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Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund – Jayrôme C. Robinet

In den Programmen vieler Verlage und in den Regalen der meisten Buchhandlungen finden sich erschreckend wenig Bücher zum Thema trans, da gibt es einfach kaum etwas. Umso mehr freue ich mich nun darüber, dass es dieses Buch von  Jayrôme C. Robinet gibt – es ist im Frühjahr im Hanser Verlag erschienen und ich möchte es gerne allen ans Herz legen!

Heute also zum ersten Mal in die Männerumkleide. Ich atme tief durch. Was erwartet mich dort? Faust ins Gesicht, Kieferbruch? Bestimmt nicht. Oder doch? Werde ich auffliegen?

Jayrôme C. Robinet wurde 1977 in Frankreich geboren – er ist Lyriker, Spoken-Word-Künstler und Übersetzer. Er erhielt bereits zahlreiche Preise und Stipendien, promoviert und unterrichtet an der Alice Salomon Hochschule und lebt in Berlin. Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund ist seine Autobiographie – Jayrôme C. Robinet ist, genauso wie ich auch, ein trans Mann.

Er ist also ein Mann, dem bei der Geburt fälschlicherweise das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde – seine Eltern gaben ihm damals einen weiblichen Namen, doch heute lebt er als Mann und unter dem Namen Jayrôme.

Frau Doktor, Geschlecht ist keine Diagnose. Keine standardisierte Praxis. Keine medizinische Notwendigkeit. Kein gängiges Problem. Keine bahnbrechende Uneindeutigkeit. Verstehen Sie? Frau Doktor, ja, ich bin glücklich, die Menschen, die mir nahestehen, unterstützen mich, meine Katze auch, mein Arzt hat sich Zeit genommen, um mir die Wirkung von Testosteron gründlich zu erklären. Ich habe es mir lange überlegt, und nun bin ich sicher.

Ich glaube, dass wahrscheinlich viele von euch mit dem Thema trans noch nie in Berührung gekommen sind. Viele haben vielleicht keine trans Menschen im näheren Umfeld. Vielleicht werden einige von euch aber eines Tages trans Menschen kennen lernen oder mit ihnen zusammen arbeiten – oder sie haben Kinder, die einen ähnlichen Weg gehen. Was ich nach meinem Coming-Out relativ schnell merkte: wie wenig meine Mitmenschen eigentlich wissen und aus wie vielen Klischees und Vorurteilen das wenige Wissen eigentlich besteht. Unwissenheit und Ängste können nur durch Begegnungen oder neue Erfahrungen abgebaut werden – deshalb finde ich dieses Buch so großartig und wichtig und möchte es euch auch gerne auf meinem Blog vorstellen.

Jayrôme C. Robinet wurde bei der Geburt das falsche Geschlecht zugewiesen – er wurde als Mädchen erzogen und obwohl ihm relativ früh klar war, dass er eigentlich ein Junge ist, konnte er diesen Wunsch nie wirklich artikulieren. Als junger Mann zieht er von Frankreich nach Berlin und schafft es dort – befreit von der Nähe zu seiner Familie und der Last fremder Vorstellungen – seinen Weg als trans Mann zu gehen. Er beginnt damit Testosteron zu nehmen und erlebt eine zweite Pubertät. Er bekommt einen dunklen Bart – und wird auf der Straße plötzlich auf Arabisch angesprochen. Von einem Moment auf den anderen erlebt er im Alltag ganz neue und unerwartete Schwierigkeiten: ob auf der Toilette, in der Umkleide oder bei der Passkontrolle, er verändert sich nicht nur selbst, sondern es verändert sich vor allem auch das Verhalten seiner Umwelt ihm gegenüber.

Liebe trans* Jugendliche, ich weiß, wie es ist, sich einsam zu fühlen. Ich hatte so viel Angst, nie geliebt zu werden, dass ich mir Liebe lange nicht gönnte. Geschweige denn das Glück. Wir dürfen lieben und geliebt werden. Ich bin nicht ein Mann, gefangen im Körper einer Frau, ich bin nicht ein Man im falschen Körper, ich bin ein Mann in diesem Körper.

