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Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht – Andrea Petković

Andrea Petković hat mit Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt, das mich auch sprachlich begeistert hat. Eine große Leseempfehlung, nicht nur für Tennis-Fans!

Geschichtenerzählen war immer Teil unserer Familie und unserer Identität. Wenn meine Mutter meinen Vater abends beim Essen nach seinem Tag fragte, hörte sich jeder einzelne an wie ein Abenteuer.

Als ich das Buch von Andrea Petković zum ersten Mal in der Hand hatte, war ich mir im ersten Moment unsicher, ob ich wirklich ein Buch über Tennis lesen möchte. Aber dann hat mich der poetische Titel davon überzeugt, es doch zu versuchen – und das habe ich nicht bereut!

Andrea Petković hat ein Buch geschrieben, das aus insgesamt 18 Erzählungen besteht. In den Erzählungen geht es natürlich um Tennis: sie schreibt über ihre größten Siege und schmerzhaftesten Niederlagen, erzählt von langwierigen Verletzungen und kraftraubenden Rehas und erklärt den Leser*innen die wichtigsten Tennisturniere oder was es bedeutet einen Tennisball im Steigen zu nehmen. Sie schreibt auch sehr eindrücklich über den Ehrgeiz und Durchhaltewillen, den es braucht, um eine Profisportlerin zu werden. Sie ist mit einem Vater aufgewachsen, der gleichzeitig ihr Trainer gewesen ist – dem Wunsch, professionell Tennis spielen zu können, hat sie vieles geopfert. Das ungewöhnliche an dem Buch von Andrea Petković ist, dass es oft um deutlich mehr als nur um Tennis geht: es geht ihr nicht darum, lückenlos von ihrer Karriere zu erzählen, stattdessen nimmt sie das Tennis oft als Aufhänger dafür, sich mit den großen Themen des Lebens zu beschäftigen.

Alles, was ich über das Leben weiß, ist, dass es wie der Ozean ist. Man sieht nur die Oberfläche und versteht es nicht. Und wenn die Wellen kommen, sollte man sein Surfbrett dabeihaben (und surfen können). Die Kunst dabei ist, es immer wieder auf Neue zu versuchen: trunken hinten rauszukommen aus den Wellen, mit abstehenden Haaren und irrem Blick – und beim nächsten Mal wieder erhobenen Hauptes hineinzurennen.

Es geht in den Erzählungen von Andrea Petković um die Frage, was Glück und was Unglück ist, um familiären Zusammenhalt, Freundschaften, die Liebe und das Spannungsfeld von Heimat und Herkunft. Viel Raum nimmt auch die Literatur ein. Andrea Petković ist eine begeisterte Leserin, herzlich lachen musste ich über den Abschnitt, in dem sie davon erzählt, wie sie nach Frankfurt gefahren ist, um dort eine Lesung von Jonathan Franzen zu besuchen. Er ist einer ihrer Lieblingsautoren, genauso wie David Foster Wallace und Philip Roth. Erst als eine befreundete Feministin sie darauf hinweist, dass sie fast ausschleßlich Bücher von Männern liest, fängt sie damit an, auch Bücher von Frauen zu entdecken. Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht ist auch eine Erzählung ihrer eigenen Leserinnenbiographie und ein Plädoyer für die Kraft, die Literatur besitzen kann.

In dem kurzen Vorwort weist Andrea Petković  darauf hin, dass sie sich hier und da auch künstlerische Freiheiten erlaubt hat – nicht alles in den Erzählungen ist ein Abziehbild ihres echten Lebens. Dennoch scheut sie sich nicht davor, auch so offen wie möglich von den dunklen Momenten zu erzählen.

Als dann nach einem Match in China die Heulkrämpfe einsetzten, war ich fast froh. Damit konnte ich wenigstens arbeiten. Ich interpretierte sie nicht als Resignation, sondern als Aufbäumen gegen die Leere. Ich begann nachzuforschen, was eigentlich mit mir passierte. Ich schaute Filme, las Coming-of-Age-Bücher, suchte nach Interviews, die von Krisen handelten, von Depressionen, vom Erwachsenwerden. Ich begriff, dass meine Zeit als Tennisspielerin sich langsam dem Ende neigte – und ich nichts anderes kannte außer Ehrgeiz, Willen und Härte.

Am meisten beeindruckt hat mich jedoch, wie viel sprachliche Kraft dieses Debütwerk hat. An vielen Stellen blitzt Humor und Sprachwitz auf, ich habe sehr oft geschmunzelt und manchmal herzhaft gelacht. Viele Stellen haben mich auch sehr nachdenklich gemacht, besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ein Abschnitt, in dem Andrea Petković darüber schreibt, wie es ihr damit ging, zum ersten Mal verächtliche YouTube-Kommentare unter einem Match von ihr zu lesen (“Selbstmord am eigenen Selbstbewusstsei”.), Sie findet viele schöne Bilder, viele Sätze und Formulierungen habe ich mir begeistert angestrichen.

Für mich ist Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht eines der Highlights in diesem Leseherbst: Andrea Petković ist ein Buch gelungen, das gleichsam kraftvoll, lebensbejahend und humorvoll ist – ich habe es sehr gerne gelesen und hoffe, dass die Tennisspielerin in Zukunft nicht nur weiter Tennis spielen wird, sondern auch weiter schreiben wird!

Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2020. 265 Seiten, €20.

Unziemliches Verhalten. Wie ich Feministin wurde – Rebecca Solnit

Was für eine inspirierende Lektüre! In ihrem neuen Essay Unziemliches Verhalten erzählt Rebecca Solnit auf beeindruckende Art und Weise davon, wie sie zu ihrer eigenen Stimme gefunden hat – und davon, wie sie eine Feministin wurde. Entstanden ist dabei nicht nur ein persönlicher Text, sondern ein Text, der unsere gesamte Gesellschaft im Blick hat.

