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Deutschsprachige Literatur

Bist du noch wach? – Elisabeth Rank

Elisabeth Rank wurde 1984 in Berlin geboren. Sie hat Publizistik, Kommunikationswissenschaften und Europäische Ethnologie studiert. Seit einigen Jahren arbeitet sie als freie Autorin für unterschiedliche Magazine, außerdem ist sie im Bereich Digitale Markenführung tätig. Ihr Debütroman “Und im Zweifel für dich selbst” erschien im Jahr 2010. Lesenswert sind bereits die Texte, die man auf ihrem Blog findet – doch Vorsicht, wenn man erst mal anfängt dort zu lesen, läuft man Gefahr, nicht mehr aufhören zu können. Ich freue mich, dass ich der Autorin fünf Fragen stellen durfte.

“Aber wenn wir dann alt sind, Konrad, und auf diese Tage zurückschauen, werde ich dasitzen und sagen, mit dir habe ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht. Das wird sich nicht ändern, das nicht.”

Das Zitat auf der ersten Seite, ein Ausschnitt aus dem Lied “Sunset” von The XX, fasst das zentrale Thema des Romans in wenigen Worten zusammen: “When I see you again / And I’m greeted as a friend / It is understood / That we did all we could.” In Elizabeth Ranks mittlerweile zweiten Roman “Bist du noch wach?” geht es um Freundschaft, Abschied und vielleicht, möglicherweise, wenn alles gut läuft, auch um Neuanfänge.

Elisabeth Rank erzählt die Geschichte einer Freundschaft: Rea und Konrad sind Mitbewohner und die allerbesten Freunde. Ihre Tage verbringen sie gemeinsam, häufig verstehen sie sich blind und kennen die Wünsche und Bedürfnisse des anderen ohne viele Worte. Doch dieses Vertrauen, diese tiefe Freundschaft, die Rea den sicheren Boden unter ihren Füßen garantiert, wird langsam brüchig und porös, als Konrad eine Frau kennen lernt. Rea, die bald dreißig wird, muss feststellen, dass sich das Leben manchmal verändert, dass Dinge sich manchmal wandeln und Menschen Abschied nehmen und getrennte Wege gehen – auch wenn man das eigentlich gar nicht möchte.  Doch es ist nicht nur Konrad, der Rea verlässt, auch ihr Vater, liegt erneut im Krankenhaus und die aufgelöste Mutter ist Rea keine Hilfe dabei, den drohenden Verlust des Vaters verarbeiten zu können.

“Ich legte den Kopf auf die Tischplatte, die Wange aufs Papier, ich sah ihn an, wie er dort saß, und dachte, wir sind doch auch nicht mehr das, was wir mal waren, Konrad, wo sind wir denn hin, du bist gealtert, und ich habe es nicht mitbekommen.”

Konrad ist der Mensch, mit dem Rea ihr Leben freiwillig teilt. Sie hat ihn sich ausgesucht. Konrad ist derjenige, in dessen Bett sie manchmal kriecht, ohne, dass er nervige Fragen stellt. Konrad ist immer da, wie eine unverrückbare Konstante in Reas Leben. Es gibt natürlich auch noch andere Männer in Reas Leben, doch keiner hält ihren Erwartungen stand – auch wenn sie immer wieder betont, dass sie doch eigentlich gar keine Erwartungen hat. Und doch beschleicht einen beim Lesen das Gefühl, dass sie jeden Mann an dem misst, was sie mit Konrad hat.

“[…] es war Albert, der von Anfang an nicht gewesen war, was ich mir versprochen hatte, und ich war von Anfang an nicht gewesen, was ich ihm versprochen hatte, nicht einmal ansatzweise.”

Auf knapp 250 Seiten wird die Geschichte von Rea und Konrad von vorn erzählt, von dort, wo sie ihren Anfang genommen hat. Bis zu dem Moment, wo sich alles zwischen ihnen verändert. Bis zu dem Moment, wo Rea in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt und ihr bewusst wird , dass sich zwischen ihnen etwas verschoben hat. Dieser Prozess war langsam, aber die Lücke die dort nun klafft, ist kaum noch zu überbrücken.

“[…] ich sah ihn an und erkannte ihn nicht wieder, das gehörte wohl dazu, dachte ich, so ist das eben gerade, aber ich vermisste ihn so sehr, er musste doch da irgendwo noch sein, das hier war schließlich mein zweites Zuhause, und ich ging hin zu dem Fremden, und ich nahm die Entfernung zwischen ihm und mir mit beiden Händen und schaufelte mich hindurch, und dann legte ich meinen Kopf an seine Brust, und er umarmte mich mit den Birnen in der Hand, zwei davon lagen auf meinem Schulterblatt, und dann weinte ich einfach, ich konnte gar nichts machen, es lief einfach so aus mir heraus.”