Jayrôme C. Robinet hat ein – bei all der ernsten Thematik – sehr leichtes, sehr zugängliches, sehr unterhaltsames Buch geschrieben. Er stellt viele Fragen: Wie werde ich als Mann behandelt? Wie werde ich als Frau behandelt? Was macht überhaupt eine Frau zu einer Frau und einen Mann zu einem Mann? Und wie reagieren Menschen auf mich, wenn sich nicht nur das Aussehen verändert, sondern scheinbar auch die Herkunft? Er schreibt auch über seine Familie und seine Freunde, die er mit seinem Coming-Out als Mann alle überrascht hat und manche von ihnen auch überfordert. Genauso wie über die ganzen bürokratischen Hürden, die mit einer Transition verbunden sind und fasst das in einem Satz treffend zusammen: Eigentlich leide ich nicht an geschlechtlicher, sondern an bürokratischer Dysphorie.

Ich habe vor einigen Wochen allen Mut zusammen genommen und das Buch bei Brot & Bücher vorgestellt – einige der Kund*innen haben es danach sogar gekauft, andere haben mir Fragen gestellt, waren neugierig, interessiert und erstaunt. Ich glaube, für viele sind trans Menschen noch etwas Unbekanntes – und deshalb glaube ich, dass Bücher wie das von Jayrôme Robinet so unglaublich wichtig sind, weil sie Grenzen abbauen und Verständnis wecken können. Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, wie kompliziert, schmerzhaft und erfüllend eine Transition sein kann, der sollte unbedingt dieses Buch lesen – bitte, bitte, bitte!

Jayrôme Robinet: Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund. Hanser Literaturverlag, 2019. 210 Seiten, 20€. 

Bücher zum Thema trans – meine Empfehlungen!

Seit meinem Beitrag Hallo ich bin’s – Linus haben mich Leser und Leserinnen immer wieder nach Büchern zum Thema trans gefragt. Jetzt habe ich es endlich geschafft, eine kleine Auswahl an Empfehlungen zusammenzustellen. Was mir dabei wieder auffiel: es gibt erschreckend wenig Bücher zum Thema trans – zumindest im deutschsprachigen Sprachraum. Wenn man selbst nicht zu einer Randgruppe gehört, fällt einem vielleicht gar nicht auf, dass man – wenn man weiß, cis und heterosexuell ist – beinahe in jedem beliebigen Buch repräsentiert wird. Wenn ich dagegen mal ein Buch lesen möchte, in dem meine Identität repräsentiert wird, muss ich ganz schön lange danach suchen. Gerade für all die Kinder, die ich täglich im Buchladen sehe, wünsche ich mir, dass sie –  durch die Bücher die sie lesen und die ihnen vorgelesen werden – erfahren, wie divers ihre Welt sein kann. Und wie okay das ist.

Ein schädlicher Einfluss, Kate Bornstein: Kate Bornstein durchlebt eine behütete Kindheit. Doch schon früh hat sie das Gefühl, dass sie irgendwie anders ist. Mit Anfang zwanzig überzeugen sie Scientologen, dass Körper lediglich die Hüllen geschlechtsloser Seelen sind. Sie tritt der Sekte bei und bleibt zwölf Jahre lang ein ranghohes Mitglied. Als sie erfährt, dass die von ihr akquirierten Spendengelder veruntreut wurden, fällt sie vom Glauben ab. Kate verlässt die Sekte und macht sich mutig auf den Weg, ihr eigenes Schicksal zu ergründen.

Teddy Tilly, Jessica Walton: Teddy Tilly möchte eine Teddybärin sein. Doch sie traut sich lange Zeit nicht, ihrem besten Freund davon zu erzählen. Doch dann stellt sie fest, dass sie mit Finn über alles reden kann – und Finn versichert ihr, dass er sie immer lieb haben wird, ob als Bär oder als Bärin.

Nenn mich Kai, Sarah Barczyk: Kai ist trans – so ein Satz ist leicht gesagt. Aber was bedeutet das eigentlich? In “Nenn mich Kai” geht es um innere Grenzen, und um die Frage nach der eigenen Geschlechtsidentität.