Ich war sowohl die Person, die verschwand, als  auch die entkörperlichte Person, die sie aus der Ferne betrachtete, und zugleich war ich keine von beiden. Ich versuchte damals, sowohl unbemerkt zu bleiben als auch wahrgenommen zu werden, wollte sowohl Sicherheit als auch Sichtbarkeit, und diese Bestrebungen kamen einander oft in die Quere.

Weltweit bekannt wurde Rebecca Solnit durch ihren Essay Wenn Männer mir die Welt erklären, den sie im Jahr 2014 veröffentlichte. Sie beschreibt darin das Phänomen der männlichen Besserwisserei und Rechthaberei, vor allem auch Frauen gegenüber, die eigentlich deutlich mehr Expertise haben. Es gibt ein paar berühmte und oft erzählte Beispiele: peinliche Situationen, in denen Männern Autorinnen ihre eigenen Bücher oder ihre eigene wissenschaftliche Arbeit erklären wollen – für dieses Phänomen hat sich der Begriff mansplaining etabliert.

In Unziemliches Verhalten blickt Rebecca Solnit zurück und fragt sich, welche Ereignisse sie eigentlich zu einer Feministin machten und welche Ereignisse sie so wütend werden ließen. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht ein Schreibtisch, den sie vor vielen Jahren von einer Freundin geschenkt bekam. Etwa ein Jahr, bevor sie ihr den Schreibtisch schenkte, wurde die Freundin von ihrem Ex-Freund angegriffen und mit fünfzehn Messerstichen schwer verletzt. Der Ex-Freund wollte sie dafür bestraffen, dass sie ihn verlassen hatte, aber sie überlebte den Angriff. Der Schreibtisch, den sie Rebecca Solnit schenkte, ist für diese die tägliche Erinnerung daran, dass ein Mann aus dem Gefühl einer persönlichen Kränkung heraus das Leben einer Frau auslöschen wollte.

Doch der Schreibtisch, an dem ich sitze, wurde mir von einer Frau geschenkt, die ein Mann zu ermorden versucht hatte, und es scheint mir an der Zeit zu berichten, was es für mich bedeutete, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, in der viele Leute Menschen wie mich lieber tot oder stumm gesehen hätten; zu berichten, wie ich zu einer Stimme fand und wie schließlich der Moment kam, wo ich diese Stimme zu benutzen begann – eine Stimme, die dann am wortgewaltigsten war, wenn ich allein am Schreibtisch saß und stumm mittels meiner Finger sprach -, um zu versuchen, die bislang verschwiegenen Geschichten zu erzählen. 

Rebecca Solnit erzählt von ihrem mühevollen Versuch, sich von den frauenfeindlichen Vorstellungen der Gesellschaft zu befreien, aber auch von denen ihrer eigenen Familie. In welche Welt wirst du hineingeboren? Welche Erwartungen werden an dich herangelegt? Welche Rolle wird dir zugetraut? Rebecca Solnit erlebt als junge Frau oft Übergriffigkeiten, mitunter auch Gewalt. Sie macht die Erfahrung, dass männliche Freunde, Kollegen, Vorgesetzte oder auch Verleger, sie oft einfach nicht ernst nehmen. Einem ihrer Verleger begegnet sie auf einer Feier, doch während er mit ihren männlichen Autorenkollegen spricht und scherzt, ignoriert er Rebecca Solnit.

Doch männliche Gewalt erlebt Rebecca Solnit nicht nur in ihrem eigenen Leben, sondern auch in endlos vielen Filmen, Büchern und Songs. Die Ermordung von Frauen ist ein völlig normalisierter Bestandteil vieler Geschichten, die heutzutage rauf und runter erzählt werden. Was macht das mit Frauen, wenn sie sich auf einer Leinwand oder in einem Buch selbst immer wieder als Opfer von männlicher Gewalt sehen müssen?

In Comics war der gewaltsame Tod einer Frau in einer Geschichte, die sich um einen Mann drehte, als Motiv so verbreitet, dass Frauen einen eigenen Begriff dafür prägten, nämlich fridging (etwa: kühlschranken), nach der 1999 erstellten Website Women in Refrigerators, Frauen in Kühlschränken, die dokumentiert, dass eine Unmenge weiblicher Comicfiguren ein grässliches Ende findet. In der Welt der Videogamer wurde jungen Frauen, die Kritik an der Frauenfeindlichkeit in diesen Spielen äußerten, über Jahre hinweg mit Vergewaltigung oder Mord gedroht, und ihre Adressen wurden im Netz veröffentlicht.

Rebecca Solnit ist eine beeindruckende Schriftstellerin, der es gelingt, ihre Leser*innen mit in ihre Gedankenwelt zu nehmen: besonders eindrücklich fand ich die Schilderungen ihrer Vergangenheit und die Art und Weise, wie sie ihre ersten vorsichtigen Schritte als erwachsene Frau gegangen ist – immer verbunden mit der Frage: Wo bin ich willkommen? Wo darf ich sein? Wie viel Raum gibt es für mich?

Ich mag Memoirs, ich mag persönliche Essays, ich mag es, wenn Autor*innen sich Platz und Raum nehmen, um über persönliche oder gesellschaftliche Themen nachzudenken. Was ich besonders schön an den Gedankengängen von Rebecca Solnit finde, ist die Tatsache, dass sie sich immer weiterentwickelt hat – sie hat sich zum Beispiel eine Offenheit gegenüber anderen Lebensrealitäten bewahrt. Rebecca Solnit begeht nicht den Fehler, Feminismus nur in Bezug auf weiße cis Frauen zu denken, sondern bezieht auch schwarze Frauen, queere Frauen oder trans Frauen mit in ihre Überlegungen ein.

Es ist so normal, dass Orte, Plätze, Stellen nach (meist weißen) Männern benannt sind und nicht nach Frauen, dass mir das erst 2015 auffiel, als ich eine Landkarte anfertigte, auf der ich diese Namen in Frauennamen umwandelte und feststellte, dass ich in einem Land aufgewachsen war, in dem Berge, Flüsse, Städte, Brücken, Gebäude, Staaten, Parks die Namen von Männern trugen und fast alle Denkmäler Männer zeigten. Eine Landschaft voller Orte, die nach Frauen benannt waren, und voller Denkmäler, die Frauen zeigten, hätte mich und andere Mädchen womöglich ermutigt. Aber die Namen der Frauen fehlten, und ihr Fehlen war uns nicht einmal bewusst.