Elisabeth Rank ist mit “Bist du noch wach?” ein sensibler und feinfühliger Roman gelungen, der von Freundschaft, Abschieden und Anfängen erzählt. Überzeugend ist der Roman vor allem sprachlich. Der Text liest sich wie in einem Fluss, in gewißerweise unheimlich poetisch und doch gleichzeitig wie von leichter Hand erzählt. Die Autorin trifft dabei einen eingängigen und ganz eigenen Ton, der direkt vom Ohr in Herz und Hirn geht und sich dort fest setzt. Elisabeth Rank erschafft wunderschöne Sprachbilder, die aber auch gleichzeitig herzzerreißend sein können. Einige von ihnen haben sich bei mir ins Gedächtnis eingenistet, so dass ich sie auch nach dem Zuklappen des Buches immer noch im Herzen trage. Ich denke dabei an die Hornhaut auf der Seele oder Sätze wie diese: “Abends am Küchentisch saß ich wie an einer fremden Küste angespült.” “Ich hab immer gedacht, Konrad wäre mein Zuhause. Aber ich glaube, ich bin ausgezogen.” “[…] und dann heule ich doch, weil er immer noch Konrad ist und weil ich noch Rea bin, wir aber nicht mehr wir sind.”

“Weißt du, ich hör ja schon auf […], ich hör schon auf zu glauben, dass immer alles gleich bleiben kann und sofort passieren muss, aber manchmal frage ich mich, ob manches überhaupt noch irgendwann passiert. Oder bleibt. Einfach nur mal so bleibt, wie es ist. Ein paar Sekunden lang.”

Ich könnte immer so weiter machen und Stellen aus dem Roman zitieren, doch eigentlich bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sagen: lest dieses Buch! Lest diesen zarten Roman, der dennoch so viel Kraft hat. Ein bisschen so, wie seine Hauptfigur Rea. Ein Buch über das Zerbrechen einer außergewöhnlichen Freundschaft, ein Buch über das Abschiednehmen und darüber, dass man im Leben manchmal getrennte Wege gehen muss. Ach ja, sagte ich schon lesen? Lesen! So schnell wie möglich!

5 Fragen an David Wagner!

© by Susanne Schleyer/autorenarchiv.de

© by Susanne Schleyer/autorenarchiv.de

David Wagner wurde 1971 geboren und veröffentlichte im Jahr 2000 seinen Debütroman “Meine nachtblaue Hose”. Es folgten der Erzählband “Was alles fehlt”, das Prosabuch “Spricht das Kind” und die Essaysammlung “Welche Farbe hat Berlin”. Sein Roman “Vier Äpfel” schaffte es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Für seine Veröffentlichungen wurde der Autor, der heutzutage in Berlin lebt, bereits mehrfach ausgezeichnet.

1.) Warum wollten Sie Schriftsteller werden?

Weil ich dachte, ich hätte etwas zu sagen.

2.) Gibt es einen Schriftsteller oder einen Künstler, der Sie auf Ihrem Weg besonders inspiriert hat?

Ja, viele. Wäre gemein hier nur zwei oder drei bevorzugt zu nennen.

3.) Wann und wo schreiben Sie am liebsten?

Im Bett.

4.) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Ich lese gerade Canada von Richard Ford. Schätze ihn sehr seit der Frank Bascombe Triologie.

5.) Was würden Sie einem jungen Schriftsteller raten?

Lesen, Lesen, Lesen, Schreiben, Lesen, Liegenlassen, Wiederlesen, Wegwerfen, Neuschreiben, Liegenlassen, evtl. wieder wegwerfen oder verbessern, und das ungefähr zwanzig oder dreißig oder fünfzig Mal und sich immer fragen, ob man mit dem, was man da aufschreibt wirklich, wirklich anderen Menschen (Lesern) Lebenszeit stehlen möchte…

Herzlichen Dank an David Wagner für die Beantwortung meiner Fragen!

Leben – David Wagner

David Wagner wurde 1971 geboren und veröffentlichte im Jahr 2000 seinen Debütroman “Meine nachtblaue Hose”. Es folgten der Erzählband “Was alles fehlt”, das Prosabuch “Spricht das Kind” und die Essaysammlung “Welche Farbe hat Berlin”. Sein Roman “Vier Äpfel” schaffte es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Für seine Veröffentlichungen wurde der Autor, der heutzutage in Berlin lebt, bereits mehrfach ausgezeichnet.

“Alles war genau so und auch ganz anders.”

Diese Worte begrüßen den Leser beim Aufklappen des Buches. Als ich “Leben” in die Hand nehme, um es zu lesen, bin ich mir unschlüssig, was ich dort eigentlich in den Händen halte: einen Roman? Einen autobiographischen Roman? Oder vielleicht doch eher eine Autobiographie? Wie viel von David Wagner steckt in “Leben”? Beim Zuklappen der letzten Seite kann ich diese Frage kaum besser beantworten und doch glaube ich, dass das worüber David Wagner schreibt, aus ihm selbst kommen muss, um in dieser Art und Weise darüber schreiben zu können. Auf dem Buchrücken oder im Klappentext gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass “Leben” die Leidensgeschichte des Autors erzählt. Das Buch wirbt nicht damit, ein Erfahrungsbericht zu sein. So betont David Wagner in einem eindrucksvollen Artikel über das Buch auch: “Das Ich des Buches bin nicht ich.”

“Schließlich […] stellt sich heraus, daß ich eine Autoimmunhepatitis habe, mein Immunsystem hält körpereigene Leberzellen für fremdes Gewebe und bildet autoimmune Antikörper […]. Warum das Immunsystem sich so verhält, ist bis heute nicht bekannt.”

Die Geschichte, die “Leben” erzählt beginnt im Jahr 2006. Das Buch-Ich, der Erzähler, kehrt gegen Mitternacht nach Hause zurück, löffelt Apfelmus und spürt plötzlich ein Kratzen im Hals. Er erbricht einen Schwall Blut in die Badewanne.