George, Alex Gino: George ist zehn Jahre alt, geht in die vierte Klasse, liebt die Farbe Rosa und liest heimlich Mädchenzeitschriften, die sie vor ihrer Mutter und ihrem großen Bruder versteckt. Jeder denkt, dass George ein Junge ist. Fast verzweifelt sie daran. Denn sie ist ein Mädchen! Bisher hat sie sich noch nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen. Noch nicht einmal ihre beste Freundin Kelly weiß davon. Aber dann wird in der Schule ein Theaterstück aufgeführt. Und George will die weibliche Hauptrolle spielen, um allen zu zeigen, wer sie ist.

Zusammen werden wir leuchten, Lisa Williamson: Es ist Davids vierzehnter Geburtstag und als er die Kerzen ausbläst, ist sein sehnlichster Wunsch … ein Mädchen zu sein. Das seinen Eltern zu beichten, steht auf seiner To-do-Liste für den Sommer – gaaaanz unten. Bisher wissen nur seine Freunde Essie und Felix Bescheid, die bedingungslos zu ihm halten und mit denen er jede Peinlichkeit weglachen kann. Aber wird David jemals als Mädchen leben können? Und warum fasziniert ihn der geheimnisvolle Neue in der Schule so sehr?

Stone Butch Blues, Leslie Feinberg: Buffalo, N.Y. – eine Industriestadt in den sechziger Jahren. Hier verbringt Jess Goldberg ihre Kindheit und Jugend. Jess ist ein Mädchen, doch sie sieht aus wie ein Junge. Mit 15 hält sie es daheim nicht mehr aus. Sie haut ab. Sie sucht sich einen Job. Die Bar Abba’s bietet Jess eine Heimat – eine bunte Gemeinschaft von Butches und Femmes, von Huren und Drag Queens, von Schwarzen und Weißen.

Und morgen sag ich es, Doris Meißner-Johannknecht: Paul ist 10, zieht gerade um und kommt in eine neue Schule. In Berlin war er noch Paula. Doch hier, in der Stadt des deutschen Fußballmeisters, ist alles anders. Wie werden Pauls Mitschüler, wie wird seine Umwelt auf seine Geschichte reagieren? Ich mochte keine Kleider und Röcke. Keine Mädchenschuhe. Ich liebte immer schon die Farben Blau und Grün und Türkis. Spielte am liebsten mit Autos und Lego. Kletterte gerne auf Bäume, machte mich gerne dreckig. Und meine Leidenschaft ist der Fußball. Seit drei Jahren bin ich Paul. Und das fühlt sich gut an. Und richtig.

Von einer, die auszog, ein Mann zu werden, T Cooper: Wann ist ein Mann ein Mann? T Cooper, 40, weiß, Mittelschicht, verheiratet, zwei Kinder, ist ein Mann. Für T Cooper war das schon immer so. Für den Rest der Welt nicht. Dieses Buch erzählt die Geschichte von einer, die auszog, ein Mann zu werden – und dabei haarsträubende Abenteuer erlebte.

Letztendlich sind wir dem Universum egal, David Leviathan: Die Geschichte einer ungewöhnlichen ersten großen Liebe – und ein phantastischer Roman, wie er realistischer nicht sein könnte. Jeden Morgen wacht A in einem anderen Körper auf, in einem anderen Leben. Nie weiß er vorher, wer er heute ist. A hat sich an dieses Leben gewöhnt und er hat Regeln aufgestellt: Lass dich niemals zu sehr darauf ein. Falle nicht auf. Hinterlasse keine Spuren.

Das dänische Mädchen, David Ebershoff: Kopenhagen 1925. Lili Elbe führt mit ihrer Frau Greta, ebenfalls eine Malerin, ein bewegtes Künstlerleben und eine glückliche Ehe. Als Greta sie bittet, in Frauenkleidern für sie Modell zu stehen “verwandelt” sie sich zum ersten Mal in Lili und schon bald ist diese Rolle als Frau mehr als nur ein Spiel. Schließlich steht Greta vor der Frage, was man tut, wenn der Mensch, den man liebt, plötzlich ein ganz anderer ist.

Trans Mission, Alex Bertie: Alex Bertie erzählt in Trans Mission von seiner Transition, die er bereits seit Jahren auf seinem YouTube-Kanal begleitet.