Für mich gehört der neue Essay von Rebecca Solnit zu einem meiner Lesehighlights in diesem Jahr: Unziemliches Verhalten ist klug, inspirierend und Mut machend: das Buch macht Mut, in sich hinein zu fühlen und die eigene Stimme zu entdecken und zu erheben. Es ist wichtig, dass so viele Menschen wie möglich ihre Stimmen erheben, um auf Gewalt und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen!

Rebecca Solnit: Unziemliches Verhalten. Wie ich Feministin wurde. Hoffmann und Campe Verlag, München 2020. 270 Seiten, 23€. Eine schöne Rezension findet sich auf dem Blog Nacht und Tag von Nicole Seifert.

Ein Apartment auf dem Uranus – Paul B. Preciado

Ein Apartment auf dem Uranus versammelt die bisher veröffentlichten Kolumnen von Paul B. Preciado – und gewährt dabei einen spannenden und herausfordernden Blick in seine Gedankenwelt: es geht um Geschlechtervorstellungen, es geht um Politik und es geht darum, verstaubte Ansichten in Frage zu stellen. Paul B. Preciado ruft nach einem Paradigmenwechsel – und nach einer politischen Revolution.

“Sie sagen Identität. Wir sagen Vielheit. Sie sagen Krise. Wir sagen Revolution.”

In diesem Buch versammelt sind die Kolumnen, die Paul B. Preciado zwischen März 2013 und Januar 2018 in der französischen Zeitung Libération veröffentlichte. Ergänzt werden die Kolumnen durch ein Vorwort der bekannten französischen Autorin Virginie Despentes und einer Einleitung Preciados – den Abschluss bildet ein längerer Essay, über seine Erkrankung an COVID-19. Er erkrankte Anfang Marz, bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Pandemie.

Beim ersten Blick auf das Buch, bin ich über den seltsam anmutenden Titel gestolpert: ein Apartment auf dem Uranus? Was soll das sein? Der Titel ist zurückzuführen auf das Jahr 1864, damals war es Karl Heinrich Ulrichs, der der “Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt”, einen Namen gab: angelehnt an den griechischen Gott Uranos, bezeichnete er gleichgeschlechtliches Begehren als Uranismus. Das war damals der allererste Versuch, der gleichgeschlechtlichen Liebe einen Namen zu geben – doch der Name verschwand im Laufe der Jahrzehnte aus dem alltäglichen Gebrauch, vielleicht setzte er sich auch niemals so wirklich durch. Trotz all der Zeit, die seitdem verging und den neuen Begriffen, die wir mittlerweile haben, haben wir bis heute noch keine breite Form der Akzeptanz für die gleichgeschlechtliche Liebe. Bis 1975 wurde Homosexualität in den psychiatrischen Handbüchern noch als psychosexuelle Krankheit geführt. Das Apartment auf dem Uranus ist für Paul B. Preciado eine Art gedankliche Utopie – es ist ein Ort der sexuellen und geschlechtlichen Freiheit und eine Art Zufluchtsort für ihn, der sich selbst als Dissident des Geschlecht-Systems bezeichnet.

“Die Demonstranten, die am 13. Januar in Paris gegen die Ehe für alle auf die Straße gegangen sind, haben nicht die Rechte der Kinder verteidigt. Sie treten ein für das Recht, Kinder gemäß der Sexual- und Geschlechternorm als mutmaßliche Hetereosexuelle zu erziehen. Sie marschieren für ihr Recht auf Diskriminierung, Bestrafung und Korrektur jeder Form von Abweichung und Dissidenz. Und sie marschieren, um Eltern nichtheterosexueller Kinder an ihre Pflicht zu erinnern, sich für diese Kinder zu schämen, sie wegzustoßen, sie umzuerziehen. Wir treten ein für das Recht von Kindern, nicht nur als Arbeits- und Fortpflanzungskräfte erzogen zu werden.”

In seinen Kolumnen nimmt er sich ganz unterschiedlichen Themen an, doch im Zentrum stehen seine Gedanken über sein Leben – und Lieben – als trans Mann. Paul B. Preciado befindet sich in einem Übergang, von seiner Partnerin Virginie Despentes trennt er sich im Laufe der Zeit, stattdessen versucht er herauszufinden, wer er ist und wer er sein möchte: er beschreibt sich selbst als jemand, der Mitten auf einer Kreuzung steht – sein Leben ist ein Übergang, von einem Geschlecht in ein anderes, von einem Land in das nächste. Er nimmt erst wenig Testosteron – und behält seinen früheren Namen. Dann steigert er die Dosis – und muss große Anstrengungen unternehmen, um seinen Namen überall ändern zu lassen. Die Gesellschaft ist nicht vorbereitet auf jemanden wie ihn.

Doch Paul B. Preciado bleibt nicht nur bei seiner eigenen Geschichte, sondern spricht auch über größere gesellschaftliche Zusammenhänge: er denkt darüber nach, wie Kinder bereits früh von der Geschlechterpolizei in bestimmte hetereosexuelle Rollen gedrängt werden. Wer nicht heterosexuell ist, fällt aus der Norm – wer nicht cis ist erst recht. Immer wieder kreist er gedanklich um die Frage, welchen Platz er als trans Mann in unserer Gesellschaft zugewiesen bekommt: die Körper von trans Menschen existieren nicht als potentielle Kundenkörper in der Werbung, Körper von trans Menschen sind keine relevante Bezugsgröße in der Stadtplanung und sie existieren auch nicht in den Lehrbüchern der Anatomie. Wer sind wir, wenn wir uns nirgendwo repräsentiert sehen können? Wer sind wir, wenn wir in der öffentlichen Wahrnehmung nicht vorkommen? Oder nur als Abweichung von der Norm?