“Ich weiß, daß die Ösophagusvarizen, die Krampfadern in meiner Speiseröhre, geplatzt sind, ich weiß, daß ich nun nach innen blute und nicht ohnmächtig werden darf […].” 

Eine Autoimmunhepatitis. Eine Zirrhose. Ösophagusvarizen. Überdruck in den Gefäßen. Und eine kranke Leber. Das ist die Geschichte. Das Ich in “Leben” weiß in diesem Moment sofort: “[…] wird diese Blutung nicht schnell gestoppt, bin ich bald tot”. 

“Noch vor zwanzig Jahren war bei solchen Blutungen nicht viel zu machen. Ich habe ein paar Liter Blut verloren, mein Hämoglobinwert ist schlecht, und die Leberwerte, das liegt auch an dem Eiweißschock nach so viel Blut im Magen, sind noch schlechter. Aber ich lebe.”

“Leben” ist 280 Seiten schmal. Ich habe es Samstag in die Hand genommen und kaum mehr niederlegen können. Zu schmal – habe ich beim Zuklappen der letzten Seite nur noch denken können. Ich möchte noch weiter lesen, weiter lesen über dieses Ich, das um sein Leben kämpft, das seit seinem zwölften Lebensjahr mit einer zu zwei Dritteln geschädigten Leber leben muss, aber nur durch die Nebenwirkungen der Medikamente merkt, dass es eigentlich krank ist. Doch irgendwann geht es nicht mehr weiter. Organtransplantation.

“Und ich weiß, was diese Stimme gleich sagen wird, ich weiß, daß ich wieder auf die Liste muß, ich muß zurück auf die Warteliste für eine neue Leber, auf der ich einmal, bis vor ein paar Monaten, stand. Sie müssen wieder auf die Liste. Ja, sage ich, ich weiß.”

Der Text von David Wagner besteht aus mehreren Textformen: in 277 Episoden wird die Krankheitsgeschichte erzählt, die erfolgreiche Transplantation, die Zeit im Krankenhaus. Unterbrochen werden diese Episoden durch kursiv gesetzte Abschnitte, die die medizinischen Befunde dokumentieren. An einer Stelle werden Todesmeldungen gesammelt. Dabei handelt es sich größtenteils um kuriose Todesmeldungen, die beinahe schon in einer poetischen Art und Weise inszeniert werden: “Trotzdem reiße ich Todesmeldungen aus der Zeitung, sie sammeln sich an, ich lege sie in eine Mappe. Auf der Mappe steht: ‘Als die Kinder schliefen'”. Diese Todesmeldungen lesen sich wie kleine Gedichte:

“Wasser (Jennifer Strange)

Die 28jährige Frau

die bei einem Wasserwetttrinken in Sacramento, Kalifornien

vergeblich versucht hatte

eine Wii für ihre Kinder zu gewinnen

starb weil der Natriumspiegel in ihrem Blut

nach dem Konsum von mehr als elf Litern Wasser

viel zu tief gefallen ist

zwei Jahre später

muß der Radiosender KDND

der das Wasserwetttrinken veranstaltet hatte

den Hinterbliebenen

eine Entschädigung

von 16,5 Millionen Dollar

zahlen.”

An einer anderen Stelle zitiert David Wagner aus einem “älteren schwarzen Notizbuch”, liest “Die müde Giraffe”, eine Sammlung von kurzen Miniaturen über die Müdigkeit:

“Die Lebensmüdigkeit: einfach nicht mehr wollen. Kommt in Wellen. Kommt immer wieder. Kommt auch zu mir.”

Lebensmüdigkeit, das Verzweifeln an der eigenen Krankheit und der drohenden Verkürzung des eigenen Lebens ist etwas, das den Erzähler immer wieder übermannt. Diese Lebensmüdigkeit ist etwas, die dem Autor jedoch selbst fremd ist, wie er in dem oben verlinkten Interview ausführt. Die lebensmüden Gefühle des Erzählers, genauso wie seine Verzweiflung, werden jedoch sehr authentisch beschrieben.

Das Buch hat mich persönlich sehr berührt und bewegt. Von der Erkrankung hatte ich zuvor noch nie gehört, über Organtransplantationen hatte ich mir aber schon häufiger Gedanken gemacht. Die Autoimmunhepatitis ist eine seltene Erkrankung, dessen Ursachen ungeklärt sind. Doch eine Organtransplantation ist etwas, das alle Menschen in irgendeiner Form betreffen kann: als Spender oder als Empfänger.

“Ich bilde mir ja nicht ein, daß nachher, nach einer Transplantation, alles großartig, wunderbar und immer sonnig ist. Nein, ich warte nicht. Manchmal lasse ich mein Telefon zu Hause liegen, manchmal schalte ich es aus, ein- oder zweimal fahre ich sogar ins Ausland, was ich eigentlich nicht dürfte. Ich spiele ein bißchen mit dem Tod. Es ist halt nicht so leicht, jeden Tag an das Ende oder Nicht-Ende des eigenen Lebens zu denken.”