Before I Had The Words, Skylar Kergil: Skylar Kergil hat mit 17 Jahren angefangen Hormone zu nehmen und seine Transition vom ersten Tag an auf YouTube mit großer Offenheit begleitet. In Before I had the words erzählt er all das, was vor der Zeit seines YouTube-Kanal liegt.

To My Trans Sisters, Charlie CraggTo My Trans Sisters sind empowernde Briefe von trans Frauen, die von ihrem Weg, ihren Erfolgen und ihren Schwierigkeiten erzählen. Es kommen Wissenschaftlerinnen, Models, Autorinnen oder auch Schauspielerinnen zu Wort.

Meine Mutter, sein Exmann und ich, T.A. Wegberg: Geschiedene Eltern sind ja schon schlimm genug. Aber wie soll Joschka seinen Freunden bitte erklären, dass seine Mutter jetzt ein Mann ist – dem plötzlich ein Bart wächst und der Frederik heißt? Während seine Schwester Liska sich bemüht, offen mit der Veränderung umzugehen, empfindet Joschka nichts als Widerstand und große Wut. Er zieht zu seinem Vater und will nur noch Abstand von allem. Erst durch den neuen Mitschüler Sebastian, der an einer seltenen Krankheit leidet, und Joschkas Liebe zu der engagierten Emma öffnet er sich schließlich für seine neue Familiensituation. Denn wenn er ehrlich ist, hat sich eigentlich gar nichts Entscheidendes geändert …

Atalanta Läufer_in, Lilly Axster: In einem sensationellen 100-Meter-Lauf gewinnt der bisher unbekannte Lan Gold. Im Moment des größten Triumphes, einer Extrarunde durch das Stadion, wirft der schnellste Läufer der Welt seine Trainingsjacke in die jubelnde Menge. Aus der Jackentasche fällt ein kleines weißes Etwas heraus, das der Silbermedaillengewinner aufhebt – ein Tampon. Nun weiß noch jemand um das Geheimnis: Lan ist eine Läuferin.


Einen schönen Text zur Repräsentation von trans Figuren in Kinderbüchern gibt es übrigens auf Lithub. Und natürlich würde mich interessieren, ob ihr vielleicht noch Ergänzungen habt – welche Bücher kennt ihr? Habt ihr noch Empfehlungen für mich?

Darling Days: Mein Leben zwischen den Geschlechtern – iO Tillett Wright

iO Tillett Wright, geboren 1985 in der Lower East Side von New York, ist Künstler, Schauspieler, TV-Moderator und Autor. In seinem Memoir Darling Days erzählt er poetisch und schonungslos von seiner Kindheit, die geprägt ist von einer überforderten Mutter, einem drogensüchtigen Vater – und der Suche nach der eigenen Identität.

“Gefühle sind wie Orangensaft. Ein schmerzliches Erlebnis fühlt sich so an, als würdest du ein großes, hohes, randvolles Glas Orangensaft trinken. Ein bisschen stechend auf der Zunge, geschmacksintensiv, und voll Fruchtfleisch, das nachher zwischen den Zähnen hängt. Wenn du versuchst jemandem deine Gefühle bei der Sache zu beschreiben, ist das für den ein Glas Orangensaft, das auf dem Weg von dir zu ihm zur Hälfte mit Wasser gestreckt wurde. Das ist zwar immer noch irgendwie Orangensaft, allerdings ganz schön lasch.”