Die biologischen Vorstellungen und kulturellen Codes, die es erlauben, den menschlichen Körper als weiblich oder männlich zu erkennen und anzuerkennen, gehören einem bestimmten Wahrheitsregime an, dessen normativer Charakter infrage gestellt werden muss.

Die Kolumnen, in denen sich Paul B. Preciado mit dem Thema Geschlecht und Identität beschäftigt, haben für mich eine besondere Intensität – wobei das sicherlich auch gefärbt durch meine eigene Perspektive ist. Er widmet sich aber auch anderen Themen: er schreibt über die spanische, die griechische und die amerikanische Politik – er besucht die Insel Lesbos und denkt über das Handyspiel Candy Crush nach. Ich erfahre von ihm auch, dass die ersten Feministen Männer gewesen sind – 1871 wurden mit diesem Begriff tuberkulöse Männer bezeichnet, die als anormal behandelt wurden, weil sie durch die Erkrankung ihre “männlichen” Attribute verloren.

Für mich waren die Kolumnen oft eine gedankliche Herausforderung, manches davon musste ich mehrmals lesen, um mich darauf einzulassen. Doch ich mag das Denken, die Perspektiven und die Räume, die Preciado für uns öffnet und erschafft. Und ich stimme ihm zu: ich glaube auch, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen. Ich glaube auch, dass es wichtig wäre, bestimmte Geschlechtervorstellungen radikal in Frage zu stellen. An einer Stelle schreibt Paul B. Preciado “Die Revolution beginnt mit der Zerbrechlichkeit”, und diesen Satz habe ich mir sehr dick angestrichen.

Krank sind nicht die Körper, die man intersexuell nennt, krank ist das binäre Geschlechter- und Genderregime. Die einzige Heilung, die wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel.

Für mich war das Lesen dieses Buches ein großer Gewinn und ich wünsche diesen Kolumnen ganz viele Leser*innen, die Lust darauf haben, sich ebenfalls herausfordern zu lassen und über bestimmte Grenzen hinaus zu denken und vielleicht ebenfalls in das Apartment auf dem Uranus einzuziehen.

Gewinnspiel: In Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag habe ich die Möglichkeit, 3 Exemplare des Buches zu verlosen – um am Gewinnspiel teilnehmen zu können, müsst ihr lediglich bis zum 15.06.2020 einen Kommentar schreiben oder eine Mail (an buzzaldrins@buzzaldrins.de) schicken und mir erzählen, warum ihr Lust darauf bekommen habt, dieses Buch zu lesen. Viel Glück & Erfolg!

Paul B. Preciado: Ein Apartment auf dem Uranus. Chroniken eines Übergangs. Aus dem Französischen von Stefan Lorenzer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 360 Seiten, €20.

Vergangene Woche las Paul B. Preciado im HAU, die Lesung wurde aufgezeichnet:

Laufen – Isabel Bogdan

Isabel Bogdan hat mich mit ihrem neuen Roman überrascht, begeistert und sehr berührt. Sie erzählt vom Laufen und davon, wie es ist, nach einem schweren Schicksalsschlag alleine weiterleben zu müssen – Laufen ist ein kluges, mitfühlendes und nie kitschiges Buch.

“Ich kann nicht mehr. Das ist natürlich Quatsch, ich bin gerade erst losgelaufen, aber schon an der Ampel glaube ich, ich kann nicht mehr, nach nicht mal hundert Metern.”

Im Mittelpunkt des neuen Romans von Isabel Bogdan steht eine namenlose Erzählerin die läuft. Ihren Namen erfahren wir nicht, aber wir erfahren, dass sie in Hamburg läuft – einmal durch den Hammer Park und auch an der Alster entlang. Wir erfahren auch, dass es ihr schwer fällt, sich für das Laufen zu motivieren. Schon bevor sie anfängt zu laufen, glaubt sie, keine Kraft mehr zu haben. Wir erfahren, dass ihr Lebensgefährte verstorben ist. Es war ein Suizid, sie ist alleine zurück geblieben. Alleine, in der gemeinsamen Wohnung. Alleine, mit ganz vielen Fragen.

Laufen ist ein schmales Buch, es hat kaum 200 Seiten. Es ist der lange Monolog dieser Frau, die wir dabei begleiten dürfen, wie sie sich ins Leben zurückkämpft. Es ist kein einfacher Kampf. Häufig beginnen Menschen damit zu laufen, um fit zu werden oder um abzunehmen. Die Erzählerin hat andere Motive: sie läuft, um nicht mehr zu grübeln. Sie läuft, um sich aus dieser Gedankenspirale zu befreien.

“Ich nehme ja gern alles, was gegen Einsamkeit hilft, aber doch keine beschissenen Bachblüten, was für eine Unverschämtheit, das schreiben die im Ernst in ein Apothekenschaufenster, ich möchte in einer Apotheke Medikamente bekommen, keinen esoterischen Unfug, wer esoterischen Unfug möchte, soll auf die Lebensfreudemesse gehen oder wie das heißt, aber gegen Einsamkeit helfen keine Bachblüten, ich fasse es nicht, ein Apotheker hat doch studiert, der sollte etwas von Chemie und Biochemie verstehen, da kann er doch nicht im Ernst Bachblüten gegen Einsamkeit verkaufen und schon gar nicht in sein Fenster stellen. Wer dieses Plakat entworfen hat, hat keine Ahnung von Einsamkeit und wie es sich anfühlt, wenn einer immerzu nicht da ist und immerzu diese Lücke um einen herum ist, dieses Nichts, wo etwas sein sollte, wo etwas hingehört, diese entsetzliche Lücke.”

Was wissen wir noch über die Erzählerin? Sie spielt Bratsche in einem Hamburger Orchester. Sie hat gute Freund*innen, die sich um sie kümmern, sie unterstützen, ihr auf dem Weg zurück ins Leben helfen. Mit ihrem Lebensgefährten war sie nicht verheiratet, sie hatten keine Kinder. Nach seinem Tod möchten seine Eltern entscheiden, was mit seinen Sachen passiert, wo er beerdigt wird und welches Lied dabei gespielt wird. Alle Entscheidungsmöglichkeiten werden ihr plötzlich aus den Händen gerissen. Es geht aber auch, um die Frage, wie man alleine weiterleben kann – und ob in einem solchen Leben irgendwann wieder Platz für jemanden Neuen ist.