 Der Erzähler quält sich nach der erfolgreichen Transplantation mit Gedanken an den Spender, fühlt sich als Hybrid, der einen Teil eines anderen Menschen in sich trägt. Statt der Erleichterung über das Weiterleben legt sich eine bleierne Schwere über den Erzähler. Die Euphorie des Überlebens, sie hält nicht lange an. Auf seinem Nachtisch liegt ein Faltblatt, in dem über die Möglichkeit eines anonymen Dankesbrief an die Angehörigen des Spenders informiert wird. Ein anderer Mensch ist gestorben, damit er weiterleben kann. Weiterleben wofür? Kraft gibt dem Erzähler das Kind an seiner Seite, seine dreijährige Tochter

Auf der letzten Seite von “Leben”, dem neuen Leben, das sowohl dem Erzähler, als auch dem Autor geschenkt wurde, schließt sich der Kreis.  Das neue Leben beginnt für beide mit dem Entschluss des Schreibens, dem Entschluss, über diese schwere Zeit zu schreiben, einen Dankesbrief zu schreiben.

“Und all die Erinnerungstrümmer, die Verzweiflung, die Peinlichkeiten, die kleinen Klinikfreuden, sie müßten vielleicht nur aufgeschrieben werden, das könnte eine Art Dankesbrief sein. Ja, vita nova, ich sollte anfangen mit diesem neuen Leben.”

David Wagner ist mit “Leben” ein herausragendes Stück deutschsprachiger Literatur gelungen. Ein Buch, in dem die Erfahrungen und Erlebnisse, die mit einer Organtransplantation und der stetigen Konfrontation mit dem Lebensende verbunden sind, schonungslos, authentisch, berührend und unheimlich bewegend dokumentiert werden. Für mich ist “Leben” ein Highlight des Bücherfrühjahrs, nicht nur aufgrund seiner herausragenden literarischen Qualität, sondern vor allem auch, weil es etwas thematisiert, über das wir uns alle Gedanken machen sollten: die Organspende.

5 Fragen an Thommie Bayer!

8518251883_73e590eae5Thommie Bayer wurde 1953 in Esslingen geboren. Er war Maler und Liedermacher und begann 1984 damit zu schreiben. Bisher erschienen von ihm “Das Aquarium”, “Die gefährliche Frau”, “Eine kurze Geschichte vom Glück” und “Fallers große Liebe”. Im vergangenen Jahr erschien sein neuester Roman “Vier Arten, die Liebe zu vergessen”.

1.) Warum wollten Sie Schriftsteller werden?

Das weiß ich nicht. Und auch den Zeitpunkt, an dem ich bemerkte, DASS ich es werden wollte, kann ich nicht mehr so genau festmachen. Vielleicht mit Mitte zwanzig begann ich vom erzählenden Schreiben zu träumen, dachte aber damals, ich müsste noch sehr viel älter werden und sehr viel mehr erlebt haben dafür. Das stimmte aber nicht, denn mit Anfang dreißig schrieb ich mein erstes Buch, und dann kam das Lawinchen ins Rollen.

2.) Gibt es einen Schriftsteller oder einen Künstler, der Sie auf Ihrem Weg besonders inspiriert hat?

Es waren sicher viele, aber aus denen ragen ein paar hervor: Kurt Vonnegut, Tom Robbins, John Steinbeck, Urs Widmer, Michael Schulte, Max Frisch, Patricia Highsmith und Ian McEwan.

3.) Wann und wo schreiben Sie am liebsten?

Wenn nichts anderes ansteht so ziemlich jeden Tag von etwa elf bis etwa sechs. An meinem Schreibtisch und nirgendwo sonst. Ich kann auf Reisen, im Zug, im Urlaub allenfalls überarbeiten oder korrigieren. Erfinden kann ich nur zuhause.

4.) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Jetzt gerade lese ich „Kapital“ von John Lanchester mit Begeisterung, davor „Dichterliebe“ von Petra Morsbach, „Rote Zukunft“ von Francis Spufford, „Bis ans Ende der Welt“ von Norbert Zähringer, alle mit Begeisterung.

4.) Was würden Sie einem jungen Schriftsteller raten?
a. Sei ein Stehaufmännchen.
b. Lies deine Zeitgenossen.
c. Nimm Sprache ernst – es gibt kein „nur so dahingesagt“.

Vielen Dank an den Autor für die Beantwortung meiner Fragen!

Vier Arten, die Liebe zu vergessen – Thommie Bayer

Thommie Bayer wurde 1953 in Esslingen geboren. Er war Maler und Liedermacher und begann 1984 damit zu schreiben. Bisher erschienen von ihm “Das Aquarium”, “Die gefährliche Frau”, “Eine kurze Geschichte vom Glück” und “Fallers große Liebe”. Im vergangenen Jahr erschien sein neuester Roman “Vier Arten, die Liebe zu vergessen”.

Vier alte Schulfreunde begegnen sich nach vielen vergangenen Jahren am Grab ihrer ehemaligen Lehrerin Emmi und beschließen daraufhin, sich nach beinahe zwei Jahrzehnten mal wieder zu treffen. Einer von ihnen, Michael, lädt seine drei Schulfreunde Bernd, Wagner und Thomas für ein Wochenende zu sich nach Venedig ein. Alle vier haben gemeinsam ein Internat besucht, Emmi war ihre Lehrerin in den “Fächern Englisch, Französisch und Musik” eine Aufgabe, “die sie erfüllt habe mit ihrer Leidenschaft und Güte”.