iO Tillett Wright erzählt in Darling Days die beeindruckende Geschichte seines eigenen Lebens, das für ihn lange aus Armut und Drogen bestand – und der Frage, wer er eigentlich ist und sein möchte. iO wächst in der Künstlerszene von New York auf, er schauspielert und ist umgeben von berühmten Menschen. Die Suche nach der eigenen Identität beginnt früh für ihn: als er sechs Jahre alt ist, wird er beim Spielen auf dem Sportplatz von einer Gruppe Jungen ausgegrenzt – weil er ein Mädchen ist. Ab diesem Moment beschließt er, als Junge zu leben. Eine Entscheidung, die von seinem Umfeld sofort akzeptiert und nicht ein einziges Mal in Frage gestellt wird. Doch auch als Junge wird das Leben für iO nicht wirklich leichter – Verlässlichkeit und Fürsorge erfährt er kaum, stattdessen schieben sich die getrennt lebenden Eltern – die beide drogenabhängig sind – die Verantwortung für ihr Kind gegenseitig zu. Besonders schwierig ist das Verhältnis zu seiner Mutter, die manchmal zugewandt und freundlich sein kann, aber auch unberechenbar, aufbrausend und lieblos ist. Die guten Tage werden immer seltener, aber dafür umso wertvoller – iO nennt sie Darling Days und schreibt an einer Stelle: “Das sind die Darling Days, wenn alles gut ist und das Ungeheuer schläft.”

“Es tut mir leid für dich, dass deine Besessenheit von was auch immer so grausam in dir wütet. Es tut mir leid, dass du öfter dieses Horrorwesen bist als der Mensch, den ich liebe. Es tut mir leid, dass ich dich jetzt häufiger hasse als liebe.”

iO Tillett Wright erzählt in Darling Days sein ganzes bisheriges Leben nach: von der frühen Kindheit, bis ins Jahr 2008. Es ist beeindruckend, wie er sich von seiner Herkunft befreit, und sich die Chance dazu erarbeitet, ein besseres Leben zu leben. Die Suche nach der eigenen Identität steht dabei gar nicht so sehr im Vordergrund, sie wird nie problematisiert oder als Belastung empfunden – fast beiläufig wird erzählt, wie iO immer wieder zwischen den beiden Geschlechtern schwankt. Es geht vielmehr um das Aufwachsen ohne stabile Bezugspersonen, ohne das Gefühl, sich fallen lassen zu dürfen und aufgefangen zu werden – was macht es mit einem Kind, keine verlässlichen Eltern zu haben? Was macht die fehlende Sicherheit, am nächsten Tag noch genügend zu essen oder ausreichend frische Kleidung zu haben?

Die Sprache in Darling Days ist poetisch und schonungslos – stellenweise fast so schonungslos, dass es beim Lesen schmerzt. Für mich ist Darling Days eines der wichtigsten Bücher der vergangenen Monate, weil iO Tillett Wright sich nicht nur auf beeindruckende Art und Weise mit seiner Kindheit auseinandersetzt, sondern ganz nebenbei auch mit seiner eigenen Identität: es geht um Themen wie Geschlechterrollen und die Frage, wie man herausfindet, was man sich für seine Sexualität wünscht. All das erzählt iO Tillett Wright offen, mutig und frei von Angst und Scham. Seine Eltern haben ihn während seiner gesamten Kindheit mit vielem allein und im Stich gelassen – sie haben ihn nicht versorgt, sie waren nicht präsent, sie waren nicht verlässlich – doch den Wunsch, ein Junge zu sein und einen anderen Namen haben zu wollen, haben sie immer und ohne zu zögern unterstützt und damit das Fundament dafür gelegt, dass iO seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen trauen konnte.

“Ich empfinde eine Einsamkeit epischen Ausmaßes, eine dumpfe Angst, dass mich nie jemand verstehen wird, dass nie jemand meine inneren Verletzungen erkennen wird, und erst recht nicht verstehen wird, wie viel es mir abverlangt, jeden Tag vorzugeben, ich verstünde, wie Menschen miteinander umgehen und was in bestimmten Situationen von mir erwartet wird, Neues blitzschnell lernen zu müssen. Ich bezweifle, dass mich jemand wirklich lieben wird, denn keiner wird das je kapieren.” 

Ich wünsche dem Buch so viele Leser und Leserinnen wie möglich, auch weil die Geschichte von iO für mich ganz persönlich eine wichtige Geschichte ist – und weil ich glaube, dass es auch heute immer noch wichtig ist, dass diese Geschichten erzählt und gelesen werden. Ich durfte das Buch auch im Kulturkaufhaus Dussmann empfehlen und war schockiert, als ich erfahren habe, dass irgendjemand dort, die Cover der ausgelegten Bücher zerstört hat. Ebenso schockiert war ich darüber, dass ich diese Besprechung – anders als geplant – nicht unter meinem neuen Namen in der Neuen Osnabrücker Zeitung veröffentlichen durfte. Deshalb: Darling Days ist eine große und wichtige Empfehlung – für alle, die selbst auf der Suche nach ihrer Identität sind und alle, die ihre Mitmenschen besser verstehen wollen.

iO Tillett Wright: Darling Days. Mein Leben zwischen den Geschlechtern. Übersetzt von Clara Drechsler und Herbert Hellmann. Suhrkamp, 2017. 436 Seiten, 15,95€.