Es geht um ganz banale Momente: an einer Stelle fragt sich die Erzählerin, ob sie die zweite Garnitur Bettwäsche beziehen soll, obwohl es niemanden mehr gibt, der darin schlafen kann. Oder ob es sich noch trauriger anfühlt, wenn sie nur eine Garnitur bezieht und die andere Betthälfte leer und verwaist bleibt.

“Ich setze mich nicht auf eine Parkbank und saufe, ich arbeite, man muss arbeiten, und man braucht feste Abläufe, morgens aufstehen, Probe, zu Hause üben, abends Vorstellung, drei Mahlzeiten täglich, so banal ist das, und so schwer ist das, morgens aufstehen, warum denn, duschen, wozu denn, anziehen, was denn, mir egal, wie ich aussehe oder ob ich den ganzen Tag im Bett liege. Bratsche üben, wie denn, wie soll ich Musik machen, wenn die Welt still geworden ist, wie soll ich Musik machen, wenn du -“

Mit ihrem letzten Roman Der Pfau feierte Isabel Bogdan große Erfolge – ich muss gestehen, dass ich es nicht las. Ich mag nichts lesen, das skurril und humorvoll ist. Laufen ist ganz anders – der Ton ist leicht und auch immer wieder humvorvoll, aber der Inhalt ist deutlich schwerer. So vieles konnte ich so gut nachempfinden: vor allem diese allumfassende Erschöpfung der Erzählerin und die Frage, wie es einem gelingen kann, trotzdem weiterzuleben.

Laufen ist eine große Empfehlung – besonders auch für alle, die aus dem einen oder anderen Grund ebenfalls in ihrem Leben feststecken. Dieses Buch und diese Erzählerin geben den Mut und die Kraft wieder loszulaufen. Aber natürlich auch für alle, die einfach gerne ein kluges, berührendes und toll erzähltes Buch lesen wollen.

Isabel Bogdan: Laufen. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2019. 199 Seiten, 20€

Der Umfall – Mikael Ross

Mikael Ross erzählt in seiner Graphic Novel die Geschichte von Noel, dessen Leben sich durch einen Umfall von einem Moment auf den anderen ändert – und plötzlich ist nichts mehr so wie vorher. Der Comickünstler erzählt drastisch und gleichzeitig mit großer Sensibilität. Eine starke Geschichte, ein starkes Buch – und eine große Empfehlung!

Zwei große Kerls kommen. Hauen die Badtür durch. Packen Mumsie in ‘ne Decke aus Gold. Sie sieht ganz klein aus zwischen denen. Die fahren irre schnell. Mit tatü tata und allem!

In Der Umfall wird die Geschichte von Noel erzählt – schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass Noel – dessen genaues Alter wir nicht erfahren – eine geistige Behinderung hat. Noels Leben verändert sich von einem auf den anderen Moment, als er seine bewusstlose Mutter findet, die im Badezimmer einen Schlaganfall erlitten hat. Noel kennt das Wort Unfall nicht, er weiß nur, dass die Mutter einfach umgefallen ist und jetzt im Koma liegt. Das, was passiert ist, ist für ihn nur der Umfall. Als Noel versucht den Notruf zu wählen, hat er Schwierigkeiten seinen Namen zu nennen – und auch die Straße und die Hausnummer der Wohnung, fallen ihm erst nicht ein. Es sind diese kleinen Momente, die mich beim Lesen besonders berührt haben.

Da Noel nicht alleine leben kann und keine Verwandten hat, die sich um ihn kümmern, wird für ihn ein Betreuungsplatz gesucht. Von Berlin muss er ganz alleine nach Neuerkerode ziehen. Was ich erst nach der Lektüre erfahre: den Ort Neuerkerode gibt es wirklich. Es ist ein dörflicher Ortsteil der niedersächsischen Stadt Wolfenbüttel, in dem ausschließlich Menschen mit einer Behinderung leben – es gibt dort einen Friseur, einen Bäcker, einen Supermarkt und auch Werkstätten und Arbeitsplätze.

Der Umfall erzählt auch von Noels neuem Alltag in Neuerkerode – Mikael Ross erzählt von Freundschaften und ersten Liebschaften, von Karnevalsfeiern, Rockkonzerten und der einen oder anderen Prügelei. Der Comic ist als Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum entstanden, und so überrascht es nicht, dass Mikael Ross auch auf die Vergangenheit zurückblickt: eine Bewohnerin von Neuerkerode erzählt von ihrem behinderten Bruder, der sich erst begeistert vom Nationalsozialismus zeigte und später dann miterleben muss, wie immer mehr seiner Freunde abtransportiert werden und nicht mehr wiederkommen. Bis auch er selbst aus dem Dorf verschwindet und nie mehr zurückkehrt.

All diese Episoden werden aus der Perspektive der Betroffenen erzählt, was die Graphic Novel für mich nochmal besonders berührend und spannend gemacht hat. Es wird kaum etwas erklärt, viele Zusammenhänge muss man sich selbst erschließen, in dem man in das Leben dieser fremden Menschen eintaucht.

Für mich war Der Umfall meine erste Graphic Novel – und ich bin restlos begeistert. Mikael Ross erzählt eine berührende Geschichte, die trotz aller Tragik auch häufig spannend und hochkomisch ist. Noel habe ich in kurzer Zeit ins Herz geschlossen, er ist warmherzig und schlägt sich tapfer bei dem Versuch, in seinem neuen Leben zurecht zu kommen.

Was ich zum Abschluss sehr erwähnenswert finde: Mikael Ross wirft mit seiner Arbeit ein Schlaglicht auf eine Bevölkerungsgruppe, die in der Literatur kaum vorkommt. Der junge Autor hat mehr als zwei Jahre lang für die Graphic Novel recherchiert und ich bin froh, dass ich sie entdeckt habe und hoffe, sie wird noch viele weitere Leser und Leserinnen finden.