Die Freundschaft zwischen Michael, Bernd, Wagner und Thomas hat damals einige Zeit gebraucht, um sich zu entwickeln. Zunächst gab es zwischen den vieren häufig Ärger und Unstimmigkeiten, die so weit gingen, dass einer von ihnen sogar im Krankenhaus landete. Die anderen wurden anschließend zu Zwangsbesuchen verdonnert – für die vier Jungs war das der Beginn, einer langen Freundschaft, die immer wieder über die schwere Zeit im Internat hinweggeholfen hat. Verbunden hat die vier Freunde vor allem die Musik, als “Nachtigallen” haben sie sich zusammengeschlossen und zumindest musikalische Achtungserfolge gefeiert. Es ist also kein Wunder, dass es auch die Musik ist, die sie wiedervereint, als sie gemeinsam an Emmis Grab ein Lied anstimmen.

“Michael fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag Emmi wirklich nahe. Es tat ihm leid, dass sie nicht mehr leben durfte, es tat ihm leid, dass er nie mehr hier gewesen war, es tat ihm leid, dass ihre Nachtigallen seit vielen Jahren nichts mehr miteinander zu tun hatten, dass sie sang- und klanglos weiterlebten, als wären sie nicht durch etwas verbunden gewesen, das sie Emmi verdankten und ihr zu Ehren hätten festhalten müssen. Das Lied klang mit jedem Vers besser.”

In den vergangenen zwanzig Jahren ist viel passiert, die vier Protagonisten sind in ihrem Leben ganz unterschiedliche Wege gegangen und dementsprechend unterschiedlich sind auch ihre “Arten, die Liebe zu vergessen”. Gemeinsam ist den vier Schulfreunden lediglich die Tatsache, dass sie alle in irgendeiner Form an der Liebe gescheitert sind Der Großteil der Geschichte wird aus der Perspektive von Michael erzählt, der mir während der Lektüre nicht ohne Grund am stärksten ans Herz gewachsen ist. Auch Michael scheitert an der Liebe, doch er scheitert, weil er es gar nicht erst versucht – aus Angst davor enttäuscht werden zu können, versteckt er sich hinter einem Pseudonym und komponiert für seine große Liebe Lieder.

“Jetzt waren nur noch vier Männer Mitte vierzig in derselben Richtung unterwegs, die jeder für sich das Altwerden von sich wiesen: der eine, indem er, um seine Stirnglatze zu kompensieren, das ergrauende Haar bis auf den Hemdkragen wachsen ließ, der andere, indem er sich beim Squash quälte, um das Äußere eines asketischen Topmanagers mit ultrakurzen Haaren und elastischem Gang zu kultivieren, der Dritte, indem er sich so gehen ließ wie eh und je, ohne wahrhaben zu wollen, dass Faulheit, gutes Essen und viel Alkohol ihre Spuren hinterließen, und der Vierte mit einer Art gepflegter Neutralität, die ihn fast unsichtbar machte.”

Thommie Bayer erzählt die Geschichte von vier Männern, die alle auf ganz unterschiedliche Weise am Leben und der Liebe kranken. Thommie Bayer erzählt unaufgeregt und souverän, aber dennoch schildert er die persönlichen Schicksale der Männer unheimlich nah und authentisch. Das Buch wird nicht nur von Figuren bevölkert, sondern von Menschen, Menschen, deren Lebensverläufe mir nahe gegangen sind, mit denen ich Mitleid hatte, mit denen ich mitgelitten habe. Am stärksten identifizieren konnte ich mich, wie bereits erwähnt, mit Michael, aus dessen Perspektive der Großteil der Geschichte erzählt wird.

“Aber sie waren eine Zeit lang wichtiger füreinander gewesen als ihre Familien, davon musste noch ein Echo existieren.”

Die zwanzig Jahre die zwischen der letzten Begegnung der vier Freunde liegen, machen es zunächst schwer, Anknüpfungspunkte und Gesprächsthemen zu finden. In vielen Sequenzen wird deutlich, dass Michael, Bernd, Thomas und Wagner sich in der Zwischenzeit auseinander gelebt und voneinander entfernt haben. Die vier Freunde kommen sich in der Zeit ihres Zusammenseins in Venedig nicht unbedingt näher, es gelingt nicht allen von ihnen, die zwanzigjährige Distanz zu überwinden und doch ist dieses gemeinsame Treffen Anlass für jeden der vier, sich über die Vergangenheit aber auch über die Gegenwart und die eigenen Wünsche ans Leben Gedanken zu machen.

“Vier Arten, die Liebe zu vergessen” ist eine melancholische Geschichte über die Liebe, das Leben und die Freundschaft von vier Männern. Thommie Bayer ist ein feinfühliger Roman gelungen, den ich sehr gerne gelesen habe. Ich habe mich nicht nur wunderbar unterhalten gefühlt, ich wurde auch zum Nachdenken angeregt und habe bei der Lektüre von “Vier Arten, die Liebe zu vergessen” vier interessante Männerfiguren kennengelernt. Ein Buch, das ich guten Gewissens weiterempfehlen möchte!

