinden, traurig. Warum glaubt ihr, laufen manche Bücher Gefahr, trotz ihrer Qualität vergessen zu werden?
Qualität ist nicht gleich Verkäuflichkeit. Viele sehr gute Bücher haben nicht das Glück, mit einem großen Preis oder kritischer Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Über die Hälfte der Neuerscheinungen – und seien sie noch so gut – verkaufen sich unter 4000 Mal. Mit ihnen lohnt sich das Geschäft nicht recht. Und so verschwinden sie bald aus den Geschäften und den Programmen und dem Gedächtnis. Es rücken ja laufend so viele neue Bücher nach.
Eine zweite Besonderheit eures Verlags ist die Tatsache, dass ihr nur Bücher von Autorinnen veröffentlicht. Was sind die Gründe für diese Entscheidung?
Ein kleiner Verlag braucht einen Fokus – etwas, das ihm wichtig ist und auf das er sich konzentriert. Ohne unsere Idee, unser besonderes Interesse an den Geschichten, die Frauen zu erzählen haben – in der Vergangenheit und jetzt, in anderen Ländern und hier bei uns – hätten wir vermutlich keinen Verlag gegründet. Wir alle bei der edition fünf können uns dafür begeistern, welche Sicht Frauen auf die Geschicke der Welt haben, was für Geschichten sie entwerfen, was für Gefühle und Gedanken aus ihren Figuren sprechen. Es gefällt uns, ihre Geschichten in der Welt zu wissen. Sie regen uns an, auch die eigenen Lebens- und Denkentwürfe in den Blick zu nehmen. Wir lassen uns gern von weiblichen Fragenstellungen zum Denken anregen. Und wir genießen Bücher, die unser Erleben berühren, auch wenn die Autorinnen ganz anders denken als wir.
Ihr seid fünf Frauen und veröffentlicht Bücher von Frauen. Werdet ihr bei eurer Arbeit häufig mit Klischees konfrontiert oder in Schubladen gesteckt?
Ja, klar. Aber wir sind gar nicht so. Wir lesen durchaus auch männliche Autoren, nehmen den Mainstream wahr, genießen die Tatsache, dass die Welt voller Gegensätze ist. Mit unserem Verlag verfolgen wir lediglich – ach, was – verfolgen wir leidenschaftlich, worum es Frauen beim Schreiben geht. Und für uns ist das ein zentrales Interesse, dem wir uns gern mit viel Arbeit widmen. Manchmal hören wir auch, dass unsere Bücher mit ihrem roten Leinen und ihrer illustrierten Banderole zu „lieblich“ aussehen. Wir aber – und sehr viele unserer Leserinnen auch – finden sie schön und finden, dass die Texte ein besonders aufwändiges Gewand verdienen.
Glaubt ihr, dass das Schicksal, vergessen zu werden und zu verschwinden, ein Schicksal sein kann, dass vor allen Dingen auch Bücher von weiblichen Autorinnen betrifft?
Es ist einerseits schon länger für Frauen einfacher, Bücher zu schreiben als andere Künste zu betreiben. Dafür brauchen sie nur Stift und Papier, keine langwierige Ausbildung wie zu Kunst oder Musik. Deswegen gibt es schon lange schreibende Frauen. Aber guck dir mal an, wie viele Namen aus dem 19. Jahrhundert es in die Literaturgeschichte geschafft haben. Die anderen muss man mühselig wieder ausgraben. Im Englischen hießen Schriftstellerinnen lange „scribbling women“ – klingt nicht sehr genial, oder? Achtung für das von Frauen Geschaffene ist in unserer Gesellschaft nicht leicht zu bekommen. Vielleicht ist es inzwischen ein bisschen leichter geworden – aber noch sinkt regelmäßig die Achtung für einst hochangesehene Berufe, sobald eine Vielzahl von Frauen sie ergreift (und das Gehalt gleich mit). Jedenfalls aber gibt es für Frauen vielfältige Weisen zu verschwinden – und manche werden erst gar nicht richtig grell sichtbar, ehe sie mit dem Hintergrund verschmelzen.