Mikael Ross: Der Umfall. Avant Verlag, Berlin. 128 Seiten, 28€.

 

 

Kinderbücher für Regenbogenfamilien

Im Buchladen hatte ich gestern zwei Kundinnen, die auf der Suche nach einem Bilderbuch mit zwei Müttern waren – und ich war überrascht, dass ich hunderte Bilderbücher mit Müttern und Vätern bestellen könnte, aber fast eine halbe Stunde brauchte, bevor ich ein einziges lieferbares englischsprachiges Bilderbuch mit zwei Müttern finden konnte. Sogenannte normale Familienkonstellationen werden in jedem zweiten Bilderbuch repräsentiert – und dann gibt es Kinder, die in Familienkonstellationen aufwachsen, über die es keine Bücher gibt und von denen keine Geschichten erzählt werden.

Ich habe mich deshalb für euch mal auf die Suche begeben, um euch eine Auswahl an Kinderbüchern über Regenbogenfamilien präsentieren zu können. Falls euch noch weitere Tipps einfallen, freue ich mich sehr über jede Ergänzung für diese Liste!


Kinderbücher über Mama + Mama

Familie ist wie ein Regenbogen: Es gibt alle Farben.
Wie kommt es, dass Oscar zwei Mamas hat, fragt sich Tilly. Ihre große Schwester Frieda erklärt ihr, dass Oscars Mamas sich sehnlichst ein Kind gewünscht hatten, doch leider vergeblich. Dann lernten sie Tillys und Friedas Eltern kennen, und Oscars Mamas bekamen von Friedas und Tillys Papa Samen gespendet. So kam schließlich Oscar zur Welt, und aus einem großen Wunsch wurde ein noch größeres Wunder.

“Zwei Mamas für Oskar” behandelt das aktuelle Thema “Regenbogenfamilie”: Lebendig, anschaulich und kindgerecht erzählt macht das Buch es Eltern und Erziehern leicht, mit Kindern ab drei Jahren über Vielfalt zu sprechen.

erscheint am 20.8. im Verlag Ellermann


Jule weiß schon lange, dass sie ein Pflegekind ist. Eines Tages wird sie von ihrer besten Freundin gefragt, warum sie denn eigentlich zwei Mamas hat. Jule ist überrascht, so direkt hatte sie das bisher noch niemand gefragt. Mit einem kribbeligen Gefühl im Bauch erzählt sie Theresa zum ersten Mal, wie es dazu kam, dass sie bei Pflegeeltern aufwächst.
Dieses Buch soll Pflegekindern dabei helfen, ihre Situation besser zu verstehen. Pflegeeltern bietet es die Möglichkeit, zu dieser Thematik leichter ins Gespräch zu kommen. Außerdem liefern zahlreiche Impulse Ideen, auf welche Weise sie ihrem Pflegekind bei der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte hilfreich sein können.

das Buch ist mittlerweile ist bei MDK Mediaprint erschienen und mittlerweile leider vergriffen.


Eine Geschichte, die von Regenbogen-Kindern, Regenbogen-Partnerschaften und von Wunderwunsch-Kindern/Wunderwunsch-Eltern erzählt. Vor allem aber auch eine, in der es um das Glück geht, als ein Herzenswunsch-Kind geboren worden zu sein und aufwachsen zu dürfen. Ana erlebt ihren ersten Schultag. Als erste Hausaufgabe sollen alle ein Bild ihrer Familie malen. Sie ahnt schon die Fragen, die kommen werden. Ana kennt das schon aus dem Kindergarten. Während die Erwachsenen oft nur eigenartig schauen, fragen die Kinder einfach. Warum hat Ana zwei Mütter? Welche ist denn echt? will Tim zum Beispiel wissen, denn er meint das geht doch nicht . Doch Ana hat eine Antwort für ihn, die ihn staunen lässt …

der Titel ist im Verlag Lebensweichen erschienen.


Die kleine orange Katze kennt bisher nur Mama, Mami und die Scheune, in der sie gemeinsam wohnen. Doch jetzt ist sie groß genug für ihren ersten Spaziergang. Und um die anderen Tiere des Hofes kennenzulernen reicht der einfache Satz: “Hallo, wer bist denn du?”

Hallo, wer bist denn du? ist eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder ab 18 Monate. Eine Geschichte, die lange Spaß macht, sich endlos variieren lässt und die genauso selbstverständlich von Mama und Mami erzählt, wie viele andere Bücher von Mama-Papa-Kind-Familien.

das Buch ist erhältlich bei fembooks.


Englischsprachiges Bilderbuch über den Alltag eines Kindes, das mit zwei Mamas zusammenlebt. Dadurch, dass das Bilderbuch nur ganz wenig Text hat, ist es auch für Kinder geeignet, die keinen Kontakt zur englischen Sprache haben – die Bilder sprechen für sich.

Einen Eindruck des Bilderbuches kann man sich hier und hier machen.


“Heather has two Mommies” ist ebenfalls von der Autorin Leslea Newman. Es ist bereits 1989 erschienen und war das allererste Kinderbuch, dass sich auf eine positive Art und Weise mit lesbischer Mutterschaft beschäftigte.

einen Eindruck des Bilderbuches erhält man in dieser Videolesung.


Kinderbücher über Papa + Papa

Roy und Silo sind anders als die anderen Pinguine im Zoo. Sie zeigen den Pinguinmädels die kalte Schulter und wollen immer nur zusammen sein. Sogar ein Nest bauen sie miteinander. Ein Nest für ein kleines Pinguin-Baby. Aber das geht doch nicht!, denken die Pfleger im Zoo zuerst. Doch dann passiert ein kleines Wunder … Diese Geschichte, die sich im New Yorker Zoo tatsächlich zugetragen hat, macht Kinder mit neuen Familienformen vertraut.

erschienen bei Thienemann Esslinger.