Wer wir sind – Sabine Friedrich

Sabine Friedrich wurde 1958 in Coburg geboren, studierte Germanistik und promovierte 1989 in München. Seit 1996 lebt sie gemeinsam mit ihrer Familie wieder in Coburg. 1997 erschien ihr erster Roman “Das Puppenhaus” – es folgten weitere Romane, unter anderem “Familiensilber” und “Immerwahr”. An ihrem neuesten Roman “Wer wir sind” arbeitete Sabine Friedrich insgesamt sechs Jahre. Von der Entstehungsgeschichte und der Arbeit an diesem Roman erzählt die Autorin in ihrem “Werkstattbericht”, der zusätzlich zum Roman erschienen ist.

“Was folgt auf das Ende, was liegt vor dem Anfang?”

Das sind die ersten Wörter des Romans “Wer wir sind”. Das ist der erste Satz, der mich bereits rettungslos hineinzieht in dieses Zeitpanorama, das insgesamt mehr als 2000 Seiten umfasst.

“Die Zeit strudelt in Wirbeln, und die Geschichte entfaltet sich, sie rollt sich auf wie ein Farnblatt, verzweigt sich, sie teilt sich in Stränge, die sich umeinander winden und zu Spiralen, Wendeln, Spindeln verschlingen, bis der Anfang wieder mit dem Ende verschmilzt, das nichts ist als ein weiterer Anfang.”

“Wer wir sind” erzählt die Geschichte des deutschen Widerstands. Der Roman erzählt die Geschichte der Moltkes, Stauffenberg-Brüder, Bonhoeffers, Harnacks und Dohnanyis. Die Geschichte der Schulze-Boysens, Schumachers und Coppis. Der Roman erzählt die Geschichte von Menschen, die mutig genug gewesen sind, Widerstand zu leisten. Der Roman beginnt ganz am Anfang: im warmen goldenen Indian-Summer-Nachmittag 1917 in Milwaukee, “der deutschesten Stadt Amerikas”. Dies ist der Ausgangspunkt für einen Roman, der auf mehr als 2000 Seiten erzählt wird. Sabine Friedrich gelingt es ganz wunderbar, nicht nur den Mut dieser einzelnen Männer und Frauen zu würdigen, sondern all diese Figuren, Stränge und Erzählebenen zu einem Gesamtbild zu verflechten, das den Eindruck einer beinahe kohärenten und gemeinsamen Bewegung vermittelt.

“Die Kolonnen brüllen und grölen auf den Straßen, man muss etwas unternehmen. Man muss sich der Flut entgegenstemmen. Man kann nicht tatenlos beiseitestehen, man muss aktiv werden.” 

Sabine Friedrich erzählt in ihrem Roman die Geschichte der vielfach miteinander “verflochtenen Familien der Harnacks, Delbrücks, Bonhoeffers und Dohnanyis”. Sie erzählt die Geschichte von Menschen, die sich gegenseitig nicht immer persönlich gekannt haben, die jedoch vereint wurden durch den Gedanken des Widerstands. In einer Zeit, in der viele Menschen nicht hinsehen wollten, haben es einige Menschen geschafft, den Mut aufzubringen, sich zu wehren. Ein Großteil der Figuren, die wir in “Wer wir sind” begleiten, wird für diese Entscheidung mit ihrem Leben bezahlen müssen.

“Die Wirklichkeit ist brüchig. Die Risse sind überall. Es scheint aber keiner zu bemerken. Die Leute gehen ihren Beschäftigungen nach, als wäre alles normal, als täten sich nicht überall vor ihnen, zwischen ihnen Abgründe auf, Schlünde zu unwirklichen Orten, zu Höllenkellern, in die kein Gesetz und kein Licht hinabreichen […].”

Zentrales Thema des Romans ist natürlich der deutsche Widerstand und dem Text merkt man an, wie detailliert und gut die Autorin dafür recherchiert hat. Sie präsentiert keine neuen Erkenntnisse oder bisher unbekannte Tatsachen, aber sie verwebt das, was sie erzählt unheimlich eindrucksvoll zu einem Gesamtkunstwerk miteinander. Sabine Friedrich zeichnet den Weg ihrer Figuren nach, geht auch immer wieder zurück in deren Kindheit und entwirft dabei ein umfassendes Panorama des Widerstands. Sie erforscht die zentrale Frage, welche Persönlichkeiten hinter dem deutschen Widerstand standen. Warum haben sich manche Menschen dazu entschieden, Widerstand zu leisten? Woher nahmen sie den Mut? Was hat ihre Persönlichkeit und ihre politische Haltung beeinflusst?

Die Gründe sind vielfältig, häufig sind die Menschen, die sich wehren, auch selbst betroffen. Vielen ist der Widerstand aber auch eine innere Haltung. Beeindruckend zeichnet die Autorin die Persönlichkeiten der Menschen im Widerstand nach, die häufig selbst erst einen Erkenntnisprozess durchlaufen. Ich denke beispielsweise an Henning von Tresckow, Generalmajor der deutschen Wehrmacht, der Hitler an der Macht zunächst begrüßte und sich erst später dem Widerstand zuwendete. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, nahm er sich schließlich selbst das Leben.

“Aber wenn es um Leben geht, auf der falschen Seite gestanden zu haben, das wäre übermenschlich schwer, und die Aussicht darauf würde die ganze Existenz verdunkeln. Darum stehe ich hier. Darum tue ich, was ich tue, und ich fühle mich wohl in meiner Haut. Natürlich glaube ich nicht an einen guten Ausgang der Dinge. Aber man kann doch trotzdem ein sauberes, kämpferisches Leben führen.”