Obwohl ich das Gefühl habe, dass mehr Frauen lesen, werden Literaturpreise häufig von Männern dominiert, während die Frauen an einer Hand abgezählt werden können. Ist euer Projekt auch ein Versuch, Frauen sichtbarer zu machen und glaubt ihr, dass dies gelingen kann?
Wer mehr liest, ist wohl offen – jedenfalls kaufen viel mehr Frauen Bücher als Männer -, aber Frauen wie Männer scheinen das Gefühl zu haben, wenn sie einen Mann auszeichnen, preisen sie mit größerer Wahrscheinlichkeit das Richtige. Mitte des 20. Jahrhunderts war das Verhältnis 1:12 – eine Frau bekam einen Literaturpreis, wenn 12 Männer einen bekamen; eine Frau wurde von der Kritik erwähnt, wenn 12 Männer rezensiert wurden; eine Frau bekam einen Platz in einer Anthologie, wenn – ratet mal … Inzwischen ist das Verhältnis oft eins zu vier oder gar eins zu drei, manchmal dann doch wieder bloß drei zu fünfzehn, und am Ende haben drei Männer die Preise.
Ob wir Frauen sichtbarer machen wollen – ich weiß nicht, das klingt so therapeutisch. Wir wollen ihr Schreiben zelebrieren und exponieren, wir wollen sie ins Gespräch bringen, wir wollen sie miteinander ins Gespräch bringen, darüber, was sie lesen und schreiben wollen. Wir wollen, dass auch andere sich für das begeistern, was wir so interessant finden.
Frauenliteratur ist heutzutage häufig ein schwieriger Begriff – in den Buchläden finden sich am Tisch mit Frauenliteratur häufig seichte Kitschromane. Wie würdest du den Begriff definieren?
Frauenliteratur – der Begriff dient oft dazu, Frauen in eine Ecke zu stellen. Eine, in der es langweilig zugeht und ein bisschen dumm. Würde das mit Männerliteratur genauso gehen? Oder hat das, was Männer lesen, mehr Qualität? Erkennen kann ich das nicht. Ich habe diese Kategorisierung satt. Ist es doofer, Liebesromane zu lesen, als Thriller und Finanzratgeber? Viele Frauen lesen alles drei. Oder müsste der Tisch mit Männerliteratur leer sein, weil das Leseverhalten der Männer den Durchschnitt der gelesenen Bücher im Jahr so unnachgiebig in die Tiefe drückt?
Ihr befindet euch mittlerweile in eurem fünften Verlagsjahr. Wie fällt das Resümee bisher aus?
Das Verlegen macht Spaß, und das Echo zeigt, nicht nur wir finden, dass an unseren Büchern etwas dran ist. Wir freuen uns, dass so viele unserer Bücher positive Besprechungen bekommen – und dass wir immer wieder gefragt werden: Wo findet ihr diese tollen Bücher? Das kann doch nicht sein, dass sie ohne euch nicht zu haben wären! Neulich schrieb eine Leserin, sie habe nun schon acht unserer Bücher, und sie seien alle super – welches würde ich als nächstes empfehlen. Solche Kundinnen wünschen wir uns mehr und mehr.
Ihr veröffentlicht nur Lieblingsbücher, gibt es denn unter den bisher veröffentlichten Büchern ein besonderes Herzensbuch?
Oje – ich liebe sie fast alle sehr! Als Übersetzerin aus dem Englischen kenne ich mich natürlich am besten in der englischsprachigen Literatur aus, deswegen kommen meine absoluten Lieblingsbücher, Bücher, die ich schon Jahrzehnte liebe, aus Großbritannien und USA. Bei uns in der edition fünf sind mindestens vier meiner besonderen Herzensbücher erschienen. Übers Schreiben: Vom Wagnis, die Welt in Worte zu fassen von Eudora Welty. Einer der intensivsten Liebesroman überhaupt: Vor ihren Augen sahen sie Gott von der schwarzen Amerikanerin Zora Neale Hurston. Ein sagenhaft guter Roman über Einsamkeit und Anderssein: Haus ohne Halt von Marilynne Robinson. Ein sehr witziges warmherziges Buch über die Komplikationen moderner Familienbeziehungen: Jonglieren von Barbara Trapido. – Tut mir leid, weniger kann ich wirklich nicht nennen 🙂
Die Fünf von der fünf …
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