Es war einmal ein Kronprinz, der wollte einfach nicht heiraten. Aber das geht natürlich nicht. Damit aus dem Kronprinzen ein König werden kann, macht sich die alte Königin auf die Suche nach jemandem, der zu ihrem Sohn passt. Aus der ganzen Welt reisen die schönsten Prinzessinnen an, aber keine kann das Herz des Prinzen bezaubern. Bis der Kammerdiener die Ankunft von Prinzessin Liebegunde und ihrem Bruder Prinz Herrlich meldet. Ein unerwartetes Happy-End bahnt sich an.

erschienen beim Gerstenberg Verlag.


Schön ist das Leben, denken die beiden Pinguine Florian + Florian, als sie ihre Hochzeitsreise antreten. Für sie ist es nämlich sonnenklar, dass sie nach ihrer Rückkehr ihr erstes Ei bekommen werden.

Doch auf ihrer Reise begegnen sie anderen Tieren, die ihnen erzählen, dass zwei Männchen gar keine Kinder bekommen können. Das können die beiden nur schwer glauben. Schließlich war es bei ihnen zu Hause doch schon immer so, dass man sich nur genug lieben muss.

Verzweifelt suchen sie nach einer Antwort. Man hört eben viel zu oft auf andere.

das Buch kann über diese Internetseite bestellt werden.


Ein zweisprachiges Kinderbuch über Liebe und einen süßen kleinen Hund. Die Geschichte von Bailey, einem Irish Soft Coated Wheaten Terrier, und ihrer Reise von den Vereinigten Staaten nach Deutschland. Dieses Buch erzählt einfühlsam über die Liebe zu einem Hund und die Liebe zwischen zwei Männern und zeigt Kindern wie schön es ist, einfach denjenigen zu lieben, in den man sich verliebt hat, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Hintergrund.

das Buch kann hier bestellt werden.


Kinderbücher über weitere alternative Familienkonstellationen

Inga, die Hauptperson des Buches, wächst in einer Regenbogenfamilie auf. Auf der Suche nach einem kleinen Regenwurm begegnet Inga ihren Nachbarn, die in verschiedenen Familienformen leben, darunter einer Patchworkfamilie, einem Adoptivkind, einer Alleinerziehenden, einer traditionellen Familie, einem kinderlosen Paar und Singles.

das Buch ist erhältlich bei fembooks.


Jeder kennt die sogenannte Bilderbuchfamilie, bestehend aus Mama, Papa und Kind(ern). Daneben gibt es aber auch viele weitere Formen des Familienlebens. Sie alle sind hier versammelt: Alleinerziehende, Patchworkfamilien in ihren verschiedenen Mixturen, Regenbogen- und Adoptivfamilien.
Unterhaltsam und mit viel Humor geht es außerdem um Bluts- und Wahlverwandtschaften, um Einzelkinderglück, Geschwisterstreit und die Möglichkeit, die gleiche Nase wie Opa abzukriegen.

das Buch ist im Klett Kinderbuch Verlag erschienen.


Der siebenjährige Tom hat aus der Schule ein neues Schimpfwort mit nach Hause gebracht. ‘Schwul’. Er führt auch gleich aus, was er vom Kevin gelernt hat, dass es nämlich ‘unnatürlich’ ist, wenn ein Mann einen Mann liebt. Um Tom und seiner kleinen Schwester verständlich zu machen, dass niemand dafür verachtet werden sollte, wen er liebt, regt ihr Vater ein Gedankenspiel an: ‘Stellt euch doch mal vor, es wäre andersrum …’ – Im Land Andersrum lieben Männer Männer und Frauen Frauen. Eigentlich. Doch eines Tages verliebt sich ein Mann in eine Frau. Und dann wird es ganz schön kompliziert, denn die Andersrummer finden das total unnatürlich!

das Buch ist im Schwarzkopf Verlag erschienen.


Eltern sind doch alle gleich …?
Auch auf dem Bauernhof kann man darüber streiten: Sind ein Vater und ein Kind schon eine Familie? Oder können zwei Mütter und ein Junge auch eine Familie sein? Was für Mika normal ist, erscheint Ida ganz fremd. Aber der gemeinsam erlebte Eselschreck verbindet und das elterliche Staunen über ein bisschen Abenteuerstaub auch. Da sind Eltern auf jeden Fall alle gleich.
Endlich ein Bilderbuch, das die Vielfältigkeit der Familienformen abbildet und eine große Hilfe für Eltern und pädagogisch Arbeitende darstellt. Der Tenor ist: Eine Familie definiert sich durch den Zusammenhalt, nicht durch die Zusammensetzung ihrer Mitglieder.

das Buch ist im Balance Verlag erschienen.



Das ist Lotta. Und das ist Lottas Papa. Aber wie sind die beiden zusammen gekommen? Diese Frage stellen alle Kinder irgendwann. Unsere Tochter hat sie mit etwa zwei Jahren gestellt. Also erzählen wir auch Lottas Geschichte so, dass sie von kleinen Kindern verstanden werden kann. In einfachen Worten und klaren Bildern, mit der Freude über das Wunder, das Schwangerschaft und Geburt bedeuten können. Lottas Papa heißt Tobias, er hat ein glückliches Leben, Freundinnen und Freunde und er möchte ein Kind. Und wie Lotta in seinem Bauch wachsen kann, ist gar nicht so kompliziert, wie manche Erwachsene denken. Ein tolles Buch für alle, die Geschlecht nicht nur zweidimensional und Familie nicht nur als Mama-Papa-Kind denken wollen. Und eines der ersten – oder das erste? – deutschsprachige Bilderbuch, das Transgeschlechtlichkeit thematisiert.

das Buch ist leider vergriffen.


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Darling Days: Mein Leben zwischen den Geschlechtern – iO Tillett Wright

iO Tillett Wright, geboren 1985 in der Lower East Side von New York, ist Künstler, Schauspieler, TV-Moderator und Autor. In seinem Memoir Darling Days erzählt er poetisch und schonungslos von seiner Kindheit, die geprägt ist von einer überforderten Mutter, einem drogensüchtigen Vater – und der Suche nach der eigenen Identität.