Neben dem Widerstand steht aber auch zwangsläufig der Tod im Mittelpunkt von “Wer wir sind”. Die Bonhoeffers, Harnacks und Moltkes nehmen für das, was sie tun den Tod in Kauf. Atemlos habe ich das Buch kaum noch aus der Hand legen können, als die Gruppierung der Roten Kapelle enttarnt wird und die Mitglieder nach und nach verhaftet und verhört werden. Schließlich wird ihnen der Prozess gemacht. Für die meisten von ihnen bedeutete dies die Todesstrafe. Für mich war vieles von dem, was ich gelesen habe unvorstellbar und nur schwer zu begreifen: wie findet ein Mensch den Mut, für sein Tun den Tod in Kauf zu nehmen und wie muss sich so ein Menschen dann fühlen im Angesicht des Todes?

Das Buch enthält noch viel mehr, von dem ich an dieser Stelle leider nicht alles erwähnen kann. Einen großen Raum nimmt natürlich auch die Geschichte von Helmut und Freya von Moltke ein, über die ich bereits im vergangenen Jahr ein eindrückliches Buch gelesen habe. Doch auch neben den bekannteren Namen, werden am Rande immer wieder Namen fallen gelassen und Geschichten erzählt, die mich unheimlich berührt haben: Sabine Friedrich zitiert beispielsweise aus den Tagebüchern von Tanja Sawitschewa oder erzählt die Geschichte von Rivka Yosselevcscka. Beide Geschichten haben mich aufgrund des unfassbaren Leids und der unfassbaren Grausamkeit zu Tränen gerührt.

“Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugungen sein Leben hinzugeben.”

“Wer wir sind” ist kein leichtes Leseerlebnis: es ist intensiv, bedrückend, traurig, aufwühlend, tröstend und dennoch gleichzeitig so erhellend und informativ. Auch wenn der Widerstand bereits mehr als sechzig Jahre zurückliegt, enthält das Buch auch für uns in der heutigen Zeit immer noch wichtige Anknüpfungspunkte. Ein bewegendes Buch, das mich mehr als zwei Monate begleitet hat und das ich nicht gerne ziehen lasse. Nach dem Zuklappen der letzten Seite habe ich ein Gefühl der Leere verspürt. Mehr als zwei Monate habe ich die Bonhoeffers, die Harnacks und die Dohnanyis begleitet, saß mit Helmut von Moltke in der Todeszelle und mit Freya in Kreisau.

Sabine Friedrich hat dem deutschen Widerstand ein literarisches Denkmal gesetzt, das seinesgleichen sucht. Es gelingt ihr die Vielzahl an Personen, Gruppierungen, Stränge und die häufig gleichzeitig verlaufende Chronologie in eine lesbare Form zu bündeln, die ein unvergleichliches Panorama der damaligen Zeit aufzeigt. Die 2000 Seiten mögen abschreckend wirken, doch auf mich hat der Roman bereits nach den ersten Seiten einen so starken Sog ausgeübt, dass ich ihn zwischendurch kaum noch aus der Hand legen konnte. Ein bewegendes Leseerlebnis über den deutschen Widerstand – ein Buch, das ich nur jedem ans Herz legen kann!

Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters – Tilman Rammstedt

Der Schriftsteller Tilman Rammstedt wurde 1975 in Bielefeld geboren und lebt heutzutage in Berlin. “Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters” ist sein neuester Roman, der im vergangenen Jahr erschien und schnell für Furore sorgte. Tilman Rammstedt hat bereits einige Preise und Auszeichnungen erhalten, der Förderpreis für grotesken literarischen Humor der Stadt Kassel deutet an, was auch die Leser seines aktuellen Romans erwartet.

“Sehr geehrter Herr Willis,

geht es Ihnen gut?

Mit freundlichen Grüßen,

Tilman Rammstedt”

Mit diesen Worten beginnt der Roman von Tilman Rammstedt, der mich von der ersten Seite an – ach, bereits beim ersten Blick auf das Buchcover – begeistert hat. Tilman Rammstedt bedient sich in seinem Roman dem Mittel der Metafiktion: er erzählt in E-Mails von Rammstedts Alter Ego an den Schauspieler Bruce Willis, die hin und wieder von Erinnerungsschnipseln an den Bankberater unterbrochen werden, die Geschichte der Geschichte.

“Sie trauen den Worten nicht recht über den Weg, weil Worte Ihrer Meinung nach nur alles überdenken und man sie erst mühsam beiseiteräumen muss, um zum Eigentlichen zu gelangen.”

Doch was ist in diesem Roman, der sich jeglicher Einordnung in Kategorien verweigert, eigentlich die Geschichte? Tilman Rammstedt lässt seinen – mittlerweile ehemaligen – Bankberater eine Bank überfallen. Ich muss eigentlich nicht erwähnen, dass dieser Überfall natürlich mächtig schief geht. Der melancholisch angehauchte Bankberater, der durch das ganze Buch hinweg einen Geruch der Lethargie verströmt, ist für brenzlige Situationen denkbar ungeeignet. Nun rückt der Abgabetermin des Romans immer näher und Tilman Rammstedt benötigt Hollywood, er benötigt beinharte Action, er benötigt Bruce Willis, um die Geschichte des Banküberfalls doch noch zu einem guten Ende führen zu können. Wer sonst, wenn nicht Bruce Willis? Doch Bruce Willis beantwortet keine einzige der E-Mails, die im Laufe des Romans immer verzweifelter und damit auch gleichzeitig komischer werden.