Hallo, ich bin’s – Linus.

Ich teilte in den vergangenen Jahren auf meinem Blog immer wieder persönliche Veränderungen mit euch – sei es der Tod meines Hundes Bandit oder auch den einen oder anderen beruflichen Neuanfang. Es ist mir wichtig, euch nicht nur Bücher zu empfehlen, sondern dabei so authentisch zu sein, wie mir das möglich ist. Über eines habe ich zwar schon auf meinen sozialen Kanälen gesprochen, aber hier zuvor noch nie – und das möchte ich endlich ändern. Aus diesem Grund werde ich euch heute von der vielleicht wichtigsten Veränderung in meinem Leben erzählen.

Ich möchte euch nicht nur von einer kleineren Veränderung erzählen, sondern von einem turning point – dem wohl größten und wichtigsten Wendepunkt in meinem Leben. Es ist etwas mehr als einen Monat her, dass ich in einer Starbucks Filiale in Frankfurt zum allerersten Mal den Namen gesagt habe, den ich mir schon so lange für mich selbst wünsche. In fast allen Starbucks-Filialen wird man ja nach dem Namen gefragt, damit es später keine Verwechslungen gibt. An diesem Tag war meine Antwort Linus – ich erinnere mich noch ganz genau an die Situation, ich war sehr aufgeregt und habe fast vergessen, was ich eigentlich bestellen wollte, aber für mich hat sich etwas noch nie so passend angefühlt, wie in diesem Moment. Übrigens: den besagten Becher habe ich immer noch, er steht neben mir auf der Fensterbank. Für manche ist es nur ein Kaffeebecher, den sie wieder in den Müll werfen, für mich ist dieser Becher der Weg in ein Leben gewesen, das sich endlich richtig anfühlt und der Name ein Name, den ich mir schon seit Jahren für mich wünsche.

Mich zum ersten Mal Linus zu nennen, war eine Befreiung – seitdem fühle ich mich wesentlich wohler, glücklicher und selbstbewusster. Mich quält seitdem aber auch die Frage, wie ich euch davon erzählen kann. Viele von euch begleiten mich seit mehreren Jahren und haben mich als Buchblogger kennen- und schätzengelernt. Ich verspreche euch: ich werde dieser Mensch bleiben, ich liebe es zu bloggen und werde das auch hoffentlich in den kommenden Jahren mit Begeisterung tun. Ich weigere mich nur, mich weiter selbst in eine Schublade zu stecken, in die ich nicht gehöre und in der ich nicht mehr sein möchte: ich bin keine Bloggerin – seit vielen Jahren ist mir klar, dass ich keine Frau bin. Ich wünsche mir deshalb von euch, dass ihr mich auch an diesem Ort ab jetzt Linus nennt.

Mir ist es zuvor noch nie so schwer gefallen, einen Blogbeitrag zu schreiben – ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich euch davon erzählen möchte. Es ist mir wichtig, mein Glück, meine Geschichte und meine Identität nicht mehr länger nur für mich zu behalten, sondern all das mit euch zu teilen. Gleichzeitig hoffe ich, dass ich mit dieser Offenheit vielleicht auch andere ermutigen kann, zu sich zu stehen und so zu leben, wie sie sich ihr Leben wünschen – ganz ohne Scham und Angst.

Ich zeige und offenbare mich euch in der Hoffnung, dass ihr mich so akzeptieren könnt, wie ich bin und wie ich mich fühle. Wer weitere Informationen braucht, dem empfehle ich diese Seite – desweiteren dürft ihr mich natürlich auch alles fragen, was euch vielleicht unklar sein mag oder beschäftigt.

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