“Gefühle sind wie Orangensaft. Ein schmerzliches Erlebnis fühlt sich so an, als würdest du ein großes, hohes, randvolles Glas Orangensaft trinken. Ein bisschen stechend auf der Zunge, geschmacksintensiv, und voll Fruchtfleisch, das nachher zwischen den Zähnen hängt. Wenn du versuchst jemandem deine Gefühle bei der Sache zu beschreiben, ist das für den ein Glas Orangensaft, das auf dem Weg von dir zu ihm zur Hälfte mit Wasser gestreckt wurde. Das ist zwar immer noch irgendwie Orangensaft, allerdings ganz schön lasch.”

iO Tillett Wright erzählt in Darling Days die beeindruckende Geschichte seines eigenen Lebens, das für ihn lange aus Armut und Drogen bestand – und der Frage, wer er eigentlich ist und sein möchte. iO wächst in der Künstlerszene von New York auf, er schauspielert und ist umgeben von berühmten Menschen. Die Suche nach der eigenen Identität beginnt früh für ihn: als er sechs Jahre alt ist, wird er beim Spielen auf dem Sportplatz von einer Gruppe Jungen ausgegrenzt – weil er ein Mädchen ist. Ab diesem Moment beschließt er, als Junge zu leben. Eine Entscheidung, die von seinem Umfeld sofort akzeptiert und nicht ein einziges Mal in Frage gestellt wird. Doch auch als Junge wird das Leben für iO nicht wirklich leichter – Verlässlichkeit und Fürsorge erfährt er kaum, stattdessen schieben sich die getrennt lebenden Eltern – die beide drogenabhängig sind – die Verantwortung für ihr Kind gegenseitig zu. Besonders schwierig ist das Verhältnis zu seiner Mutter, die manchmal zugewandt und freundlich sein kann, aber auch unberechenbar, aufbrausend und lieblos ist. Die guten Tage werden immer seltener, aber dafür umso wertvoller – iO nennt sie Darling Days und schreibt an einer Stelle: “Das sind die Darling Days, wenn alles gut ist und das Ungeheuer schläft.”

“Es tut mir leid für dich, dass deine Besessenheit von was auch immer so grausam in dir wütet. Es tut mir leid, dass du öfter dieses Horrorwesen bist als der Mensch, den ich liebe. Es tut mir leid, dass ich dich jetzt häufiger hasse als liebe.”

iO Tillett Wright erzählt in Darling Days sein ganzes bisheriges Leben nach: von der frühen Kindheit, bis ins Jahr 2008. Es ist beeindruckend, wie er sich von seiner Herkunft befreit, und sich die Chance dazu erarbeitet, ein besseres Leben zu leben. Die Suche nach der eigenen Identität steht dabei gar nicht so sehr im Vordergrund, sie wird nie problematisiert oder als Belastung empfunden – fast beiläufig wird erzählt, wie iO immer wieder zwischen den beiden Geschlechtern schwankt. Es geht vielmehr um das Aufwachsen ohne stabile Bezugspersonen, ohne das Gefühl, sich fallen lassen zu dürfen und aufgefangen zu werden – was macht es mit einem Kind, keine verlässlichen Eltern zu haben? Was macht die fehlende Sicherheit, am nächsten Tag noch genügend zu essen oder ausreichend frische Kleidung zu haben?

Die Sprache in Darling Days ist poetisch und schonungslos – stellenweise fast so schonungslos, dass es beim Lesen schmerzt. Für mich ist Darling Days eines der wichtigsten Bücher der vergangenen Monate, weil iO Tillett Wright sich nicht nur auf beeindruckende Art und Weise mit seiner Kindheit auseinandersetzt, sondern ganz nebenbei auch mit seiner eigenen Identität: es geht um Themen wie Geschlechterrollen und die Frage, wie man herausfindet, was man sich für seine Sexualität wünscht. All das erzählt iO Tillett Wright offen, mutig und frei von Angst und Scham. Seine Eltern haben ihn während seiner gesamten Kindheit mit vielem allein und im Stich gelassen – sie haben ihn nicht versorgt, sie waren nicht präsent, sie waren nicht verlässlich – doch den Wunsch, ein Junge zu sein und einen anderen Namen haben zu wollen, haben sie immer und ohne zu zögern unterstützt und damit das Fundament dafür gelegt, dass iO seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen trauen konnte.

“Ich empfinde eine Einsamkeit epischen Ausmaßes, eine dumpfe Angst, dass mich nie jemand verstehen wird, dass nie jemand meine inneren Verletzungen erkennen wird, und erst recht nicht verstehen wird, wie viel es mir abverlangt, jeden Tag vorzugeben, ich verstünde, wie Menschen miteinander umgehen und was in bestimmten Situationen von mir erwartet wird, Neues blitzschnell lernen zu müssen. Ich bezweifle, dass mich jemand wirklich lieben wird, denn keiner wird das je kapieren.” 

Ich wünsche dem Buch so viele Leser und Leserinnen wie möglich, auch weil die Geschichte von iO für mich ganz persönlich eine wichtige Geschichte ist – und weil ich glaube, dass es auch heute immer noch wichtig ist, dass diese Geschichten erzählt und gelesen werden. Ich durfte das Buch auch im Kulturkaufhaus Dussmann empfehlen und war schockiert, als ich erfahren habe, dass irgendjemand dort, die Cover der ausgelegten Bücher zerstört hat. Ebenso schockiert war ich darüber, dass ich diese Besprechung – anders als geplant – nicht unter meinem neuen Namen in der Neuen Osnabrücker Zeitung veröffentlichen durfte. Deshalb: Darling Days ist eine große und wichtige Empfehlung – für alle, die selbst auf der Suche nach ihrer Identität sind und alle, die ihre Mitmenschen besser verstehen wollen.

iO Tillett Wright: Darling Days. Mein Leben zwischen den Geschlechtern. Übersetzt von Clara Drechsler und Herbert Hellmann. Suhrkamp, 2017. 436 Seiten, 15,95€.

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