“[…] ich kenne diese Tage gut, an denen man einfach keine Mails schreiben kann, an denen es einem sogar unvorstellbar scheint, jemals wieder eine Mail zu schreiben, jemals wieder den Müll runterzubringen, sich jemals wieder zu rasieren, jemals wieder einen vollständigen Satz zu sprechen, ohne ihn irgendwo kurz nach der Mitte versickern zu lassen.”

Es sind vor allem die E-Mails, die den Roman zu einem urkomischen und aberwitzigen Leseerlebnis machen.

“Mein Name ist Tilman Rammstedt. Ich bin deutscher Romanautor und kurz davor, mein viertes Buch zu beenden. Wenn Sie bislang noch nie etwas von mir gehört haben, muss Ihnen das nicht unangenehm sein. In Amerika bin ich noch nicht sehr bekannt (kulturelle Unterschiede, Terminschwierigkeiten, fehlende Übersetzung), doch ich kann Ihnen versichern, dass ich ein seriöser Schriftsteller bin, mit ausreichend Berufserfahrung, besonders was Figuren angeht, denen es gerade nicht sehr gut geht (Liebe, Körper, Leben).”

Es sind dann vor allem die eingeschobenen Passagen über den ehemaligen Bankberater, die den Roman von Tilman Rammstedt nicht nur zu einem ulkigen Leseerlebnis machen, sondern eine ganz feine Melancholie offenbaren, die sich bei mir direkt ins Herz eingenistet hat.

“Auf der Visitenkarte meines ehemaligen Bankberaters stand nur sein Name. Alles andere ändere sich so schnell, sagte er. Ich suchte das Bedauern in seiner Stimme, fand es aber nicht.”

Hinter all dem Witz und der phantastischen und wilden Fantasie, die auf den ersten Blick den Großteil des Romans zu bestimmen scheinen, verbirgt sich eine leichte Schwere, Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und eine stellenweise nur schwer auszuhaltende Resignation. Der E-Mail-Verkehr mit Bruce Willis ist brüllend komisch, ans Herz gewachsen ist mir jedoch vor allem der unbeholfene Bankberater, den ich am liebsten in den Arm genommen und ganz festgehalten hätte.

“Der Händedruck meines ehemaligen Bankberaters war meistens etwas zu fest und immer etwas zu lang. An manchen Tagen ließ er meine Hand den ganzen Termin über nicht los, und auf dem Heimweg fühlte sie sich leer an.”

Der Ausgang der Abenteuer des ehemaligen Bankberaters von Tilman Rammstedt bleibt offen und damit der Fantasie der Leser überlassen. Auf Seite 999 verabschiedet sich der Autor von dem Schauspieler Bruce Willis, doch die Seiten 156-998 wurden vor dem Druck des Buches nicht mehr fertiggestellt. Für den Bankberater würde ich mir ein glückliches Ende wünschen.

Mich hat die Lektüre von Tilman Rammstedts neuem Roman “Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberats” aus unterschiedlichen Gründen begeistert. Zum einen ist der Roman unheimlich witzig, schräg, komisch und ein in der Tat groteskes und humorvolles Leseerlebnis. Zum anderen hat mir aber auch die metafiktive Ebene unendlich viel Freude beim Lesen bereitet – wobei man bei diesem Roman kaum von einer Ebene sprechen kann, da Tilman Rammstedt die Metafiktion bis zum Exzess ausreizt. Als Leser bekommt man das Gefühl, Teil der Entstehung der Geschichte zu werden und Tilman Rammstedts Gebrauch der Metafiktion zeichnet sich für mein Empfinden durch eine Vielzahl an liebenswerten und skurrilen Ideen aus.

“PS: Mein Verlag hat mir mittlerweile den Umschlagsentwurf für unseren Roman geschickt. Ich hänge ihn an diese Mail an. Wenn Sie Verbesserungsvorschläge haben, lassen Sie es mich bitte schnell wissen, wenn möglich bis morgen. Nur an der Katze ist angeblich nichts mehr zu ändern. Bücher ohne Katze auf dem Umschlag würden sich einfach nicht mehr verkaufen, behauptet mein Verlag. Es wäre also gut, wenn wir noch irgendwie eine Katze in die Geschichte einbauen könnten. Sie sich doch nicht allergisch, oder?”

Tilman Rammstedt ist mit “Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters” ein perfekt komponierter, von der ersten Seite bis zum Buchrücken durchdachter Roman gelungen, der mich nicht nur überzeugen, sondern begeistern konnte. Der Roman zehrt nicht nur von einer außergewöhnlichen Idee, sondern überzeugt auch vor allem sprachlich, mit wunderschönen melancholischen Bildern. Ein vor Ideen sprühendes Werk, das mich gleichermaßen in Lachen ausbrechen ließ und nachdenklich zurückgelassen hat.

Hinweisen möchte ich gerne noch auf die wohl eindrücklichste Rezension zu diesem Roman: Caterinas Besprechung auf ihrem Blog Schöne Seiten. Sehr sehenswert ist auch der Buchtrailer:

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